TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/9 W215 1423265-4

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Veröffentlicht am 09.09.2019
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Entscheidungsdatum

09.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

1) W215 1412351-5/24E

2) W215 1413040-5/12E

3) W215 1423265-4/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX und 3) XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 29.12.2017, Zahlen 1) 507817903-140039506, 2) 516318602-140039697 und 3) 810564905-140039743, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden jeweils gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG, § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, abgewiesen, mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt VII. der angefochtenen Bescheide wie folgt lautet: "Gemäß § 55 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,

BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die verheiratete Erstbeschwerdeführerin (P1) ist die Mutter der in Österreich geborenen minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (P2) und der ebenfalls in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführerin (P3). Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der Volksgruppe der Kumyken an.

A) Zu den bisherigen Asylverfahren der Beschwerdeführerinnen:

1. P1 reiste gemeinsam mit ihrem Ehegatten XXXX illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und beide stellten am 29.09.2009 Anträge auf internationalen Schutz.

Nach der Geburt von P2 in Österreich wurde für diese am 01.03.2010 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 08.03.2010, 1) Zahlen 09 11.939-BAT, Ehegatte von P1 09 11.938-BAT, und 2) 10 01.867-BAT, wurde die Anträge auf internationalen Schutz von P1, ihrem Ehegatten und von P2 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG wurden P1, ihr Ehegatte und P2 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 11.04.2011, Zahlen 1) D12 412351-1/2010/3E, Ehegatte von P1 D12 412353-1/2010/3E und 2) D12 413040-1/2010/2E, gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen. Diese Erkenntnisse erwuchsen am 22.04.2011 in Rechtskraft.

2. In der Folge kamen P1, ihr Ehegatte und P2 ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern blieben illegal im Bundesgebiet und stellten am 13.05.2011 ihre jeweils zweiten Anträge auf internationalen Schutz.

Nach der Geburt von P3 in Österreich wurde für diese am 10.06.2011 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 28.11.2011, 1) Zahlen 11 04.709-BAG,

Ehegatte von P1 11 04.708-BAG, 2) 11 04.710-BAG und 3) 11 05.649-BAG, wurde alle Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß

§ 10 Abs. 1 AsylG wurden die Beschwerdeführerinnen sowie der Ehegatte von P1 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.07.2012, Zahlen 1) D12 412351-2/2011/3E, Ehegatte von P1 D12 412353-2/2011/4E, 2) D12 413040-2/2011/4E und 3) D12 423265-1/2011/4E, gemäß

§ 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen. Diese Erkenntnisse erwuchsen am 26.07.2012 in Rechtskraft.

3. Die Beschwerdeführerinnen und der Ehegatte von P1 kamen ihrer Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nach, verblieben illegal im Bundesgebiet und stellten am 25.10.2012 die dritten Anträge bzw. im Fall von P3 den zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden vom 26.03.2013, Zahlen 1) 12 15.520-EAST Ost, Ehegatte von P1 12 15.519-EAST Ost, 2) 12 15.521-EAST Ost und 3) 12 15.522-EAST Ost, wies das Bundesasylamt alle Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und wies die ganze Familie gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt II.).

Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 25.06.2013, Zahlen 1) D12 412351-3/2013/5E, Ehegatte von P1 D12 412353-3/2013/7E, 2) D12 413040-3/2013/5E und 3) D12 423265-2/2013/5E, § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 und 2 AsylG als unbegründet abgewiesen. Diese Erkenntnisse erwuchsen am 28.06.2013 in Rechtskraft.

4. Nach zunächst weiterem illegalen Verbleib im Bundesgebiet reisten die Beschwerdeführerinnen am 02.09.2013 schließlich aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Der Ehegatte von P1 blieb trotz rechtskräftiger Abweisung seines dritten Asylantrages weiterhin in Österreich aufhältig und stellte am 11.07.2014 gemäß § 56 Abs. 1 AsylG einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2017, Zahl 821551910-14784354, als unzulässig zurückgewiesen wurde. Eine dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2017 Zahl W237 2157392-1/4E, gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen. Nach einer Säumnisbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.09.2019, Zahl W215 2157392-2/2E, der Antrag des Ehegatten von P1 vom 11.07.2014 gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG und § 31 Abs. 1 VwGVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Ehegatte von P1 hat somit nach wie vor keinen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet bzw. hält er sich, da er seiner Ausreiseverpflichtung immer noch nicht nachgekommen ist, weiterhin illegal in Österreich auf und lebt von der Grundversorgung.

B) Zu den gegenständlichen Verfahren:

1. Die Beschwerdeführerinnen kehrten im Juni 2014 illegal nach Österreich zurück und entzogen sich zunächst bewusst den Behörden. Erst nach mehrmonatigem illegalem Aufenthalt in Österreich stellte P1 am 06.10.2014 für sich und P2 die gegenständlichen vierten Anträge auf internationalen Schutz und für P3 den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich der Erstbefragung am 06.10.2014 gab P1 zusammengefasst an, dass in Dagestan drei bis vier Mal unbekannte Männer zu ihr nach Hause gekommen seien und nach ihrem Ehegatten gefragt hätten. Sie habe gesagt, dass dieser in Österreich sei, aber man habe ihr nicht geglaubt und gedroht, ihr die Kinder wegzunehmen, sollte ihr Ehegatte nicht zurückkehren. Im Übrigen würden ihre bisherigen Fluchtgründe aufrecht bleiben. P2 und P3 hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Am 12.10.2017 wurde P1 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt. Dabei gab sie zu ihrer Gesundheit befragt an, dass ihr XXXX sei und sie derzeit Medikamente nehme und in ärztlicher Behandlung stehe. Zu ihren Fluchtgründen führte sie zusammengefasst aus, dass sie nach ihrer Rückkehr in Dagestan von zwei bis drei Leuten aufgesucht und gefragt worden sei, wo sich ihr Mann befinde. Sie habe geantwortet, dass er nicht in Dagestan sei, aber die Leute hätten auf Informationen bestanden und beim letzten Besuch gedroht, dass sie ein Kind verlieren könnte. Ihr sei auch ganz offen gesagt worden, dass sie vergewaltigt werde. Sie habe dann ihren Mann angerufen und er habe gesagt, dass sie nach Österreich kommen solle.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2017, Zahlen 1) 507817903-140039506, 2) 51618602-140039697 und 3) 810564905-140039743, wurden die vierten Anträge von P1 und P2 bzw. der dritte Antrag von P3 auf internationalen Schutz in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 3 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 Z 3 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG "nach" Russische Föderation zulässig sind. In Spruchpunkt IV. wurde gemäß

§ 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG den Beschwerden die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Gegen diese Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, zugestellt am 03.11.2017, erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht am 01.12.2017 Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2017, Zahlen 1) W215 1412351-4/3E, 2) W215 1413040-4/3E und 3) W215 1423265-3/3E, wurden die angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheiten jeweils gemäß

§ 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

2. Im fortgesetzten Verfahren wurde P1 am 27.12.2017 von einer Referentin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein weiteres Mal zu ihren Asylgründen befragt.

Mit gegenständlichen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2017, Zahlen 1) 507817903-140039506, 2) 516318602-140039697 und 3) 810564905-140039743, wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 3 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 3 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerinnen Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. In Spruchpunkt V. wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen der Beschwerdeführerinnen gemäß § 46 FPG "nach" Russische Föderation zulässig sind. In Spruchpunkt VI. wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG den Beschwerden die aufschiebende Wirkung aberkannt. In Spruchpunkt VII. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe.

Gegen diese Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 29.12.2017, Zahlen 1) 507817903-140039506, 2) 516318602-140039697 und 3) 810564905-140039743, zugestellt am 08.01.2018, erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht am 01.02.2018 gegenständliche Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und eine unschlüssige Beweiswürdigung sowie darauf aufbauend eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen habe.

3. Die Beschwerdevorlagen vom 02.02.2018 langten am 06.02.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Teilerkenntnissen vom 08.02.2018, Zahlen 1) W215 1412351-5/3Z,

2) W215 1413040-5/2Z und 3) W215 1423265-4/2Z, behob das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos.

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 19.03.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschienen P1 und ihr Vertreter. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich bereits in den Beschwerdevorlagen für die Verhandlung entschuldigt. Aufgrund der Angaben von P1 zu ihrem XXXX wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt und es erging die Aufforderung an P1, medizinische Unterlagen bezüglich ihres Gesundheitszustandes vorzulegen.

Da P1 in der Folge keine Unterlagen vorlegte, wurde sie mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.04.2018 unter Verweis auf die Verhandlungsschrift vom 19.03.2018 um Übermittlung aller medizinischen Unterlage inklusive Medikation bis 02.05.2018 ersucht. Da auch bis 02.05.2018 keine medizinischen Unterlagen einlangten, wurde für den XXXX eine neuerliche mündliche Verhandlung anberaumt.

Am 08.06.2018 langte eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung von P1 vom XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein, wonach P1 am XXXX wegen Krankheit arbeitsunfähig und für den XXXX beim Arzt wiederbestellt sei. Beigelegt wurde ein Entlassungsbrief vom XXXX , wonach P1 von XXXX aufgrund eines XXXX stationär aufgenommen worden sei.

Am XXXX wurde erneut eine mündliche Verhandlung anberaumt, zu der P1 abermals nicht erschien. Der Vertreter legte die bereits vorgelegte Arbeitsfähigkeitsmeldung vom XXXX vor, wobei diesmal eine handschriftliche Notiz vom XXXX aufschien, dass P1 für den XXXX wieder zum Arzt bestellt worden sein soll. P1 konnte bis dato nicht nachweisen, dass die handschriftliche Notiz vom XXXX , dass P1 für den XXXX wieder zum Arzt bestellt worden sein soll tatsächlich von einem Arzt stammt bzw. sie tatsächlich dort einen Termin hatte und deshalb nicht zur Verhandlung erschien.

Am 13.07.2018 wurde erneut eine mündliche Verhandlung anberaumt, zu der P1 erschien. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich bereits im Vorfeld für die Verhandlung entschuldigt. P1 machte auf Befragen Angaben zur ihren persönlichen Verhältnissen und Fluchtgründen. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Die Beschwerdeführerinnen verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Identitäten von P1 konnten bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt werden, jene von P2 und P3 nicht. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, stammen aus Dagestan, gehören der Volksgruppe der Kumyken an und sind moslemischen Glaubens. Die Muttersprache der Beschwerdeführerinnen ist Kumykisch, zudem sprechen sie Russisch.

P1 heiratete am XXXX im Herkunftsstaat den russischen Staatsangehörigen XXXX nach islamischem Recht, die Ehe wurde am XXXX standesamtlich registriert. Beide sind die Eltern der in Österreich (nach)geborenen minderjährigen P2 und P3.

Nach der standesamtlichen Registrierung ihrer Eheschließung reisten P1 und ihr Ehemann aus der Russischen Föderation illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 29.09.2009 erstmals Anträge auf internationalen Schutz. Nach der Geburt von P2 in Österreich wurde für diese am 01.03.2010 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Anträge der Beschwerdeführer wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 08.03.2010, Zahlen 09 11.939-BAT, 09 11.938-BAT und 10 01.867-BAT, abgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 11.04.2011, Zahlen 1) D12 412351-1/2010/3E, Ehegatte von P1 D12 412353-1/2010/3E und

2) D12 413040-1/2010/2E rechtskräftig abgewiesen.

In der Folge verblieben die Beschwerdeführerinnen mit dem Ehegatten von P1 illegal im Bundesgebiet und stellten am 13.05.2011 ihre jeweils zweiten Anträge auf internationalen Schutz. Nach der Geburt von P3 in Österreich wurde für diese am 10.06.2011 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Anträge der Beschwerdeführerinnen und des Ehgatten von P1 wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 28.11.2011, Zahlen 1) 11 04.709-BAG, Ehegatte von P1 11 04.708-BAG, 2) 11 04.710-BAG und 3) 11 05.649-BAG, abgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.07.2012, Zahlen

1) D12 412351-2/2011/3E, Ehegatte von P1 D12 412353-2/2011/4E,

2) D12 413040-2/2011/4E und 3) D12 423265-1/2011/4E, rechtskräftig abgewiesen.

Nach weiterem illegalen Verbleib im Bundesgebiet stellten die Beschwerdeführerinnen und der Ehemann von P1 am 25.10.2012 erneut Anträge auf internationalen Schutz.

Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 26.03.2013, Zahlen

1) 12 15.520-EAST Ost, Ehegatte von P1 12 15.519-EAST Ost, 2) 12 15.521-EAST Ost und

3) 12 15.522-EAST Ost zurückgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 25.06.2013, Zahlen 1) D12 412351-3/2013/5E, Ehegatte von P1 D12 412353-3/2013/7E, 2) D12 413040-3/2013/5E und

3) D12 423265-2/2013/5E, rechtskräftig abgewiesen.

Nach zunächst weiterem illegalen Verbleib im Bundesgebiet kehrten die Beschwerdeführerinnen ohne den Ehegatten von P1 am 02.09.2013 schließlich in die Russische Föderation zurück. Sie reisten im Juni 2014 erneut illegal nach Österreich ein, wo sie am 06.10.2014 abermals für P1 und P2 die nunmehr gegenständlichen vierten bzw. für P3 dritten Anträge auf internationalen Schutz stellten.

2. Es kann nicht festgestellt werden, dass in Dagestan unbekannte Männer zu P1 nach Hause gekommen sind und nach ihrem Ehegatten gefragt haben, P1 gesagt hat, dass dieser in Österreich ist, aber man habe ihr nicht geglaubt und gedroht hat, ihr die Kinder wegzunehmen und sie zu vergewaltigen, sollte ihr Ehegatte nicht zurückkehren.

3. P1 leidet an XXXX und wurde diesbezüglich von XXXX stationär im Krankenhaus behandelt. Sie nimmt zweimal am Tag XXXX , darüber hinaus liegen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor. Es liegen jedenfalls keine lebensbedrohlichen Krankheiten vor, die einer Überstellung in die Russische Föderation entgegenstellen würden, zudem kann XXXX auch im Herkunftsstaat behandelt werden. P2 und P3 sind gesund.

P1 besuchte im Herkunftsstaat XXXX ab. Anschließend studierte P1 XXXX an der Universität und arbeitete als XXXX . P1 war in der Lage, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, darüber hinaus wurden P1 und ihr Ehemann von ihren Eltern unterstützt. Das Ehepaar lebte bis zu ihrer gemeinsamen Ausreise im Jahr 2009 im Haus der Schwiegereltern von P1. Nach der Rückkehr der Beschwerdeführerinnen im Jahr 2013 lebte P1 mit ihren Kindern einen Monat bei ihren Schwiegereltern und neun Monate bei ihren Eltern.

Die Eltern von P1 halten sich nach wie vor in ihrem Herkunftsstaat auf, beide sind in Pension und XXXX . Darüber hinaus leben zwei Brüder und eine Schwester mit ihren Familien ebenso wie ihre Schwiegereltern und weitere Angehörige in Dagestan. P1 hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Verwandtschaft und ist mit ihnen in regelmäßigem Kontakt.

Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerinnen zumindest für die Anfangszeit erneut bei den Eltern von P1 oder bei ihren Schwiegereltern Unterkunft finden könnten. Ferner hat P1 in Dagestan ein Haus, das ihr gehört. Die Existenz der Beschwerdeführerinnen ist im Falle ihrer Rückkehr durch mögliche Erwerbstätigkeit von P1 und/oder finanzielle Unterstützung ihrer dort wohnhaften Familie gesichert.

4. Nicht festgestellt werden kann eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführerinnen in Österreich.

Die unbescholtene P1 reiste gemeinsam mit P2 und P3 im Juni 2014 erneut illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte erst nach mehreren Monaten illegalen Aufenthalts am 06.10.2014 für sich und P2 die vierten bzw. für P3 den dritten

Antrag auf internationalen Schutz. Sie verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens und musste sich somit ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein.

In Österreich hält sich der Ehemann von P1 auf, der trotz rechtskräftiger Abweisung seines dritten Antrages auf internationalen Schutz in Österreich illegal im Bundesgebiet verblieb. Er stellte am 11.07.2014 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2017, Zahl 821551910-14784354, als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2017 Zahl W237 2157392-1/4E, rechtskräftig abgewiesen. Nach einer Säumnisbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.09.2019, Zahl W215 2157392-2/2E, der Antrag des Ehegatten von P1 vom 11.07.2014 gemäß

§ 28 Abs. 1 VwGVG und § 31 Abs. 1 VwGVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Ehegatte von P1 hat somit nach wie vor keinen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet bzw. ist er seiner Ausreiseverpflichtung immer noch nicht nachgekommen, weiterhin illegal in Österreich und lebt von der Grundversorgung.

Abgesehen von ihrem in Österreich illegal aufhältigen Ehegatten bzw. Vater verfügen die Beschwerdeführerinnen über keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Allfällige Freundschaften von P1 sind erst zu einem Zeitpunkt geschlossen worden, als sie sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sein musste. P1 hat zuletzt am XXXX die B1-Deutschprüfung positiv absolviert und konnte sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gebrochen in Deutsch verständigen. P2 und P3 wurden im Bundesgebiet geboren und besuchen hier die Schule, sprechen Deutsch und befinden sich in einem anpassungsfähigen Alter. Die drei Beschwerdeführerinnen leben, ebenso wie der Ehegatte bzw. Vater, ausschließlich von der österreichischen Grundversorgung.

5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer wird festgestellt:

Politische Lage

Die Russische Föderation hatte im Juli 2018 mehr als 142 Millionen Einwohner und ist schätzungsweis ca. 1,8 Mal so groß wie die die U.S.A. (CIA Factbook 21.08.2019, abgefragt am 05.09.2019).

Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.06.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 07.05.2012 Wladimir Putin. Er wurde am 18.03.2018 mit offiziell 76,69% der Stimmen wiedergewählt. Es handelt sich um seine vierte Amtszeit als Staatspräsident. Der bisherige Ministerpräsident Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 08.052018 erneut das Amt des Ministerpräsidenten (AA Innenpolitik 14.02.2019, abgefragt am 05.09.2019).

Russland ist formal eine Föderation aus 83 Föderationssubjekten. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. Ihre Gouverneure werden gewählt, aber auch (kommissarisch) durch den Kreml bestimmt. Der Föderationsrat ist als obere Parlamentskammer das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht (einschließlich der vier Vertreter aus den völkerrechtswidrig annektierten Föderationssubjekten Krim und Sewastopol) aus bis zu 187 Mitgliedern (derzeit 169 Mitglieder). Jedes Föderationssubjekt entsendet zwei Vertreter in den Föderationsrat, je einen aus der Exekutive und der Legislative. Der Staatspräsident kann ferner bis zu 17 weitere Senatoren ernennen. Der im September 2000 durch Präsidialdekret geschaffene Staatsrat der Russischen Föderation tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt als ausschließlich beratendes Gremium Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Er besteht aus den Gouverneuren der Regionen, den Vorsitzenden von Staatsduma und Föderationsrat sowie den Fraktionsvorsitzenden der in der Staatsduma vertretenen Parteien (AA Innenpolitik 14.02.2019, abgefragt am 05.09.2019).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18.09.2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Die Duma-Wahlen wurden vom Dezember auf den September 2016 vorverschoben. Kritiker bemerkten, diese Verschiebung diene der Nichtbeachtung des Wahlkampfs während der Sommerferien sowie dem Erreichen einer geringeren Wahlbeteiligung. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8 Prozent. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54 Prozent. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5 Prozent auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2 Prozent. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt sechs Prozent. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NRO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (LIP Geschichte und Staat August 2019, abgefragt am 05.09.2019).

(CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Russland, last update 21.08.2019, abgefragt am 05.09.2019, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Innenpolitik, Stand 14.02.2019, abgefragt am 05.09.2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/-/201710

Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Mai 2019, abgefragt am 21.06.2019, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat)

Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. In der Republik leben drei Dutzend autochthone Nationalitäten, wodurch Dagestan das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus ist (Accord 19.12.2018). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 06.2014).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen, hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.05.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 04.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.02.2018).

Als besonders bedeutsam erwies sich die Ablösung des Gouverneurs von Dagestan im Oktober 2017. Putins Wahl zum amtierenden Gouverneur war Wladimir Vasilijew, der Chef der Fraktion des Vereinigten Russland in der Staatsduma und ein ehemaliger Polizeigeneral. Vasilijew Ernennung markiert die erste Ära in der postsowjetischen Geschichte Russlands, in welcher Dagestan von einer Person, die nicht aus der Republik stammt, geleitet wird. Dagestan ist ein komplizierter Vielvölkerstaat, der durch Aufstände und Korruption vor Ort beeinträchtigt ist. In der Vergangenheit hat Moskau in der Regel versucht, sich auf Einheimische zu verlassen, um die widerspenstige Republik zu regieren. Die Ernennung von Vasilijew schien den Wunsch des Kremls zu signalisieren, die aktuellen Verhältnisse zu ändern und die Region nach zentralen Regeln zugänglicher zu machen (FH 11.04.2018)

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängenden Nordkaukasus-Republik. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.02.2018).

(Accord, Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, 19.12.2018,

https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen

IOM, International Organisation of Migration, Länderinformationsblatt Russische Föderation), Juni 2014

ÖB, Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Russische Föderation, Dezember 2017

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Dagestan, Russlands schwierigste Teilrepublik, April 2015, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf

FH, Freedom House, Nations in Transit 2018, 11.04.2018, https://freedomhouse.org/report/nations-transit/2018/russia

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019

NZZ, Neue Zürcher Zeitung, Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, 12.02.2018,

https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351)

Sicherheitslage

Aufgrund verschiedenster Terroranschläge wird zu erhöhter Vorsicht und Wachsamkeit vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei größeren Menschenansammlungen geraten. Konflikte im Nordkaukasus können in der gesamten Russischen Föderation zu Attentaten führen. Es sollte nur wenig Bargeld mitgeführt und Wertgegenstände nicht offen zur Schau gestellt werden. Nachtlokale sollten wegen Überfallsgefahr nur in Begleitung oder in Gruppen verlassen werden. Fernreisen mit dem Zug können unsicher sein. Bei Taxifahrten in den Nachtstunden wird empfohlen, vor dem Einsteigen demonstrativ das Kennzeichen aufzuschreiben und anschließend einen Anruf zu tätigen. Bei Überfällen sollte wegen der möglichen Verwendung von Schusswaffen jeglicher Widerstand vermieden werden (BMEIA Stand 05.09.2019).

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf. Die generelle Empfehlung, besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht insbesondere bei Menschenansammlungen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel walten zu lassen, gilt unverändert. Insbesondere in Moskau und St. Petersburg, aber auch in anderen großen Städten kann es zu angemeldeten und genehmigten Kundgebungen und Demonstrationen kommen, die meist friedlich verlaufen. Unerlaubte Protestaktionen können zu erheblichen Gegenmaßnahmen der Sicherheitskräfte führen. In den touristischen Zentren russischer Städte sowie in größeren Menschenansammlungen und in öffentlichen Verkehrsmitteln wie der Metro kommt es zu Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl. Wie auch in anderen Großstädten kann es in Bars und Clubs russischer Großstädte zu Straftaten und vereinzelt dem Einsatz von k.o.-Tropfenkommen. In nur offiziell aussehenden, aber nicht lizensierten Taxis sind Touristen Opfer von Straftaten geworden. Aktuell gibt es vermehrt Fälle von Internetbetrug, indem Personen aus Westeuropa und den USA aufgefordert werden, beispielsweise im Rahmen vermeintlicher länger angebahnter Liebesbeziehungen Geldzahlungen zu veranlassen (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 05.09.2019).

(BMEIA, Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres, Reiseinformation Russische Föderation, Sicherheit und Kriminalität, unverändert gültig seit 16.08.2019, Stand 05.09.2019, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 09.08.2019, Stand 05.09.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536)

Nordkaukasus

Ein von Tschetschenien ausgehendes erhöhtes Gefährdungspotential ist im gesamten Nordkaukasus (Regionen Krasnodar und Stawropol, Republiken Adygeja, Karatschai-Tscherkessien, Nordossetien) gegeben (BMEIA Stand 05.09.2019).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend "Aufständische" und Sicherheitskräfte (AA 13.02.2019).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.01.2018).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.02.2019).

Es gab weiterhin Berichte über Entführungen in Zusammenhang mit offensichtlichen Antiterrorbemühungen im Nordkaukasus (USDOS 13.03.2019).

Im dritten Quartal 2018 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im Nordkaukasus 24 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 16 davon wurden getötet und 08 verwundet (Caucasian Knot 07.12.2018). Im vierten Quartal 2018 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im Nordkaukasus 21 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 16 davon wurden getötet und 05 verwundet (Caucasian Knot 31.01.2019).

Im ersten Quartal 2019 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im Nordkaukasus 21 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 16 davon wurden getötet und 05 verwundet (Caucasian Knot 20.06.2019). Im Juni 2019 gab es laut Caucasian Knot im Nordkaukasus fünf Opfer des bewaffneten Konflikts, drei davon wurde getötet und zwei verwundet (Caucasian Knot 26.08.2019).

Im Jahr 2018 sankt die Anzahl der Opfer im Nordkaukasuskonflikt um 38 Prozent. Im ersten Halbjahr 2019 wurden 31 Personen getötet und verwundet; weniger als in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 (Caucasian Knot 30.08.2019).

(BMEIA, Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres, Reiseinformation Russische Föderation, Sicherheit und Kriminalität, unverändert gültig seit 16.08.2019, Stand 05.09.2019, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation

ÖB, Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Russische Föderation, Dezember 2017

USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, Russische Föderation, 13.03.2019, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/eur/289175.htm

SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik, Reaktionen auf den Islamischen Staat (ISIS) in Russland und Nachbarländern, 10.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf

Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, drittes Quartal 2018, 07.12.2018,

http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/45433/

DW, Deutsche Welle, Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt", 25.01.2018,

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019

31.01.2019, Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, viertes Quartal 2018, 31.01.2019, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/46005/

Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, erstes Quartal 2019, 20.06.2019,

http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/47554

Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, Juni 2019, 26.08.2019, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48238/

Caucasian Knot, Im Jahr 2018 sankt die Anzahl der Opfer im Nordkaukasuskonflikt um 38 Prozent, 30.08.2019, www.eng.kavkaz-uzel.eu/rubric/601)

Dagestan

Von nicht erforderlichen Reisen nach Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan wird abgeraten. Es besteht bei Reisen in den Föderalbezirk Nordkaukasus sowie angrenzende Regionen wird auf die erhöhte Sicherheitsgefährdung durch mögliche Anschläge mit terroristischem Hintergrund, bewaffnete Auseinandersetzungen und Entführungen (AA Reise- und Sicherheitshinweise gültig seit 09.08.2019, Stand 05.09.2019).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden Dagestans Anfang 2017 kämpften etwa 1.200 Männer aus Dagestan in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak. Mittlerweile werden Radikale, die sich terroristischen Organisationen im Ausland anschließen wollen, von den russischen Behörden an der Ausreise gehindert und festgenommen, was die Terrorgefahr in Dagestan erhöht (Deutschlandfunk 28.06.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Relativ häufig kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Letztere gehörten bis vor kurzem primär zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekundeten jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem sog. IS. Die Anhänger des Emirats beanspruchen, den "wahren Islam" in der Region zu vertreten, während die Vertreter des sog. "traditionellen" Islams als korrupt angesehen werden und im Verdacht stehen, der Regierung in Moskau bzw. ihren Repräsentanten in der Region Untertan zu sein. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der sog. IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Inwieweit der IS nach der territorialen Niederlage im Nahen Osten entsprechende Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus weitere terroristische Umtriebe zu entfalten oder die regionale Zweigstelle weiterhin zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen, wird von den russischen Sicherheitskräften genau verfolgt werden (ÖB Moskau 12.2017).

In Dagestan, einer der ärmsten Regionen Russlands, bleibt die Sicherheitslage zwar angespannt, hat sich in jüngerer Zeit aber verbessert: Die Gewalt nimmt tendenziell ab (Rückgang von 824 Terroropfern in 2011 auf 204 in 2016 und 55 in 2017, davon sechs Zivilisten). Die Menschenrechtslage gilt in Dagestan grundsätzlich als besser als im benachbarten Tschetschenien. Die Kontrolle der Zivilgesellschaft ist nicht ganz so ausgeprägt wie in Tschetschenien, die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt als die Bewohner Tschetscheniens. Doch auch in Dagestan gehen mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und spurloses Verschwinden. Von dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Extremismus sind nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch NROs im sozialen/humanitären Bereich betroffen (AA 13.02.2019).

Laut der dagestanischen Regierung sind 108 Personen seit 2014 aus Syrien und dem Irak nach Dagestan zurückgekehrt, wobei gegen 86 strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden. Im Gegensatz zu Tschetschenien gibt es keinen "sicheren Korridor" für Frauen, die aus Syrien zurückkehren. In den letzten Jahren ist es mit der Weiterentwicklung des Aufstands in Dagestan wieder zu einem Anstieg der Gewalt gekommen, wenn auch mit weniger Opfern als während des Höhepunkts des Konflikts 2011. Allerdings hat sich die Art des Aufstands verändert. Das Netzwerk von oftmals recht großen und kampferprobten Gruppen wurde von kleinen, verstreuten, im Verborgenen agierenden Gruppen oder "Schläferzellen", die häufig nur aus einigen wenigen Rekruten bestehen, abgelöst. Laut einem von ICG zitierten Strafverteidiger werde in Gefängnissen intensiv rekrutiert (Accord 19.12.2018).

Im dritten Quartal 2018 gab es nach Angaben von Caucasian Knot in Dagestan elf Opfer des bewaffneten Konfliktes, acht davon wurden getötet und drei verwundet (Caucasian Knot 07.12.2018). Im vierten Quartal 2018 gab es nach Angaben von Caucasian Knot in Dagestan neun Opfer des bewaffneten Konfliktes, drei davon wurden getötet und sechs verwundet (Caucasian Knot 31.01.2019). Im Jahr 2018 ist die Zahl der Opfer des bewaffneten Konfliktes in Dagestan um fast 11 Prozent zurückgegangen (Caucasian Knot 02.02.2019).

Im ersten Quartal 2019 gab es nach Angaben von Caucasian Knot in Dagestan vier Opfer des bewaffneten Konfliktes, diese wurden getötet (Caucasian Knot 20.06.2019).

(Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, drittes Quartal 2018, 07.12.2018, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/45433/

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Dezember 2018, 13.02.2019

Accord, Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, 19.12.2018,

https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen

ÖB, Österreichische Botschaft Moskau, Asylländerbericht Russische Föderation, Dezember 2017

Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, viertes Quartal 2018, 31.01.2019,

http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/46005/

Deutschlandfunk, Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, 28.06.2017,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824

Caucasian Knot, Im Jahr 2018 sankt die Anzahl der Opfer in Dagestan um fast 11 Prozent, 02.02.2019, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/46032/

Caucasian Knot, Statistik zu Konfliktopfern im Nordkaukasus, erstes Quartal 2019, 20.06.2019,

http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/47554/

AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 09.08.2019, Stand 05.09.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536)

Justiz

Höchste Rechtsinstanz in Russland ist der Oberste Gerichtshof, daneben gibt es einen Obersten Schiedsgerichtshof. Die Richter dieser Gerichte werden durch den Föderationsrat auf Empfehlung des Präsidenten ernannt. 2003 haben Schwurgerichte ihre Arbeit aufgenommen (LIP Geschichte und Staat August 2019, abgefragt am 05.09.2019).

Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind (AA 13.02.2019).

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber Richter stehen unter dem Einfluss von Exekutive, Militär und anderen bewaffneten Einheiten, insbesondere in hochkarätigen oder politisch sensiblen Fällen und von Korruption. Die Ergebnisse mancher Prozesse scheinen vorbestimmt (USDOS 13.03.2019).

Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass sachfremde Gründe hinter der Strafverfolgung stehen. Am 23.08.2017 wurde bspw. der international tätige und renommierte Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikow von einem Moskauer Gericht unter Hausarrest ges

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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