TE Vwgh Erkenntnis 1998/10/8 97/15/0205

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Veröffentlicht am 08.10.1998
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §167 Abs2;
BAO §183 Abs3;
BAO §184 Abs1;
BAO §184 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zeller, über die Beschwerde der IL in F, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Mag. Martin Mennel, Dr. Rainer Welte, Mag. Clemens Achammer und Dr. Thomas Kaufmann, Rechtsanwälte in Feldkirch, Schloßgraben 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom 21. Mai 1997, Zl. 1341-6/95, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer sowie Alkoholabgabe für die Jahre 1988 bis 1993, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Bericht über die finanzstrafrechtlichen Ermittlungen vom 7. Oktober 1994 erzielte die Beschwerdeführerin in den Jahren 1988 bis 1993 gewerbliche Einkünfte aus der Führung eines Bordellbetriebes. Wegen fehlender Aufzeichnungen seien die Steuerbemessungsgrundlagen im Schätzungswege zu ermitteln.

Die von der Beschwerdeführerin gegen die auf Grundlage der finanzstrafrechtlichen Ermittlungen ergangenen Abgabenbescheide eingebrachte Berufung blieb erfolglos. Im angefochtenen Bescheid wird dazu ausgeführt, die Beschwerdeführerin bestreite, von November 1988 an einen Bordell- und Barbetrieb im Haus "Irene" von verantwortlicher Stelle aus geführt zu haben. Ihren Angaben zufolge habe sie nur Einzelzimmer gegen einen monatlichen Mietzins in Höhe von S 5.000,-- in Bestand gegeben. Der zuständige Gendarmerieposten habe im Zusammenhang mit dem Haus "Irene" wegen des dort vermuteten Bordellbetriebes "Dutzende männliche Personen" einvernommen, die im wesentlichen - anonymisiert - folgendes erklärt hätten. Im Anschluß an diesen Satz finden sich im angefochtenen Bescheid in Form einer tabellenartigen Auflistung rund 35 verkürzt wiedergegebene Aussagen, bei denen jeweils die Namen der zugehörigen Personen durch Großbuchstaben anonymisiert sind.

Im Anschluß an diese Textpassage wird im angefochtenen Bescheid festgehalten, den "Aussagen vorstehend angeführter Personen" sei zu entnehmen, daß im Haus "Irene" in den Streitjahren fortlaufend mehrere Prostituierte ihre Dienste gegen Entgelt angeboten hätten. Das Bordell sei in der Region und im benachbarten Ausland als solches bekannt und in dessen Kellergeschoß eine Bar eingerichtet gewesen. Die Funktion der "Geschäftsführerin" habe die Beschwerdeführerin bekleidet. Sie sei in den Niederschriften des öfteren als "Chefin" tituliert worden, die entweder die Haustüre geöffnet oder die "Kunden" in die Kellerbar geführt habe. Sie habe auch Aufnahmegespräche mit den Frauen geführt, die der Prostitution in dem betreffenden Haus hätten nachgehen wollen und ihnen die "Hausordnung" erläutert. In einem Fall habe sie auch Anweisungen zu Falschaussagen gegenüber der Gendarmerie erteilt.

Die Beschwerdeführerin habe keine Einnahmen bzw. Einkünfte aus der Tätigkeit im Haus "Irene" gegenüber dem Finanzamt erklärt. Ihre nunmehrigen Angaben, Einnahmen nur aus der Vermietung von Zimmern in Höhe von S 5.000,-- monatlich erzielt zu haben, sei durch die Ermittlungsergebnisse widerlegt. Die Aussagen der Prostituierten (im angefochtenen Bescheid werden insgesamt elf zusammengefaßt - und ebenfalls anonymisiert - wiedergegeben) deckten sich mit denen der "Freier". Das Haus "Irene" sei in den Streitjahren ein Bordellbetrieb gewesen, den die Beschwerdeführerin geleitet habe. Durchschnittlich seien sechs Prostituierte anwesend gewesen, die "wenigstens drei Freier pro Arbeitstag bedienten". Eine normale "Leistung" habe mindestens S 800,-- gekostet; Getränke seien separat zu bezahlen gewesen. Das zugewiesene Zimmer habe die Einnahmen der Prostituierten mit S 1.000,-- pro Tag belastet, wobei diese Gelder die Beschwerdeführerin kassiert habe. Den Aussagen von ehemaligen Prostituierten des Hauses "Irene" sei "besonderes Gewicht beizumessen, weil die Berufungsführerin allen im Bordell tätigen Frauen eingeschärft hatte, über Befragen anzugeben, daß sie nur ein Zimmer gemietet und hiefür einen monatlichen Mietzins von 5.000 S zu entrichten gehabt hätten". Der auf den Frauen lastende "Anpassungsdruck" habe offensichtlich bei einigen von ihnen auch das "gewünschte Ergebnis" erbracht. Diesen vor der Exekutive gemachten Aussagen (es werden hier anonymisiert vier Aussagen angeführt) sei nach Ansicht der belangten Behörde kein Glauben zu schenken. So sei T.Ü. gleichsam eine der wenigen Frauen, die behauptet hätten, von einer Prostitution im Haus "Irene" nichts gewußt zu haben; dies, obwohl anläßlich der Hausdurchsuchung mehrere Mülltonnen vor dem Haus nur mit "Präservativen und Einwegputztüchern" angefüllt gewesen seien. Auch sei nach Aussagen von Freiern T.Ü. als Prostituierte in Erscheinung getreten. Die Beschwerdeführerin habe in der mündlichen Berufungsverhandlung zum Nachweis ihres Vorbringens, daß sie "niemals 1.000 S je Tag und Prostituierte, sondern 5.000 S je Zimmer monatlich und allenfalls pro Woche bzw. vierzehntägig weitere (kleinere) Beträge von den 'Mieterinnen' für die Abgeltung von ihr zusätzlich erbrachter Leistungen (Aufräumen, Kochen ...)" erhalten habe, die Einvernahme von drei namentlich genannten Bewohnerinnen des einschlägigen Hauses beantragt. Der Berufungssenat zweifle nicht an der Abstützung der von der Beschwerdeführerin in der Sache vertretenen Version durch die in der Berufungsverhandlung genannten Personen, zumal diese bei der Einvernahme durch Organe der Exekutive das Vorbringen der Beschwerdeführerin entweder bestätigt oder die Aussage verweigert hätten. Andererseits hätten einige der ebenfalls einvernommenen "Freier" eben diese von der Beschwerdeführerin genannten Zeuginnen als von ihnen ausgewählte Prostituierte wiedererkannt. Wenn die Beschwerdeführerin Infrastruktur und Organisation im Zusammenhang mit dem Bordellbetrieb zur Verfügung gestellt habe, sei es auch folgerichtig, daß diese Leistungen entsprechend in Rechnung gestellt worden seien. Es wäre unverständlich, einen Bordellbetrieb zu leiten, den Prostituierten jedoch die erzielten Einnahmen in beträchtlicher Höhe zu überlassen und für das Zurverfügungstellen der Appartments ausschließlich ortsübliche Mietpreise zu verlangen. Der "Widersinn dieser Behauptung" werde evident, wenn berücksichtigt werde, daß die Beschwerdeführerin maximal S 30.000,-- je Monat aus der Bewirtschaftung des Hauses vereinnahmt haben wolle (teilweise habe sie einen Verlust erlitten, weil infolge von Mietausfällen nicht einmal die für die Anmietung erforderlichen S 23.000,-- zur Verfügung gestanden seien). In einer Niederschrift vor dem Finanzamt vom 29. April 1994 habe die Beschwerdeführerin u.a. angegeben, wegen unerlaubten Ausschanks von Getränken (1988) im Haus "Irene" von der Bezirkshauptmannschaft verurteilt worden zu sein. In der beim Landesgericht zu U 31/95 anhängig gewesenen Strafsache habe die Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung am 14. Februar 1995 zugegeben, es sei ihr bekannt gewesen, daß im Haus "Irene" der gewerblichen Unzucht nachgegangen worden sei. Neben der Miete habe sie von den Mieterinnen pro Woche oder 14-tägig S 500,-- bis S 1.000,-- zusätzlich erhalten. Im Urteil des Landesgerichtes vom 14. Februar 1995 sei die Beschwerdeführerin des Vergehens der Zuhälterei schuldig gesprochen worden. Die Beschwerdeführerin habe auch ihre Einnahmen aus der "Überlassung von Zimmern" nicht erklärt. Schon im Hinblick darauf bestehe kein Zweifel am Vorliegen der Schätzungsberechtigung. Als Ausgangspunkt und Grundlage der Schätzung habe das Finanzamt zutreffend die Meldetage der im Haus "Irene" im Streitzeitraum wohnhaft gewesenen Prostituierten herangezogen. Es wäre Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, mit dem Bordellbetrieb verbundene Betriebsausgaben geltend zu machen. Mangels Kenntnis der tatsächlichen Ausgabenstruktur seien die Betriebsausgaben daher ebenfalls im Schätzungsweg zu ermitteln gewesen (diese seien im Detail dem Bericht über die finanzstrafrechtlichen Ermittlungen zu entnehmen). Die Einsicht in den Strafakt des Landesgerichtes, 28 Vr 900/93, sei entbehrlich, weil im nunmehrigen Abgabenverfahren nicht darüber zu entscheiden sei, ob in einem Bordell in in einem anderen Ort die im dortigen Objekt wohnhaft gewesenen Prostituierten S 500,-- täglich an Mietkosten an den Bordellbetreiber abzuführen hätten. Ebenso sei die Einvernahme der im Berufungsschriftsatz angeführten Personen, deren Adressen teilweise bis dato unbekannt geblieben seien, nicht erforderlich, weil die belangte Behörde im Rahmen der freien Beweiswürdigung zur Überzeugung gelangt sei, daß sich der Sachverhalt im wesentlichen so zugetragen habe, wie er im Bericht über die finanzstrafrechtlichen Ermittlungen dargelegt werde. Schließlich seien die Angaben der Beschwerdeführerin, jeder Besucher der "Kellerbar" habe auf freiwilliger Basis für die Getränke etwas bezahlen können, unglaubwürdig (dies ergebe sich auch aus der Aussage der Prostituierten S.F.). Sie seien auch mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht in Einklang zu bringen. Nach den wiederholten Vorbringen der "Freier" seien für die angebotenen und konsumierten Getränke feststehende Preise zu bezahlen gewesen. Der gegenteilige Einwand der Beschwerdeführerin sei eine reine Schutzbehauptung. Der Schätzungsmethode des Finanzamtes habe die Beschwerdeführerin substantiell nichts erwidert. Die belangte Behörde sehe sich demnach auch nicht veranlaßt, von den ermittelten Besteuerungsgrundlagen abzuweichen.

Die Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde hat dieser mit Beschluß vom 8. Oktober 1997, B 1924/97, abgelehnt und die Beschwerde antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese gemäß § 184 Abs. 1 BAO zu schätzen. Gemäß § 184 Abs. 3 BAO ist ferner zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.

Soweit die Beschwerde vorbringt, die Ausführungen der belangten Behörde, wonach die Voraussetzungen für eine Schätzung vorlägen, seien "gänzlich unbegründet" geblieben, ist dies unverständlich. Behauptet doch auch die Beschwerdeführerin nicht, irgendwelche Aufzeichnungen über die Einnahmenerzielung aus dem Haus "Irene" geführt zu haben.

Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, daß der belangten Behörde in der Zurechnung der Einkünfte aus dem Bordellbetrieb an die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit anzulasten wäre. Zu Fragen der Beweiswürdigung ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß diese insofern der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, als es sich um die Beurteilung handelt, ob hinreichende Ermittlungen gepflogen worden sind oder ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, ob sie also den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen.

Es gehört zum Wesen einer Beweiswürdigung, daß bestimmten Beweismitteln ein höherer Wahrheitsgehalt zugemessen wird als anderen. Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, daß die belangte Behörde in "völlig einseitiger Weise" nach Ansicht der Beschwerdeführerin "nur belastende Aussagen berücksichtigt bzw. Aussagen ein völlig falsches Gewicht beigemessen" hätte. Die zahlreichen im angefochtenen Bescheid auszugsweise wiedergegebenen Aussagen von "männlichen Personen" mußten geradezu den Schluß nahelegen, daß im Haus "Irene" ein Bordellbetrieb eingerichtet war. Auch den im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Aussagen von Prostituierten läßt sich in eindeutiger Weise entnehmen, daß die Beschwerdeführerin Leiterin des Betriebes und Empfängerin u.a. eines täglichen "Standgeldes" von S 1.000,-- seitens der Prostituierten war.

Es kann auch keine Rede davon sein, daß die belangte Behörde "Steuerbescheide aufgrund anonymer Aussagen" erlassen hätte. Die belangte Behörde weist lediglich auf eine Anonymisierung von in den Akten enthaltenen Zeugenaussagen hin, diese Aussagen selbst sind aber aufgrund der Aktenlage nachvollziehbar bestimmten konkreten Personen zuzuordnen. Zu Recht macht die belangte Behörde in der Gegenschrift darauf aufmerksam, daß der Beschwerdeführerin im Ermittlungsverfahren die Möglichkeit geboten war, von den Aussagen der Zeugen bzw. Auskunftspersonen (und deren Identität) - soweit ihr diese nicht ohnedies bekannt gewesen seien - Kenntnis zu nehmen (aktenkundig ist dazu z.B. eine Niederschrift über die abschließende Besprechung im Ermittlungsverfahren vom 26. August 1994, nach der die Beschwerdeführerin mit "dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens konfrontiert" worden ist oder ein Aktenvermerk vom 23. Februar 1995, in dem im Berufungsverfahren dem steuerlichen Vertreter der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zur Akteneinsicht gewährt worden ist).

Der Beschwerde ist weiters nicht zu folgen, wenn sie der belangten Behörde eine "unsachliche Abweisung" von der Beschwerdeführerin gestellter Beweisanträge vorwirft. Unter dem Blickwinkel des Beschwerdefalles ist es auch unter Berücksichtigung des § 183 Abs. 3 BAO nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde von der persönlichen Einvernahme der von der Beschwerdeführerin "in der Berufungsverhandlung genannten Personen" Abstand nahm. In bezug auf die gerügte unterbliebene Einvernahme von "beantragten Zeugen" unterläßt es die Beschwerde außerdem ein Beweismittel konkret zu bezeichnen oder ein Beweisthema zu nennen. Unkonkretisiert bleibt auch das weitere Beschwerdevorbringen, welche Zeugenaussagen im Strafakt des Landesgerichtes den "verfahrensgegenständlichen Sachverhalt" betroffen und damit eine Einsichtnahme in den genannten Strafakt erforderlich gemacht hätten. Daß dieses Strafverfahren grundsätzlich einen anderen Bordellbetrieb betraf, bestreitet auch die Beschwerde nicht. Warum letztlich die belangte Behörde entgegen dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut oder verschiedener aktenkundiger Aussagen von Auskunftspersonen hinsichtlich der "Kellerbar" nicht von feststehenden Preisen der angebotenen und konsumierten Getränken hätte ausgehen dürfen, läßt die Beschwerde ebenfalls offen. Es gelingt ihr daher auch in diesem Punkt nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzustellen.

Die Beschwerde war daher insgesamt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 8. Oktober 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997150205.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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