TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/9 W192 2106409-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.09.2019
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Entscheidungsdatum

09.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W192 2106409-5/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2018, Zahl 821870803-171314906, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i.d.g.F., § 9 BFA-VG i.d.g.F. und §§ 52, 55 FPG i. d.g.F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der lesginischen Volksgruppe und Muslimin, reiste gemäß eigenen Angaben am 26.12.2012 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Ihren Antrag begründete sie in einer Erstbefragung am 27.12.2012 und einer Einvernahme beim Bundesasylamt am 08.05.2013 im Wesentlichen damit, dass sie 2004 den muslimischen Glauben der Glaubensgemeinschaft der "Astrachan" angenommen und seither deswegen sowie wegen ihres Sohnes, der 2005 aus dem Herkunftsland ausgereist und sich als Asylberechtigter in Österreich aufhalte, und wegen des Gatten ihrer Nichte, gegen den ein Strafverfahren eingeleitet worden sei, Probleme mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan bekommen habe. Das letzte Mal sei die Miliz im Mai 2012 zu ihr gekommen. Im Dezember 2012 habe sie ihr Herkunftsland verlassen. Sie habe in Dagestan in einem eigenen Haus und seit 2002 von ihrer Invalidenpension gelebt. Sie leide an Herz- und Nierenproblemen sowie an erhöhtem Blutdruck und Migräne. Medizinische Behandlung habe sie im Herkunftsland zur Gänze gratis erhalten. In Dagestan würden sich zwei verheiratete Töchter, ein Bruder und fünf Schwestern aufhalten, wobei die jüngere Tochter zuvor in St. Petersburg gelebt habe, wo sich die Beschwerdeführerin vorübergehend 6 bis 8 Monate aufgehalten habe.

Im weiteren Verfahren vor dem Bundesasylamt legte die Beschwerdeführerin ein Dokumentenkonvolut, in dem sich unter anderem medizinische Atteste, ein Pensionistenausweis sowie eine Invaliditätsbestätigung befanden, vor.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.07.2013, Zahl 12 18.708-BAI, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und sie gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin ihr Heimatland verlassen habe, um bei ihrem Sohn zu leben, jedoch im Heimatland keine sie betreffende drohende Verfolgungssituation vorliege.

1.3. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Asylgerichtshof am 20.11.2013 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.11.2014, Zahl W129 1437334-1/17E, hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und die Angelegenheit gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.) an die belangte Behörde zurückverwiesen. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die von ihr behaupteten Verfolgungs- und die Fluchtgründe angesichts der in der Beweiswürdigung im Detail aufgezeigten Widersprüche, Unstimmigkeiten und Unplausibilitäten unglaubwürdig sei und nicht den Tatsachen entspreche.

Das Erkenntnis wurde der Beschwerdeführerin am 17.11.2014 rechtswirksam zugestellt.

1.4. Am 22.04.2015 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiederaufnahme ihres rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens und begründete diesen mit neuen Beweismitteln aus ihrer Heimat, konkret ein Protokoll einer Hausdurchsuchung am 10.11.2014, ein Bestätigungsschreiben eines Imams vom 10.04.2015 zum Beweis ihrer Mitgliedschaft bei der astrachanischen Glaubensgemeinschaft sowie ein Schreiben ihrer jüngeren Tochter, die mittlerweile im Haus der Beschwerdeführerin wohne, wo es zur Hausdurchsuchung gekommen sei.

1.5. Der Wiederaufnahmeantrag wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.06.2016, Zahl W226 2106409-1/15E, gemäß § 32 Abs. 1 und 2 VwGVG als verspätet zurückgewiesen.

1.6. Bereits zuvor übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im fortgesetzten Verfahren mit Schreiben vom 17.03.2015 der Beschwerdeführerin einen Fragenkatalog betreffend den Aufenthalt in Österreich, die integrativen Aspekte und die familiäre Situation. Dazu erstattete die Beschwerdeführerin am 21.04.2015 eine Stellungnahme, in der sie u.a. auf ihre "schlechte körperliche Verfassung" hinwies und dazu Befunde vorlegte.

1.7. Mit Bescheid vom 04.05.2015, Zahl 13-821870803, erteilte das Bundesamt der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen. Zugleich wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist und wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

1.8. In Erledigung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde der bekämpfte Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.06.2016, Zahl W226 2106409-2/13E, behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesamt mit der laut Aktenlage dokumentierten schwereren Erkrankungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG nicht auseinandergesetzt habe und das Verfahren somit erhebliche Ermittlungsmängel aufweise, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei. Das Bundesamt wurde angewiesen, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären, welche konkrete Behandlung die Beschwerdeführerin derzeit im Bundesgebiet erhalte, ob aus Sicht der behandelnden Ärzte eine vergleichbare Therapie in Ländern wie dem Herkunftsstaat durchführbar sei bzw. wie sich die Behandlungsnotwendigkeiten der sich offenkundig verschlechternden Krankheitsbilder der Beschwerdeführerin in den nächsten Jahren darstellen werden.

1.9. Am 19.12.2016 wurde die Beschwerdeführerin durch einen Facharzt für Innere Medizin und gerichtlich beeideten Sachverständigen einer ärztlichen Untersuchung unterzogen und ein Internistisches Fachgutachten erstellt. Darin wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die Beschwerdeführerin u.a. an Bluthochdruck mit beginnendem Hochdruckherz, deutlicher Übergewichtigkeit mit mäßiger Fettleber, einer beginnenden Zuckerkrankheit (Diabetes Mellitus Typ II), chron. degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit Schmerzsyndrom, Knieschmerzen bds. bei Gonarthrose, chron. Kopfschmerzen mit Schwindelneigung und Polyarthroseneigung leide. Es würden keine Hinweise für eine koronare Herzerkrankung vorliegen.

Aus einer vom Bundesamt eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.02.2017 ging im Wesentlichen hervor, dass die von der Beschwerdeführerin benötigte medizinische Behandlung in der Russischen Föderation bzw. Dagestan gewährleistet sei. Sowohl eine medikamentöse Behandlung - allenfalls mit wirkstoffähnlichen Medikamenten - als auch eine Physiotherapie würden in Dagestan zur Verfügung stehen.

1.10. Nach einer Einvernahme der Beschwerdeführerin beim Bundesamt am 20.02.2017 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.03.2017, Zahl 13-821870803-1600740, der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

1.11. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.10.2017, Zahl W226 2106409-3/3E, gemäß § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 Abs. 9, 55 Abs. 1 bis 3 FPG, als unbegründet abgewiesen.

Das Erkenntnis wurde der Beschwerdeführerin am 18.10.2017 rechtswirksam zugestellt.

2. Verfahren über den zweite Antrag auf internationalen Schutz:

2.1. Am 23.11.2017 stellte die Beschwerdeführerin neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete die Beschwerdeführerin in einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 23.11.2017 im Wesentlichen mit dem Fortwirken ihrer bisherigen Fluchtgründe, wobei sie über ihren Bruder erfahren hätte, dass die Polizei nach ihr frage und bei einer Hausdurchsuchung Computer, Handy und andere Sachen mitgenommen worden seien. Die Tochter von ihrem Bruder (Nichte) und ihr Mann seien in die Türkei gegangen, um dort zu arbeiten, wobei die russische Polizei glauben würde, dass sie in Syrien wären. Die Polizei würde seither ständig bei ihrem Bruder vorbeikommen und fragen. Auf die Frage, ob es konkrete Hinweise dafür gebe, dass ihr bei ihrer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, die Todesstrafe drohe, gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Angehörigen in der Heimat bedroht werden und es gefährlich für sie sei. Wenn diese gesucht werden, würde auch nach der Beschwerdeführerin gesucht werden. Der Mann ihrer Tochter habe bei einer Abteilung der Polizei gearbeitet, wo sichergestellte Drogen unterschlagen worden seien. Er habe dazu mehrere Videos gedreht und dem Innenministerium vorgelegt. Deswegen sei die ganze Abteilung geschlossen und die Leute gekündigt worden. Es habe auch mehrere Anzeigen gegeben, die Polizeibeamte betroffen habe. Seit diesem Vorfall würden der Schwiegersohn und die ganze Familie bedroht werden. Der Schwiegersohn habe bei ihr zu Hause gelebt.

Eine Einvernahme der Beschwerdeführerin beim Bundesamt am 19.03.2018 musste abberaumt werden, da diese mit Schreiben vom 16.03.2018 mitteilte, dass sie derzeit krank und schwach sei und unter einer depressiven Verstimmung und multiplen Schmerzen leide. Dazu wurde ein Befund einer Hausärztin vom 15.03.2018 beigelegt, wonach die Beschwerdeführerin wegen einer akuten depressiven Verstimmung und multiplen Schmerzen nicht erscheinen könne. Eine medikamentöse Therapie werde eingeleitet.

In einer Einvernahme beim Bundesamt am 03.04.2018 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass ihr Schwiegersohn bei der Polizei in der Drogenabteilung gearbeitet und gesehen habe, wie Polizisten Drogen verkaufen und manipulieren. Er habe das alles dokumentiert und aufgenommen. Nachher habe er bis Moskau Beschwerde gemacht, er sei trotzdem als Verdächtiger gesucht worden. Auf Nachfragen, wann die Angelegenheit mit Ihrem Schwiegersohn stattgefunden habe, erklärte die Beschwerdeführerin, dass der Vorfall im Jahr 2012 nach ihrer Ausreise gewesen sei. Sie habe einen USB-Stick, darauf sei alles von ihrem Schwiegersohn. Der Beschwerdeführerin wurde daraufhin mitgeteilt, dass der USB-Stick nicht zum Akt genommen werde, da der Vorfall im Jahr 2012 vorgefallen sei und somit bereits im Vorverfahren berücksichtigt worden sei bzw. vorgebracht werden hätte können.

2.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.04.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Status der Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen darauf Bezug genommen, dass die Beschwerdeführerin ihrem nunmehrigen Antrag kein neues Vorbringen zugrunde gelegt und ihre Asylgründe aus dem Vorverfahren aufrecht erhalten hätte. Dieser wäre es bereits in ihren Vorverfahren möglich gewesen, die nunmehr vorgebrachten Geschehnisse im Jahr 2012 vorzubringen. Eine Rückkehrgefährdung habe unverändert nicht festgestellt werden können, zumal sich auch zahlreiche Angehörige der Beschwerdeführerin unverändert im Herkunftsstaat aufhalten könnten.

2.3. Dagegen wurde binnen offener Frist in vollem Umfang Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für die Beschwerdeführerin günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, erhoben. Dabei wurde u.a. auf einen USB-Stick mit wichtigen Beweisvideos verwiesen, welcher von der Behörde nicht angenommen worden wäre. Es sei jedoch Pflicht der Behörde, jedes Beweisstück entgegenzunehmen. Auf dem USB-Stick würden sich Videos und Tonbandaufnahmen befinden, die beweisen würden, dass die gesamte Familie der Beschwerdeführerin von russischen Sicherheitsbehörden gesucht werde. Durch einfaches Nachfragen hätte das Bundesamt klären können, um welche Beweise es sich handle. Aufgrund der Nichtannahme der vorgelegten Beweismittel werden diese mittels USB-Stick dem Gericht übermittelt und der Beschwerde beigefügt. Die neuen, von der Beschwerdeführerin angeführten und von der Behörde nicht angenommenen Beweise erreichten die Beschwerdeführerin erst kurz vor der Folgeantragstellung. Erst die Kenntnis dieser Vorfälle veranlasste die Beschwerdeführerin zur Folgeantragstellung.

Der USB-Stick wurde mit der Beschwerde vorgelegt. Auf dem angesprochen USB-Stick befinden sich ungefähr 20 Text- und Video-Dateien unbekannten Inhalts in russischer Sprache.

2.4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.05.2018, Zahl W182 2106409-4/2E, wurde der Bescheid vom 06.04.2018 in Erledigung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführerin anlässlich ihrer Einvernahme vom 03.04.2018 die Gelegenheit verwehrt worden sei, ihr Vorbringen hinsichtlich ihres Schwiegersohns vollständig zu berichten, darüber hinaus seien von ihr vorgelegte Beweismittel ohne jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit selbigen abgelehnt worden.

2.5. Am 30.07.2018 fand im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin statt, anlässlich derer zunächst die auf dem seitens der Beschwerdeführerin in Vorlage gebrachten USB-Stick befindlichen Dateien gesichtet und im Beisein einer Dolmetscherin mit der Beschwerdeführerin im Einzelnen erörtert wurden. Die Beschwerdeführerin gab zusammengefasst an, ihr Schwiegersohn habe die widerrechtlichen Sachen, welche in der Polizei geschehen wären, aufgezeichnet und alles auf YouTube gestellt. In der Folge sei dieser nach St. Petersburg gezogen; er werde bis jetzt gesucht und bedroht, dies betreffe auch seine Familie. Die Tochter der Beschwerdeführerin lebe mittlerweile getrennt von dem Genannten, damit die Kinder keine Probleme bekämen. Ihr Schwiegersohn ginge in St. Petersburg einer der Beschwerdeführerin nicht näher bekannten Arbeit nach. Diese habe keinen direkten Kontakt zu ihm und sei nicht darüber in Kenntnis, ob ihr Schwiegersohn aktuell Probleme habe. Zu den Gründen ihrer zweiten Antragstellung führte die Beschwerdeführerin aus, ihre im vorangegangenen Verfahren geschilderten Gründe seien nach wie vor aufrecht. Ihr sei von zu Hause gesagt worden, dass die Gefahr immer noch bestehe, aus diesem Grund seien ihr auch Beweismittel übermittelt worden. Ihr erwähnter Schwiegersohn habe bei ihr gelebt, ihr Haus stünde immer noch unter Beobachtung. Die Beschwerdeführerin wisse genau, dass sie im Falle einer Rückkehr nicht in Ruhe gelassen werden würde. "Sie" könnten ihr alles unterstellen. Der ehemalige Chef des Schwiegersohns sei jetzt General der Bezirkspolizei und habe nun die ganze Macht. Ganz Russland habe dieses Video gesehen, deshalb würden "sie" sie nicht in Ruhe lassen. Die Beschwerdeführerin sei schon alt und krank und würde diesen Stress nicht überleben. Weitere Gründe habe sie nicht.

In Österreich sei sie bei ihrem Sohn und beschäftige sich mit den Enkelkindern, sie sei hier medizinisch gut versorgt. Sie lebe von der Grundversorgung und wolle ihre Sprachkenntnisse verbessern.

Zum Akt genommen wurden Ausdrucke einiger auf dem vorgelegten USB-Stick gespeicherten Dokumente (welche durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einer Übersetzung ins Deutsche zugeführt worden waren), ein Befundbericht einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 27.07.2018, eine Deutschkursbesuchsbestätigung sowie ein Schreiben über eine nicht bestandene ÖIF-Prüfung auf dem Niveau A2.

Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.10.2018 wurde der Beschwerdeführerin aktualisiertes Länderberichtsmaterial zu ihrem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht.

2.6. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für deren freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Im Rahmen der Entscheidungsbegründung wurde festgehalten, die Beschwerdeführerin habe keine persönliche Verfolgung oder Bedrohung in ihrem Heimatland glaubhaft machen können. Die Beschwerdeführerin habe sich neuerlich auf die bereits im Vorverfahren als unglaubwürdig eingestuften Verfolgungsbefürchten berufen, zudem habe sie eine Gefährdung in Zusammenhang mit ihrem Schwiegersohn geschildert und diesbezügliche Beweismittel in Vorlage gebracht, deren Echtheit jedoch nicht erwiesen sei und aus deren Übersetzung kein Asylgrund ersichtlich werde. Nicht plausibel erscheine, weshalb die Beschwerdeführerin ihren zweiten Asylantrag nicht bereits viel eher gestellt hätte, sollten ihr die Gründe bereits seit 2017 bekannt und die Beweismittel im April 2018 übermittelt worden sein. Zudem sei nicht nachvollziehbar, weshalb ihr die aus dem Jahr 2013 stammenden Beweismittel erst fünf Jahre später hätten zugeschickt werden sollen. Selbst wenn man den Angaben der Beschwerdeführerin Glauben schenken sollte, müsse es als vollkommen unverständlich erachtet werden, weshalb ihrem - eigentlich bedrohten - Schwiegersohn sowie zahlreichen weiteren Verwandten ein Leben in der Russischen Föderation möglich sein sollte. Der Beschwerdeführerin wäre alternativ zu einer Rückkehr in ihre Heimatregion Dagestan die Niederlassung in einem anderen Landesteil, etwa bei ihrer in St. Petersburg lebenden Tochter, möglich; dass diese im gesamten Staatsgebiet gesucht werden würde, sei als unmöglich zu erachten. Aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat könne unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines Sachverhaltes erkannt werden, der einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstünde. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführerin im Heimatland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen wäre oder dass sie bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt würde. Ihre Geschwister und Töchter sowie ihr Schwiegersohn befänden sich nach wie vor im Heimatland, der Beschwerdeführerin wäre es demnach möglich, im Herkunftsstaat wieder im Familienverband zu leben. Die Beschwerdeführerin leide an den im vorgelegten Befundbericht vom 27.07.2018 angeführten Erkrankungen; diesbezüglich ergebe sich aus den vorliegenden Länderberichten, dass auch im Herkunftsstaat Behandlungsmöglichkeiten bestünden, zudem seien die gesundheitlichen Beschwerden bereits im rechtskräftig abgeschlossenen vorangegangenen Verfahren nicht als einer Rückkehr entgegenstehend erachtet worden.

Die Beschwerdeführerin sei mittelos und lebe von der Grundversorgung. Ihr asylberechtigter Sohn befände sich in Österreich. Die Beschwerdeführerin habe sich keine Deutschkenntnisse angeeignet und sei in keinen Vereinen Mitglied. Da keine Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG vorlägen und die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden, sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.

2.7. Gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführer durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 08.01.2019 fristgerecht Beschwerde ein, in welcher begründend zusammengefasst ausgeführt wurde, die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, da sie genauere Untersuchungen bezüglich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin unterlassen hätte. In der Russischen Föderation wäre es ihr nicht möglich, die von ihr benötigten kostspieligen Medikamente zu erhalten, zudem sei sie ohne die tägliche Unterstützung durch ihren Sohn nicht in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Die Behörde hätte Ermittlungen bezüglich der Erhältlichkeit und Leistbarkeit der von der Beschwerdeführerin konkret benötigten Medikamente anzustellen gehabt. Zum Beweis der weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin und deren Angewiesenheit auf medizinische Hilfe und tägliche Pflege werde die Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt. Auch bezüglich der Lebenssituation alleinstehender, alter Frauen in der Russischen Föderation seien die Ermittlungen der Behörde völlig unzureichend. Näher zitierte Berichte würden die schlechte medizinische Versorgung, die Diskriminierung von Frauen sowie die gefährliche Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation aufzeigen. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweise, welche aufzeigen würden, dass ihr Schwiegersohn illegale Tätigkeiten der Polizeibehörden in der Russischen Föderation öffentlich gemacht hätte, seien unzureichend berücksichtigt worden. Sei es der Behörde aus technischen Gründen nicht möglich, Beweise anzusehen, hätte sie die Beschwerdeführerin noch vor Bescheiderlassung darüber informieren müssen. Die Angehörigen der Beschwerdeführerin hätten diese erst in Kenntnis über die gegen sie erlassene Rückkehrentscheidung und deren baldige Rückkehr über die Bedrohung informiert. Davor habe die Beschwerdeführerin lange Zeit kaum Kontakt zu ihrer Familie gehabt, zudem habe ihr die Familie keine unnötigen Sorgen bereiten wollen. In der Beschwerde wurden sodann allgemeine rechtliche Ausführungen zu den Voraussetzungen für die Bejahung einer innerstaatlichen Fluchtalternative getroffen und es wurde angeregt, in diesem Zusammenhang näher formulierte Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Die Behörde habe der Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gewährt, auf den Inhalt der Beweiswürdigung zu reagieren und mit dieser Vorgehensweise den Anforderungen des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG widersprochen, in deren Zusammenhang auf zwei auszugsweise zitierte Entscheidungen des EuGH (21.11.2012 zu C-277/11 sowie 18.12.2008 zu C-349/07) verwiesen wurde. Die Behörde ginge an keiner Stelle inhaltlich auf die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel ein, deren bloßer Aufzählung komme keine Transparenz zu. Es würden jegliche Berichte zur Verfolgung durch staatliche Sicherheitsbehörden aus Rache bzw. um Zeugen zu beseitigen fehlen, die Länderberichte würden nur unzureichend Bezug auf die Verfolgung von Regierungsgegnern und ihren Familienangehörigen nehmen. Da ein Familienmitglied der Beschwerdeführerin einen Rechtsstreit mit der Polizeibehörde geführt und eine Beschwerende eingebracht hätte, sei - unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.12.2017, Zahl W236 2151198-1/11E - die ganze Familie gefährdet, verfolgt zu werden. Soweit die Behörde argumentiere, es sei nicht verständlich, dass der Schwiegersohn der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation leben könne, sei anzuführen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund unzureichender Befragung nicht habe ausführen können, dass ihr Schwiegersohn in Dagestan lebe und Schutz erhalte, was der Beschwerdeführerin jedoch nicht möglich sein würde. Ihr Schwiegersohn würde die Beschwerdeführerin aus kulturellen Gründen nicht bei sich aufnehmen, weshalb diese schutzlos und auf sich alleine gestellt sei. Die Länderberichte würden belegen, dass im Nordkaukasus schwerste Menschenrechtsverletzungen stattfinden würden. Die Behörde ginge fälschlicherweise davon aus, dass die Beschwerdeführerin in der Heimat über familiären Anschluss verfügen würde. Die Beschwerdeführerin werde von staatlichen Behörden verfolgt und unter Druck gesetzt, weshalb ihr jedenfalls Asyl zu gewähren sei. Ebenso sei dieser aufgrund der Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der alleinstehenden Witwen Asyl zu gewähren. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde dieser nicht offen, zumal sie im ganzen Land von Sicherheitsbehörden gefunden werden könnte. Aufgrund der prekären Sicherheitslage und der Situation der Beschwerdeführerin als alleinstehende ältere Frau wäre dieser zumindest der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Da die Beschwerdeführerin in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Sohn wohne, welcher sie pflege und versorge und ihr im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die oben dargestellten Gefahren drohen würden, wäre eine Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären gewesen. Der Beschwerde beiliegend wurden eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses auf dem Niveau A2.3 sowie der bereits aktenkundige Befundbericht vom 27.07.2018 übermittelt.

Mit Eingabe vom 26.04.2019 übermittelte die Beschwerdeführerin aktuelle ärztliche Unterlagen. Aus einem Bericht einer gynäkologischen Ambulanz vom 26.04.2019 ergibt sich, dass bei der Beschwerdeführerin die Diagnosen Endometriumatypien, Uterus myomatosus, Deszensus vag., Rektocele, Ektopie, Stressinkontinenz sowie Adipositas gestellt worden seien und aufgrund der histologisch verifizierten Endometriumatypien die Indikation zur Gebärmutterentfernung bestehe.

2.8. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.05.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin führt die im Spruch ersichtlichen Personalien, ist eine aus der Teilrepublik Dagestan stammende Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der lesginischen Volksgruppe und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Die Beschwerdeführerin stellte infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 26.12.2012 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, über welchen mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.11.2014 betreffend Asyl und subsidiären Schutz rechtskräftig abweisend abgesprochen und das Verfahren zur Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß der anzuwendenden Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen worden war. Ein in der Folge eingebrachter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.06.2016 zurückgewiesen. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.10.2017, Zahl W226 2106409-3/3E, wurde die Beschwerde gegen den im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im zweiten Rechtsgang) erlassenen Bescheid, mit dem der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist, als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerdeführerin verblieb trotz der rechtskräftigen Rückkehrverpflichtung im Bundesgebiet und stellte am 23.11.2017 den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat einer gezielten staatlichen oder privaten Verfolgung aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu ihrem Schwiegersohn, welcher im Jahr 2012/2013 Missstände innerhalb der dagestanischen Polizei öffentlich gemacht hätte, ausgesetzt sein würde. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation respektive Dagestan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

1.3. Es besteht für die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation (Dagestan) keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Diese liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Im Herkunftsstaat halten sich zahlreiche Angehörige der Beschwerdeführerin auf, welche sie nach einer Rückkehr unterstützen könnten. Der Beschwerdeführerin wäre es alternativ zu einer Rückkehr in ihre Heimatregion Dagestan, wo sich unverändert eine volljährige Tochter sowie sechs Geschwister der Beschwerdeführerin aufhalten, möglich und zumutbar, sich bei ihrer in St. Petersburg lebenden Tochter niederzulassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.

Die Beschwerdeführerin leidet an Gastritis, Psoriasis, Ischialgie rechts und links, Diskopathia Lws, depressivem Syndrom, posttraumatischer Belastungsstörung, Femoropatellararthrose rechts, erhöhtem Schmerzmittelbedarf, Harnwegsinfekt, akute Noduli mit Analthrombose, Spondylose L1-5, Z.n. Hepatitis A und B, Steatosis Hepatis, Colonpolyop, Hypercholesterinämie, BWS-Syndrom, Fettleber, klimakt. Syndrom 2002, Hws-Syndrom, Endometriumatypien, Uterus myomatosus, Deszensus vag., Rektocele, Ektopie, Stressinkontinenz sowie Adipositas. Aufgrund der histologisch verifizierten Endometriumatypien wurde zuletzt die Indikation zur Gebärmutterentfernung festgestellt.

In der Russischen Föderation inklusive der Teilrepublik Dagestan bestehen zugängliche Behandlungsmöglichkeiten für die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Krankheitsbilder im körperlichen und psychischen Bereich. Diese hat nicht konkret vorgebracht, dass ihr eine benötigte Behandlung im Herkunftsstaat in der Vergangenheit verweigert worden wäre oder individuell nicht zugänglich gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin befand sich zuletzt in keinem lebensbedrohlichen Krankheitszustand und durchlief keine lebensnotwenige Behandlung. Sie hat nicht begründet dargelegt, dass eine Rückkehr in den Heimatstaat für sie mit einer signifikant verkürzten Lebenserwartung einhergehen würde.

1.4. Die Beschwerdeführerin hat im gegenständlichen Verfahren keine maßgebliche Änderung in Bezug auf ihre privaten und familiären Lebensumstände seit dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.10.2017, mit dem die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung festgestellt worden war, dargelegt. Im Bundesgebiet lebt die unbescholtene Beschwerdeführerin in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem volljährigen und in Österreich asylberechtigten Sohn und dessen Familie (Frau und vier minderjährige Kinder). Der Sohn der Beschwerdeführerin unterstützt diese im Alltag, eine besondere Abhängigkeit respektive eine Pflegebedürftigkeit konnten jedoch nicht festgestellt werden. Im Herkunftsstaat verfügt die Beschwerdeführerin über mehrere Angehörige, die sie in gleicher Weise unterstützen könnten, zudem könnte ihr Sohn ihr von Österreich aus finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Die Beschwerdeführerin weist keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse auf, geht keiner legalen Beschäftigung nach, lebt von der Grundversorgung, ist in keinen Vereinen Mitglied und hat mit Ausnahme der Beziehung zur Familie ihres Sohnes und der im Bundesgebiet beanspruchten medizinischen Behandlung keine Bindungen im Bundesgeiet respektive eine hier erlangte Integration dargelegt.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens)

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-

OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-

Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018, vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 6.2014).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen, hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.5.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängenden Nordkaukasus-Republik. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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ACCORD (16.5.2018): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 2.8.2018

-

IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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