Entscheidungsdatum
13.09.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W202 2180585-2/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard Schlaffer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörige von Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2019, Zahl 1144200703/180035666, beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Feststellungen:
1. Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz:
Die Beschwerdeführerin, eine indische Staatsangehörige, stellte am 27.02.2017 nach legaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag vom 27.02.2017 mit Bescheid vom 22.11.2017, 17-11144200703-170262061, hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.), erteilte der Beschwerdeführerin einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.), das BFA erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.) und erließ gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.).
Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 19.01.2018, W169 2180585-1, abgewiesen.
2. Gegenständliches Verfahren:
Am 11.04.2019 stellte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte.
Das BFA richtete an die Beschwerdeführerin ein Schreiben mit der Aufforderung: "sich binnen 3 Wochen einen Reisepass bei der Botschaft von Indien in Wien zu besorgen und diesen dem Bundesamt vorzulegen". Dieses Schreiben konnte an der Meldeadresse der Beschwerdeführerin seitens der Post nicht zugestellt werden.
Ohne Durchführung weiterer Ermittlungen wies das BFA mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 09.05.2019 den Antrag auf Ausstellung einer Karte für geduldete gem. § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 3 FPG ab. Dieser Bescheid wurde aufgrund eines seitens des BFA an die zuständige Polizeidienststelle gerichteten Erhebungsersuchens der Beschwerdeführerin am 23.05.2019 zugestellt.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin durch die Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH innerhalb offener Frist gegenständliche Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat Erwogen:
1. Zu A:
Gemäß § 46 Abs 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 hat ein zur Ausreise verpflichteter Fremder, der über kein Reisedokument verfügt und ohne ein solches seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen kann, - vorbehaltlich des Abs. 2a - bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen und gegenüber dieser Behörde sämtliche zu diesem Zweck erforderlichen Handlungen, insbesondere die Beantragung des Dokumentes, die wahrheitsgemäße Angabe seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft sowie die Abgabe allfälliger erkennungsdienstlicher Daten, zu setzen; es sei denn, dies wäre aus Gründen, die der Fremde nicht zu vertreten hat, nachweislich nicht möglich. Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Fremde dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen. Satz 1 und 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt des Fremden gemäß § 46a geduldet ist.
Gemäß § 46 Abs 2a FPG ist das Bundesamt jederzeit ermächtigt, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (§ 97 Abs. 1) auszustellen. Macht es davon Gebrauch, hat der Fremde an den Amtshandlungen des Bundesamtes, die der Erlangung der für die Abschiebung notwendigen Bewilligung oder der Ausstellung des Reisedokumentes gemäß § 97 Abs. 1 dienen, insbesondere an der Feststellung seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft, im erforderlichen Umfang mitzuwirken und vom Bundesamt zu diesem Zweck angekündigte Termine wahrzunehmen.
Gemäß § 46a Abs 1 Z 3 FPG, ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet zu dulden, solange deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint, es sei denn, es besteht nach einer Entscheidung gemäß § 61 weiterhin die Zuständigkeit eines anderen Staates oder dieser erkennt sie weiterhin oder neuerlich an. Die Ausreiseverpflichtung eines Fremden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Satz 1 geduldet ist, bleibt unberührt.
Gemäß Abs 3 leg cit liegen vom Fremden zu vertretende Gründe (Abschiebungshindernisse) jedenfalls vor, wenn er
1. seine Identität verschleiert,
2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder
3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.
Gemäß Abs 4 leg cit hat das Bundesamt bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen.
§ 28 VwGVG lautet:
"(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
Nach der Rechtsprechung des VwGH stellt die genannte Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlich meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzlich meritorische Entscheidungskompetenz. Vielmehr verlangt das in § 28 leg. cit. normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123).
Im gegenständlichen Fall sind dem BFA derartige schwerwiegende Ermittlungsmängel anzulasten.
Das vom BFA durchgeführte "Ermittlungsverfahren" erschöpfte sich in dem Versuch, der Beschwerdeführerin ein Schreiben zukommen zu lassen, welches letztlich nicht zugestellt werden konnte. Dass das BFA vor Bescheiderlassung Erhebungen zum Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin durchführen hätte lassen, lässt sich dem Akt nicht entnehmen. Dass solche Aussicht auf Erfolg gehabt hätten, erweist sich schon daran, dass der bekämpfte Bescheid nach Erhebungsersuchen seitens des BFA durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 23.05.2019 der Beschwerdeführerin durch persönliche Übernahme zugestellt werden konnte. Das BFA unterließ sohin jegliche Ermittlungstätigkeit, obwohl es ursprünglich offenbar selbst solche für notwendig erachtete. Es kann aber dem Verwaltungsakt nicht schlüssig entnommen werden, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung vorliegen oder nicht, weswegen, wie vom BFA ursprünglich richtig erkannt, eine Ermittlungstätigkeit geboten ist.
Es liegt daher ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren durch die Behörde vor. Sie missachtete die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen (vgl. BVwG 06.11.2014, W163 2013651-1/2E).
Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren in sorgfältiger Weise zu ermitteln haben, ob die Abschiebung aus tatsächlichen, von der Beschwerdeführerin nicht zu vertretenden Gründen, unmöglich erscheint. Dazu wird es zu erheben und darzustellen haben, ob ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates geführt wurde und bejahendenfalls, ob die Beschwerdeführerin daran mitgewirkt hat (§ 46 Abs. 2a FPG) bzw. ob die Beschwerdeführerin bei der für sie zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen versuchte (§ 46 Abs. 2 FPG). Auf das in diesem Zusammenhang erstattete Beschwerdevorbringen wird hingewiesen.
Da der angefochtene Bescheid und das diesem Verfahren zugrundeliegende Verfahren grob mangelhaft geblieben ist, das BFA jegliche Ermittlungstätigkeit vermissen ließ und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im gegebenen Fall jedenfalls mit keiner eheblichen Kostenersparnis verbunden ist, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.
Es konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
2. Zu B:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W202.2180585.2.00Zuletzt aktualisiert am
28.10.2019