TE Vwgh Erkenntnis 1998/10/5 96/19/2069

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.1998
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §72 Abs1;
AVG §72 Abs3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):96/19/2076

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde

1.) der 1991 geborenen SG, 2.) des 1992 geborenen OG, 3.) des 1994 geborenen HG, sowie 4.) der 1966 geborenen SG, alle in Wien, die Erst- bis Drittbeschwerdeführer vertreten durch die Viertbeschwerdeführerin, alle vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 20. Mai 1996, 1.) Zl. 116.324/6-III/11/96 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin), 2.) 116.324/4-III/11/96 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer), 3.) Zl. 116.324/5-III/11/96 (betreffend die Drittbeschwerdeführerin), 4.) Zl. 116.324/3-III/11/96 (betreffend die Viertbeschwerdeführerin), jeweils betreffend die Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheiten des Aufenthaltsrecht, und

5.)

Zl. 116.324/11-III/11/96 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin),

6.)

Zl. 116.324/9-III/11/96 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer),

7.)

Zl. 116.324/10-III/11/96 (betreffend den Drittbeschwerdeführer), sowie 8.) Zl. 116.324/8-III/11/96 (betreffend die Viertbeschwerdeführerin), jeweils betreffend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung in Angelegenheiten des Aufenthaltsrechts, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer verfügten jeweils über Aufenthaltsbewilligungen mit Gültigkeit bis zum 31. Oktober 1994. Am 30. September 1994 beantragten sie die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; diese Anträge wurden jeweils mit Bescheiden des Landeshauptmannes von Wien vom 5. Jänner 1995 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Diese Bescheide wurden den Beschwerdeführern (den Erstbis Drittbeschwerdeführern zu Handen der Viertbeschwerdeführerin) durch Hinterlegung beim Postamt 1164 Wien zugestellt, die Abholfrist begann am 4. April 1995.

Mit (inhaltsgleichen) Schriftsätzen vom 20. April 1995, unbestrittenermaßen zur Post gegeben am 21. April 1995, erhoben die Beschwerdeführer jeweils Berufung gegen diese Bescheide und verbanden diese mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Diese Wiedereinsetzungsanträge der Erst- und Drittbeschwerdeführer wurden folgendermaßen begründet:

"Der gegenständliche Bescheid wurde am 3. April 1994 hinterlegt. Meine Mutter hat sich zwar an der Abgabestelle aufgehalten, war aber aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die Wohnung zu verlassen, sodaß sie von der Hinterlegungsanzeige erst am 6. oder 7. April 1995 Kenntnis erlangt und den gegenständlichen Bescheid sofort behoben hat. Sie war irrtümlich der Auffassung, daß die 14-Tage-Frist ab dem Beginn der Abholung des Schriftstückes zu laufen beginnt und wurde erst heute durch ihren ausgewiesenen Vertreter über die Rechtslage aufgeklärt."

Die Viertbeschwerdeführerin erstattete ein sinngemäß gleichlautendes Vorbringen. Alle Beschwerdeführer erklärten, sie seien sohin durch ein für sie nicht vorhersehbares Ereignis gehindert gewesen, die gegenständliche Berufung zu einem früheren Zeitpunkt einzubringen.

Der Landeshauptmann von Wien wies jeweils mit Bescheiden vom 23. Mai 1995 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab. Die Beschwerdeführer erhoben jeweils Berufung.

Mit den nunmehr erst- bis viertangefochtenen Bescheiden wurden die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 5. Jänner 1995 (Abweisung der Verlängerungsanträge) zurückgewiesen. Die belangte Behörde stützte sich jeweils darauf, daß die Zustellung rechtswirksam am 4. April 1995 erfolgt sei, die Berufungen aber erst am 21. April 1995 eingebracht worden seien, weshalb sie zurückzuweisen wären.

Mit den fünft- bis achtangefochtenen Bescheiden wurden die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 23. Mai 1995 (betreffend jeweils die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages) abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, die Erkrankung der Mutter der Erst- bis Drittbeschwerdeführer (der Viertbeschwerdeführerin) sei bloß behauptet und nicht etwa durch ein entsprechendes ärztliches Attest glaubhaft gemacht worden. Daher könne unter Berücksichtigung des Gesamtvorbringens nicht davon ausgegangen werden, daß die Fristversäumnis nicht zu verhindern gewesen wäre. Es erscheine unglaubwürdig, daß die Mutter der Berufungwerber plötzlich und unvorhersehbar an völliger Dispositionsunfähigkeit gelitten habe und müsse davon ausgegangen werden, daß trotz der Erkrankung zumindest die Fähigkeit bestanden habe, das Schriftstück aufzusetzen und für die postalische Weitergabe zu sorgen. Eine mangelnde Rechtskenntnis, wie im gegenständlichen Fall über den Beginn des Fristenlaufs, bilde keinen Wiedereinsetzungsgrund. Der gesetzlichen Vertreterin der Erstbis Drittbeschwerdeführer (im Verfahren der Viertbeschwerdeführerin: dieser selbst) sei an der Versäumnis der Berufungsfrist ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten, weshalb die Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehle.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde,

über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 113 Abs. 6 FrG 1997 lautet:

"(6) Rechtskräftige Bescheide, mit denen die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung (§ 6 AufG) versagt wurde oder mit denen der Verlust einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 AufG) verfügt wurde, treten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes außer Kraft, sofern der Betroffene sie beim Verfassungsgerichtshof oder Verwaltungsgerichtshof angefochten und dieser die Entscheidung noch nicht getroffen hat. In diesen Fällen ist die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers einzustellen. Mit dem Beschluß über die Gegenstandslosigkeit der Bescheide tritt auch der Bescheid erster Instanz außer Kraft.

§ 71 Abs. 1 AVG lautet:

"§ 71. (1) Gegen die Versäumung der Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. ...."

Bei den in Beschwerde gezogenen Bescheiden handelt es sich nicht um rechtskräftige Bescheide, mit denen die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung (§ 6 AufG) versagt wurde. Über die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen hat die erstinstanzliche Behörde mit ihren Bescheiden vom 5. Jänner 1995 abgesprochen. Die belangte Behörde hat in dieser Sache keine Entscheidung getroffen, weil sie in den erst- bis viertangefochtenen Bescheiden vom Vorliegen eines Zurückweisungsgrundes (hinsichtlich der Berufung) ausging, welcher gemäß § 66 Abs. 4 AVG eine Entscheidung in der "Sache" Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung durch die zweitinstanzliche Behörde hinderte. Gegenstand der fünft- bis achtangefochtenen Bescheide war ebenfalls nicht die Frage, ob die Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführer verlängert werden könne, sondern ausschließlich jene, ob ihnen jeweils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den die beantragte Bewilligung abweisenden Bescheid bewilligt werde. Die vorliegenden verfahrensrechtlichen Bescheide sind daher nicht aus dem Grunde des § 113 Abs. 6 FrG 1997 außer Kraft getreten (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zlen. 97/19/0417, 0418).

Zur inhaltlichen Berechtigung der Beschwerden ist folgendes auszuführen:

1. Zu den Beschwerden gegen die erstangefochtenen Bescheide:

Die Beschwerdeführer treten der Annahme der belangten Behörde, die rechtswirksame Zustellung der Bescheide vom 5. Jänner 1995 sei am 4. April 1995 erfolgt und ihre Berufung erst am 21. April 1995 zur Post gegeben worden, insofern entgegen, als sie vorbringen, die (an die Viertbeschwerdeführerin persönlich und als gesetzliche Vertreterin der Erst- bis Drittbeschwerdeführer gerichteten) Bescheide der Behörde erster Instanz seien ihnen wegen der Krankheit der (an der Abgabestelle anwesenden) Viertbeschwerdeführerin erst am 7. April 1995 zugekommen, weshalb die am 21. April 1995 zur Post gegebenen Berufungen noch rechtzeitig erhoben worden seien. Damit bringen die Beschwerdeführer aber nichts vor, was gegen die Rechtmäßigkeit der Zustellung der Bescheide vom 5. Jänner 1995 bereits am 4. April 1995 sprechen würde. Hielt sich die Viertbeschwerdeführerin nämlich an der Abgabestelle im Zeitpunkt der Zustellung regelmäßig auf, konnte ihr die Sendung aber (infolge ihrer behaupteten Erkrankung) nicht zugestellt werden, so erweist sich die daraufhin gemäß § 17 ZustellG erfolgte Hinterlegung des Schriftstückes als im Einklang mit dem Gesetz. Gemäß § 17 Abs.2 ZustellG galt die hinterlegte Sendung mit dem ersten Tag der Abholfrist des hinterlegten Schriftstückes (das war der 4. April 1995) als zugestellt.

Schließlich meinen die Beschwerdeführer in ihrer Berufung und implizit auch in der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, in ihrem Fall käme § 17 Abs.3 letzter Satz ZustellG zur Geltung, weshalb die Rechtsmittelfrist erst mit der tatsächlichen Behebung des Schriftstückes begonnen habe. § 17 Abs. 3 ZustellG sieht in seinem letzten Satz in den Fällen , in denen der Empfänger eines Schriftstückes wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig Kenntnis vom Zustellvorgang erlangen konnte, die Wirksamkeit der Zustellung erst an dem an die Rückkehr folgenden Tag innerhalb der Abholfrist vor. Diese Bestimmung ist aber auf die vorliegenden Fälle schon deshalb nicht anwendbar, weil sich nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer die Viertbeschwerdeführerin an der Abgabestelle befand. Die Zustellung der Bescheide vom 5. Jänner 1995 erfolgte somit rechtswirksam bereits am 4. April 1995.

Die entscheidungswesentlichen Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde hinsichtlich der Verspätung der am 21. April 1995 zur Post gegebenen Berufungen erwiesen sich daher als zutreffend, weshalb die belangte Behörde mit den erst- bis viertangefochtenen Bescheiden die Berufungen zu Recht als verspätet zurückweisen konnte.

Die Beschwerdeführer vermeinen schließlich, die Zurückweisung der Berufungsbescheide (gemeint wohl: die Zurückweisung der Berufungen) gegen die Abweisung ihrer Anträge nach dem AufG sei gleichzeitig mit den Berufungsbescheiden über die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages zugestellt worden und widerspreche demnach dem § 72 Abs. 3 AVG. Dieses Vorbringen erweist sich jedoch als unberechtigt, weil die Bestimmung des § 72 Abs. 3 AVG ausschließlich auf Wiedereinsetzungsanträge gegen die Versäumung einer mündlichen Verhandlung bei gleichzeitiger Berufung gegen den danach erlassenen Bescheid anzuwenden ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Slg. Nr. 12.275/A).

Die Beschwerden gegen die erst- bis viertangefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2. Zur Beschwerde gegen die fünft- bis achtangefochtenen Bescheide:

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt ist. Die Beschwerdeführer brachten in ihren Anträgen auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung einer Berufung vor, ihre Mutter, die als gesetzliche Vertreterin der Erst- bis Drittbeschwerdeführer vor der Behörde auftrat, (im Fall der Viertbeschwerdeführerin: sie selbst) sei im Zeitpunkt der Zustellung am 4. April 1995 erkrankt, habe sich zwar an der Abgabestelle aufgehalten, sei aber aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, die Wohnung zu verlassen, sodaß sie von der Hinterlegungsanzeige erst am 6. oder 7. April 1995 Kenntnis erlangt und den gegenständlichen Bescheid sofort behoben habe.

Es kann im gegenständlichen Fall dahinstehen, ob die Viertbeschwerdeführerin an einer die Dispositionsfähigkeit ausschließenden Krankheit litt oder nicht (dies geht im übrigen auch nicht aus der erst mit der Beschwerde vorgelegten ärztlichen Bestätigung vom 19. Juli 1996 hervor). Denn im Hinblick auf die Zustellung der Bescheide am 4. April 1995 und auf das behauptete Ende der Krankheit am 7. oder 8. April 1995 steht außer Zweifel, daß der Viertbeschwerdeführerin noch ein Teil der Berufungsfrist zur Verfügung gestanden war, um rechtzeitig (für sich und ihre Kinder) ein Rechtsmittel einzubringen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1997, Zl. 97/18/0257). Ein Vorbringen, wonach Umstände vorgelegen seien, die die Viertbeschwerdeführerin auch nach dem Ende der (angeblichen) Krankheit gehindert hätten, die Berufungen vor Ablauf der Berufungsfrist zu erheben, hat diese nicht erstattet.

Da es der Viertbeschwerdeführerin, auch als gesetzliche Vertreterin der Erst- bis Drittbeschwerdeführer, somit nicht gelang, glaubhaft zu machen, daß sie ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert habe, die Berufungsfrist einzuhalten, wurde das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG von der belangten Behörde im Ergebnis zutreffend verneint.

Aus diesen Erwägungen waren die Beschwerden gegen die fünft- bis achtangefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, daß es nicht Gegenstand des vorliegenden Verwaltungsverfahrens war, die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. Jänner 1995 (Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen durch den Landeshauptmann von Wien) zu überprüfen.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des insgesamt geltend gemachten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 5. Oktober 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996192069.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

24.08.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten