TE Bvwg Beschluss 2019/5/22 G314 2219025-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.05.2019
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Entscheidungsdatum

22.05.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67

Spruch

G314 2219025-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, polnischer Staatsangehöriger, gesetzlich vertreten durch XXXX, diese vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.04.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots:

A) Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Feststellungen:

Der aktuell 17-jährige XXXX lebt seit 2005 im Bundesgebiet. Er wird durch seine (gehörlose) Mutter XXXX gesetzlich vertreten und seit ca. einem Jahr auch durch die Kinder- und Jugendhilfe betreut. Eine Anmeldebescheinigung wurde ihm nicht ausgestellt. Er absolvierte im Bundesgebiet die Pflichtschule und begann danach im August 2018 eine Lehre, die er im Oktober 2018 abbrach.

Der BF wurde in Österreich zwei Mal wegen Jugendstraftaten verurteilt. Mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde er wegen des Vergehens des Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) zu einer einmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde die Bewährungshilfe angeordnet.

Am XXXX.2018 wurde der BF verhaftet. Seither wird er in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wurde er wegen der zwischen Jänner und November 2018 begangenen Verbrechen des teils versuchten, teils vollendeten, teils schweren Raubes (§§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB), des teils versuchten, teils vollendeten räuberischen Diebstahls, teils durch Einbruch (§§ 127, 129 Abs 1 Z 2, 131 erster Fall, 15 Abs 1 StGB) und der Geldfälschung (§ 232 Abs 1 StGB) sowie der Vergehen der schweren Körperverletzung zu Lasten seiner Mutter (§ 84 Abs 1 StGB) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG) zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. Ein Strafteil von 16 Monaten wurde für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen. Die Probezeit der vorangegangenen Verurteilung wurde auf fünf Jahre verlängert. Dem BF wurde die Weisung erteilt, eine ambulante Drogentherapie zu absolvieren.

Der BF verbüßt derzeit den unbedingten Strafteil in der Justizanstalt XXXX; das urteilsmäßige Strafende ist (unter Berücksichtigung des Vollzugs einer Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund einer Verwaltungsübertretung und der angerechneten Vorhaft) am 21.08.2019. Wegen auffälligen Verhaltens während der Haft wurde er von XXXX. bis XXXX.2019 in der Klinik für Psychiatrie des XXXX Universitätsklinikums XXXX untergebracht. Bei ihm wurde neben Cannabisabusus eine psychotische Störung vom schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Bei der psychologischen Testung zeigten sich massive Defizite in kognitiven Funktionen. Am 19.03.2019 wurde er nach neuroleptischer Therapie zurück in die Justizanstalt transferiert; aktuell soll er sich laut Beschwerde wieder in der psychiatrischen Klinik aufhalten.

Mit Schreiben vom 24.01.2018, vom 08.05.2018 und vom 30.11.2018 informierte die Landespolizeidirektion Oberösterreich bzw. die Landespolizeidirektion Wien das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über Amtshandlungen gegen den BF. Am 16.10.2018 informierte das Bundeskriminalamt das BFA darüber, dass der BF von Interpol XXXX mit seinem Namen und Geburtsdatum identifiziert worden sei. Am XXXX.2018 setzte die Vollzugsstelle der Justizanstalt XXXX das BFA von der Festnahme des BF in Kenntnis.

Mit dem an den minderjährigen BF gerichteten und ihm durch Übergabe am 07.12.2018 zugestellten Schreiben forderte das BFA ihn auf, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots Stellung zu nehmen. Er erstattete keine Stellungnahme.

Ohne dem Verfahren einen gesetzlichen Vertreter des BF beizuziehen, erließ das BFA mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gegen ihn ein dreijähriges Aufenthaltsverbot, erteilte keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab. Adressat des Bescheids ist der BF, dem er durch Übergabe am 17.04.2019 zugestellt wurde.

Dagegen richtet sich die vom XXXX für den BF unter Anschluss einer von dessen Mutter erteilten Vollmacht eingebrachte Beschwerde, in der insbesondere auf die Minderjährigkeit des BF, seine daraus resultierende Prozessunfähigkeit und die Unwirksamkeit der Bescheidzustellung hingewiesen wird. Primär wird die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheids bzw. des Aufenthaltsverbots beantragt; hilfsweise die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 20.05.2019 einlangten, und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten.

Die Identität des BF ergibt sich aus seiner Identifizierung durch Interpol XXXX laut dem Schreiben vom XXXX.2018. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ab 2005 wird durch die durchgehenden Hauptwohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) indiziert und ergibt sich z.B. auch aus dem mit der Beschwerde vorgelegten Arztbrief vom XXXX.2019 (in dem aber auch ein vorübergehender Aufenthalt in XXXX erwähnt wird).

Die gesetzliche Vertretung des BF durch seine Mutter XXXX ergibt sich aus dem Strafurteil vom XXXX.2019 und daraus, dass die vom Klinikpersonal laut Arztbrief als Vater kontaktierte Person erklärte, nicht der leibliche Vater des BF und seit 2010/2011 von dessen Mutter getrennt zu sein. Hinweise auf eine andere obsorgeberechtigte Person ergeben sich aus den vorgelegten Akten nicht.

Die Betreuung des BF durch die Kinder- und Jugendhilfe geht aus dem Arztbrief und aus dem Strafurteil, in dem die Vertreterin einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung als in der Hauptverhandlung anwesend angeführt wird, hervor. Eine Übertragung der Obsorge, insbesondere des Teilbereichs der gesetzlichen Vertretung, an die Kinder- und Jugendhilfe ist nicht aktenkundig.

Das Fehlen einer Anmeldebescheinigung ergibt sich aus dem Fremdenregister.

Der Schulbesuch des BF wird anhand des Arztbriefs festgestellt; die begonnene Lehre ergibt sich aus dem Versicherungsdatenauszug.

Die Straftaten des BF, die strafgerichtlichen Verurteilungen und die Sanktionen gehen aus dem Strafurteil und dem Strafregister hervor. Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auf der aktenkundigen Vollzugsinformation. Die psychischen und kognitiven Probleme des BF sowie seine Unterbringung in der psychiatrischen Klinik ergeben sich aus dem Arztbrief.

Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte dafür, dass das BFA dem Verwaltungsverfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gesetzlichen Vertreter des BF beizog.

Rechtliche Beurteilung

Die Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, durch eigene Handlungen oder durch die eines gewillkürten Vertreters prozessuale Rechte und Pflichten zu begründen und rechtswirksame Verfahrenshandlungen zu setzen. Sie richtet sich gemäß § 9 AVG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sofern die Verwaltungsvorschriften keine besonderen Regelungen enthalten. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft.

Die volle Handlungsfähigkeit natürlicher Personen wird regelmäßig mit der Vollendung des 18. Lebensjahres begründet. Da der BF erst 17 Jahre alt ist, ist er noch nicht (voll) handlungsfähig. Dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme hätte daher seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin beigezogen werden müssen.

Nach dem Eintritt der Volljährigkeit des BF wird seine Prozessfähigkeit angesichts seiner psychischen Erkrankung und der kognitiven Probleme sorgfältig zu beurteilen sein; allenfalls wird dann ein Vorgehen nach § 11 AVG angezeigt sein.

Ein Mangel der Prozessfähigkeit ist als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162). Mangelnde Prozessfähigkeit führt zur Unwirksamkeit von verfahrensrechtlichen Akten der Behörde, zB von Zustellungen. Eine prozessunfähige Person kann keine wirksamen Verfahrenshandlungen setzen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 130 ff).

Die Zustellung eines Bescheids ist ein Verfahrensakt, der rechtswirksam nur gegen Prozessfähige gesetzt werden kann. Eine an eine prozessunfähige Person vorgenommene Zustellung löst keine Rechtswirkungen aus. Die Behörde hat in diesem Fall den gesetzlichen oder bestellten Vertreter oder einen Kurator als Empfänger festzulegen. Erst mit der rechtmäßigen Zustellung gilt der zugestellte Akt als "erlassen" (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 198). Wird ein Bescheid an eine handlungsunfähige Person zugestellt, ist die Erlassung des Bescheids unwirksam (VwGH 30.08.2007, 2006/19/0480).

Diese Grundsätze sind gemäß § 17 VwGVG iVm §§ 9, 11 AVG auch vom BVwG anzuwenden, das die Frage der Prozessfähigkeit im Hinblick auf die Zulässigkeit der Beschwerde als Vorfrage (§ 38 AVG) selbständig zu beurteilen hat (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).

Da der BF minderjährig ist, fehlt ihm die Prozessfähigkeit, und zwar auch schon während des Verfahrens vor dem BFA. Da der angefochtene Bescheid an ihn adressiert war und ihm (und nicht seinem gesetzlichen Vertreter) zugestellt wurde, wurde der Bescheid noch nicht wirksam zugestellt und daher noch gar nicht erlassen. Daher ist dagegen auch keine Beschwerde möglich. Die vorliegende Beschwerde ist daher aufgrund der Prozessunfähigkeit des minderjährigen BF als unzulässig zurückzuweisen. Das BFA wird bei einer Fortsetzung des Verfahrens diesem den gesetzlichen Vertreter des BF beizuziehen haben. Dabei wird auch die Gehörlosigkeit der Mutter des BF zu beachten sein (siehe insbesondere § 39a Abs 1 AVG).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 fünfter und sechster Satz FPG voraussetzt, dass aufgrund seines persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde oder dass das Aufenthaltsverbot zu seinem Wohl notwendig wäre, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. 11.1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist. Nach den derzeit vorliegenden Ergebnissen der Beweisaufnahme des BFA sind diese Voraussetzungen hier nicht erfüllt. Andererseits verlangt § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG kein dem BF subjektiv vorwerfbares Fehlverhalten. Eine maßgebliche, von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Interessen kann daher auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung bejaht werden, wenn nicht etwa eine Behandlung und Medikation Gewähr dafür bieten, dass eine derartige Gefährdung künftig auszuschließen sein wird (VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0081).

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfällt eine mündliche Verhandlung aufgrund der Zurückweisung der Beschwerde.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG nicht zu lösen waren.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, gesundheitliche Beeinträchtigung,
Interessenabwägung, Minderjährigkeit, öffentliche Interessen,
strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2219025.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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