TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/6 W237 2222683-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2222683-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2019, Zl. 445665002/190560113, nach Beschwerdevorentscheidung vom 02.08.2019 und Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.08.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 1 Z 1 FPG und § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG, § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG sowie § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevor-entscheidung vom 02.08.2019 bestätigt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete gegenüber dem illegal im Bundesgebiet aufhältigen Beschwerdeführer ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot ein. Mit Schriftsatz vom 03.06.2019 verständigte es den in Strafhaft befindlichen Beschwerdeführer vom bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme dahingehend, dass er Staatsangehöriger der Russischen Föderation sei und derzeit in der Justizanstalt Krems eine Strafhaft verbüße. Er habe am 08.01.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der am 13.06.2012 rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Im Strafregister schienen sechs näher angeführte strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers auf. In dem Schreiben wurden dem Beschwerdeführer abschließend 17 nähere Fragen zu seinen persönlichen Umständen im Bundesgebiet, seinem Familienstand und seiner Ausbildung, seinen Deutschkenntnissen sowie seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat gestellt.

2. Der Beschwerdeführer beantwortete daraufhin mit handschriftlich abgefasstem Schreiben vom 21.06.2019 die ihm gestellten Fragen stichwortartig.

3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 10.07.2019 einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.); unter einem erließ das Bundesamt gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.).

Diese Entscheidung begründete das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer weder beruflich noch sozial integriert sei, im Bundesgebiet kaum ordentliche Hauptwohnsitzmeldungen aufweise, mehrfach "schwarz" gearbeitet und mehrere Straftaten begangen habe. Aufgrund der Häufigkeit und Schwere seiner Straftaten sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, wobei in Gesamtbeurteilung der fallrelevanten Umstände die Verhängung eines auf die Dauer von sieben Jahren befristeten Einreiseverbots notwendig sei. Da die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers geboten sei, könne einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung keine aufschiebende Wirkung zukommen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer über seinen zu seiner Vertretung im weiteren Verfahren bevollmächtigten Rechtsberater am 30.07.2019 Beschwerde. Dabei machte er geltend, dass die belangte Behörde auf die persönlichen Umstände im Rahmen ihrer Abwägungen in keiner Weise eingegangen sei. So sei unberücksichtigt geblieben, dass der Beschwerdeführer drogenabhängig sei und seine Straftaten im Rahmen von Beschaffungskriminalität verübt habe. Er leide zudem an Hepatitis C und habe keinen Bezug mehr zu seinem Herkunftsstaat, zumal er bereits seit 13 Jahren im Bundesgebiet lebe. Sowohl die Rückkehrentscheidung als auch das Einreiseverbot in der Dauer von sieben Jahren seien unverhältnismäßig. Ebenso habe es die belangte Behörde zu begründen verabsäumt, warum die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers notwendig sei. Der Beschwerdeführer beantragte eine mündliche Verhandlung und seine Befragung in deutscher Sprache.

5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 02.08.2019 gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids statt und verkürzte "das Einreiseverbot auf eine Dauer von 6 Jahren"; unter einem wurde der Spruch des angefochtenen Bescheids entsprechend angepasst. Die Verkürzung des Einreiseverbots begründete das Bundesamt im Wesentlichen formelhaft unter wörtlicher Zitierung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts; aufgrund der Delinquenz des Beschwerdeführers könne die Dauer des Einreiseverbots lediglich um ein Jahr verkürzt werden.

6. Der Beschwerdeführer erhob daraufhin am 20.08.2019 einen Vorlageantrag, in dem er monierte, dass die Hintergründe seiner Straftaten von der Behörde nicht thematisiert worden seien. In der Beschwerde seien zahlreiche Mängel des Verfahrens aufgezeigt worden, die in der Beschwerdevorentscheidung ignoriert würden. Insofern werde weiterhin eine mündliche Beschwerdeverhandlung beantragt.

7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte dem Bundesverwaltungsgericht die den Beschwerdeführer betreffenden Verwaltungsakten samt gegenständlicher Beschwerde, der Beschwerdevorentscheidung sowie dem Vorlageantrag am 22.08.2019 vor.

7.1. Mit Schreiben vom 23.08.2019 lud das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer und die belangte Behörde zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 30.08.2019. Dem Beschwerdeführer wurde dabei das Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation vom 31.08.2018 der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl mitübermittelt.

7.2. Das Bundesveraltungsgericht führte am 30.08.2019 mit dem aus der Strafhaft vorgeführten Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter eine mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde er zu den seinen einzelnen Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten näher befragt.

Der Beschwerdeführer gab weiters an, unter Hepatitis C zu leiden, wobei keine unmittelbare ärztliche Behandlung erforderlich sei. Im Jahr 2009 habe er begonnen, Drogen zu konsumieren, v.a. Kokain und Heroin. 2016 habe er eine Ersatzdrogentherapie aufgenommen, im Rahmen derer er Substitol eingenommen habe. Dies sei bis März 2019 der Fall gewesen. Während seiner derzeitigen Strafhaft habe er in den Justizanstalten Josefstadt und Krems Methadon erhalten. Drei Wochen vor der Verhandlung habe der Beschwerdeführer beschlossen, die Drogenersatzstoffe absetzen zu wollen, und sei zum Amtsarzt der Justizanstalt Krems gegangen. Dieser habe ihm Codein-Tabletten verschrieben, die der Beschwerdeführer von sich aus vor zwei Tagen abgesetzt habe; seither habe er keine Medikamente mehr zu sich genommen. Auf sein strafrechtliches Fehlverhalten im Bundesgebiet befragt meinte der Beschwerdeführer, dass er dies bereue und es nur auf seinen Drogenkonsum zurückzuführen sei.

Von außerhalb Russlands lebenden Verwandten wisse der Beschwerdeführer nichts, lediglich in Sotchi lebe eine Tante mütterlicherseits. Er sei ein Einzelkind und habe mit seiner zuletzt in Moskau lebenden Mutter seit seiner Ausreise aus Russland keinen Kontakt. Sein Vater habe die Familie bereits 2002 verlassen.

In Österreich habe er unterschiedliche Arbeiten verrichtet, er sei dafür aber nie angemeldet gewesen. Zunächst habe er relativ bald nach seiner Einreise nach Österreich illegal auf Baustellen gearbeitet. Er sei dann bei einer Tischlerei tätig gewesen und habe zuletzt im Jahr 2014 oder 2015 bei einem Schuhmacher geholfen. In Russland hebe er nie gearbeitet. In Österreich habe er weder Ausbildungen absolviert noch ehrenamtlich gearbeitet; er sei auch nie Mitglied in einem Verein gewesen. Er habe hier allerdings viele Bekannte und Freunde, während er in Russland niemanden kenne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang wird zum Inhalt der Feststellungen erhoben.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gelangte im Herbst 2007 ins Bundesgebiet und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11.06.2012 - unter gleichzeitiger Erlassung einer asylrechtlichen Ausweisung - rechtskräftig abgewiesen wurde. Er verblieb danach bis zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung im Bundesgebiet.

1.2.2. Im Jahr 2009 begann der Beschwerdeführer mit dem Konsum von Drogen, v.a. Heroin und Kokain. Im Herbst 2016 startete er eine Ersatzdrogentherapie, im Rahmen derer er regelmäßig Substitol einnahm. Während seiner derzeitigen Strafhaft erhielt er Methadon. Im August 2019 beschloss der Beschwerdeführer, die Drogenersatzstoffe abzusetzen. Auf Verschreibung des Amtsarztes seiner Haftanstalt nahm er in den vergangenen Wochen Codein-Tabletten, die er vor einer Woche von sich aus absetzte. Der Beschwerdeführer leidet unter Hepatitis C, zeigt derzeit aber keine unmittelbar behandlungsbedürftigen Symptome.

1.2.3. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich sechs Mal strafgerichtlich verurteilt; mit Ausnahme der letzten Verurteilung erfolgten die den Verurteilungen jeweils zugrundeliegenden Straftaten im Rahmen seiner drogeninduzierten Beschaffungskriminalität:

Mit Urteil des XXXX vom XXXX 2009 wurde der Beschwerdeführer gemäß §§ 127, 129 Abs. 2 und 130 erster Fall StGB wegen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten verurteilt, welche unter Setzung einer Probezeit im Ausmaß von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Das XXXX verurteilte den Beschwerdeführer am XXXX 2010 wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls und versuchter Nötigung gemäß § 15 iVm §§ 127 und 130 erster Fall StGB sowie § 15 iVm § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von zehn Monaten, wobei die im Urteil vom XXXX 2009 verhängte Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde. Er wurde am XXXX aus der Strafhaft unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.

Weiters wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des XXXX vom XXXX 2012 wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt durch Gewalt gegen einen Beamten gemäß § 15 iVm § 269 Abs. 1 dritter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von acht Monaten verurteilt; die Probezeit bezüglich der bedingten Haftentlassung vom XXXX wurde auf fünf Jahre verlängert.

Am XXXX 2012 verurteilte das XXXX den Beschwerdeführer wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß § 15 iVm §§ 127 und 130 erster Fall StGB zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe. Aus dieser wurde er am XXXX unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.

Neuerlich wurde der Beschwerdeführer am XXXX durch das XXXX wegen Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, Nötigung, Sachbeschädigung und versuchten Diebstahls gemäß § 241a Abs. 3, § 105 Abs. 1, § 125 sowie §§ 15 iVm 127 StGB zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Schließlich beging der Beschwerdeführer am XXXX 2018 durch die Entwendung von Pfandflaschen aus einem Lagerbereich erneut einen Einbruchsdiebstahl und wurde deshalb vom XXXX gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Hinsichtlich dieser Straftaten zeigt sich der Beschwerdeführer schuldeinsichtig und reuig.

1.2.4. Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer übte mehrfach unangemeldet Hilfsarbeiten im Bundesgebiet aus: Er arbeitete bald nach seiner Einreise nach Österreich auf Baustellen, war in einer Tischlerei beschäftigt und arbeitete zuletzt ungefähr drei Jahre bei einem Schuhmacher. Der Beschwerdeführer bezeichnet sich selbst als arbeitsfähig und würde nach seiner Strafhaft seine Tischlerfähigkeiten gerne im Rahmen einer angemeldeten Erwerbstätigkeit einsetzen. In Österreich hat er Bekannte und Freunde; er beherrscht die deutsche Sprache auf alltagstauglichem und umgangssprachlichem Niveau und kann auch komplexeren Beschreibungen und Ausführungen folgen. Seit dem Jahr 2008 war der Beschwerdeführer zumeist obdachlos oder in Polizeianhaltezentren und Justizanstalten gemeldet; nur für ein paar Monate in den Jahren 2008 und 2016 weist er andere Hauptwohnsitzmeldungen auf.

1.2.5. In der Russischen Föderation besuchte der Beschwerdeführer acht Jahre die Schule, wohnte zuletzt in Moskau und arbeitete dort auf Baustellen. Seine Eltern leben nach wie vor in der Russischen Föderation, seine Tante mütterlicherseits wohnt in Sotchi.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-

CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-

OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-

Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-

Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-

Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-

BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf, Zugriff 30.8.2018

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 22.8.2018

-

US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 22.8.2018

Meldewesen

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanentem und temporärem Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12.2011, vgl. US DOS 20.4.2018).

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

Quellen:

-

ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf, Zugriff 30.8.2018

-

BAA Staatendokumentation (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien

-

DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf, Zugriff 29.8.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf, Zugriff 30.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

-

US DOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices for 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/337201/479965_de.html, Zugriff 22.8.2017

Grundversorgung

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017).

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beid

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten