Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des S K in Wien, vertreten durch Dr. Georg Kahlig und Mag. Gerhard Stauder, Rechtsanwälte in Wien VII, Siebensterngasse 42, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Mai 1995, Zl. SD 207/95, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. Mai 1995 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer halte sich seit dem Jahr 1977 in Österreich auf und lebe hier mit seiner Gattin und vier Kindern. Er sei am 19. Oktober 1988 und am 14. Februar 1989 jeweils wegen fahrlässiger Körperverletzung zu Geldstrafen rechtskräftig verurteilt worden. Am 30. April 1991 sei er wegen Nötigung zu drei Monaten Freiheitsstrafe unter bedingter Strafnachsicht rechtskräftig verurteilt worden. Am 11. Mai 1993 sei er wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe und dann am 3. November 1993 wegen Suchtgifthandels und Suchtgiftbesitzes gemäß § 12 Abs. 1 und § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Danach sei er vom Bezirksgericht Josefstadt am 14. April 1994 wegen Besitzes einer verbotenen Waffe zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden.
Es bestehe kein Zweifel, daß der Beschwerdeführer aufgrund seiner Verurteilung wegen Suchtgifthandels den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz verwirklicht habe. Die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung rechtfertige auch die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme. Trotz des damit verbundenen sehr schwerwiegenden Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten und daher im Grunde des § 19 FrG zulässig. Der Beschwerdeführer habe sich nicht nur über strafrechtliche Normen, sondern auch über die Regeln des Fremdengesetzes hinweggesetzt, weil er seit 2. Oktober 1993 unberechtigt im Bundesgebiet lebe. Die Umstände, daß den Beschwerdeführer auch rechtskräftige Verurteilungen nicht davon abgehalten hätten, neuerlich straffällig zu werden, und er sich sogar zum Verbrechen des Suchtgifthandels habe hinreißen lassen, bewirkten, daß eine positive Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer nicht möglich sei. Bei der Abwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG sei von einem hohen Ausmaß an Integration des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen gewesen. Die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität rechtfertige die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden. Angesichts dessen müsse den öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegenüber den zweifellos beträchtlichen Auswirkungen der fremdenpolizeilichen Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie das größere Gewicht beigemessen werden.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, § 20 Abs. 2 FrG stünde dem Aufenthaltsverbot entgegen, weil er bereits vor der ersten Verurteilung die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllt hätte, sei auszuführen, daß der maßgebliche Sachverhalt vorliegend in der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung wegen Suchtgifthandels im Jahr 1993 bestehe. Davor habe der Beschwerdeführer jedoch aufgrund der vorangegangenen Verurteilungen die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 nicht erfüllt.
2. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser trat mit Beschluß vom 25. September 1995, B 2083/95, die Beschwerde unter gleichzeitiger Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof ab. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Mit dem - am 1. Jänner 1998 in Kraft getretenen - Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75, wurden die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unterschiedlich zu jenen des FrG geregelt. Die Abs. 4 und 7 des § 114 Fremdengesetz 1997 lauten:
"(4) Aufenthaltsverbote, die beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof angefochten sind, treten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes außer Kraft, sofern der angefochtene Bescheid nicht offensichtlich auch in den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Grundlage fände.
(7) In den Fällen der Abs. 4 und 5 ist die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers einzustellen; mit dem Beschluß über die Gegenstandslosigkeit der Beschwerde tritt in diesen Fällen auch der Bescheid erster Instanz außer Kraft. Solchen Aufenthaltsverboten oder Ausweisungen darf für Entscheidungen, die nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes getroffen werden sollen, keine nachteilige Wirkung zukommen."
Nach § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen eine der in den Z. 1 oder 2 dieser Bestimmung näher umschriebenen Annahmen gerechtfertigt ist.
Damit wurde der Behörde - anders als nach § 18 Abs. 1 FrG - Ermessen eingeräumt.
Obwohl der Beschwerdeführer in dem zur Erlassung des von ihm angefochtenen Aufenthaltsverbotes führenden Verfahren keine Möglichkeit hatte, erst im Rahmen der nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 relevante, gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechende Umstände aufzuzeigen, und der angefochtene Bescheid keine Begründungselemente, die eine Überprüfung der Ermessensübung ermöglichen würden, enthält, sind vorliegend die Voraussetzungen für die Erklärung der Beschwerde als gegenstandslos und die Einstellung des Verfahrens gemäß § 114 Abs. 4 und 7 Fremdengesetzes 1997 nicht erfüllt. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich im Beschluß vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490, auf welchen des näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, daß bei rechtskräftiger Verurteilung eines Fremden u.a. wegen der in § 35 Abs. 3 Fremdengesetz 1997 genannten strafbaren Handlungen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und daher eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung entbehrlich ist. § 35 Abs. 3 Z. 1 Fremdengesetz 1997 nennt u.a. rechtskräftige Verurteilungen zur einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr wegen eines Verbrechens. Da der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens (siehe Art. II zweiter Satz Strafrechtsanpassungsgesetz BGBl. Nr. 422/1974 iVm § 17 StGB) gemäß § 12 Suchtgiftgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt wurde und daher der angefochtene Bescheid nach den obigen Ausführungen nicht gemäß § 114 Abs. 4 Fremdengesetz 1997 außer Kraft getreten ist, ist über die vorliegende Beschwerde auf Grundlage des FrG zu entscheiden.
2. In der Beschwerde bleibt die Rechtsansicht der belangten Behörde, es sei vorliegend der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht und auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt, unbekämpft. Auf dem Boden der unbestrittenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.
3.1. Die Beschwerde bringt vor, daß der Beschwerdeführer beinahe seit 20 Jahren in Österreich lebe und im Inland geheiratet habe. Seine in Österreich geborenen Kinder gingen in Wien zur Schule. Seine Frau sei herzleidend und müsse infolge des Aufenthaltsverbotes ihre Behandlung in Österreich abbrechen. Durch die Ausweisung werde daher "auch in den in § 19 FrG geregelten Schutz des Privat- und Familienlebens in drastischer Weise eingegriffen".
3.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die Auffassung der belangten Behörde, daß vorliegend die Erlassung des Aufenthaltsverbotes trotz des damit verbundenen, im Grunde des § 19 FrG relevanten, "sehr bedeutenden" Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nach dieser Bestimmung zulässig, weil im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (konkret: mit Rücksicht auf die Verhinderung von strafbaren Handlungen und den Schutz der Gesundheit) dringend geboten sei, hat die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich (vgl. für viele etwa das Erkenntnis vom 30. Jänner 1997, Zl. 97/18/0024, mwN). Das öffentliche Interesse an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes wird vorliegend noch dadurch, daß der Beschwerdeführer eine verbotene Waffe besessen hat, und durch den im angefochtenen Bescheid unwidersprochen festgestellten, bereits seit 2. Oktober 1993 bestehenden, unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, welcher eine erhebliche Beeinträchtigung des einen hohen Stellenwert aufweisenden Allgemeininteresses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens darstellt, verstärkt. Im Licht dieser Ausführungen stößt auch die zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgegangene Abwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG auf keinen Einwand, zumal nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes selbst eine ansonsten volle soziale Integration des Fremden bei Suchtgiftdelikten im Hinblick auf deren große Sozialschädlichkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aus der Sicht des § 20 Abs. 1 FrG nicht entgegenstünde (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis, Zl. 97/18/0024, mwN).
Die Tatsache, daß die Kinder des Beschwerdeführers in Österreich geboren sind und hier - in Erfüllung der Schulpflicht - die Schule besuchen, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Frau sei herzkrank und müßte aufgrund des Aufenthaltsverbotes die Behandlung in Österreich abbrechen, ist auszuführen, daß das Aufenthaltsverbot einerseits keine Ausreiseverpflichtung der Gattin des Beschwerdeführers bewirkt, und andererseits - sollte die Gattin gemeinsam mit ihrem Mann Österreich verlassen - nicht vorgebracht wurde, daß die Behandlung der Herzkrankheit nur in Österreich möglich sei.
4. Gemäß § 20 Abs. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden könne, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre auf § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG zu gründen, weil der Fremde wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden ist.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, der sich hiezu auf die Gesetzesmaterialien (AB 869 BlgNR 18.GP) beruft, steht § 20 Abs. 2 FrG nach seinem Wortlaut der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht bereits dann entgegen, wenn der Fremde zu irgendeinem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllte, sondern kommt es auf den Zeitpunkt (unmittelbar) vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes an (vgl. insbesondere die Judikaturhinweise im hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170).
Die belangte Behörde hat deutlich gemacht, daß sie als maßgeblichen Sachverhalt dem Aufenthaltsverbot nur das zur Verurteilung nach dem Suchtgiftgesetz führende Fehlverhalten und nicht auch die vorangegangenen gerichtlich strafbaren Handlungen zugrundegelegt hat. Im Zeitpunkt vor Verwirklichung dieses Sachverhaltes stand der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer jedoch das Verleihungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 entgegen, wonach für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlich ist, daß der Fremde nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, zur Republik Österreich bejahend eingestellt zu sein und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann nämlich keine Rede davon sein, daß ein Fremder, der in einem Zeitraum von nicht einmal fünf Jahren (von Oktober 1988 bis Mai 1993) zweimal wegen fahrlässiger Körperverletzung und je einmal wegen Nötigung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden ist, Gewähr dafür bietet, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden.
5. Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Oktober 1998
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1995181391.X00Im RIS seit
20.11.2000