TE Bvwg Beschluss 2019/9/4 W256 2122458-1

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Veröffentlicht am 04.09.2019
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Entscheidungsdatum

04.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W256 2122460-1/3E

W256 2122458-1/5E

W256 2122457-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX und 3. XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17. Dezember 2015, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX und 3. Zl. XXXX :

A)

Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich ihres Spruchpunktes I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer, somalische Staatsangehörige, stellten jeweils am 10. September 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweit- und Drittbeschwerdeführers.

Im Zuge der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Gründen für die Antragsstellung befragt Folgendes an: "Ich haben keine eigenen Fluchtgründe. Ich stelle den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz deswegen, weil mein Ehegatte .... in Österreich den Status eines Asylberechtigten erlangt hat und ich in Österreich denselben Schutz wie mein Ehegatte beantrage. Ich stelle als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz für meine beiden Kinder in deren Namen. Sie haben keine eigenen Fluchtgründe. Es gelten dieselben Fluchtgründe wie für mich."

Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 29. Juli 2015 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Die Befragung gestaltete sich - laut Protokoll und soweit hier wesentlich - wie folgt:

"F: Geben Sie Ihre konkreten Fluchtgründe an?

A: Ich habe Angst vor den Al Shabaab.

F: Konkreter.

A: In Somalia ist es nicht sicher vor den Al Shabaab. Es ist dort kein Frieden und man kann dort nicht leben.

F: Warum sind Sie nach Österreich gekommen?

A: Österreich ist sicher und hier ist es sicher für meine Kinder. Hier bekommen sie eine gute Erziehung.

F: Sind Sie jemals persönlich bedroht worden?

A: Nein.

Nach einigen Minuten erzählt die VP: Die Al Shabaab waren einmal bei mir zu Hause.

F: Haben Ihre Söhne eigene Fluchtgründe?

A: Mein Mann ist als erstes hierhergekommen, und meine Söhne und ich sind nachgekommen. Eines nachts kamen die Al Shabaab zu mir nach Hause und fragten wo mein Ehemann ist.

F: Was ist weiter passiert?

A: Sie fragten und ich sagte, ich weiß es nicht, dann hat mich einer geschlagen und einer hat mich mit seiner Waffe auf den Arm geschlagen. Und dann hatte ich Angst.

F: Warum sind Sie nicht von Ihrem Haus weggezogen in einen anderen Teil von Somalia?

A: Ich bin dann für 3 Monate nach XXXX gegangen. Mein Mann hat dann Somalia verlassen und ich bin ihm gefolgt.

Hiermit beantrage ich den selben Status für meine Kinder und mich, den auch mein Mann hat. Mein Mann ist subsidiärer Schutzberechtigter. Diesen Status möchte ich für meine Kinder und mich beantragen.

F: Was konkret hätten Sie nun im Fall einer Rückkehr zu befürchten?

A: Es ist nicht sicher in Somalia."

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten jeweils ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihnen dagegen jeweils zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, die Erstbeschwerdeführerin habe für sich und ihre Söhne keine Fluchtgründe namhaft gemacht und könne daher auch nicht vom Vorliegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung ausgegangen werden.

Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Erstbeschwerdeführerin habe im Verfahren sehr wohl eine Verfolgung und zwar konkret durch Al Shabaab vorgebracht. Die belangte Behörde sei daher zu Unrecht und damit aktenwidrig davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall keine Verfolgung namhaft gemacht worden sei. Davon abgesehen habe die belangte Behörde von sich aus zu prüfen, ob die Erstbeschwerdeführerin wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen geschlechtsspezifische Verfolgung in Somalia drohe. Die Erstbeschwerdeführerin sei nach der Ausreise ihres Ehegatten durch Al Shabaab bedroht worden und habe sie immer Angst vor Misshandlungen und vor allem sexuellen Übergriffen gehabt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).

Die angefochtenen Bescheide sind aus folgenden Gründen mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Im vorliegenden Fall hat die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung auch für ihre minderjährigen Söhne, den Zweit- und Drittbeschwerdeführer und damit für Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist.

Daraus folgt aber, dass für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Familienangehörigen jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2014/19/0063 m.v.w.H sowie jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 15. Oktober 2018, Ra 2018/14/0143).

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführer in keiner Weise (zumindest hinreichend) auseinandergesetzt.

Dabei ist der belangten Behörde zwar insoweit zuzustimmen, dass die Erstbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Erstbefragung eigene Fluchtgründe der Beschwerdeführer insgesamt verneinte. Vor der belangten Behörde führte sie aber zu ihren eigenen und auch den Fluchtgründen ihrer Kinder befragt demgegenüber dezidiert aus, sie habe Angst vor Al Shabaab und sei es in diesem Zusammenhang auch bereits zu einem Überfall gekommen.

Angesichts dieser von der Erstbeschwerdeführerin aufgezeigten Verdachtsmomente wäre die belangte Behörde insofern zu weiteren Ermittlungstätigkeiten verpflichtet gewesen. Solche sind im vorliegenden Fall jedoch unterblieben. Weder ist die belangte Behörde im Zuge der weiteren Befragung der Erstbeschwerdeführerin durch konkretes Nachfragen gezielt auf das von der Erstbeschwerdeführerin geschilderte Fluchtvorbringen und damit auf den Einzelfall eingegangen, noch hat sie sich ansonsten damit auseinandergesetzt. Jedenfalls kann den vorlegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde diesbezügliche Erhebungen in irgendeiner Form durchgeführt hat.

Dementsprechend findet auch in den angefochtenen Bescheiden keine Auseinandersetzung mit dieser Fluchtgeschichte statt. Vielmehr ging die belangte Behörde - entgegen dem oben dargestellten Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin - darin fälschlich davon aus, dass im vorliegenden Fall überhaupt keine Verfolgung "namhaft" gemacht worden sei.

Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - gänzlich unterlassen, sich mit dem von den Beschwerdeführern geltend gemachten Fluchtgrund eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer auseinanderzusetzen, dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung der Beschwerdeführer, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer ernsthaften und nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen. Dabei wird der Ordnung halber auf den in der Beschwerde erstmals dargestellten Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung der Erstbeschwerdeführerin ausdrücklich hingewiesen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich waren die Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

2. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2122458.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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