Entscheidungsdatum
06.09.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W254 2163542-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.05.2017, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des
angefochtenen Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die - damals noch minderjährige - Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz "BF") stellte am 25.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Darin führte sie zu ihrem Fluchtgrund befragt aus, dass sie bei ihrem Großvater aufgewachsen sei und bewaffnete Leute sie festnehmen und zwangsweise verheiraten hätten wollen. Ihr Großvater sei dagegen gewesen und umgebracht worden. Daraufhin sei zu einem Freund ihres Großvaters geflüchtet.
Mit Schreiben vom 01.04.2016 bevollmächtigte der Kinder- und Jugendhilfeträger des Landes XXXX als gesetzliche Vertretung der BF den Verein menschen.leben zur deren Vertretung, welche mit Schreiben vom 31.05.2016 widerrufen wurde.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX 2016, Zl. XXXX , wurde die Obsorge der BF ihrer Tante XXXX , geboren am XXXX übertragen.
Am 24.04.2017 wurde die BF von der belangten Behörde durch eine Person männlichen Geschlechts unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers in Anwesenheit ihrer gesetzlichen Vertretung und einer weiteren Vertrauensperson zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Darin wurde unter einem ein umfangreiches Konvolut an medizinischen Unterlagen insbesondere zu ihren psychischen Problemen, ihrer Athritis-Erkrankung, ihrer XXXX Tuberkulose-Erkrankung, ihrer Lympknotenschwellung sowie diverse Integrationsunterlagen vorgelegt. Betreffend die vorgebrachten psychischen Probleme ist das Schreiben vom XXXX 2017 von XXXX hervorzuheben, wonach sich die BF seit dem XXXX 2016 in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Anlass seien schwere psychische Symptome aufgrund von Gewalterfahrung in ihrem Heimatland und Zeugenschaft XXXX in Österreich. Die Symptome würden neben einer depressiven Stimmung, Flashbacks und Intrusionen, Schlafstörungen, Alpträume, Konzentrationsstörungen, Ohnmachtsanfälle und vegetative Übererregung umfassen. Diese geschilderte Symptomatik sei als Folge schwerer Traumatisierungen zu sehen und erfülle die diagnostischen Kriterien nach ICD-10 (F43.1). Des Weiteren ist der Entlassungsbrief des XXXX vom XXXX 2016 zu erwähnen, aus welchem hervorgeht, dass die BF beschnitten wurde.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte sie näher aus, dass sie ihrem Großvater in dessen Geschäft immer wieder ausgeholfen habe. Eines Tages sei ein Junge, ein Angehöriger des Hawiye-Clans, zu ihr ins Geschäft gekommen, der die Zigaretten nicht bezahlen und sie heiraten habe wollen. Als sie ihn daraufhin angeschrien habe, sei sie von dem Jungen geschlagen und mit dem Tode bedroht worden, sollte sie in die Heirat nicht einwilligen. In weiterer Folge habe sich ihr Großvater bei der Familie des Jungen über diesen Vorfall beschwert und ihnen mitgeteilt, dass die BF ua. zu jung für eine Ehe sei und sich der Junge fernhalten solle. Daraufhin habe der Vater des Jungen entgegnet, dass sie aufgrund des minderen Clans der BF gar keine Einwilligung brauchen würden. Einige Tage später hätten sie - bewaffnet - den Großvater und die BF zuhause aufgesucht. Als der Großvater weiterhin einer Heirat nicht zustimmen habe wollen, sei er erschossen und die BF auf der Stelle weggelaufen. Sie habe sich bei einem Freund ihres Großvaters versteckt, welcher auch ihre Ausreise organisiert haben soll. Weiters führte die BF aus, dass sie ledig und kinderlos sei. Zudem wisse sie nicht, wo sich ihre Mutter sowie ihre Schwester aufhalten würden. Ihr Vater sei XXXX getötet worden. In diesem Zusammenhang merkte die gesetzliche Vertretung an, dass der Vater vom selben Clan getötet worden sei.
Aus dem im Akt erliegenden Einvernahmeprotokoll geht nicht hervor, dass die BF im Hinblick auf ihre vorgebrachte (versuchte) Zwangsverheiratung von der belangten Behörde auf die Möglichkeit der Beiziehung einer weiblichen Einvernahmeleiterin und einer weiblichen Dolmetscherin hingewiesen worden ist. Die Beiziehung eines männlichen Einvernahmeleiters und Dolmetschers wurde von ihr auch nicht verlangt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.05.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12.05.2018 erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - sofern hier wesentlich - aus, dass der Clan der XXXX als wohlhabender kleiner Clan oft vom großen Clan der Hawiye angefeindet werde und ihr Vorbringen damit grundsätzlich glaubwürdig sei. Eine systematische Diskriminierung wurde allerdings verneint. Auch wenn es nicht ausgeschlossen sei, dass die Hawiyefamilie die BF persönlich in die Gewalt gegenüber der Familie der BF hineinziehen wolle, werde damit keine Zwangsehe erreicht. Eine Rückkehrentscheidung komme nicht in Frage, weil glaubhaft sei, dass die BF keine familiäre und soziale Unterstützung in Somalia habe.
Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 12.05.2017 erhob die BF, vertreten durch die Rechtsanwältin XXXX , mit Schriftsatz vom 13.06.2017 fristgerecht Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF als Angehörige der sozialen Gruppe von Frauen bzw. minderjährigen Mädchen angehöre, denen eine Zwangsverheiratung drohe, ohne dass ihnen der somalische Staat Schutz gewähren könnte.
Mit Schreiben vom 17.07.2018 wurde das Bundesverwaltungsgericht von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zur Rechtsanwältin XXXX in Kenntnis gesetzt.
Am 23.07.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die rechtsfreundliche Vertretung durch die ARGE Rechtsberatung bekannt gegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die zu treffenden Feststellungen entsprechen der Darstellung des Sachverhalts im Verfahrensgang, auf die verwiesen wird. Dieser Sachverhalt wird der Entscheidung als Sachverhaltsfeststellung zu Grunde gelegt.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt und der Verfahrensgang ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).
Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt.
Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist ein Asylwerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen, so steht gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen.
Verfahrensgegenständlich hat die belangte Behörde ua. ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt und es unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt hinreichend genau zu ermitteln und darüber hinaus den mangelhaft ermittelten Sachverhalt in wesentlichen Teilen nicht seiner Entscheidung berücksichtigt. Der angefochtene Bescheid ist aus nachfolgenden Gründen mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
1. Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Asylwerber, wenn er seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
In seinem Erkenntnis vom 19.12.2007, 2005/20/0321, hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die diesbezüglich inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung des § 27 Abs. 3 AsylG 1997 ausgesprochen, dass Zweck dieser Bestimmung der Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung sein soll. Da davon auszugehen ist, dass erst dadurch eine gegenüber einem männlichen Organwalter bestehende Hemmung, über das Erlebte näher zu berichten, abgebaut wird, ist ab dem Zeitpunkt, in dem sexuelle Übergriffe als Fluchtgrund geltend gemacht werden, die Notwendigkeit gegeben, die Asylwerberin durch eine Person weiblichen Geschlechts einzuvernehmen. Eine in einem solchen Fall durch einen männlichen Organwalter vorgenommene Beweiswürdigung - auch wenn sie nur die Frage beträfe, ob dem diesbezüglichen Vorbringen zumindest ein "glaubhafter Kern" zukomme - ist mit dem in § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG aufgestellten Erfordernis daher nicht in Einklang zu bringen. In seinem Erkenntnis vom 03.12.2003, 2001/01/0402, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass auch die Beiziehung eines Dolmetschers gleichen Geschlechts geboten ist, weil nur dadurch dem normierten Zweck, nämlich den Abbau von Hemmschwellen zu fördern, adäquat Rechnung getragen werden kann.
Wird ein Asylwerber dennoch von einer Person eines anderen Geschlechts bzw. unter Beiziehung eines Dolmetschers eines anderen Geschlechts einvernommen, [...] wird [das] vielfach als krasser Ermittlungsmangel zu qualifizieren sein, der eine Behebung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG rechtfertigt, sofern die beweiswürdigenden Erwägungen wesentlich auf der betreffenden Einvernahme aufbauen [...] (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [2016] § 20 AsylG 2005, K3).
Im vorliegenden Fall hat sich die BF im Rahmen ihrer Erstbefragung und ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde auf eine (versuchte) Zwangsverheiratung durch einen - einem höheren Clan zugehörigen - Jungen und ihre darauffolgende Flucht und damit auf Gründe gestützt, die mit einem Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung in Zusammenhang stehen (siehe zum Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung betreffend eine Zwangsverheiratung das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18.09.2015, E1003/2014, wonach bereits die Furcht vor einer Zwangsverheiratung ausreichend ist; siehe dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2016, Ra 2014/18/0161 mit Verweis auf die Rechtsprechung des VfGH, wonach der Gesetzgeber unter Bezugnahme auf und in Entsprechung von Empfehlungen in einschlägigen internationalen Dokumenten die Anordnung treffen wollte, dass die Einvernahme bzw. gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 2005 auch die Verhandlungsführung vor dem Asylgerichtshof schon dann durch Personen desselben Geschlechts durchzuführen ist, wenn die Flucht aus dem Heimatstaat nicht mit bereits stattgefundenen, sondern mit Furcht vor sexuellen Übergriffen begründet wurde.). Dazu führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in der Beweiswürdigung lediglich aus, dass "nicht ausgeschlossen werden kann dass die Hawiyefamilie sie persönlich in diese Gewalt gegenüber ihrer Familie hineinziehen will. Eine Zwangsehe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention wird auch in diesem Punkt nicht erreicht."
Dem dargestellten Zweck des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechend, wäre die belangte Behörde daher gehalten gewesen, die Einvernahme der BF unter Beiziehung einer weiblichen Einvernahmeleiterin und einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen, bzw. die BF über ihr diesbezügliches Recht zumindest in Kenntnis zu setzen. Die BF hat die Beiziehung eines männlichen Einvernahmeleiters oder männlichen Dolmetschers weder von der belangten Behörde verlangt, noch wurde sie vom Bestehen einer anderen Möglichkeit in der gesetzlichen normierten Form in Kenntnis gesetzt.
Durch die Nichtbeachtung des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 hat die belangte Behörde der BF aber die Möglichkeit genommen, über ihre (versuchte) Zwangsverheiratung ungezwungen und ohne Hemmungen zu erzählen. Es kann daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob die BF ausreichend Gelegenheit zur Darstellung der diesbezüglichen Gründe für ihren Aufenthalt außerhalb ihres Herkunftsstaates hatte, weshalb die gegenständliche Einvernahme zur Beurteilung des Sachverhaltes die BF betreffend - wie von der belangten Behörde erfolgt - auch nicht herangezogen werden hätte dürfen. Der maßgebliche Sachverhalt kann daher erst durch die (neuerliche) den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechende Einvernahme der BF sowie allenfalls durch die Vornahme weiterer, sich aus der neuen Einvernahme ergebenden, Ermittlungsschritte, wie Länderrecherchen, festgestellt werden.
2. Davon abgesehen erweist sich der vorliegende Sachverhalt aber auch in Bezug auf die Thematik der alleinstehenden Frauen in Somalia als nicht hinreichend ermittelt bzw. gewürdigt.
Die BF führte im Rahmen ihrer Einvernahme aus, dass sie keine Familienangehörige in Somalia habe. Ihr Vater sei bereits ermordet, der Aufenthaltsort ihrer Mutter und ihrer Schwester sei ihr unbekannt, sodass sie auch keinen Kontakt zu ihrer Familie habe. Auch die gesetzliche Vertreterin merkte in diesem Zusammenhang an, dass die BF in Somalia niemanden mehr habe.
Den der belangten Behörde amtswegig bekannten (und im Bescheid festgestellten) Länderberichten ist ua. zu entnehmen, dass sich die Lage für Frauen in Somalia als besonders prekär darstellt. Insbesondere ist vorrangig in Lagern der Binnenvertriebenen, mangels staatlicher Autorität kein wirksamer Schutz gegen Übergriffe wie Vergewaltigung, Verschleppung oder systematische sexuelle Versklavung von Frauen gegeben. Besonders IDPs in Flüchtlingslagern und Minderheitenangehörige sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen (Bescheid, Seite 53). Die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen kann auch unter Umständen als asylrelevante Verfolgung qualifiziert werden.
Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der individuellen Situation der BF war die belangte Behörde daher von sich aus verpflichtet, Ermittlungen zu einer sich daraus ergebenden allfälligen Bedrohung in Somalia anzustellen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen. Die belangte Behörde hätte von sich aus die Situation rückkehrender junger und alleinstehender Frauen nach Somalia, jedenfalls näher beleuchten und dahingehende nähere Ermittlungen tätigen müssen. Zwar finden sich im angefochtenen Bescheid - die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation enthaltenen allgemeinen - Ausführungen zur Situation von Frauen in Somalia. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde auch aus, dass eine fehlende familiäre und soziale Unterstützung glaubhaft sei. In ihrer rechtlichen Beurteilung führte sie lediglich in Bezug auf die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten ohne nähere Begründung aus, dass Zweifel bestehen würden, ob die BF noch über Familie in Somalia verfüge. Darüberhinausgehende Anhaltspunkte, dass die belangte Behörde auch konkret die Lebens- und Rückkehrsituation der BF als (eventuell) alleinstehende Frau unter Berücksichtigung ihrer Clanzugehörigkeit in Somalia näher beleuchtet hätte, fehlen im angefochtenen Bescheid. Es wurden damit weder (ausreichende) Ermittlungen und darauf basierende substantiierte Feststellungen zur Situation von alleinstehenden Frauen - auch unter Berücksichtigung der Clanzugehörigkeit - in Somalia und einer damit einhergehenden Gefahr getroffen. Damit hat die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen zur Feststellung des in diesem Punkt entscheidungsrelevanten Sachverhalts unterlassen und die Gefahr einer möglichen Verfolgung nicht ausreichend berücksichtigt.
Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - insgesamt unterlassen, sich mit den im Verfahren hervorgekommenen Fluchtgründen eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in wesentlichen Punkten umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungsmängeln eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. etwa VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088, wonach bei Nichtfeststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts eine Zurückverweisung zulässig ist).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den unter Punkt 1. Und 2. dargestellten Themengebieten eingehend auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte und den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechende Befragung, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, welcher eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei Letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).
Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass die Einvernahme und Würdigung des Vorbringens unter Berücksichtigung der Minderjährigkeit der BF im Zeitpunkt des fluchtauslösenden Ereignisses (siehe dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.09.2014, 2014/19/0020) sowie unter Beachtung ihrer - von XXXX attestierten - psychischen Symptome (siehe dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.06.2011, 2011/23/0113) durchzuführen ist.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Unter Wahrung des Grundsatzes der amtwegigen Ermittlungspflicht und des Parteiengehörs wird die belangte Behörde auch aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat treffen, das Vorbringen der BF vor dem Hintergrund der aktuellen Lage im Herkunftsstaat würdigen und schließlich die rechtlichen Konsequenzen daraus ziehen müssen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die belangte Behörde aus den oben angeführten Erwägungen in entscheidenden Punkten die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und daher den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides mit Rechtswidrigkeit belastet hat, sodass die nunmehrige Durchführung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht einer Neudurchführung des Verfahrens gleichkommt. Sohin liegen verfahrensgegenständlich jedenfalls die in der eingangs zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs genannten krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungsmängel vor.
Durch das mangelhaft geführte Ermittlungsverfahren hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vornahme weiterer Ermittlungen bzw. überhaupt die Durchführung wesentlicher Teile der Asylverfahren auf das Bundesverwaltungsgericht verlagert, weshalb im Einklang mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, Ro 2014/03/0063, der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt I. zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Mit Aufhebung ist die vollständige Beseitigung des bekämpften Bescheides, also jedenfalls die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides anzusehen. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W254.2163542.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.10.2019