TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/2 G314 2220617-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2019
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Entscheidungsdatum

02.07.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2220617-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der slowakischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20.06.2018 wurde die Beschwerdeführerin (BF) aufgefordert, sich zu der wegen ihrer strafgerichtlichen Verurteilung wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Die BF erstattete keine Stellungnahme.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung der BF und dem Fehlen eines Privat- oder Familienlebens im Inland begründet.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, die Dauer zu reduzieren. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass sich die Behörde nicht mit dem Privat- und Familienleben der BF auseinandergesetzt habe. Von ihr gehe keine Gefährdung für die öffenliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Aufenthaltsverbot rechtfertige, aus.

Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 28.06.2019 einlangten.

Feststellungen:

Die BF, eine XXXXjähriger slowakische Staatsangehörige, ist seit Oktober 2013 durchgehend mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Bis Ende September 2017 und wieder seit Ende September 2018 lebt sie in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer volljährigen Tochter XXXX, deren Ehemann XXXX und den Töchtern XXXX (geboren XXXX) und XXXX (geboren XXXX).

Die BF besuchte in ihrem Herkunftsstaat die Schule; sie spricht Slowakisch. Sie hat vier erwachsene Kinder, von denen drei in der Slowakei leben.

Der BF wurde erstmals am 28.08.2015 eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt. Sie war im Bundesgebiet von November 2013 bis Oktober 2014 geringfügig beschäftigt; von November 2014 bis Jänner 2015 stand sie als Arbeiterin in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis. Im April 2015 war sie geringfügig beschäftigt und anschließend bis Mai 2015 und von Juni 2015 bis August 2017 vollversichert erwerbstätig. Zwischen August und November 2017 bezog sie zeitweilig Arbeitslosengeld. Von November 2017 bis April 2018 war sie vollversichert erwerbstätig. Zwischen Mai und August 2018 bezog sie - mit Unterbrechungen - Arbeitslosengeld und danach bis September 2018 Notstandshilfe. Zuletzt war sie von 03. bis 27.09.2018 als Arbeiterin erwerbstätig; danach bezog sie - mit Unterbrechungen - Arbeitslosenunterstützung und ab Februar 2019 Notstandshilfe.

Am XXXX2016 ging die BF die Ehe mit dem bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen XXXX ein, ohne ein gemeinsames Familienleben führen zu wollen, wobei sie wusste, dass er sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe berufen wollte. Die BF führte mit ihrem Ehemann kein gemeinsames Familienleben.

Wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe wurde die BF mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX2017, XXXX, wegen des Vergehens nach § 117 Abs 1 FPG - bei einer möglichen Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen - zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen á EUR 4 verurteilt, die am 10.04.2018 vollzogen wurde. Bei der Strafbemessung wurde ihre Unbescholtenheit als mildernd gewertet; besondere Erschwerungsgründe lagen nicht vor. Es handelt sich um die erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung der BF. Ihre Ehe mit XXXXwurde mittlerweile geschieden.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Identität der BF wird durch die entsprechenden Angaben im Strafurteil und im polizeilichen Abschlussbericht, insbesondere der Beschuldigtenvernehmung, belegt.

Die Wohnsitzmeldungen der BF und der gemeinsame Haushalt mit ihrer Tochter und deren Familie gehen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) hervor.

Die Schulbildung der BF und ihre Familienverhältnisse werden anhand ihre Angaben bei der Beschuldigtenvernehmung festgestellt. Slowakischkenntnisse sind aufgrund ihrer Herkunft und Ausbildung plausibel; nachvollziehbare Beweisergebnisse für Deutschkenntnisse liegen nicht vor.

Die Anmeldebescheinigung ist im Fremdenregister dokumentiert; die Beschäftigungsverhältnisse und der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor.

Die Feststellungen zur Aufenthaltsehe der BF, der dadurch begangenen Straftat, ihrer strafgerichtlichen Verurteilung und den Strafzumessungsgründen basieren auf dem Strafurteil und dem polizeilichen Abschlussbericht. Die Rechtskraft der Verurteilung und der Vollzug der Geldstrafe gehen aus dem Strafregister hervor. Anhaltspunkte für weitere strafgerichtliche Verurteilungen der BF bestehen nicht, zumal ihre Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Die BF, eine EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG, hielt sich als Arbeitnehmerin im Rahmen ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts in Österreich auf (vgl. § 51 Abs 1 Z 1 NAG).

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

Aufgrund des bereits über fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalts der BF im Bundesgebiet seit November 2013 hat sie das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a NAG erworben, zumal die Ausstellung einer Bescheinigung des Daueraufenthalts lediglich deklarativ ist. Bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie ist daher der in Art 28 Abs 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen (siehe VwGH 12.03.2013, 2012/18/0228).

Trotz des hohen Störwerts der von der BF eingegangenen Aufenthaltsehe in Bezug auf den geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften, an dem ein großes öffentliches Interesse besteht, stellt ihr Verhalten keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG dar, sodass der anzuwendende Gefährdungsmaßstab nicht erfüllt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der BF keine weiteren Straftaten oder Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten sind, der Strafrahmen nur zur Hälfte ausgenützt wurde und seit dem Eingehen der Aufenthaltsehe bereits einige Zeit verstrichen ist, in der sie sich nichts mehr zuschulden kommen ließ.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht erfüllt sind, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben. Dies bedingt auch die Aufhebung der darauf aufbauenden Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung).

Sollte die BF in Zukunft wieder wegen entsprechend schwerwiegender Taten bestraft werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie neuerlich zu prüfen sein.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Zu Spruchteil C):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (vgl VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der
Entscheidung, Durchsetzungsaufschub, Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2220617.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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