TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/4 W221 2197203-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.09.2019
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Entscheidungsdatum

04.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W221 2197203-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zl. 1135624202-161570280, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.05.2019 und am 05.08.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 21.11.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete die Beschwerdeführerin, sie unterstütze seit vier Jahren die Partei "Semayawi" und habe bei Veranstaltungen der Partei Informationsunterlagen verteilt. Aus diesem Grund seien sie bzw. ihr Mann öfter verhaftet worden. Ihr Mann sei dabei auch geschlagen worden. Sie selbst sei im September des Jahres 2016 verhaftet worden. Da die Beschwerdeführerin wisse, dass manche Menschen verschwunden seien, nachdem sie verhaftet worden seien, habe sie befürchtet, dass ihr eines Tages selbiges Schicksal drohe und habe deswegen Äthiopien verlassen.

Am 17.04.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die amharische Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie eine Oppositionspartei unterstützt habe und ihr der Druck zu viel geworden sei. Es seien viele Dinge passiert und es habe viele Probleme gegeben. Sie sei vor allem kurz vor ihrer Ausreise inhaftiert worden. Bei einer Rückkehr würden sie wiederholte Gefängnisaufenthalte erwarten oder Schlimmeres. Die Partei sei die Semayawi Partei, auch bekannt unter dem Namen Blue Party. Sie würde diese seit 2012/2013 unterstützen. Sie habe ca. am 24.11.2012 an einer friedlichen Demonstration teilgenommen. Sie sei nur Unterstützerin und kein Mitglied. Sie habe in ihrem Wohnort Propaganda betrieben und Informationsmaterial verteilt. Ihr Mann habe schon allein deshalb, weil sie nur Unterstützerin gewesen sei, Nachteile gehabt. Ihr Mann habe sie aber trotzdem unterstützt, indem er ihr Mut gemacht habe. Sie sei öfter als acht Mal inhaftiert worden, wenn auch nur für kurze Zeit; ca. 10 Mal sei sie festgenommen worden. Die erste Verhaftung sei 2012/2013 beim Verteilen von Zetteln gewesen. Sie sei vier Tage festgehalten worden und dann wieder freigelassen worden, weil sie nichts gefunden hätten. Die zweite Verhaftung sei ungefähr sechs Monate später gewesen. An genaue Daten könne sie sich aber nicht erinnern. Die letzte Inhaftierung sei dann am 11.09.2016 gewesen und die vorletzte 2015/2016. Sie und ihr Mann seien dann verprügelt worden, weshalb sie das Land verlassen habe. Die Polizei habe sie bei ihrem Mann gesucht und ihn verprügelt, weil sie nicht da gewesen sei. Die Beschwerdeführerin sei jedoch schon bei ihrer Mutter in Addis Abeba gewesen. Bei ihrer letzten Verhaftung sei sie auch von dieser Adresse verhaftet worden. Der Grund für die Festnahme sei ein Fest der Volksgruppe der Oromo gewesen, bei der Menschen ums Leben gekommen seien, wogegen die Partei der Beschwerdeführerin eine friedliche Demonstration abgehalten hätten. Sie sei in Haft geschlagen und bespuckt worden. Die Polizei hätte von ihr wissen wollen, wer die anderen Personen gewesen seien. Sie habe sich geweigert, ein Schreiben zu unterschreiben und am 14. Tag sei sie entlassen worden.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, zugestellt am 24.04.2018, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Der Beschwerdeführerin wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Äthiopien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Äthiopien, stellte die Identität der Beschwerdeführerin fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft sei. Weiters wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Äthiopien keine Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder der Todesstrafe sowie ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt drohen würde. Abschließend begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Rückkehrentscheidung.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom selben Tag wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 18.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer jahrelangen Tätigkeit für die "Semayawi"-Partei bereits in Äthiopien verfolgt worden sei und auch zu erwarten sei, dass sie dort künftig verfolgt werden würde. Die Beschwerdeführerin habe sehr konkret sowohl über ihre persönlichen Aktivitäten als auch über die Zielsetzungen der Partei berichtet. Weiter sei die Beschwerdeführerin gerade dabei sich in Österreich erfolgreich zu integrieren, sie habe sich in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut, sprachliche Fortschritte gemacht und wolle am Arbeitsmarkt Fuß fassen. Der Beschwerde beigefügt war eine nicht übersetzte Bestätigung der "Semayawi"-Partei (Blue Party) und eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 21.08.2017 sowie ein A1-Deutsch-Zertifikat der VHS Baden vom 08.03.2018.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 04.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Verbesserungsauftrag vom 29.01.2019 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert die als Beilage zur Beschwerde beigebrachte Bestätigung der "Semayawi"-Partei (Blue Party) in deutscher Übersetzung vorzulegen.

Am selben Tag stellte das Bundesverwaltungsgericht eine Anfrage an die Staatendokumentation zur derzeitigen Situation von einfachen Unterstützern der "Semayawi"-Partei in Äthiopien vor dem Hintergrund der neuen Berichte über die politische Öffnung Äthiopiens unter Premierminister Abiy Ahmed. Die entsprechende Anfragebeantwortung langte am 08.02.2019 ein.

Mit Schreiben vom 14.03.2019 teilte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin hinsichtlich des vom Bundesverwaltungsgerichts erteilten Verbesserungsauftrags vom 29.01.2019 mit, dass die Kosten einer Übersetzung des mit der Beschwerde vorgelegten Schreibens der Semayawi"-Partei für die Beschwerdeführerin so hoch seien, dass sie sich diese nicht leisten könne. Es werde daher beantragt, das Schriftstück in einer mündlichen Verhandlung von einem Dolmetscher übersetzen zu lassen.

Mit Schreiben vom 20.03.2019 wurden die Beschwerdeführerin und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.05.2019 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in Äthiopien und der eingeholten Anfragebeantwortung geladen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.05.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die amharische Sprache und im Beisein des Vertreters der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, im Rahmen der die Beschwerdeführerin zwei Unterlagen zu ihrer Integration vorlegte. Der Dolmetscher wurde ersucht die bereits als Beilage zur Beschwerde beigebrachte Bestätigung der "Semayawi"-Partei (Blue Party) zu übersetzen. Für die Übersetzung und aufgrund der Erkrankung des Dolmetschers wurde die mündliche Verhandlung auf den 05.08.2019 vertagt.

Am 22.07.2019 langte die angeforderte schriftliche Übersetzung der Bestätigung beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 23.07.2019 wurden die Parteien über das Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und die auf Deutsch übersetzte Bestätigung übermittelt. Den Parteien wurde mitgeteilt, dass sie entweder bis zum 02.08.2019 beim Bundesverwaltungsgericht einlangend eine schriftliche Stellungsnahem abgeben könne oder eine mündliche in der Verhandlung am 05.08.2019.

Das Bundesverwaltungsgericht setzte am 05.08.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Amharisch und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin die öffentliche mündliche Verhandlung fort, in welcher die Beschwerdeführerin ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurde und ihr Gelegenheit gegeben wurde, zu den aufgetretenen Widersprüchen Stellung zu nehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen, ist eine Staatsangehörige von Äthiopien und gehört der Volksgruppe der Amharen an. Sie bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben.

Die Beschwerdeführerin hat Äthiopien mit einem österreichischen Visum Typ C, ausgestellt von der österreichischen Botschaft Addis Abeba verlassen, reiste am 17.11.2016 legal nach Österreich ein und stellte am 21.11.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Um das Visum zu erlangen, gab sie bei der österreichischen Botschaft in Äthiopien an, dass sie in Österreich ein Musikfest besuchen möchte, da sie selbst Sängerin sei. Dafür legte sie eine Bestätigung ihres Arbeitgebers in Addis Abeba vom 28.10.2016 vor, wonach sie seit März XXXX als Sängerin im Club XXXX arbeite und eine Einladung einer Österreicherin zum Besuch des Musikfestivals vom 20.10.2016.

Die Beschwerdeführerin wurde in Addis Abeba geboren und zog nach ihrer Hochzeit 2009 in die Stadt Shashemene in der Region Oromia, wo sie bis zu ihrer Ausreise lebte.

Die Beschwerdeführerin ist verheiratet und hat zwei Kinder (geb. 2010 und am 16.12.2014). Ihr Ehemann, ihre zwei Söhne, ihre Mutter und ihr Bruder leben in Äthiopien. Die Beschwerdeführerin steht in regelmäßigem Kontakt zu ihrem Mann. Ihr Mann besitzt in Shashamene ein Hotel und versorgt damit sich und die gemeinsamen Kinder. Ihre Mutter lebt in Addis Abeba als Pensionistin und bekommt Geld vom Staat.

Die Beschwerdeführerin besuchte in Äthiopien bis zur zehnten Klasse die Schule und absolvierte anschließend Ausbildungen als Friseurin sowie als Köchin. Die Beschwerdeführerin verdiente in Äthiopien ihren Lebensunterhalt zunächst als Sängerin und half später ihrem Ehemann beim Betrieb seines Hotels, wo sie ebenfalls als Sängerin auftrat. Sie lebte mit ihrer Familie in einem Haus, das ihrem Ehemann gehörte.

Die Beschwerdeführerin hat in Äthiopien nicht die "Semayawi"-Partei (Blue Party) unterstützt hat und wurde nicht von der äthiopischen Regierung aufgrund ihrer politischen Aktivitäten mehrmals festgenommen wurde. Der Beschwerdeführerin droht daher im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat keine Gefährdung durch die äthiopische Regierung.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführerin befindet sich seit ihrer Antragsstellung auf internationalen Schutz am 21.11.2016 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Sie hat in Österreich keine Familie.

Die Beschwerdeführerin bezieht seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Die Beschwerdeführerin hat einen A1- und einen A2-Deutschkurs der VHS Baden erfolgreich absolviert, sowie an einem A2-Deutschkurs des Österreichischen Roten Kreuzes sowie an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teilgenommen. Des Weiteren hat die Beschwerdeführerin im Oktober bzw. November 2018 für mehrere Tage gemeinnützige Hilfstätigkeiten bei der Marktgemeinde XXXX erbracht. Die Beschwerdeführerin geht gelegentlich mit einer österreichischen Bekannten in die Kirche.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Äthiopien:

"Politische Lage

Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People's Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples' Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat (AA 17.10.2018).

Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).

Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed kam im April 2018 nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Seitdem hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018). Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und wurden entkriminalisiert. Abiy Ahmed hat eine Kehrtwende weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger vorgenommen. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt mit Erfolg für stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum und hat die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien de facto beendet. Im Mai 2018 gab es mehrere Dialogformate in Addis Abeba und der benachbarten Region Oromia, unter Beteiligung von Vertretern der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Abiy hat zudem angekündigt, dass die für 2020 angesetzten Wahlen frei und fair und ohne weitere Verzögerungen stattfinden sollen (AA 17.10.2018).

Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wiederaufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).

Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Asmara ein Versöhnungsabkommen und verkündeten am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018). Am 15.9.2018 kehrten frühere Oromo-Rebellen aus dem Exil in die Hauptstadt Addis Abeba zurück. Die Führung der OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Neben OLF-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurde, kam es zu Ausschreitungen (BAMF 17.9.2018). Nach offiziellen Angaben wurden nach den Ausschreitungen rund 1.200 Personen inhaftiert (BAMF 1.10.2018).

Abiy Ahmeds Entscheidung Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde weitgehend begrüßt. Die Hälfte der 20 Ministerposten der Regierung wurden an Frauen vergeben, darunter Schlüsselressorts wie das Ministerium für Handel und Industrie und das Verteidigungsministerium. Abiy hat u. a. die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt, die ehemalige UNO-Beamtin Sahle-Work Zewde wurde einstimmig vom Parlament zur Präsidentin gewählt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018, EZ 25.10.2018, GIZ 9.2018a). Die Präsidentin hat vor allem eine repräsentative Funktion, da die politische Macht beim Ministerpräsidenten liegt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018). Aisha Mohammed ist nun Verteidigungsministerin, Muferiat Kamil Friedensministerin. Letzterer sind Polizei und Geheimdienste unterstellt. Die Ernennung der beiden Frauen ist auch deshalb historisch, weil es sich um Muslime aus ethnischen Minderheiten (Oromo) handelt, die noch nie zuvor so mächtige Ämter bekleideten. Ihre Anwesenheit im Kabinett hilft Abiy Ahmed nicht nur, Geschlechterparität zu erreichen, sondern auch, seine Unterstützungsbasis unter ethnischen Minderheiten und Muslimen zu erweitern, die sich manchmal über politische Ausgrenzung beklagen (BBC 18.11.2018).

Darüber hinaus ging die Regierung gegen Offizielle vor, die der Korruption und Rechtsverletzungen verdächtigt wurden. 60 Personen wurden verhaftet, darunter der ehemalige Leiter eines militärisch geführten Geschäftskonzerns und ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes, Getachew Assefa. Dieser wurde wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen verhaftet (BBC 18.11.2018; vgl. EI 12.12.2018). Assefa war ein führendes Mitglied des Tigray-Flügels der regierenden EPRDF. Vertreter der EPRDF - darunter die Führung der TPLF - haben erklärt, dass es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass Kriminelle vor Gericht gestellt werden sollten. Ältere Vertreter der TPLF fordern, dass derartige Verhaftungen nicht politisch motiviert und nur auf Tigray abzielen dürfen. Aktivisten von Tigray erachten die Verhaftungen allerdings als politisch motiviert - mit dem Ziel, die Tigray zu schwächen. Auf einen Protest in neun Großstädten in Tigray folgte am 8.12. und 9.12.2018 eine große Kundgebung in Mekele, bei der Zehntausende teilnahmen. Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Region Tigray haben sich verschärft (EI 12.12.2018). Es bleibt abzuwarten, ob diese Säuberungen den Staat nicht zu destabilisieren drohen. Zudem sind die Gewaltkonflikte in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle, und Abiy weigert sich, Gewalt anzuwenden. Sein Ruf nach Ruhe und Einheit bleibt jedoch ungehört. Die Zahl der IDPs ist gestiegen, und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (JA 23.12.2018).

Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stößt auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird - der EPRDF. Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Griff (SFH 5.12.2018).

Sicherheitslage

Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage derzeit wieder beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet (AA 4.1.2019). Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht (AA 17.10.2018). Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018).

Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 12.12.2018). Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen. Zum Beispiel haben Mitte September 2018 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräfte zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018). Ende September 2018, sollen bei Protesten in Addis Abeba, 58 Menschen getötet worden sein, staatliche Stellen berichteten von 23 Toten. Die meisten Todesopfer habe es gegeben, als jugendliche Banden der Volksgruppe der Oromo am 16.9.2018 andere Ethnien angriffen. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (BAMF 1.10.2018; vgl. BAMF 24.9.2018).

Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften in den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray haben sich fortgesetzt. Dort werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (FEWS 29.11.2018).

Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Kampf um Wasser und Weideland können in den Migrationsgebieten der nomadisierenden Viehbesitzer im Tiefland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, die oft erst durch den Einsatz der Sicherheitskräfte beendet werden (EDA 10.12.2018).

Somali Regional State (SRS / Ogaden) und Oromia

Für den SRS gilt laut österreichischem Außenministerium eine partielle Reisewarnung (BMEIA 6.12.2018). Das deutsche Außenministerium warnt vor Reisen südlich und östlich von Harar und Jijiga (AA 4.1.2019). Die Sicherheitslage ist in diesem Landesteil volatil. Lokale Gefechte zwischen der äthiopischen Armee und verschiedenen Rebellengruppen kommen vor. Zum Beispiel forderten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Armee und einer lokalen Miliz im August 2018 in Jijiga zahlreiche Todesopfer und Verletzte (AA 4.1.2019; vgl. EDA 6.12.2018, DW 8.8.2018). Es kam damals zu interkommunaler Gewalt zwischen ethnischen Somalis und in der Stadt lebenden Hochländern (UNOCHA 25.11.2018) und zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen, darunter auch Priester (AA 17.10.2018). Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie zwischen verfeindeten Ethnien können auch weiterhin vorkommen. Auch besteht das Risiko von Anschlägen. Zudem besteht Minengefahr und das Risiko von Entführungen (EDA 6.12.2018; vgl. BMEIA 6.12.2018).

Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren (AA 4.1.2019). Auch am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).

Im Süden Äthiopiens hatte es in jüngster Vergangenheit mehrfach blutige Zusammenstöße zwischen Angehörigen der Ethnien der Oromo und der Somali gegeben. Hintergrund ist der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018). Im Grenzgebiet der Oromo- und Somali-Regionen kommt es schon seit Anfang 2017 verstärkt zu gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen beider Volksgruppen. Betroffen sind vor allem die Gebiete Moyale, Guji, Bale, Borena, Hararghe und West Guji (AA 4.1.2019). Der Grenzkonflikt zwischen den Regionen Oromia und dem SRS hat sich verschärft (AA 17.10.2018).

Für die Region Oromia wurde ein hohes Sicherheitsrisiko ausgerufen. In den Regionen Oromia und Amhara kann es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei kommen. Zudem kommt es häufiger zu Entführungen an der somalisch-kenianischen Grenze, sowie grenzüberschreitender Stammesauseinandersetzungen (BMEIA 6.12.2018). In den Oromo-und Amhara-Regionen kommt es des Öfteren zu teils gewalttätigen Demonstrationen und Protestaktionen (AA 4.1.2019). Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten im SRS geflohen. Damit steigt die Gesamtzahl auf über 700.000, die in den letzten Jahren vor interkommunaler Gewalt geflohen sind, so die neueste Displacement Tracking Matrix für Äthiopien. Die meisten kamen aus der Region Oromia. Insgesamt wurden im SRS fast 1,1 Millionen Menschen vertrieben, wenn auch andere Ursachen wie Dürre und Überschwemmungen berücksichtigt werden (NRC 20.11.2018).

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings wird das in Verfassung verankerte Verbot in der Praxis unterlaufen (AA 17.10.2018). Der Premierminister hat eingestanden, dass Folter angewendet wird (HRW 19.10.2018). Es gibt glaubwürdige Berichte über die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung und extralegale Hinrichtungen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) während der Untersuchungshaft, durch Polizei, Militär und andere Mitglieder der Sicherheitskräfte, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht oppositioneller Tätigkeit oder der Mitgliedschaft in bewaffneten Oppositionsgruppen und ein vermuteter Zusammenhang mit Terrorismus bestehen (AA 17.10.2018). Mehrere Quellen berichteten von allgemeiner Misshandlung von Gefangenen in offiziellen Haftanstalten, in inoffiziellen Haftanstalten, Polizeistationen und Bundesgefängnissen (USDOS 20.4.2018).

Eine Untersuchung derartiger Verbrechen findet in der Regel nicht statt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Mechanismen zur Untersuchung von Missbräuchen durch die Bundespolizei sind nicht bekannt und die Regierung gibt die Untersuchungsergebnisse nur selten öffentlich bekannt. Sie bemüht sich aber, Menschenrechtsschulungen für Polizei- und Militärschüler anzubieten (USDOS 20.4.2018). Eine adäquate und konsistente Reaktion der Behörden auf z. B. in Gerichtsverfahren geäußerte Folter- und Misshandlungsvorwürfe ist nicht zu erkennen. Es wird zudem berichtet, dass sich in Einzelfällen die Sicherheitsorgane oder andere Behörden über Gerichtsurteile hinweggesetzt haben sollen (z. B. im Somali Regional State/SRS) (AA 17.10.2018).

Ermittler des Menschenrechtsrates berichten, dass Gefängnisbeamte Häftlinge schlagen und foltern (USDOS 20.4.2018). Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Allgemeine Menschenrechtslage

Menschenrechte und Freiheiten sind als unverletzbar und unveräußerlich in der äthiopischen Verfassung von 1995 genannt. Explizit werden Grundrechte wie Religionsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Verbot von unmenschlicher Behandlung und Recht auf Privatheit aufgeführt (AA 17.10.2018). Die Verfassung garantiert also die Menschenrechte, dies deckt sich jedoch nicht mit der Realität (AA 4.2018a).

Trotzdem ist die Menschenrechtssituation in Äthiopien unbefriedigend. Dies gilt vor allem für die Rechtsstaatlichkeit (Vorführung vor Gericht, Verfahrensdauer) und die Behinderung und Verfolgung von Journalisten. Es erfolgen Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne fristgerechte gerichtliche Überprüfung. Lange Gerichtsverfahren sind verbreitet. Hierfür ist auch eine überlastete Justiz verantwortlich (GIZ 9.2018a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: willkürliche Tötung, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Sicherheitskräfte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung durch Sicherheitskräfte; Verweigerung eines fairen öffentlichen Prozesses; Verletzung der Persönlichkeitsrechte;

Beschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen;

Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Regierung hat im Allgemeinen keine Schritte unternommen, um Beamte, die andere Menschenrechtsverletzungen als Korruption begangen haben, zu verfolgen oder anderweitig zu bestrafen. Straffreiheit ist ein Problem; es kommt nur zu einer begrenzten Anzahl von Anklagen von Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder von Beamten wegen Menschenrechtsverletzungen (USDOS 20.4.2018).

Legale Voraussetzungen zur Verbesserung der Menschenrechte sind erfolgt. Die Menschenrechtskommission des Parlaments ist ebenso wie das Amt des Ombudsmanns eingerichtet. Frauenrechte sind in der Verfassung verankert. Von einer Umsetzung dieser rechtlich festgeschriebenen Menschenrechte ist Äthiopien jedoch weit entfernt:

Weibliche Genitalverstümmelung und sehr frühe Verheiratung sind zwar offiziell verboten, jedoch weiterhin Realität für viele Mädchen und junge Frauen (GIZ 9.2018a).

Bei Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen in Addis Abeba im September 2018 wurden rund 1.200 Menschen verhaftet. Diese Verhaftungen erfolgten teils willkürlich, was die Fortschritte in Menschenrechtsfragen unter Premierminister Abiy Ahmed ernsthaft gefährden könnte (BAMF 1.10.2018).

Der im vergangenen Jahr mehrmals ausgerufene Ausnahmezustand schränkte die Meinungs- und Versammlungsfreiheiten weitestgehend ein und verlieh den Sicherheitskräften weitreichende neue Befugnisse:

u. a. Durchsuchungen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Unterbindung von Kommunikationswegen und von Versammlungen. Allerdings wurde der Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben (AA 17.10.2018).

Die Medienlandschaft Äthiopiens wird dominiert von staatlichen oder regierungsfreundlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Die staatlichen Medien werden von der Ethiopian Radio and Television Agency (ERTA) und der Ethiopian Press Agency betrieben. Es gibt private Radiosender, aber nur staatliche Fernsehsender (GIZ 9.2018a). Die Zukunft im Mediensektor ist seit dem Amtsantritt Abiys unklar. Es lassen sich erste Anzeichen einer liberaleren Politik und freieren Berichterstattung beobachten (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a). Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Regierung ihr Anti-Terrorismus-Gesetz dazu nutzt, die Meinungs- und Pressefreiheit auszuhebeln und Oppositionelle mundtot zu machen. Darüber hinaus gibt es Berichte über die politische Instrumentalisierung von Hilfsgütern seitens der Regierung und Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer zugunsten ausländischer Investoren (GIZ 9.2018a).

Internetzensur und -überwachung sind nach wie vor Thema, es ist seit dem Amtsantritt des Premiers Abiy Ahmed aber eine leichte Entspannung zu beobachten. Die Abschaltung des Internets im Zusammenhang mit lokalen gewaltsamen Auseinandersetzungen ist auch unter dem neuen Regierungschef gängige Praxis (GIZ 9.2018a). Im August 2018 wurde als Reaktion auf die Unruhen in der Region Somali das Internet zeitweise abgeschaltet. Im Anschluss wurde Mitte September 2018 im Stadtgebiet das mobile Internet für zwei Tage abgeschaltet (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a, DW 8.8.2018). Auch das Anti-Terror-Gesetz schränkt die Meinungsfreiheit im Internet ein. Hierfür wird auch der Telefon- und Internetverkehr überwacht. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche nicht satellitengestützte Kommunikation abgefangen werden kann (AA 17.10.2018). Die äthiopische Regierung nutzt ihr Monopol in der Telekommunikation und verschiedene modernste Technologien um nicht nur die Bespitzelung bekannter Oppositioneller oder Kritiker im eigenen Land voranzutreiben, sondern ebenso zur Überwachung der äthiopischen Normalbevölkerung und Äthiopiern im Ausland (GIZ 9.2018a).

Stärker als das Medien- und Informationsgesetz wirkt sich das Antiterrorgesetz ("Anti-Terror-Proklamation") auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Äthiopien aus, denn es umfasst nicht nur direkte und indirekte Unterstützung von Terrorismus als Tatbestand, sondern auch Berichterstattung über terroristische Gruppen oder Aktivitäten, die von der Öffentlichkeit als Anstiftung bzw. Propaganda aufgefasst werden könnten (AA 17.10.2018). Die Pressegesetzgebung ist restriktiv. Jahrelang hatte die Pressefreiheit in Äthiopien stetig abgenommen. Aus Angst vor Repressalien und Verhaftungen zensierten sich nicht wenige äthiopische Journalisten selbst, veröffentlichten nicht zu sensiblen Themen. Im Worldwide Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen belegt Äthiopien in 2018 Rang 150 von 180 untersuchten Ländern. Erste Maßnahmen des Premiers Abiy Ahmed lassen jedoch auf eine Verbesserung der Situation hoffen: Mehrere hundert bislang gesperrte - überwiegend regierungskritische - Internetseiten sind inzwischen freigegeben worden, mehrere namhafte Journalisten wurden aus Gefängnissen entlassen (GIZ 9.2018a).

Die von der Verfassung garantierte Vereinigungsfreiheit wird behindert. Unabhängige Tätigkeit von nicht partei- bzw. regimetreue Gewerkschaften werden auf unterschiedlichste Art und Weise schikaniert und untergraben (AA 17.10.2018).

Demonstrationen werden häufig gewaltsam beendet und Teilnehmer willkürlich verhaftet. Die Sicherheitskräfte setzten dabei teilweise auch scharfe Munition ein (AA 17.10.2018).

Es gibt Berichte aus der Region Somali über außergerichtliche Hinrichtungen inhaftierter Personen und über außergerichtliche Hinrichtungen von 34 Angehörigen der Wolkait in der Region Tigray. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird in der Praxis offenbar unterlaufen. Von verschiedenen Seiten wurden immer wieder Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizei und Militär erhoben. Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Das äthiopische Parlament hat am Montag, den 24.12.2018, ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet, deren Hauptaufgabe es sein wird, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren. Laut Angaben des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) sind derzeit in Äthiopien mindestens 2,4 Millionen Menschen wegen interkommunaler Gewalt vertrieben worden (JA 25.12.2018).

Trotz der überraschenden Massenfreilassung von Häftlingen ist davon auszugehen, dass weiterhin eine unbekannte Zahl von Menschen, zum großen Teil ohne Anklage, inhaftiert bleibt - Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren tausend Personen. Verifizieren lassen sich diese Zahlen nicht. Schwerpunktmäßig betroffen sind junge Männer, auch Schüler und Studenten in den Regionen Oromia und Amhara (AA 17.10.2018).

Das 2009 erlassene äthiopische NGO-Gesetz und die damit einhergehenden Verwaltungsvorschriften aus dem Jahr 2011 haben die Aktivitäten von NGOs, die aufgrund des niedrigen wirtschaftlichen Entwicklungsstands Äthiopiens auf ausländische Finanzierung angewiesen sind, fast zum Erliegen gebracht (AA 17.10.2018). Angesichts Antiregierungsproteste im Laufe des Jahres 2016, hatte die äthiopische Regierung die Überwachung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen intensiviert und deren Arbeit z.T. erheblich erschwert. Neben Verhaftungswellen im Rahmen des Ausnahmezustandes, gab es auch Gesetzesverschärfungen (z.B. ein neues Gesetz zu Internetkriminalität) (GIZ 9.2018a). Ein Prozess zur Überarbeitung des NGO-Gesetzes wurde eingeleitet (AA 17.10.2018). Unter Premierminister Dr. Abiy Ahmed scheint sich die Lage für zivilgesellschaftliche Organisationen zu verbessern. Im Rahmen seiner dialog- und versöhnungsorientierten Politik hat er auch NGOs zu Gesprächen und Beteiligung an Reformprozessen eingeladen (GIZ 9.2018a).

Opposition

Mit der Amtseinführung von Abiy Ahmed Ali als Premierminister wuchsen zunächst die Hoffnungen auf eine nationale Aussöhnung zwischen den ethnischen Gruppen. Abiy, selbst ethnischer Oromo, erteilte im Rahmen seiner Dialog- und Aussöhnungsstrategie einer OLF-zugehörigen Oppositionsgruppe Amnestie (GIZ 9.2018a). Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) und die Oromo Liberation Front (OLF) wurden entkriminalisiert (AA 17.10.2018). In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen (AA 17.10.2018; vgl. AA 4.2018a). Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 größtenteils offensichtlich aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen worden, darunter der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba sowie andere, teilweise seit mehreren Jahren inhaftierte Regierungskritiker, die v.a. auf Grundlage der drakonischen Anti-Terror-Gesetzgebung verurteilt worden waren. Premierminister Abiy hat diese Politik fortgesetzt: Am 26.5.2018 ist der britische Staatsbürger Andargachew Tsige, Führungsmitglied der von Äthiopien als Terrorgruppe angesehenen Organisation "Ginbot 7", überraschend begnadigt worden. Am 30.5.2018 hat er sich, direkt nach seiner Freilassung, öffentlichkeitswirksam mit Premierminister Abiy getroffen. Gleichzeitig sind die bestehenden Anklagen gegen Ginbot 7-Chef Berhanu Nega sowie gegen den Leiter des aus Minnesota operierenden Oromia Media Network (OMN), Jawar Mohamed, fallengelassen worden. Alle drei Personen galten bislang als prominente Staatsfeinde. Schon eine öffentliche Sympathiebekundung für einen von ihnen hätte bis zum Amtsantritt von Abiy zu einer sofortigen Verhaftung geführt (AA 17.10.2018).

Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF ein Versöhnungsabkommen. Die ONLF, die für eine Autonomie des in der Region Somali gelegenen Ogaden kämpft, verkündete am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018).

Die Führung OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Mehr als 20 Jahre hatte die OLF im Untergrund gewirkt und regelmäßig Anschläge begangen. Sie war deshalb auch als terroristische Vereinigung verboten. Am 15.9.2018 haben Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Addis Abeba, die Rückkehr früherer Oromo-Rebellen aus dem Exil gefeiert. Neben Oromo-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurden, soll es vereinzelt zu Ausschreitungen zwischen der größten Volksgruppe in Äthiopien, den Oromo und Minderheiten gekommen sein (BAMF 17.9.2018; vgl. BAMF 1.10.2018); rund 1.200 Personen wurden verhaftet (BAMF 1.10.2018)

Die Neuaufteilung von ministeriellen Ressorts und die Neubesetzung seines Kabinetts, sowie seine Bereitschaft zum Dialog mit der Opposition, können als Zeichen politischer Veränderung gedeutet werden. Inwieweit Abiy Ahmed und die gesamte Regierung den massiven Herausforderungen tatsächlich gewachsen sind, bleibt aber abzuwarten. Nicht zu unterschätzen sind jedoch die Kräfte, die weiterhin gegen nationale Einigung und die Regierung arbeiten (GIZ 9.2018a).

Darüber hinaus, wurde es am 22.11.2018 ein starkes politisches Symbol an die Opposition übermittelt. Premierminister Abiy Ahmed kündigte die Ernennung von Birtukan Mideksa, zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission [National Electoral Board of Ethiopia (NEBE)] an. Birtukan Mideksa kehrte Anfang November 2018 aus sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurück (JA 22.11.2018).

Ethnische Minderheiten

Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit einer großen Zahl von Ethnien und Sprachen. Die Anzahl ethnischer Gruppen wird mit mindestens 80, in einigen Quellen mit bis zu 120, angegeben. Die Sprachenvielfalt ist ebenso ausgeprägt. Diese sind entweder sehr klein, mit nur einigen tausend Menschen (z.B. Mursi) oder mit über 25 Millionen (z.B. Oromo) sehr groß (GIZ 9.2018c). Laut Volkszählung von 2007 sind Oromo mit 34,5% und Amharen mit 29,6% die zwei größten ethnischen Gruppen, gefolgt von Somali mit 6,2% und Tigray mit 6,1%. Die übrigen Ethnien machen zusammen gut 23% der Bevölkerung aus (GIZ 9.2018c; vgl. AA 4.2018, CIA 4.12.2018).

Auch wenn keine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis feststellbar ist, gibt es jedoch nicht verifizierbare Berichte, dass kleinere indigene Gruppen in der Praxis diskriminiert werden (AA 17.10.2018).

Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Ethnien werden teils gewaltsam ausgetragen, und weder die Zentralregierung noch lokale Behörden sind in allen Regionen in der Lage, Menschenrechte und demokratische Rechte permanent zu gewährleisten. Es kam z.B. bereits mehrfach zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen umgesiedelten Äthiopiern aus dem Hochland und der einheimischen Bevölkerung in Gambella (AA 17.10.2018). Im Sommer 2018 ist die Bilanz bezüglich ethnischer Versöhnung auch in anderen Teilen des Landes ernüchternd:

An der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia kommt es immer wieder zu Gewaltexzessen, auch an der Grenze zwischen Oromia und der Southern Nations', Nationalities' and Peoples' Region (SNNPR) gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen (GIZ 9.2018a).

Grundversorgung

Äthiopien ist bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927,4 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt (AA 3.2018; vgl. GIZ 9.2018), auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag. Ein signifikanter Teil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze, das rasche Bevölkerungswachstum trägt zum Verharren in Armut bei (AA 3.2018). Äthiopien ist strukturell von Nahrungsmittelknappheit betroffen, ebenso wie von häufigen Überschwemmungen (GIZ 9.2018; vgl. RI 14.11.2018) und die Regierung steht noch vor enormen humanitären Herausforderungen. Das Land leidet immer noch unter den Auswirkungen der Dürre 2015-16, welche durch unterdurchschnittliche Niederschläge im Jahr 2017 verstärkt wurden. Hunderttausende waren zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen - vor allem im Süden und Südosten des Landes. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe (RI 14.11.2018).

Viele Menschen können nicht lesen oder schreiben, sind nicht in die moderne Ökonomie eingebunden und haben nur unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung (GIZ 9.2018).

Staatliche soziale Sicherungssysteme sind auf die Agenda der Regierung getreten: Mit der Arbeit an einer National Social Protection Policy hat die Arbeit an Themen wie Kindergeld, Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten begonnen (GIZ 9.2018c).

Äthiopien ist traditionell ein Land der Landwirtschaft und Viehzucht, wandelt sich durch massive Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten aber immer mehr zu einem Land mit aufstrebenden Dienstleistungs- und Industriesektoren. Die weitreichenden Reformen unter Premierminister Abiy Ahmed beinhalten auch Pläne, staatliche Unternehmen wie Ethiopian Airlines, den bisher einzigen Telekommunikationsanbieter Ethio Telecom sowie weitere staatliche Unternehmen teilweise oder vollständig zu privatisieren. Im Index of Economic Freedom von 2017 steht Äthiopien an Stelle 142 von 169 in der Welt. Beim Ibrahim Index of African Governance, der sich u.a. mit nachhaltigen Wirtschaftschancen befasst, liegt Äthiopien aktuell auf Platz 36 von 54. Die äthiopische Wirtschaftslage entwickelt sich insgesamt gut. Im Jahr 2016 war ein Wirtschaftswachstum von etwa 8-10% (je nach Quelle) zu verzeichnen. Die Wirtschaft des Landes zählt damit zu den am schnellsten wachsenden der Welt (GIZ 9.2018b).

Die meisten Menschen in Äthiopien (ca. 80%) leben auf dem Land als sesshafte Bauern, Viehhirten oder (Halb-) Nomaden. Neben der Millionenstadt Addis Abeba gibt es 16 Großstädte mit mehr als 120.000 Einwohnern. Das Bevölkerungswachstum in den Städten ist mit fast 5% deutlich höher als das ländliche. Dieses Wachstum geht einher mit der Überforderung von Stadtverwaltungen, dem schlechten Umgang mit den kommunalen Finanzen sowie einer schwachen städtischen Infrastruktur. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (GIZ 9.2018).

Der wichtigste Erwerbszweig bleibt die Landwirtschaft mit 81% der Erwerbstätigen, die 2016 rund 40% des Bruttoinlandsprodukts erzeugten (GIZ 9.2018). Die saisonalen Niederschläge von Oktober bis Dezember 2018 waren unterdurchschnittlich und unregelmäßig, es ist zu langen Trockenperioden gekommen. Die Entwicklung nicht-saisonaler Niederschläge, insbesondere in Teilen von Tigray, Amhara, SNNPR sowie im westlichen und zentralen Oromia, hat die Ernte- und Lageraktivitäten behindert und die Ernteerträge in den betroffenen Gebieten beeinträchtigt (FEWS 31.12.2018). Von der Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktion hängt die Sicherheit der Lebensmittelversorgung ab. Viele Kleinbauern können sich und ihre Familien mit ihrer Ernte nicht ganzjährig ernähren. Jährlich erhalten daher rund 3 Millionen Äthiopier Nahrungsmittelhilfe zur Überbrückung ihrer Engpässe, weitere ca. 8 Millionen werden über das staatliche Productive Saftey Net Programme (PSNP, Landwirtschafts- und Sozialprogramm) 6 Monate im Jahr durch Cash-for-Work oder auch direkte Nahrungsmittelhilfe unterstützt (GIZ 9.2018). Zudem besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe mit einem Volumen von 948 Mio. USD. Darüber hinaus sind 7,9 Mio. Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen. Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o. ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht (AA 17.10.2018).

Teile der Regionalstaaten Somali, Oromia und Harar befinden sich in IPC-Phase 3 (IPC = Integrated Phase Classification der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln; Stufe 1 - Minimal, Stufe

2 - Stressed, Stufe 3 Crisis, Stufe 4 - Emergency, Stufe 5 -

Hungersnot). Daran wird sich auch im ersten Halbjahr 2019 nichts ändern (FEWS 31.12.2018).

Rückkehr

Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt - soweit bekannt - ohne Konsequenzen. U.a. sind Fälle von Zwangsrückführungen aus Norwegen, Dänemark und den Niederlanden bekannt. Es sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen ausgesetzt waren oder diese gar festgenommen oder misshandelt worden wären. Im direkten persönlichen Umfeld wird eine Rückkehr jedoch häufig als Scheitern gewertet. Daher suchen einige der zwangsweise nach Äthiopien zurückgeführten Personen erneut den Weg nach Europa. Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Für schutzbedürftige Rückkehrer, insbesondere für unbegleitete Minderjährige, gibt es Erstaufnahmeeinrichtungen, die von IOM betrieben werden (AA 17.10.2018). Die Regierung arbeitet mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um die Bereitstellung von Schutz und Hilfe für IDPs, Flüchtlinge, rückkehrende Flüchtlinge, Asylbewerber, Staatenlose und andere betroffene Personen zu gewährleisten (USDOS 20.4.2018).

Dokumente

Sogenannte "Gefälligkeitsbescheinigungen" sind relativ leicht erhältlich. Gegen Zahlungen können auch Zeugen für Aussagen vor Gericht oder Behörden gekauft werden. Es kommt häufig vor, dass äthiopische Beamte - auf Bitte - Urkunden ausstellen, die gesetzlichen Bestimmungen widersprechen. Weit verbreitet sind auch falsche Bescheinigungen z.B. von privaten Arbeitgebern (z.B. über Arbeitsverhältnisse, Einkommen etc.) (AA 17.10.2018).

Komplettfälschungen von Ausweisdokumenten oder Urkunden sind in Äthiopien wegen ihrer schlechten Qualität meist als solche erkennbar. Weitaus schwerer aufzudecken, aber weit stärker verbreitet sind echte Dokumente mit falschem Inhalt - v.a. Personenstandsurkunden (Geburts- und Heiratsurkunden) und Pässe - die auf der Grundlage von unrichtigen Dokumenten und/oder von Zeugenaussagen ausgestellt wurden. Geburtsurkunden werden erst seit einigen Jahren und nicht in allen Fällen auf der Grundlage von Geburtsbescheinigungen von Krankenhäusern ausgestellt (AA 17.10.2018)."

ACCORD-Anfragebeantwortung zu Äthiopien vom 07.02.2019:

Informationen zur aktuellen Lage von Mitgliedern der Partei Semayawi (auch: Blue Party, Blaue Partei); Aktivitäten der Partei in Addis Abeba (Demonstrationen):

"Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erwähnt im Jänner 2019, dass sich nach Jahren weitverbreiteter Proteste gegen die Regierungspolitik und Repressionen seitens der Sicherheitskräfte, die Menschenrechtslage im Jahr 2018, nach Antritt Abiy Ahmeds als Premierminister, verändert habe. Die Regierung habe den Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben und tausende politische Häftlinge aus der Haft entlassen, darunter JournalistInnen und wichtige OppositionsführerInnen wie Eskinder Nega [Journalist, Anm. ACCORD] und Merera Gudina [Anführer des Oromo People's Congress (OPC), Anm. ACCORD]. Die Regierung habe Beschränkungen des Internetzugangs aufgehoben und zugegeben, dass die Sicherheitskräfte Folter angewendet hätten. Zudem habe sich die Regierung zur Reform repressiver Gesetze bekannt und habe zahlreiche weitere Reformen vorgestellt, die den Weg für eine bessere Achtung der Menschenrechte ebnen würden.

Das Parlament habe im Juni das Verbot von drei oppositionellen Gruppen - Ginbot 7, Oromo Liberation Front (OLF) und Ogaden National Liberation Front (ONLF) - aufgehoben. Die Regierung habe dieses Verbot zuvor als Vorwand für eine brutale Niederschlagung gegenüber Oppositionsmitgliedern, AktivistInnen und JournalistInnen, die verdächtigt worden seien, Verbindungen zu diesen Gruppen zu unterhalten, verwendet. Viele Mitglieder dieser und anderer Gruppen würden nun aus dem Exil zurückkehren.

Laut HRW gebe es Hinweise, dass der Reformprozess letztendlich durch ein Fehlen unabhängiger Institutionen gehindert werden könnte, die die Veränderungen voranbringen sollen.

Die Regierung habe laut HRW keine Schritte ergriffen, um Ermittlungen zur Tötung von über 1.000 DemonstrantInnen durch Sicherheitskräfte während Protesten im Jahr 2015 und 2016 in Oromia und weiteren Regionen einzuleiten. Obwohl der Rechts- und Justizreformrat unter dem Büro des Generalstaatsanwaltes verkündet habe, dass die gerichtliche Unabhängigkeit ein wichtiger Teil der Reform sei, sei sich Human Rights Watch keiner konkreten Schritte bewusst, die entweder auf Bundes- oder regionaler Ebene ergriffen worden seien. Gerichte hätten weiterhin politische Entscheidungen der Exekutive umgesetzt.

Bloomberg, eine US-amerikanische Zeitschrift mit Fokus auf Wirtschaftsthemen, berichtet im März 2018, dass die Polizei 12 oppositionelle AktivistInnen verhaftet habe, darunter zuvor freigelassenen Häftlinge, nachdem diese eine Flagge präsentiert hätten, die von der offiziellen Nationalfahne abweiche. Unter den Verhafteten hätten sich vier Mitglieder der oppositionellen Blauen Partei befunden. Die Verhaftungen seien laut Angaben des Vorsitzenden der Blauen Partei, Yeshawas Assefa, in einem Privathaus in Lebu, am Rande der Hauptstadt Addis Abeba erfolgt. Zuvor hätten sich etwa 70 AktivistInnen zu einem von der Blauen Partei veranstalteten Mittagessen in der Stadt getroffen, um die kürzlich erfolgte Freilassung von Häftlingen zu feiern.

Die Unrepresented Nations & Peoples Organization (UNPO), eine Dachorganisation von NGOs, die sich für die Rechte von Indigenen und Mitgliedern von Minderheiten einsetzt, berichtet im März 2018, dass Yonatan Tesfaye, ein Funktionär der oppositionellen Partei Semayawi, am 5. März 2018 aus der Haft entlassen worden sei. Er sei 2015 verhaftet und 2017 verurteilt worden, nachdem er des Terrorismus und der Anfachung großer Oromo-Proteste beschuldigt worden sei.

Die Anadolu Agency, die staatliche Nachrichtenagentur in der Türkei, berichtet im November 2018, dass Yeshewas Assefa, der Vorsitzende der oppositionellen Partei Semayawi angegeben habe, dass Premierminister Abiy Ahmed tausende politische Gefangene freigelassen habe, die Rückkehr vieler bewaffneter oppositioneller Gruppen aus dem Exil erlaubt habe und das Verbot hunderter Websites und Dutzender Radio- und TV-Stationen aufgehoben habe. Zudem habe Assefa angegeben, dass Versöhnung, Toleranz, Respekt für die Menschenrechte, Demokratisierung und die Einheit Äthiopiens, die Kernelemente der Reformagenda Ahmeds seien. Deshalb würde die gesamte Opposition trotz ideologischer Unterschiede die Reform unterstützen.

Ezega News, ein äthiopisches Nachrichtenportal mit Sitz in Addis Abeba und San Francisco, berichtet im Februar 2019, dass sich die AnführerInnen äthiopischer Parteien getroffen hätten, um Ideen zur Zukunft Äthiopiens auszutauschen. Während des Treffens habe Premierminister Abiy Ahmed gesagt, die AnführerInnen müssten direkt von den Menschen gewählt werden. Zahlreiche Parteien seien bei dem Treffen zugegen gewesen, darunter die regierende Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (Ethiopian Peoples' Revolutionary Democratic Front, EPRDF), Ginbot 7, Partei Semayawi, sowie regionale Parteien aus Oromia, Tigray und anderen Gebieten. Gegenwärtig gebe es einen starken Drang zur Bildung größerer, landesweiter oder bürgernaher politischer Parteien. Kürzlich seien vier landesweit vertretene politische Parteien übereingekommen, sich zu vereinigen und eine gemeinsame bürgernahe Partei zu bilden. Die Semayawi Party (Blue Party), Ethiopian Democratic Party (EDP), Patriotic Ginbot 7 und Unity Party (UP) hätten die Bildung der neuen Partei ein Monat zuvor bekannt gegeben. Bislang seien keine Details zum Namen oder zur Führungsspitze der Partei bekannt gegeben worden.

Das kanadische Immigration and Refugee Board (IRB) zitiert in einer Anfragebeantwortung vom Dezember 2018 einen Rechercheur von Human Rights Watch, der gegenüber dem IRB angegeben habe, dass Mitglieder der Blauen Partei oder des OFC "nicht viel schikaniert würden". Obwohl die neue Regierung mit einer Reform der Strukturen der Sicherheits- und Nachrichtendienste auf höheren Ebenen begonnen habe, seien auf lokaler Ebene in einigen Teilen weiterhin dieselben "missbrauchenden" Personen in ihren Ämtern. Deshalb sei es möglich, dass Einschüchterung und Schikanen gegenüber örtlichen Mitgliedern weiterhin vorkommen würden.

Im November 2018 berichtet die Nachrichtenagentur Associated Press (AP), dass 63 Beamte des Nachrichtendienstes, Militärangehörige und Geschäftsleute unter dem Vorwurf der Rechtsverletzungen und Korruption festgenommen worden seien. Die im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Verhaftungen seien als Ergebnis der Anordnung des Premierministers, zu Vergehen der ehemaligen Regierung zu ermitteln, erfolgt."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welche den Parteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgehalten und denen im Zuge dessen nicht entgegengetreten wurde, stützen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.01.2019 sowie der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Äthiopien vom 07.02.2019:

Informationen zur aktuellen Lage von Mitgliedern der Partei Semayawi (auch: Blue Party, Blaue Partei); Aktivitäten der Partei in Addis Abeba (Demonstra

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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