Entscheidungsdatum
09.09.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W171 1434611-2/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , zu Recht:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid
behoben und die Angelegenheit gemäß § 28. Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 16.04.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.09.2013 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Der BF wurde nach Afghanistan ausgewiesen.
1.2. Mit Urteil vom 21.05.2013 wurde der BF wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten bedingt verurteilt.
1.3. Mit Urteil vom 05.05.2014 wurde er wegen §§ 127, 15 StGB (versuchter Diebstahl) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten bedingt verurteilt.
1.4. Am 20.11.2014 wurde der BF nach §§ 27 Abs. 1, 27 Abs. 3, 27 Abs. 4 SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
1.5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , wurde das Beschwerdeverfahren des BF hinsichtlich Spruchpunkt I. dieses Bescheids (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wegen Zurückziehung der Beschwerde gegen diesen Spruchpunkt eingestellt und dem BF nach § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.10.2016 erteilt.
Begründend wurde zu Spruchpunkt II. ausgeführt, der BF stamme aus der Provinz Nangarhar, die ein umkämpftes Gebiet sei. Mehr als 70% der Distrikte seien in der Hand der Taliban, nur Jalalabad und die umliegenden Distrikte seien halbwegs sicher. Die Versorgungslage in Afghanistan sei derzeit kritisch. Der BF, der über keinen intakten Familienrückhalt verfüge, werde im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan - bezogen auf das gesamte Staatsgebiet - in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen, eine Verletzung von Art. 2, 3 EMRK zu erleiden.
1.6. Die Aufenthaltsberechtigung wurde bis zum 30.10.2018 verlängert.
1.7. Über den BF wurde am 28.10.2018 die Untersuchungshaft verhängt.
1.8. Mit Schreiben des BFA vom 04.12.2018 wurde der BF über die beabsichtigte Aberkennung des subsidiären Schutzes in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde das aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan übermittelt.
1.9. Mit Urteil vom 27.02.2019 wurde der BF wegen §§ 28 Abs. 1 1. und 2. Fall, 28a Abs. 1 5. Fall SMG (Vorbereitung des Suchtgifthandels und Suchtgifthandel) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, davon acht Monate bedingt, verurteilt.
1.10. Mit Bescheid vom XXXX wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die mit Erkenntnis vom XXXX erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.)
Begründend wurde ausgeführt, dass eine Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif für alleinstehende, gesunde Männer als zumutbar erachtet werde. Zudem sei der BF wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden. Ein Familienleben im Bundesgebiet bestehe nicht. Auch ein unzulässiger Eingriff in das Privatleben könne nicht festgestellt werden, sodass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.
1.11. Mit Schreiben vom 15.05.2019 erhob der BF Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, dass die Behörde sich auf mangelhafte Länderfeststellungen gestützt habe. Es wurden Berichte zur Sicherheitslage in XXXX und XXXX zitiert. Eine wesentliche und nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage sei nicht eingetreten. Im Falle einer Aberkennung sei dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründe des Art. 8 EMRK zu gewähren. Er befinde sich seit über sieben Jahren in Österreich, spreche sehr gut Deutsch und habe in Österreich auch gearbeitet. Darüber hinaus erweise sich das verhängte Einreiseverbot im Hinblick auf die Verurteilungen des BF als unverhältnismäßig hoch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11 mwN).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Nach § 1 Z 1 AslyG regelt dieses Bundesgesetz die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich.
Das vierte Hauptstück des AsylG (§§ 17 bis 41) ist mit "Asylverfahrensrecht" überschrieben. Der erste Abschnitt des vierten Hauptstücks (§§ 17 bis 27a) regelt das Allgemeine Asylverfahrensrecht. Diese Bestimmungen stellen daher besondere Verfahrensregelungen in Ergänzung zu den allgemeinen Regelungen des AVG auf.
§ 18 AsylG, der mit "Ermittlungsverfahren" überschrieben ist, regelt, dass die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Bestimmung stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).
§ 19 AsylG lautet auszugsweise:
"Befragungen und Einvernahmen
[...] (2) Ein Asylwerber ist vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber, ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3). Weiters kann eine Einvernahme im Zulassungsverfahren unterbleiben, wenn das Verfahren zugelassen wird. § 24 Abs. 3 bleibt unberührt. [...]"
Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG ist ein Asylwerber ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens.
Vom Wortlaut des § 19 Abs. 2 AsylG sind daher nur jene Fremde erfasst, deren Verfahren noch nicht rechtskräftig beendet wurde. Im Verlängerungsverfahren besteht daher im Gegensatz zum Asylverfahren dem Wortlaut nach keine Pflicht zur Einvernahme. Es stellt sich daher die Frage, ob in diesem Fall eine planwidrige Lücke vorliegt, die mittels Analogie zu schließen ist, oder ob der Gesetzgeber eine unterschiedliche Behandlung im Verlängerungsverfahren regeln wollte.
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die grundsätzliche Zulässigkeit der Analogie auch im öffentlichen Recht wiederholt anerkannt. Voraussetzung hierfür ist freilich das Bestehen einer echten (d.h. planwidrigen) Rechtslücke. Sie ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Da das öffentliche Recht schon von der Zielsetzung her nur einzelne Rechtsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses zu regeln bestimmt ist, muss eine auftretende Rechtslücke in diesem Rechtsbereich im Zweifel als beabsichtigt angesehen werden. Eine durch Analogie zu schließende Lücke kommt nur dann in Betracht, wenn das Gesetz anders nicht vollziehbar ist oder wenn das Gesetz in eine Regelung einen Sachverhalt nicht einbezieht, auf welchen - unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes und gemessen an den mit der Regelung verfolgten Absichten des Gesetzgebers - ebendieselben Wertungsgesichtspunkte zutreffen wie auf die im Gesetz geregelten Fälle und auf den daher - schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung - auch dieselben Rechtsfolgen angewendet werden müssen (VwGH 29.10.2015, Ro 2015/07/0019).
§ 19 AsylG liegt zugrunde, dass gerade in Asylverfahren die Einvernahme oftmals das einzige Beweismittel ist, das dem Antragsteller zur Verfügung steht. Durch die persönliche Einvernahme soll ihm damit ermöglicht werden, Gründe anzugeben, die gegen eine Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen. Ausnahmen von der Pflicht zur Anhörung sind daher sehr eng zu fassen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 19 AsylG, K 1).
Auch im Verfahren zur Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geht es primär um die Frage, ob dem Antragsteller eine Rückkehr in seine Heimat (nunmehr) möglich ist oder ob einer Rückkehr (weiterhin) Art. 2, 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention entgegenstehen oder ihm dort als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde. Insoweit ist die Situation daher zu Asylverfahren vergleichbar, zumal auch dort die Einvernahme, neben der Ermittlung der Fluchtgründe, dazu dient, Umstände geltend zu machen, die die Zuerkennung des subsidiären Schutzes rechtfertigen könnten (vgl. dazu auch BVwG vom 08.01.2019, W 204 1437102-2/5E).
Auch bei Folgeanträgen ist nach § 19 AsylG eine Einvernahme grundsätzlich vorgesehen. Eine solche kann lediglich dann entfallen, wenn dem Antragsteller ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt. Soweit dem Fremden in seinem Folgeverfahren jedoch ein faktischer Abschiebeschutz zukommt, ist er daher zwingend einzuvernehmen. Selbst in einem solchen Fall, in dem bereits einmal rechtskräftig entschieden wurde, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr der in § 8 AsylG genannten Rechte droht, ordnet das AsylG daher ausdrücklich die zwingende Einvernahme eines Asylwerbers auch zur Klärung dieser Frage an. Das AsylG geht daher offensichtlich davon aus, dass die persönliche Einvernahme zu den wichtigsten Ermittlungsschritten zählt, weshalb diese nur in Ausnahmefällen entfallen darf.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Bestimmung des § 19 Abs. 2 AsylG wegen der vergleichbaren Situation und dem gleichen Zweck der Einvernahme auch im Verlängerungs- bzw. Aberkennungsverfahren zum subsidiären Schutz anzuwenden ist, sodass von einer zwingenden Einvernahme auszugehen ist, zumal dort gerade im Gegensatz zum Folgeverfahren bereits rechtskräftig entschieden wurde, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr der in § 8 AsylG genannten Rechte droht. Es treffen daher in diesem Fall dieselben Wertungsgesichtspunkte zu, sodass, um eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung Fremder zu vermeiden, die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AsylG auch im Verlängerungsverfahren anzuwenden ist.
Zudem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände, besondere Bedeutung zu (VwGH 25.10.2018, Ra 2018/20/0318). Auch aus diesem Grund scheint eine persönliche Befragung des Beschwerdeführers im Verfahren zur Verlängerung des subsidiären Schutzes bzw. zu dessen Aberkennung bereits durch das BFA unumgänglich.
Auch soweit das Bundesamt die Verhängung eines Einreiseverbots für geboten erachtete, hätte es (zumindest) für die Bemessung der Höhe dieselben Umstände zu berücksichtigen gehabt, die sich nur aus einer persönlichen Befragung und gewonnenen persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers selbst ergeben hätten. So ist bei der Entscheidung über die Dauer eines Einreiseverbots stets auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/ Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12). Außerdem ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039).
Darüber hinaus wurde dem Beschwerdeführer, für den (auch trotz seines bereits langjährigen Aufenthaltes in Österreich) nicht ohne Ermittlungen klar ist, inwieweit er der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist, lediglich eine Mitteilung über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens übermittelt und eine schriftliche Stellungnahme während der Untersuchungshaft innerhalb einer Frist von zwei Wochen aufgetragen. Die Mitteilung enthielt keine vom Beschwerdeführer konkret zu beantwortenden Fragen. Insofern musste eine Einvernahme des Beschwerdeführers als unabdingbar erscheinen, insbesondere um seine Integration zu erheben und die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots sowie dessen Dauer beurteilen zu können.
Im gegenständlichen Fall scheint eine persönliche Einvernahme auch deswegen zwingend geboten, zumal dem unvertretenen Beschwerdeführer im schriftlichen Parteiengehör durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine genauen Gründe für die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens mitgeteilt wurden, sondern lediglich auf die Prüfung der Verlängerung des subsidiären Schutzes und die Verhängung der Untersuchungshaft verwiesen wurde. Um dem Beschwerdeführer jedoch die Möglichkeit zu geben, ein substantiiertes Vorbringen zu erstatten, warum die Voraussetzungen noch immer vorliegen, wären dem Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl genauere Informationen zu geben gewesen, die es zu diesem Schritt veranlassten, wie beispielsweise, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan wesentlich verbessert oder die persönliche Situation des Beschwerdeführers maßgeblich geändert habe (siehe dazu auch Art. 45 Abs. 1 lit. a Verfahrensrichtlinie).
Aus den dargelegten Gründen hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts nur völlig ungeeignete Ermittlungen gesetzt und die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AsylG nicht beachtet, indem es den unvertretenen Beschwerdeführer nicht persönlich einvernommen hat bzw. versucht, Ermittlungsschritte an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren (zur Notwendigkeit einer Einvernahme bei zehnjähriger Aufenthaltsdauer vgl. auch BVwG vom 08.03.2019, W182 2208569-1/9E sowie VwGH vom 16.12.2018, Ra 2015/21/0119).
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Die belangte Behörde würde durch ihre Verfahrensführung die wesentliche Ermittlungs- und Begründungstätigkeit quasi an die Rechtsmittelinstanz delegieren (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. 2014/03/0063). Würde in diesem konkreten Fall das Bundesverwaltungsgericht - jene Instanz die zur eigentlichen Rechtskontrolle eingerichtet wurde - die Instanz sein, die im Verfahren erstmals einen begründeten Bescheid mit den Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes erlässt, so wäre damit der Rechtsschutz des Beschwerdeführers de facto eingeschränkt. Es ist in erster Linie die Aufgabe der belangten Behörde als Tatsacheninstanz zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung sich sachgerecht mit dem Antrag auseinanderzusetzen und den maßgeblichen Sachverhalt vollständig festzustellen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG unterbleiben, da bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W171.1434611.2.00Zuletzt aktualisiert am
24.10.2019