TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/6 W221 2191710-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2019
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Entscheidungsdatum

06.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W221 2216550-1/8E

W221 2191710-2/10E

W221 2191718-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX (alias XXXX ), geboren am XXXX , und XXXX , geboren am XXXX , alle StA. Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 19.02.2019, Zlen. 1.) 120422407-180785762, 2.) 1203422407-180785762 und 3.) 1152277000-170567717 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.07.2019 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sowie XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Zweitbeschwerdeführerin statt. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete die Zweitbeschwerdeführerin, dass sie in Somalia angeschossen worden sei. Sie habe mit unterschiedlichen Volksgruppen immer wieder Probleme gehabt. Auch gehöre sie einer ethnischen Minderheit an, weshalb sie um ihr Leben fürchte.

Am XXXX wurde der Drittbeschwerdeführer im Bundesgebiet geboren und stellte die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin für diesen am 04.05.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Nachweis seiner Identität wurde die österreichische Geburtsurkunde vorgelegt.

Am 07.12.2017 wurde die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei erklärte sie zunächst, dass ihre bisher getätigten niederschriftlichen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Sie gehöre dem Clan der Madhibaan, Subclan Shiil, Subsubclan Reer Farah an und stamme aus der Stadt Luuq. Sie sei in Somalia verheiratet gewesen und habe dort zwei Kinder. Mehrere Geschwister und ihr Vater würden noch in Somalia leben. Ihre Mutter sei bereits verstorben. Die Plantage ihrer Familie sei Anfang 2013 von vier Männern aus dem Clan der Marehaan besetzt worden, woraufhin ihre Familie diese angezeigt habe. Auf dem Polizeistützpunkt sei ihre Familie jedoch beschimpft worden und die Polizei habe nichts unternommen. Eines Abends im November desselben Jahres hätten die Männer die Familie der Zweitbeschwerdeführerin abermals überfallen und auf sie geschossen. Dabei sei sie selbst am Knie und ein Bruder im Bauch getroffen worden. Sie und ihr Bruder seien in eine Apotheke gebracht worden, wo sie notdürftig verarztet worden seien. Später seien sie und ihr Bruder dann in einem Krankenhaus operiert worden. Ihr Bruder verstarb jedoch in Folge der erlittenen Verletzungen. Nach ihrer Entlassung habe die Zweitbeschwerdeführerin Somalia aus Angst, abermals von den Marehaan angegriffen zu werden, verlassen. Ein weiterer Bruder sei bei einem Bombenanschlag auf einen Markt in XXXX 2016 getötet worden. Weiters habe die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich einen Angehörigen der Madhibaan traditionell geheiratet, deren gemeinsamer Sohn der Drittbeschwerdeführer sei.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2018 wurden die Anträge der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Zweit- und Drittbeschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen festgelegt (Spruchpunkt III.).

Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.05.2018 wurden die Bescheide vom 28.02.2018 aufgehoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Knieverletzung der Zweitbeschwerdeführerin ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Am XXXX wurde die Erstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren und stellte die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin für diese am 20.08.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Nachweis ihrer Identität wurde die österreichische Geburtsurkunde vorgelegt.

Am 03.12.2018 wurde die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache zu einem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Auftrag gegebenen medizinisches Befundbericht vom 08.11.2018 niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführern wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen festgelegt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin nicht glaubhaft sei und der Erstbeschwerdeführerin keine Beschneidung drohe.

Gegen die oben genannten Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 20.03.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen auf die Fluchtgründe der Zweitbeschwerdeführerin eingegangen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 27.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 31.07.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein des Vertreters der Beschwerdeführer, des Lebensgefährten der Zweitbeschwerdeführerin bzw. dem Vater der minderjährigen Beschwerdeführer als Zeugen sowie einer Vertreterin der belangten Behörde eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher die Beschwerdeführer insbesondere zur Frage der drohenden Genitalverstümmelung der Erstbeschwerdeführerin ausführlich befragt wurden. Den Beschwerdeführern wurde aufgetragen, eine ärztliche Bestätigung vorzulegen. Die Vertreterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl verzichtete auf ein Parteiengehör zu dieser Vorlage.

Mit Schreiben vom 28.08.2019 legten die Beschwerdeführer eine ärztliche Bestätigung vom 08.08.2019 vor, aus der hervorgeht, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht beschnitten wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Zweitbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Erst- und Drittbeschwerdeführer; alle sind Staatsangehörige Somalias.

Die Zweitbeschwerdeführerin reiste im Juli XXXX aus Somalia nach Äthiopien aus, reiste illegal nach Österreich ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist seit XXXX traditionell mit XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, verheiratet, der auch der Vater der minderjährigen Erst- und Drittbeschwerdeführer ist.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte am 20.08.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Drittbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte am 04.05.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Zweitbeschwerdeführerin stammt aus Luuq in der Region Gedo. In Luuq lebt noch ihr Vater, der erblindet ist und ihr Onkel, der schon älter ist und sich um ihren Vater kümmert. Zu beiden hat sie keinen Kontakt. Die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin lebt in Kismayo, jedoch besteht auch zu dieser seit 2018 kein Kontakt.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat keinerlei Schulausbildung genossen. In Somalia lernte sie das Bemalen mit Hennafarben, womit sie gelegentlich Geld verdiente.

Festgestellt wird, dass die Erstbeschwerdeführerin unbeschnitten ist und ihr im Fall einer Rückkehr nach Somalia eine Genitalverstümmelung droht, was eine schwere Misshandlung und schwere Körperverletzung mit lebenslangen Folgen darstellt.

Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

"Bundesstaat Jubaland (JIA; Gedo, Lower Juba, Middle Juba)

[...]

Die gesamte Region Middle Juba wird von al Shabaab kontrolliert, sie gilt als Bastion der Gruppe (BFA 8.2017; vgl. DIS 3.2017). Auch weite Teile der Region Gedo befinden sich im Bereich der al Shabaab. Garnisonen von AMISOM oder anderen anti-al-Shabaab-Kräften finden sich in Bakhtiti, Buusaar, Faan Weyn, Buulo Garas, Baardheere, Dhamaso, Faafax Dhuun, Ceel Waaq, Garbahaarey, Buurdhuubo, Doolow und Luuq (BFA 8.2017). Badhaade wechselte mehrfach die Hand, im August 2017 befand sich in der Stadt ein Stützpunkt der JIA (EASO 12.2017). Die Grenzstädte Dhobley und Doolow sowie Luuq und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017).

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, CEDOCA 9.6.2016), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, AA 1.1.2017). Nach einer Angabe sind 98% aller Frauen und Mädchen beschnitten (USDOS 3.3.2017), eine andere Quelle nennt eine FGM-Rate (alle Formen von FGM) von 99% in der Altersgruppe von 15-49 Jahren. Dabei ist die hohe Prävalenz nicht auf Somalia beschränkt, sondern betrifft auch ethnische Somali in Kenia und Äthiopien (CEDOCA 9.6.2016).

Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Quelle nennt ein Alter von zehn bis dreizehn Jahren (AA 1.1.2017); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wird die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 3.3.2017). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016). Quellen im Bericht des Danish Immigration Service erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).

Dabei ist vor allem die extremste Form der weiblichen Beschneidung (Infibulation; auch pharaonische Beschneidung/ WHO Typ III) weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Berichtet wird ein Anteil von rund 63% (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.1.2017).

Bei den Benadiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).

Landesweit bemühen sich die Regierungen, die FGM-Praxis einzuschränken (AA 1.1.2017). Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (USDOS 3.3.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in die Kampagnen eingebunden. Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation (CEDOCA 9.6.2016). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).

In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014).

Die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, in geringerem Maße bei der Großmutter. Der Vater spielt bei dieser Entscheidung kaum eine Rolle (CEDOCA 9.6.2016). Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist dies aber in Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).

Es kann zu psychischem Druck kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Dieser Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016). Aufklärungskampagnen versuchen, Väter mehr in die Sensibilisierung einzubinden, da sie Einfluss auf Mutter und Großmutter ausüben können (CEDOCA 9.6.2016).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).

Mädchen, die nicht beschnitten sind, werden in der somalischen Gesellschaft immer noch stigmatisiert. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. Laut Edna Adan ist es in der Stadt kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land aber würden Eltern dies nicht wagen. Mädchen, die anstatt einer Infibulation mittels Sunna beschnitten wurden, werden oftmals als nicht so rein wie infibulierte Mädchen erachtet (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).

Im Jahr 2011 erhobene Zahlen für Puntland zeigen eine rückläufige FGM-Rate. In der Altersgruppe 45-49 waren 2011 97,8% der Frauen von irgendeiner Form von FGM betroffen, in jener von 15 bis 19 Jahren waren es 97,3%, in der Gruppe 10-14 waren es 82,3% (CEDOCA 9.6.2016).

Zwei Studien von UNICEF zeigen, dass in Puntland die Infibulationsrate von 93,2% im Jahr 2005 auf 86,7% im Jahr 2011 zurückgegangen ist. Im Jahr 2011 waren ca. 90% der über 25jährigen, 85,4% der 20-24jährigen und 79,9% der 15-19jährigen von einer Infibulation betroffen. Auch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Infibulationsrate in Puntland zurückgeht. Die Sunna (im Sinne einer moderaten Beschneidung der Klitoris) hingegen ist auf dem Vormarsch (CEDOCA 9.6.2016).

Puntländische Behörden erklären, dass sie gegen FGM ankämpfen würden (CEDOCA 9.6.2016). Im Jahr 2013 bzw. 2014 wurde dort von religiösen Führern eine Fatwa ausgesprochen, wonach FGM als nicht mit islamischem Recht konform erklärt wird (UNHRC 6.9.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Daraufhin hat Puntland im März 2014 FGM per Dekret generell verboten. Das puntländische Ministerium für Justiz und religiöse Angelegenheiten betreibt Aktivitäten zur vollständigen Ausrottung von FGM und wird dabei von UNICEF unterstützt (UNHRC 6.9.2017). So wird etwa auch versucht, Beschneiderinnen ein alternatives Einkommen zu verschaffen. Bei einer Studie von UNICEF im Jahr 2011 gaben 37% der Befragten in Puntland an, dass die Praxis von FGM eingestellt werden sollte (CEDOCA 9.6.2016).

Insgesamt gibt es über die Verbreitung der Reinfibulation (v.a. im Sinne einer Wiederverschließung) in Somalia nur wenige Informationen. Eine Studie aus Norwegen und somalische Quellen legen aber nahe, dass die Annahme, wonach Reinfibulation in Somalia üblich ist, keine Grundlage hat. Demnach gibt es lediglich Gerüchte, wonach einige Clans eine Reinfibulation durchführen, diese aber auch nur nach der ersten Geburt und nur teilweise (LI 14.9.2011). Eine lokale NGO erklärt hierzu, dass Reinfibulation nur dann von Frauen angewendet wird, wenn sie Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben. Für junge Mädchen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden oder vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten, kann es zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Ansonsten gibt es keinen Druck auf somalische Frauen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016).

Es handelt sich also um eine persönliche Entscheidung, die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Defibulation nach einer Geburt bestehen bleibt. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2015 gibt es mehrere Gründe dafür, dass sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z.B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (CEDOCA 9.6.2016).

Der Wert einer Reinfibulation in der somalischen Gesellschaft ist unklar. Bei einer in Norwegen durchgeführten Studie hat nur eine der befragten somalischen Frauen, die kurz zuvor entbunden hatten, den Wunsch nach einer Reinfibulation geäußert (WHO 2017b). Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia hingegen haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings geht aus diesen Studien nicht hervor, was hier als Reinfibulation (partiell oder gänzlich) verstanden wird (CEDOCA 13.6.2016). Eine Quelle gibt an, dass sich in Puntland 95% der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden würden (CEDOCA 9.6.2016)."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welche den Parteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgehalten und denen im Zuge dessen nicht entgegengetreten wurde, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin, ihrer Herkunft, ihrer Religion und Clanzugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Zweitbeschwerdeführerin. Ihre Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden; der im Spruch angeführte Name dient lediglich zur Identifizierung der Zweitbeschwerdeführerin als Verfahrenspartei.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich einen somalischen Staatsangehörigen traditionell geheiratet und hat mit diesem zwei gemeinsame in Österreich geborene Kinder (die Erstbeschwerdeführerin und den Drittbeschwerdeführer) hat, ergibt sich aus der im Akt befindlichen Bestätigung der des ATIB Linz und aus den im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegten Geburtsurkunden vom XXXX und XXXX .

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen des Verfahrens. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht beschnitten ist, ergibt sich aus einem ärztlichen Befund vom 08.08.2019, der mit dem Schreiben vom 28.08.2019 vorgelegt wurde.

2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

Die Zweitbeschwerdeführerin bringt als Mutter und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Erstbeschwerdeführerin vor, dass diese im Falle ihrer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung zu werden. Dieses Bedrohungspotential deckt sich mit den Länderfeststellungen zur Situation in Somalia, wonach rund 98% der Mädchen beschnitten sind.

Aus den mit der Ladung und in der Verhandlung vorgelegten Länderberichten ist ersichtlich, dass in Bezug auf Somalia grundsätzlich von einer der höchsten Prävalenzraten von weiblicher Genitalbeschneidung weltweit auszugehen ist, von der in Somalia ca. 90 % aller Frauen und 97,9% der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren betroffen sind. Zwischen 60% und 80% der von Genitalverstümmelung betroffenen Mädchen und Frauen wurden der invasivsten Form der weiblichen Genitalbeschneidung, einer Typ III Infibulation, unterzogen. Zwar entscheiden primär die Mutter bzw. die Eltern eines Mädchens darüber, ob eine Genitalbeschneidung durchgeführt werden soll, doch geht ein starker sozialer und gesellschaftlicher Druck von der Umgebung der Familie aus. Eine Mutter bzw. Eltern, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen wollen, stoßen in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Doch könne es auch in der Stadt zu großem sozialen und psychischem Druck kommen. Zudem ergibt sich aus anderen Quellen, dass der elterliche Widerstand nicht jedenfalls in der Lage sein würde, das Risiko einer Verstümmelung der Tochter durch Verwandte oder Bekannte auszuschalten. Es käme in dieser Situation auf das soziale und wirtschaftliche Umfeld der Eltern und der Familie an; ein Rückgang der Genitalbeschneidungspraxis sei in Somalia nur bei einer Minderheit der gut gebildeten Oberschicht zu vermuten.

Aufgrund der der Einvernahmen in der mündlichen Verhandlung und der Einsicht in die Länderberichte kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin zu der (sehr kleinen) Gruppe der Mädchen und Frauen zu zählen ist, an denen in Somalia (letztlich) eine Genitalverstümmelung nicht durchgeführt wird (vgl. dazu auch VwGH vom 24.6.2010, 2007/01/1199).

Zu diesem Umfeld ist zu sagen, dass die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter der Erstbeschwerdeführerin keine Schulbildung genossen hat und von ihrer Familie abhängig war. Aus den Länderberichten ergibt sich auch, dass es stark von der Persönlichkeit der Mutter abhängt, ob es ihr gelingt, dem starken psychologischen Druck, der durch die somalische Gesellschaft erzeugt wird, eine Genitalverstümmelung an ihrer Tochter durchzuführen, standzuhalten. Aus der Einvernahme der Mutter ergibt sich nicht, dass sie die Fähigkeit hätte, einem solchen Druck standzuhalten.

Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass gerade Rückkehrer einem besonderen sozialen Druck seitens ihres näheren Umfeldes (Clan, Nachbarn, Bekannte, etc.) ausgesetzt sind, ihre aus der Diaspora mitgebrachten, gegen die Traditionen und Konventionen der somalischen Kultur widersprechenden Einstellungen zu überdenken und sich den somalischen Traditionen zu fügen bzw. sich in die somalische Gesellschaft - in allen Gesichtspunkten - wieder voll zu integrieren.

Vor diesem Hintergrund würde sich die Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in einer Situation wiederfinden, in der nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass sie ihre Vorstellungen, die minderjährige Drittbeschwerdeführerin keiner Genitalverstümmelung zu unterziehen, entgegen der gesellschaftlichen Norm durchsetzen könnte. Weder der Bildungsgrad noch der wirtschaftliche Hintergrund deuten auf Umstände hin, die die Erstbeschwerdeführerin im Lichte der relevanten Länderinformationen in die Situation versetzen würden, entsprechend standhaft gegen etablierte Konventionen und Traditionen auch gegenüber ihrer Familie, sozialen Kontakten, ihres Clans oder sonstiger fremder Personen aufzutreten.

Gegenständlich erlauben daher die Ermittlungsergebnisse aus dem Verfahren nicht, ein entsprechendes Risiko betreffend die minderjährige Erstbeschwerdeführerin, in Somalia eventuell auch gegen den Willen ihrer Mutter einer FGM unterzogen zu werden, ausreichend auszuschließen. Die Prävalenz von FGM in Südsomalia, der soziale und wirtschaftliche Hintergrund der Familie deuten auf einen entsprechend starken sozialen Druck hin.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, dass Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK darstellen kann (VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0545; 20.06.2017, Ra 2017/01/0039; 27.06.2016, Ra 2016/18/0045 mwN). Aus dieser Judikatur ergibt sich allerdings auch, dass fallbezogen zu prüfen ist und die Umstände des Einzelfalls zu beachten sind.

Die Erstbeschwerdeführerin ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die nicht Opfer einer weiblichen Genitalbeschneidung geworden ist und die aufgrund ihres familiären und kulturellen Umfelds der aktuellen und maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr unterliegt, als Mitglied der sozialen Gruppe von Frauen in Somalia Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung zu werden.

Die Verfolgungsgefahr findet ihre Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe. Die Erstbeschwerdeführerin ist der sozialen Gruppe jener Mädchen und Frauen zuzurechnen, die (noch) keiner weiblichen Genitalverstümmelung unterzogen wurde und für die in ihrer Heimat und ihrem dortigen sozialen Kontext ein hohes Risiko besteht, einer solchen unterzogen zu werden.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht, da diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung grundsätzlich landesweit praktiziert wird. Doch auch in Hinblick auf die niedrigere Prävalenz von FGM in Somaliland und Puntland unter den 1 - 14-jährigen Mädchen muss in Hinblick auf die diesbezüglichen Länderinformationen darauf hingewiesen werden, dass diese Regionen normalerweise nur solchen Personen die Einreise gestatten, die früher in der Region gewohnt haben und Mitglieder lokaler Clans oder Subclans sind. Das trifft auf die Beschwerdeführer nicht zu.

Es kamen keine Asylendigungs- bzw. -ausschlussgründe hervor.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch § 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung findet.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Im vorliegenden Fall liegt ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 bezüglich der Verfahren der Beschwerdeführer vor:

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Erstbeschwerdeführerin, sodass sie von der Erstbeschwerdeführerin Asyl ableiten kann. Der Drittbeschwerdeführer ist der minderjährige Sohn der Zweitbeschwerdeführerin, sodass § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005, der bestimmt, dass der Status nicht von einer Person abgeleitet werden kann, die selbst abgeleitet Asyl erhalten hat, nicht anzuwenden ist.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status der Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Da der minderjährigen Erstbeschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, ist gemäß § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 auch der Zweitbeschwerdeführerin und (dann von der Zweitbeschwerdeführerin abgeleitet) auch dem Drittbeschwerdeführer der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Sachverhaltselemente, die unter einen der Tatbestände des § 34 Abs. 2 Z 1 und 3 AsylG 2005 zu subsumieren wären, erkennbar sind.

Da gemäß § 3 Abs. 4b AsylG 2005 oben stehender Abs. 4 in einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 mit der Maßgabe gilt, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird (im gegenständlichen Fall von der Drittbeschwerdeführerin), richtet, kommt auch der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer - obwohl der Asylantrag der Zweitbeschwerdeführerin bereits vor dem 15.11.2015 gestellt wurde - lediglich eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren,
Schutzunfähigkeit, Schutzunwilligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W221.2191710.2.00

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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