TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/1 I403 2214407-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2019
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Entscheidungsdatum

01.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §75 Abs24
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2214407-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX ägyptischer Staatsbürger und vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2019, Zl. 1124014908 - 161196935, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben. XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Spruchpunkte II., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder mit einem Touristenvisum in das Bundesgebiet ein; alle stellten am 31.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand am 31.08.2016 statt. Er gab an, dass seine Mutter Journalistin sei und über die Verfolgung der Minderheiten in Ägypten berichtet habe. Aufgrund dessen sei sie sowie die gesamte Familie mit dem Tod bedroht worden.

Am 28.08.2018 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA; belangte Behörde) einvernommen. Er wiederholte, dass seine Familie von Salafisten bedroht werde und dass einmal versucht worden sei, ihn zu entführen.

In der Folge wurde der Antrag des Beschwerdeführers (ebenso wie die Anträge seiner Eltern und seines Bruders) mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 11.01.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde sein Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurden gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Ägypten zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wurde als nicht glaubhaft befunden. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Ägypten in eine existenzbedrohende Notsituation geraten würde. Hinsichtlich des Familienlebens wurde ausgeführt, dass in Bezug auf seine Familie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinen Eingriff in das Familienleben darstellen würde, da alle Familienmitglieder das gemeinsame Schicksal teilen würden.

Dagegen wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 07.02.2019 Beschwerde erhoben und eine Vollmacht für die Vertretung durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH sowie die Volkshilfe MigrantInnenbetreuung GmbH vorgelegt. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchführen. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2019 vorgelegt und der Gerichtsabteilung I403 zugewiesen. Am 26.06.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung abgehalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Ägyptens. Er ist Atheist, stammt aber aus einer Familie koptischer Christen. Seine Identität steht fest. Die Mutter des Beschwerdeführers ist eine Journalistin, die in Ägypten dafür bekannt ist, sich für die Rechte der koptischen Minderheit und gegen extremistische islamische Strömungen einzusetzen.

Der Beschwerdeführer lebte mit seinen Eltern zunächst in Gizeh, dann in "6.Oktober-Stadt", ehe sie sich die letzten Monate vor der Ausreise im August 2016 in der Wohnung eines Verwandten versteckten. Er studierte Wirtschaft, als er Ägypten verließ. Eine Schwester des Beschwerdeführers wohnt noch immer in Ägypten, der Beschwerdeführer selbst reiste mit seinen Eltern und seinem Bruder mit einem Touristenvisum nach Österreich, wo sie am 31.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, führt aber eine Beziehung zu einer in Österreich lebenden spanischen Staatsbürgerin. Er spricht perfekt Deutsch und studiert an der Universität, wo er bereits Prüfungen abgelegt hat.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer lebte im Jahr 2011 gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder in dem Viertel XXXX in Gizeh in einem mehrstöckigen Wohnhaus. Am XXXX2011 griff eine Gruppe von Salafisten die gegenüberliegende Kirche XXXX an. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen; eine Gruppe bewaffneter Personen beschoss vom Dach des Wohnhauses die Salafisten, bis die Armee in der Nacht die Auseinandersetzungen beendete. Einige Salafisten wurden getötet. Nach der Entlassung einiger beteiligter Personen aus der Haft wurde die Mutter, welche aufgrund ihrer Tätigkeit als bekannte islamkritische Journalistin eine besondere Exponiertheit aufweist, mittels Textnachrichten am Telefon bedroht. Ihr wurde vorgeworfen, zum Tod der Salafisten aufgerufen zu haben. Die gesamte Familie verließ das Viertel XXXX und zog im April 2012 in die "6.-Oktober-Stadt". In den folgenden Jahren versuchte die Familie die Öffentlichkeit zu meiden und hielt sich, soweit möglich, versteckt. Es kam dennoch neuerlich zu telefonischen Drohungen gegen die Mutter des Beschwerdeführers. Im April 2016 wurde versucht, den Beschwerdeführer zu entführen. Eine Anzeige bei der Polizei wurde nicht angenommen, nachdem die Mutter des Beschwerdeführers ihre Identität offenbarte. Die Familie verließ neuerlich ihre Wohnung und verbrachte die nächsten Monate in der Wohnung eines Verwandten, bis die Ausreiseformalitäten abgeschlossen waren.

Im Falle einer Rückkehr nach Ägypten wird der Beschwerdeführer aufgrund seiner Verwandtschaft mit seiner Mutter von extremistischen Salafisten, die sich an seiner Mutter wegen einer ihr unterstellten Verantwortung für die Tötung anderer Salafisten am XXXX2011 und wegen ihrer kritischer Haltung als Journalistin gegenüber extremen islamischen Strömungen rächen wollen, bedroht und verfolgt. Ein staatlicher Schutz ist nicht gegeben und könnte er sich der Verfolgung auch nicht durch einen Umzug in andere Landesteile entziehen.

1.3. Zur Situation in Ägypten:

Die folgenden Feststellungen werden auf Basis des bereits in den Bescheiden zitierten Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (BFA Staatendokumentation:

Länderinformationsblatt zu Ägypten, 16. April 2018, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/1429581/5618_1523886500_aegy-lib-2017-05-02-ke.doc (Zugriff am 28. Juni 2019) getroffen.

Politische Lage

Ägyptens autoritäres Staatsoberhaupt Abdel Fattah al-Sisi hat bei der Präsidentschaftswahl in Ägypten [Anm.: die von 26. bis 28.3.2018 stattfand] nach Angaben der Wahlkommission 97,08% der gültigen Stimmen bekommen. Die Wahlbeteiligung bei der Abstimmung in der vergangenen Woche habe 41,5% betragen, teilte die Kommission mit (TS 2.4.2018; vgl. DS 2.4.2018). Neben Al-Sisi trat nur der weitgehend unbekannte Politiker Mussa Mustafa an, in dem Beobachter einen Alibi-Kandidaten sahen. Dieser kam auf 2,92% der Stimmen (DS 2.4.2018; vgl. TS 2.4.2018).

Quellen:

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DS - Der Standard (2.4.2018): Offiziell: Ägyptens Präsident al-Sisi klar wiedergewählt,

https://derstandard.at/2000077191005/Offiziell-Aegyptens-Praesident-al-Sisi-klar-wiedergewaehlt, Zugriff 16.4.2018

-

TS - Tagesschau (2.4.2018): Präsidentenwahl in Ägypten - Al-Sisi bekommt 97 Prozent,

https://www.tagesschau.de/ausland/aegypten-wahl-113.html, Zugriff 16.4.2018

Ägypten sieht sich nach der Absetzung von Präsident Mohamed Mursi im Juli 2013 und der Wahl von Abdel Fattah Al-Sisi zum Staatspräsidenten im Mai 2014 noch immer vor allem enormen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Herausforderungen gegenüber, die die politische Konsolidierung verzögern. Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Die Wahlen zum neuen Parlament Ende 2015 vollzogen sich grundsätzlich frei und gesetzmäßig, fanden jedoch in einem Klima allgemeiner staatlicher Repression statt, in dem politische Opposition oder der Einsatz für Menschenrechte in die Nähe von Terrorismus und staatsfeindlichen Aktivitäten gerückt wurden. Dies setzt der freien politischen Betätigungen faktisch enge Grenzen. Das von etwa 25 % der ägyptischen Wahlberechtigten gewählte und im Januar 2016 konstituierte ägyptische Parlament zeigt die erwarteten Anlaufschwierigkeiten auf dem Weg zu einem eigenständigen politischen Akteur, der seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung effektiv und selbstbewusst ausübt. Das Parlament bleibt dennoch die einzige Institution in Ägypten, die derzeit das Potential hierzu besitzt. Die Parteienlandschaft ist schwach ausgeprägt. Die Parteien vermögen es in der Regel nicht, landesweite Strukturen aufzubauen und programmatische Akzente zu setzen. Das 2014 reformierte Wahlrecht trug zur weiteren Schwächung der Parteien bei, die im Parlament keine wichtige Rolle spielen. Die Mehrheit der Abgeordneten im ägyptischen Parlament ist regierungstreu. Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz sind verfassungsrechtlich vorgesehen, jedoch durch weitreichende politische Einflüsse zunehmend eingeschränkt. Die Justiz, die in der Vergangenheit viel auf die eigenen Standards hielt, ist zum Instrument der Repression geworden. Drakonische Strafen, die seit dem Sommer 2013 verhängt werden, sind oft Vergeltungsmaßnahmen gegen Akteure, durch die sich der "tiefe Staat" bedroht sieht, insbesondere die Zivilgesellschaft auf der einen und die Muslimbruderschaft auf der anderen Seite. Bedenklich ist die verbreitete Praxis von Strafverfahren gegen Zivilisten vor Militärgerichten sowie erzwungenes Verschwindenlassen, langwierige Haft ohne Anklage, Prozesse, die rechtsstaatlichen Kriterien nicht genügen, Folter und Misshandlungen in Polizeigewahrsam, überbelegte Haftanstalten und schlechte Haftbedingungen. Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und andere Verfassungsorgane weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 15.12.2016).

Mit dem Verfassungsreferendum im Januar 2014, der Wahl Abdel Fattah Al-Sisis zum Staatspräsidenten im Mai 2014 und den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im November und Dezember 2015 hat Ägypten formal seinen "Fahrplan zur Demokratie" abgeschlossen. Die Verfassung vom Januar 2014 enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern wird gewährt. Jedoch können einzelne Grundrechte durch einfache Gesetze wieder eingeschränkt werden; in der Verfassungswirklichkeit ist die Geltung und Geltendmachung der Grundrechte eingeschränkt. Im November und Dezember 2015 fanden die Wahlen zum Parlament statt. Die Verfassung von 2014 sieht ein Parlament mit nur einer Kammer (Abgeordnetenhaus oder Maglis El-Nuab) vor. Das bisherige Oberhaus des Parlamentes (Schurarat) wurde dagegen abgeschafft. Das ägyptische Wahlrecht sah für die politischen Parteien hohe administrative Hürden vor, sodass die Mehrheit der 596 Abgeordneten als unabhängige Einzelkandidaten gewählt wurde. Daneben zogen 120 Abgeordnete über die Wahlliste "In Liebe zu Ägypten" in das Parlament ein, die sich die Unterstützung von Staatspräsident Al-Sisi auf die Fahnen geschrieben hatte. 28 Abgeordnete wurden nicht gewählt, sondern vom Staatspräsidenten bestimmt. Als stärkste politische Partei sind die "Freien Ägypter" mit 65 Abgeordneten im Parlament vertreten, vor der "Zukunft der Nation" und der traditionellen Wafd-Partei. Die salafistische Nour-Partei hat als einzige islamistische Partei 11 Abgeordnete. Die Sozialdemokratische Partei ist mit vier Abgeordneten vertreten.

Arbeitsschwerpunkte der Regierung unter Premierminister Sherif Ismael bleiben Stabilitätserhalt und Wirtschaftsförderung. Mit der "Egypt Vision 2030" legte die ägyptische Regierung einen ambitionierten Entwicklungsplan vor, der thematisch sämtliche Bereiche umspannt und sich an den internationalen Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) orientiert. Das Jahr 2017 wurde von Staatspräsident Al-Sisi zum ägyptischen "Jahr der Frau" erklärt, nachdem 2016 offiziell als "Jahr der Jugend" deklariert wurde (AA 2.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1483948426_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-aegypten-stand-dezember-2016-15-12-2016.pdf, Zugriff 26.04.2017

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AA - Auswärtiges Amt (02.2017a): Ägypten - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Aegypten/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.04.2017

Sicherheitslage

Die Armee ging 2016 weiterhin mit gepanzerten Fahrzeugen, Artillerie und Luftangriffen gegen bewaffnete Gruppen im Norden der Sinai-Halbinsel vor. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden bei jedem Einsatz zahlreiche "Terroristen" getötet. Für einen Großteil des Gebietes galt weiterhin der Ausnahmezustand. Unabhängige Menschenrechtsbeobachter und Journalisten hatten faktisch keinen Zugang. Bewaffnete Gruppen verübten mehrfach tödliche Anschläge auf Sicherheitskräfte sowie auf Regierungsbedienstete, Justizpersonal und andere Zivilpersonen. Die meisten Angriffe gab es im Norden des Sinai, aber auch aus anderen Landesteilen wurden Bombenanschläge und Schießereien bewaffneter Gruppen gemeldet. Zu vielen Anschlägen bekannte sich ein Ableger der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS), der sich "Provinz Sinai" nennt. Die bewaffnete Gruppe gab an, sie habe im Laufe des Jahres 2016 mehrere Männer hingerichtet, weil diese für die Sicherheitskräfte spioniert hätten (AI 22.02.2017).

Am 18. April 2017 kam es zu einem Anschlag auf einen Kontrollposten in unmittelbarer Nähe des Katharinenklosters im Süden der Sinai-Halbinsel, bei dem ein Polizist getötet und weitere Personen verletzt wurden. Am Palmsonntag, den 9. April 2017, wurden zwei Anschläge auf christlich-koptische Kirchen in der Stadt Tanta, ca. 80 km nördlich von Kairo entfernt, und in Alexandria verübt. Es sind zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen. Bereits am 11. Dezember 2016 fielen Teilnehmer an einem Gottesdienst in der koptischen Kirche "Peter und Paul" in Kairo einem Attentat zum Opfer. Damit wurden im zeitlichen Zusammenhang mit hohen christlichen Feiertagen wiederholt koptische Kirchen zu Anschlagszielen (AA 02.05..2017)

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.02.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/336475/479129_de.html, Zugriff 26.04.2017

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AA - Auswärtiges Amt (02.05.2017): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertigesamt.de/DE/Laenderinformationen/00SiHi/Nodes/AegyptenSicherheit_node.html, Zugriff 02.05.2017

Sicherheitsbehörden

Lang andauernde Haft ohne Anklage ist auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden verbreitet. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen (AA 15.12.2016).

Die primären Sicherheitskräfte des Innenministeriums sind die Polizei und die Zentralen Sicherheitskräfte. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und wichtigen in- und ausländischen Beamten. Zivile Behörden behielten die wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei. Die Straflosigkeit blieb jedoch auch aufgrund schlecht geführter Ermittlungen ein Problem. Die Polizei hat gemeldeten Polizeimissbrauch nicht ausreichend untersucht (USDOS 03.03.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1483948426_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-aegypten-stand-dezember-2016-15-12-2016.pdf, Zugriff 26.04.2017

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USDOS - US Department of State (03.03.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/337183/479946_de.html, Zugriff 27.04.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter wird durch ägyptische Sicherheitsbehörden in unterschiedlichen Formen und Abstufungen praktiziert. In Polizeigewahrsam sind Folter und Misshandlungen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu Todesfällen in Haft. Menschenrechtsverteidiger kritisierten, dass Beweise, die zu Verurteilungen in Strafverfahren führten, unter Folter gewonnen worden waren. Die Praxis der Folter ist nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt, auch wenn missliebige politische Aktivisten besonders gefährdet sind. Folter wird als Mittel zur Abschreckung und Einschüchterung eingesetzt.

Extralegale Tötungen werden im Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Islamisten verübt. Nach offiziellen Darstellungen handelt es sich um gerechtfertigte Tötungen, z. B. im Zusammenhang mit Widerstand bei der Festnahme oder der Verhinderung von Terroranschlägen. Es kommt zu willkürlichen Festnahmen und erzwungenem Verschwindenlassen. Inhaftierungen durch die Sicherheitsbehörden über längere Zeiträume ohne Anklage und Information von Angehörigen und Rechtsbeiständen sind verbreitet und üblich. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 15.12.2016).

Gefangene in Gewahrsam der Sicherheitskräfte wurden verprügelt und anderweitig misshandelt. Verhörbedienstete des nationalen Geheimdienstes folterten und misshandelten zahlreiche Personen, die Opfer des Verschwindenlassens geworden waren, um "Geständnisse" zu erpressen, die später vor Gericht als Beweismittel verwendet wurden (AI 22.02.2017).

Beamte der National Security Agency folterten routinemäßig und gewaltsam Verdächtige mit wenig Konsequenzen. Viele der Gefangenen, die diese Missbräuche erlitten haben, wurden der Sympathie oder der Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft bezichtigt, die die Regierung im Jahr 2013 als eine terroristische Gruppe einstufte, aber die größte Oppositionsbewegung des Landes geblieben ist (HRW 12.01.2017).

Die Verfassung besagt, dass keine Folter, Einschüchterung, Zwang, körperlicher Schaden einer Person zugefügt werden darf, die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben. Das Strafgesetzbuch verbietet die Folter, um ein Geständnis von einem festgenommenen oder inhaftierten Verdächtigen zu erlangen (USDOS 03.03.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1483948426_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-aegypten-stand-dezember-2016-15-12-2016.pdf, Zugriff 26.04.2017

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AI - Amnesty International (22.02.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/336475/479129_de.html, Zugriff 26.04.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.01.2017): World Report 2017 - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/334703/476536_de.html, Zugriff 26.04.2017

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USDOS - US Department of State (03.03.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/337183/479946_de.html, Zugriff 27.04.2017

Wehrdienst und Rekrutierungen

Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Heranziehung zum Militärdienst an gruppenbezogenen Merkmalen orientiert ist. Die Art und Weise des Einsatzes von Wehrpflichtigen folgt allerdings nach Kriterien der sozialen Zugehörigkeit. So werden wehrpflichtige Angehörige niedriger, insbesondere ländlicher, Bevölkerungsschichten häufig für (bereitschafts-)polizeiliche Aufgaben unter harten Bedingungen eingesetzt. Die Möglichkeit des Ersatzdienstes besteht nicht. Vom Bestehen inoffizieller Möglichkeiten des "Freikaufs" ist auszugehen. Amnestien im Bereich des Wehrdienstes sind nicht bekannt. Wehrdienstverweigerung wird mit Haftstrafen von im Normalfall bis zu zwei Jahren in Verbindung mit dem Entzug politischer Rechte und der Verpflichtung, den Wehrdienst nachträglich abzuleisten, bestraft (AA 15.12.2016).

Männer, die den Wehrdienst nicht abgeschlossen haben, dürfen nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Identifikationskarten indizieren den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 03.03.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1483948426_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-aegypten-stand-dezember-2016-15-12-2016.pdf, Zugriff 26.04.2017

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USDOS - US Department of State (03.03.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/337183/479946_de.html, Zugriff 27.04.2017

Meinungs- und Pressefreiheit

Das Antiterrorismusgesetz von 2015 sieht für Journalisten empfindliche Geldstrafen für das Abweichen von offiziellen Linien der Berichterstattung, etwa über Terroranschläge, vor.

Die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Kritische Stimmen finden in den Medien kaum Gehör - sei es in den direkt gesteuerten Staatsmedien oder in den privaten Medien, die durch Selbstzensur auf Regierungslinie berichten oder kommentieren. Nur einzelne Zeitungen und vor allem Onlineportale bieten kritischen Stimmen noch einen gewissen Raum. Insbesondere im Fernsehen wird fast alles ausgeblendet, was die offizielle Sicht in Frage stellt. Ein neues Anti-Terrorismusgesetz stellt einen tiefen Einschnitt in die professionelle Arbeit von Journalisten in Ägypten dar. Es schränkt ihre Recherchemöglichkeiten erheblich ein und entzieht ihnen die freie Wahl ihrer Quellen. Das Abweichen von offiziellen Linien der Berichterstattung wird mit empfindlichen Geldstrafen bedroht. Journalisten wurden im Berichtszeitraum wiederholt an freier Berichterstattung gehindert. Zahlreiche Journalisten befinden sich in Haft, viele ohne formelle Anklage. Besonders breite Aufmerksamkeit erregte das Vorgehen der Sicherheitsorgane gegen den Sender Al Jazeera, dessen ägyptischer Ableger im August 2013 geschlossen worden war (AA 15.12.2016).

Die Behörden schränkten die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit 2016 drastisch ein, sowohl durch Gesetze als auch in der täglichen Praxis. Journalisten, Aktivisten und andere Personen mussten mit Festnahmen, strafrechtlicher Verfolgung und Gefängnisstrafen rechnen (AI 22.02.2017).

Die Verfassung sieht die Redefreiheit und die der Presse vor, beinhaltet aber eine Klausel, wonach diese in Kriegszeiten oder anlässlich einer öffentlichen Mobilisierung einer begrenzten Zensur unterworfen werden kann. Die Regierung regulierte die Lizenzierung von Zeitungen und kontrollierte den Druck und die Verteilung der Mehrheit der Zeitungen, darunter private Zeitungen und die der oppositionellen politischen Parteien. Die Regierung beschränkte oder störte im Allgemeinen den Zugang zum Internet oder zensurierte Online-Inhalte nicht. Die Verfassung schützt das Recht auf Privatsphäre, auch im Internet. Die Verfassung sieht die Vertraulichkeit und die "Unverletzlichkeit" der postalischen, telegraphischen und elektronischen Korrespondenz vor (USDOS 03.03.2017).

Die Pressefreiheit ist in der Praxis eingeschränkt, Ägypten erreicht in der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" für das Jahr 2016 den 159. von 180 Plätzen. Laut dem "Committee to Protect Journalists" ist in Ägypten die weltweit dritthöchste Zahl von Journalisten inhaftiert. Journalisten sind durch Verhaftung aufgrund von Vorwürfen wie der "Verbreitung falscher Informationen", durch Ausreiseverbote und politischen/wirtschaftlichen Druck auf Medienhäuser bedroht. Ein im Dezember 2016 verabschiedetes Gesetz über die Regulierungsgremien im Medienbereich zementiert eine weitgehende Kontrolle der Regierung über die Medienaufsicht. Auch ausländische Medien sind mit Anfeindungen und Ausweisungsdrohungen konfrontiert (AA 2.2017a).

Die Verfassung von 2014 hat in Ägypten nur auf dem Papier mehr Presse- und Meinungsfreiheit gebracht. Regierung und Justiz gehen systematisch gegen Medien mit Verbindungen zur oder Sympathien für die Muslimbruderschaft vor. Militärprozesse gegen Journalisten sind unverändert möglich. Reporter müssen mit Gewalt von Sicherheitskräften und Demonstranten rechnen, häufig werden sie von aufgebrachten Menschenmengen bedrängt. Willkürliche Festnahmen und Folter sind an der Tagesordnung. Selbstzensur ist verbreitet. Viele Medien ergreifen offen Partei für Armee und Regierung, nur wenige ägyptische Journalisten wagen Kritik. Ägypten befindet sich laut Reporter ohne Grenzen betreffend Pressefreiheit auf Platz 161 von 180 (ROG 2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1483948426_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-aegypten-stand-dezember-2016-15-12-2016.pdf, Zugriff 26.04.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ägypten - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Aegypten/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.04.2017

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AI - Amnesty International (22.02.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/336475/479129_de.html, Zugriff 26.04.2017

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ROG - Reporter ohne Grenzen (2017): Ägypten, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/%C3%A4gypten/, Zugriff 02.05.2017

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USDOS - US Department of State (03.03.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/337183/479946_de.html, Zugriff 27.04.2017

Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit ist eingeschränkt. Die Verfassung von 2014 erhebt den Islam zur Staatsreligion und bestimmt die Scharia zur Hauptquelle der Verfassung. Die Grenze zwischen Staat und sunnitischer Mehrheitsreligion ist nicht klar geregelt. Die Verfassung garantiert lediglich Glaubensfreiheit uneingeschränkt. Die Freiheit des Kultes und das damit verbundene Recht zum Bau von Gotteshäusern bleiben den Offenbarungsreligionen (Muslime, Christen, Juden) vorbehalten. Durch die Beschränkung der Glaubensfreiheit auf einzelne Religionen wird eine Unterscheidung zwischen "anerkannten" und "nicht-anerkannten" Religionen getroffen, die zu zahlreichen Formen der Diskriminierung im Alltag führt. Darunter leiden Angehörige kleinerer Glaubensgemeinschaften. So werden die 150.000 - 200.000 in Ägypten lebenden Schiiten nicht als gleichwertige Religionsgemeinschaft anerkannt. Gleiches gilt für die etwa 2.000 Bahai, die ebenfalls keine staatliche Anerkennung genießen. 2015 wurden einzelne christliche Kirchen angegriffen und Eigentum von Kopten zerstört. Besonders in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokaler Ebene liegen. Traditionelle Vorstellungen von (Blut-)Rache und (kollektiver) Vergeltung sind in den ländlichen Gebieten Oberägyptens nach wie vor vorherrschend. Traditionelle Streitschlichtungsmechanismen spielen auch aufgrund der Abwesenheit funktionierender staatlicher Institutionen eine große Rolle. Dabei kommt es regelmäßig zu strukturellen Benachteiligungen der Christen. Im Mai 2016 flammte die Gewalt gegen Christen wieder neu auf, was zu einer öffentlichen Debatte über das Thema und zur Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes über den Kirchenbau führte. Am 11. Dezember 2016 kam es in Kairo zu einem schweren Anschlag auf die koptische Kirche Peter und Paul. Dabei wurden 26 Menschen getötet und 49 zum Teil schwer verletzt. Staatspräsident Al-Sisi gab einen Tag nach dem Anschlag öffentlich bekannt, dass die Hintergründe aufgeklärt seien, und der Täter der Muslimbruderschaft zugeordnet werden könne. Dem gegenüber steht ein Selbstbekenntnis des "IS Misr". Die Konversion vom Christentum zum Islam ist einfach und wird vom Staat anerkannt, während die umgekehrte Konversion vom Islam zum Christentum zu massiven Problemen für die Betroffen führt. Zwar ist die Aufgabe des islamischen Glaubens nicht im geschriebenen Recht, wohl aber nach islamischem Recht verboten. Aufgrund innerislamischer Vorschriften gegen Apostasie haben Konvertiten in Ägypten mit gesellschaftlicher Ächtung zu rechnen. Die Behörden weigern sich in solchen Fällen häufig, neue Personaldokumente auszustellen. Der Eintrag der Religionszugehörigkeit in Personaldokumenten bleibt auch für andere religiöse Minderheiten ein Einfallstor für Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Seit März 2009 ist es beispielsweise den Bahais erlaubt, nationale Ausweise und Pässe zu haben, in denen das Feld "Religion" offen bleibt, was jedoch zu vielfältigen Problemen im Alltag führt. Auch die Organisation innerhalb der sunnitischen Glaubensgemeinschaft mit dem Ministerium für religiöse Stiftungen an der Spitze und weitgehenden Durchgriffsrechten steht einer umfassenden Glaubensfreiheit im Weg. Um in den offiziellen Moscheen predigen zu können, müssen die Imame an der al-Azhar Universität ausgebildet worden sein. Das Ministerium gibt zudem die Themen und Schwerpunkte der Freitagspredigten vor. Das ägyptische Strafrecht sieht den Straftatbestand der Blasphemie und dafür bis zu fünf Jahre Haft vor. Es werden zum Teil lange Gefängnisstrafen wegen des Blasphemievorwurfs verhängt. Zudem wird in interreligiösen Auseinandersetzungen häufig der Vorwurf der Blasphemie gegen Angehörige religiöser Minderheiten vorgebracht, um diese unter Druck zu setzen und Gewalt gegen sie zu legitimieren. Christen und Angehörige anderer religiöser Minderheiten sind, vor allem in ländlichen Gebieten, immer wieder Gewaltakten und Einschüchterungen aus den Reihen der muslimischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt, wobei ein genügender Schutz durch die Sicherheitsbehörden nicht gewährleistet ist (AA 15.12.2016).

Religiöse Minderheiten wie koptische Christen, Schiiten und Baha'i wurden weiterhin durch Gesetze diskriminiert und bei der Ausübung ihrer Religion eingeschränkt. Außerdem waren sie nicht ausreichend gegen Gewalt geschützt (AI 22.02.2017).

Im August verabschiedete das Parlament ein lang erwartetes Gesetz betreffend Beschränkungen über den Bau und die Sanierung von Kirchen (HRW 12.01.2017).

Kein Angehöriger einer religiöser Minderheiten gehörte zu den ernannten Gouverneuren der 27 Regierungsbezirke (USDOS 03.03.2017).

Die Religionsfreiheit bleibt eingeschränkt. Die Verfassung garantiert lediglich die Glaubensfreiheit uneingeschränkt. Die Freiheit des Kultes und das damit verbundene Recht zum Bau von Gotteshäusern bleiben den Offenbarungsreligionen (Muslime, Christen, Juden) vorbehalten. Im August 2016 wurde ein lange erwartetes Gesetz über den Kirchenbau verabschiedet, das dem Bau von Kirchen allerdings nach wie vor administrative Hürden in den Weg legt (AA 02.2017a).

90% aller Ägypter sind Muslime, fast alle von ihnen Sunniten. Sie folgen der hanafitischen Rechtstradition, die als die liberalste der vier heute verbreiteten islamischen Rechtsschulen gilt. Ca. 9% gehören der orthodoxen ägyptischen koptischen Kirche und ca. 1% gehören anderen christlichen Konfessionen an. Das Religionsverständnis hat sich in den letzten Jahren jedoch je nach sozialer Gruppe in unterschiedlicher Form gewandelt. Mit dem Aufstieg des politischen Islam wurde in manchen Schichten eine engere und stärker auf äußere Formen orientierte Auslegung und Praktizierung der islamischen Religion populär (GIZ 03.2017b).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1483948426_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-aegypten-stand-dezember-2016-15-12-2016.pdf, Zugriff 26.04.2017

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AA - Auswärtiges Amt (02.2017a): Ägypten - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Aegypten/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.04.2017

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AI - Amnesty International (22.02.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/336475/479129_de.html, Zugriff 26.04.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (03.2017b): Liportal, Ägypten - Gesellschaft, https://www.liportal.de/aegypten/gesellschaft/#c89356, Zugriff 02.05.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.01.2017): World Report 2017 - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/334703/476536_de.html, Zugriff 26.04.2017

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USDOS - US Department of State (03.03.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Egypt, http://www.ecoi.net/local_link/337183/479946_de.html, Zugriff 27.04.2017

Religiöse Gruppen/Kopten

Kopten, die etwa 10% der ägyptischen Gesellschaft ausmachen und in ihrer Eigenwahrnehmung keine Minderheit darstellen, sind Opfer vielfacher Diskriminierungen, die oft auch in Gewalt münden. Insbesondere während der Welle der Gewalt im August 2013, die seit Mai 2016 wieder aufflammte, wurden koptische Kirchen attackiert und Christen ermordet. Die Sicherheitskräfte griffen kaum zu ihrem Schutz ein. Im August 2016 verabschiedete das ägyptische Parlament ein einerseits lange erwartetes, andererseits hoch umstrittenes Gesetz über den Bau von Kirchen in Ägypten. Obwohl die Führungspersönlichkeiten der drei großen christlichen Kirchen dem Gesetz zugestimmt haben, lassen vage Formulierungen darin Raum für Diskriminierung in der Praxis; dem Kirchenbau sind weiterhin gesetzliche Hürden in den Weg gelegt (AA 15.12.2016).

Kopten sehen sich vielfach als Opfer von Diskriminierungen, die des Öfteren auch in Gewalt münden (AA 02.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1483948426_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-aegypten-stand-dezember-2016-15-12-2016.pdf, Zugriff 26.04.2017

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AA - Auswärtiges Amt (02.2017a): Ägypten - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Aegypten/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.04.2017

Aktuelle Feststellungen zur allgemeinen Lage in Ägypten finden sich im Asylländerbericht der Österreichischen Botschaften zu Ägypten, Jänner 2019, abrufbar unter

https://www.ecoi.net/en/file/local/2002309/ALB+%C3%84gypten+2018.pdf (Zugriff am 28. Juni 2019):

Der Zeitraum seit dem Sturz Präsident Morsis im Juli 2013 war von großen Herausforderungen in den Bereichen Innenpolitik, Sicherheitspolitik, Außenpolitik und Wirtschaft gekennzeichnet.

Nach der Verabschiedung eines restriktiven Versammlungsgesetzes im November 2013 gelang es den Sicherheitskräften die von der pro-Morsi "National Alliance to support Legitimacy" organisierten Straßenproteste durch Verhaftungswellen weitgehend unter Kontrolle zu bringen. Ein letzter Höhepunkt der Gewalt erfolgte im Jänner 2014 (zum Jahrestag der Revolution) mit bis zu 265 geschätzten Todesopfern. Die oberste und mittlere Führungsebene der Moslembrüder (MB) und ihres politischen Arms, der Freedom and Justice Party (FJP), sowie verbündeter Parteien, befindet sich seither fast vollständig im Gefängnis oder im Ausland.

Auch auf rechtlicher Ebene ging das Regime gegen die MB vor. Sie wurde am 23. September 2013 aufgelöst und ihr Vermögen eingezogen. Es folgten die Verbote der säkularen, revolutionären Bewegung des 6. April (28.04.2014), der FJP (09.08.2014) und der islamistischen Istiqlal-Partei (30.09.2014). Seit August 2014 kam es andererseits aber auch zur Umwandlung der Todesstrafe für einige führende Muslimbrüder (darunter den obersten Führer Badie) in Gefängnisstrafen, zur Reduzierung der Dauer von Haftstrafen sowie zu vereinzelten Freilassungen von Muslimbrüdern der unteren und mittleren Führungsebene.

Dagegen wurde die salafistische Al-Nour Partei nicht verboten. Sie nahm an den Parlamentswahlen 2015 teil und gewann mit 2% der Stimmen insgesamt 12 Mandate.

Meinungsfreiheit/Pressefreiheit: Im Jahr nach dem Umsturz 2013 wurden in ÄG neun Journalisten getötet und 19 Journalisten in Haft genommen (ANHRI 01.10.2014). Seit 2015 wurden seitens des International Press Institute

(https://ipi.media/programmes/death-watch/) keine außergerichtlichen Tötungen mehr verzeichnet. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist jedoch stark eingeschränkt, u.a. durch eine v.a. die Medien treffende Bestimmung des Anti-Terrorgesetzes vom Juli 2015, wonach u. a. die Publikation von "falschen Informationen über Terroroperationen, die im Gegensatz zu offiziellen Erklärungen stehen", mit 2 Jahren Haft bedroht ist. Es kommt immer wieder zu Verhaftungen, zu fortgesetzten Inhaftierungen ohne Rechtsgrundlage sowie auch zum "Verschwindenlassen" von Journalisten. Mit einer Zahl von 38 Personen, die aufgrund journalistischer Tätigkeit in Haft sind, wird ÄG im RSF World Press Freedom Index 2018 an 161. Stelle von insgesamt 180 Staaten geführt.

Seit Mai 2017 wurden mehr als 500 Websites von diversen nationalen und internationalen NGOs, Nachrichtenkanälen und Blogs gesperrt, darunter z.B. Al-Jazeera und Human Rights Watch. Obwohl es dazu keine offizielle Erklärung seitens der äg. Regierung gibt, wird der äg. Sicherheitsapparat hinter diesen Schritten vermutet.

Mitte 2018 traten neue Gesetze in Kraft, die eine stärkere staatliche Überwachung des Internets und der sozialen Medien ermöglichen, darunter das "Cybercrimes Law", welches Behörden und Gerichten nun eine Rechtsgrundlage zur Sperrung von Websites gibt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit oder als Verstoß gegen traditionelle Werte angesehen werden. Browsing von gesperrten Websites bzw. das Teilen von Inhalten gesperrter Websites wird mit Geld- und Haftstrafen bedroht. Ein ebenfalls 2018 erlassenes Gesetzespaket zur Neuregulierung der Medienlandschaft stellt Medienunternehmen unter strengere staatliche Kontrolle durch Schaffung eines neuen Obersten Rates zur Medienregulierung. Auch persönliche Websites, Blogs und social media accounts, die über mehr als 5.000 Followers verfügen, werden als Medienorganisation eingestuft und unterliegen damit der Aufsicht der neuen Behörde.

Nach Einschränkungen, die letztlich mit dem Kampf gegen Terror begründet werden, sind die Einschränkung von religionskritischen - bzw. herabwürdigenden Äußerungen oder Darstellungen eine ebenfalls wichtige Fallgruppe. Letzteres liegt nicht an einem "islamistischen Affekt" der Behörden, vielmehr steht dabei die Sorge um die Aufrechterhaltung des konfessionellen gesellschaftlichen Friedens im Vordergrund, kann also auch anti-christliche Äußerungen treffen. Verhaftungen und Verurteilungen von Personen aufgrund kritischer Äußerungen in den sozialen Medien kommen immer wieder vor.

1.4. Zur Lage der Kopten in Ägypten:

Kopten sind die größte Minderheit Ägyptens, sie machen zwischen 6 und 20% der Bevölkerung aus. Sie sind vor allem in Oberägypten beheimatet. Kopten sind zumeist einfache Arbeiter, es gibt aber auch eine koptische Mittel- und Oberschicht; sie sind in allen staatlichen Institutionen und in allen politischen Parteien vertreten.

Kopten waren dennoch bereits unter der Herrschaft von Präsident Mubarak Opfer staatlicher Diskriminierung; 2010/2011 kann es zu einer Reihe von Anschlägen auf koptische Kirchen. Die Situation verschlimmerte sich zunächst nach dem Ende der Herrschaft von Mubarak; nachdem Präsident Morsi im Juli 2013 zum Rücktritt gezwungen wurde, richtete sich die Wut seiner Anhänger gegen die Kopten, welche die militärische Intervention unterstützt hatten. Die Gewalt hatte ihren Höhepunkt im August 2013, als es zu Attacken gegen koptische Geistliche, zu Entführungen von Kopten und zu Angriffen auf koptische Kirchen und Häuser kam.

Das gegenwärtige Regime von Präsident Sisi unterdrückt Teile der Opposition, insbesondere Anhänger der Muslimbrüderschaft, was das Risiko von Angriffen auf religiöse Minderheiten wie die Kopten erhöht. Andererseits haben die Kopten von der aktuellen Regierung auch profitiert, so besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Oberhaupt der koptischen Kirche und dem Präsidenten und hatten noch nie so viele Kopten Parlamentssitze inne. Die Diskriminierung setzt sich aber fort, insbesondere in Bezug auf die Errichtung neuer Gotteshäuser, welche insbesondere durch die lokale muslimische Gemeinschaft behindert wird. Im September 2016 wurde zwar ein neues Gesetz beschlossen, das den Aufbau bzw. die Renovierung koptischer Kirchen regeln sollte, doch konnte auch damit keine besondere Verbesserung der Situation erneuert werden bzw. wurden bislang nur 627 Kirchen offiziell registriert, obwohl dies von mehr als 3000 beantragt worden war.

Kopten sind auch weiterhin Opfer von Gewalttaten, die entweder von Terroristen oder aber von der Lokalbevölkerung im Zuge von konfessionell geladenen Spannungen ausgehen. Diese beiden Hauptquellen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich Motivationslage als auch hinsichtlich der staatlichen Reaktion. Darüber hinaus ist auch die geographische Streuung unterschiedlich:

Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Angriffe der Terrororganisation IS, etwa im Dezember 2016 auf die St. Peter und Paul Kirche oder die Bombardierung zweier koptischer Kirchen am Palmsonntag 2017 sowie die Ermordung von fast 30 Pilgern im Mai 2017. Die Anschläge richten sich vorwiegend gegen koptische Religionszentren, wie Klöster oder Kirchen und sind somit über das gesamte Land verteilt. Von größeren Anschlägen waren in den vergangenen zwei Jahren v.a. Kairo, Alexandria, Tanta (Nildelta) und Minya (Oberägypten) betroffen. An christlichen Feiertagen besteht wegen der Symbolwirkung und der wahrscheinlichen höheren Opferzahl ein erhöhtes Anschlagsrisiko. Im Nord-Sinai kam es im Jahr 2017 auch zu rund einem Dutzend Ermordungen einzelner Kopten durch Terroristen mit dem Ziel, die dortige koptische Bevölkerung so zu verunsichern, dass sie den Sinai verlassen. Dies ist z.T. auch gelungen, hunderte Kopten ergriffen die Flucht in andere Teile Ägyptens, wo sie von den Behörden vorübergehend in sicheren Unterkünften untergebracht wurden. Dieser Trend hat sich im Jahr 2018 - wohl auch angesichts einer großangelegten Anti-Terroroperation der ÄG Sicherheitskräfte (Operation Sinai 2018) - nicht fortgesetzt. Die staatlichen Sicherheitsbehörden sind bemüht, die Kopten vor derartigen Anschlägen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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