Entscheidungsdatum
19.09.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W256 2194602-1/5E
W256 2194608-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX und 2. XXXX , geboren am XXXX , beide StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. April 2018, 1. Zl. XXXX und 2. Zl. XXXX :
A)
Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich ihres Spruchpunktes I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer, somalische Staatsangehörige, stellten jeweils am 24. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers.
Im Zuge der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin zu den Gründen ihrer Antragsstellung an, sie habe eigene Fluchtgründe. Den gegenständlichen Antrag stelle sie deshalb, weil ihr Ehemann in Österreich den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten habe. Ihr Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, habe dieselben Fluchtgründe wie sie.
Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 3. April 2018 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Die Befragung zu den Fluchtgründen gestaltete sich - laut dem um Rechtschreibfehler bereinigten - Protokoll wie folgt:
"F: Hat Ihr Sohn eigene Fluchtgründe?
A: Nein, es gibt keinen anderen Fluchtgrund. Ich wollte zu meinem Ehemann und er wollte seine Familie um sich haben. Deshalb bin ich mit meinen Kindern nach Österreich gekommen.
Nach vorheriger Manuduktion gebe ich an, dass ich für meinen Sohn einen Antrag auf ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG stelle. Dieser Antrag sollte sich auf das Asylverfahren meines Ehegatten und Vater meiner Kinder, ..., beziehen. Ich und mein Sohn haben keine eigenen Fluchtgründe.
F: Haben Sie eigene Fluchtgründe?
A: Ja, ich habe eigene Fluchtgründe.
F: Bitte schildern Sie Ihre Fluchtgründe!
A: Ich möchte den gleichen Status wie mein Ehemann haben.
F: Wissen Sie die Fluchtgründe Ihres Mannes?
A: Nein, weiß ich nicht.
F: Wurden Sie aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion bedroht oder verfolgt?
A: Nein.
F: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr nach Somalia?
A: Ich habe Angst, dass mein Vater und mein Bruder mir etwas antun. Sie haben mir eine Verletzung am Kopf hinzugefügt, weil ich meinen Mann geheiratet habe und dieser einem Minderheitenclan angehören würde. Die beiden haben mir auch für 6 1/2 Jahre mein Kind weggenommen.
F: Wie haben Sie Ihr Kind wieder zurückbekommen?
A: Ein Dienstmädchen hat herausgefunden, wo mein Kind lebt und ich bin dorthin gefahren und habe mein Kind zurückverlangt.
F: Wie lange hatten Sie keinen Kontakt mit Ihrem Mann in Somalia?
A: Von 2006 bis 2008 habe ich seine Stimme gehört und 2016 habe ich ihn in Österreich gesehen.
F: Was war 2008 bis 2015?
A: Nicht gehört und nicht gesehen."
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten jeweils ab (Spruchpunkt I.), der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihnen dagegen jeweils zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils erteilt (Spruchpunkt III). Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, die Erstbeschwerdeführerin habe für sich und ihren Sohn keine Fluchtgründe namhaft gemacht. Die behauptete Befürchtung der Erstbeschwerdeführerin, sie werde wegen ihrer Heirat mit ihrem Mann durch ihre Familie bedroht, sei durch Vorlage von Beweismitteln nicht belegt worden. Eine bloß pauschale Behauptung sei im Übrigen ohnedies nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgung zu begründen.
Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Erstbeschwerdeführerin habe im Verfahren sehr wohl eine Verfolgung vorgebracht. Die Erstbeschwerdeführerin habe im Zuge der Befragung vor der belangten Behörde vorgebracht, dass sie Angst vor Verfolgung durch ihre Familie habe, weil sie ihren einem niedrigeren Clan zugehörigen Ehemann (heimlich) geheiratet habe. Die belangte Behörde sei daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall keine Verfolgung namhaft gemacht worden sei.
Die belangte Behörde legte die Beschwerden samt den Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).
Die angefochtenen Bescheide sind aus folgenden Gründen mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Im vorliegenden Fall hat die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung auch für ihren minderjährigen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer und damit für einen Familienangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
§ 34 Abs. 4 AsylG 2005 ordnet ausdrücklich an, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist.
Daraus folgt aber, dass für jeden Familienangehörigen allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Familienangehörigen jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (siehe dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2014/19/0063 m.v.w.H sowie jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 15. Oktober 2018, Ra 2018/14/0143).
Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführer nicht hinreichend auseinandergesetzt.
Dabei ist der belangten Behörde zwar insoweit zuzustimmen, dass die Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der Befragung vor der belangten Behörde eigene Fluchtgründe der Beschwerdeführer zunächst insgesamt verneinte. In weiterer Folge führte sie aber - wie bereits in der Erstbefragung - demgegenüber dezidiert und auch konkret eigene Fluchtgründe und zwar ihre Angst vor ihrer Familie, weil sie einen Angehörigen eines minderen Clans geheiratet habe, aus.
Angesichts dieser von der Erstbeschwerdeführerin aufgezeigten Verdachtsmomente wäre die belangte Behörde insofern zu weiteren Ermittlungstätigkeiten verpflichtet gewesen. Solche sind im vorliegenden Fall jedoch unterblieben. Weder ist die belangte Behörde im Zuge der weiteren Befragung der Erstbeschwerdeführerin durch konkretes Nachfragen gezielt auf das von der Erstbeschwerdeführerin geschilderte Fluchtvorbringen und damit auf den Einzelfall eingegangen, noch hat sie sich ansonsten damit auseinandergesetzt. Jedenfalls kann den vorlegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde diesbezügliche Erhebungen in irgendeiner Form durchgeführt hat.
Dementsprechend findet auch in den angefochtenen Bescheiden keine (geeignete) Auseinandersetzung mit dieser Fluchtgeschichte statt. Allein das Vorliegen fehlender Beweismittelt entbindet die belangte Behörde jedenfalls nicht von ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht.
Die belangte Behörde hat es daher gänzlich unterlassen, sich mit dem von den Beschwerdeführern geltend gemachten Fluchtgrund eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer auseinanderzusetzen, dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung der Beschwerdeführer, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer ernsthaften und nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich waren die Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
2. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2194602.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.10.2019