TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/24 W252 2163054-2

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Veröffentlicht am 24.09.2019
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Entscheidungsdatum

24.09.2019

Norm

AsylG 2005 §34
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W252 2163054-2/4E

W252 2215988-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geboren am XXXX und XXXX , geboren am XXXX , beide StA. Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2019, 1) Zl. XXXX und 2) Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide

ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

l. Verfahrensgang:

1. BF1 ist die leibliche Mutter des BF2. BF1 stellte am 02.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, wurde am gleichen Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

2. Mit Schriftsatz vom 29.03.2017 brachte die BF1, vertreten durch ihren ausgewiesenen Vertreter eine Säumnisbeschwerde ein, die mit Schreiben vom 26.06.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) übermittelt wurde.

3. Am 10.06.2017 heiratete die BF1 nach traditionell den Asylwerber

XXXX .

4. Bundesverwaltungsgericht beauftragte das Bundesamt gemäß § 19 Abs. 6 AsylG die BF1 einzuvernehmen. Diese Einvernahme erfolgte am

13.10 2017.

5. Am XXXX wurde der BF2 geboren, die leiblichen Eltern sind die BF1 und XXXX .

6. Am 09.05.2018 wurde die Beschwerde der BF1 vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 34 AsylG als unzulässig zurückgewiesen.

7. Am 19.07.2018 fand eine neuerliche Einvernahme der BF1 statt und am 21.01.2019 wurde der BF1 Parteiengehör eingeräumt, welchem sie auch nachkam.

8. Das Verfahren über internationalen Schutz des XXXX ist am Bundesverwaltungsgericht anhängig und noch nicht abgeschlossen.

9. Das Bundesamt erließ am 05.02.2019 die gegenständlichen Bescheide, in welchen die "Aberkennungsverfahren" über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 38 AVG bis zur Klärung einer Vorfrage ausgesetzt wurden. Begründend führte das Bundesamt aus, dass der BF2 das leibliche Kind der BF1 und XXXX sei. Das Asylverfahren des Vaters des BF2 sei noch nicht abgeschlossen, ein zeitlicher Horizont stehe dafür nicht fest. Es stehe fest, dass durch den familiären Bezug des BF2 zu seinem leiblichen Vater die Entscheidung über die Zuerkennung eines Status als international Schutzberechtigter in wesentlichen Teilen von dieser Entscheidung abhänge. Die Entscheidung des Vaters stelle eine erhebliche Vorfrage dar, deren Klärung nicht im Zuständigkeitsbereich der Behörde liege, jedoch für eine Entscheidung in den Verfahren der BF1 und des BF2 wegen des durchaus verfahrensentscheidenden Bezugs im Familienverfahren (§34 AsylG) zwingend erforderlich sei.

10. Gegen diese Bescheide wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.

Il. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der rechtlichen Beurteilung werden die Ausführungen oben unter Punkt

l. zum Verfahrensgang (Verwaltungsgeschehen) und Sachverhalt zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgeschehen bzw. der Sachverhalt ergibt sich aus den Akteninhalten, insbesondere aus den angefochtenen Bescheiden und aus den Beschwerden. Das Bundesamt hat in Übereinstimmung mit der Aktenlage in den angefochtenen Bescheiden den hier maßgeblichen Sachverhalt festgestellt, der in den Beschwerden nicht bzw. nicht substantiiert bestritten wurde. Der relevante Sachverhalt steht anhand der Aktenlage somit fest, sodass die Voraussetzungen für die Vornahme einer abschließenden rechtlichen Beurteilung gegeben

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß § 38 AVG ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im

Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Unter einer "Vorfrage" ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden ist. Präjudiziell und damit Vorfragenentscheidungen im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist eine Entscheidung, die 1. eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar - dh: eine notwendige Grundlage ist, und 2. die diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt. Die Bindungswirkung einer eine Vorfrage bildende Entscheidung besteht nur insoweit, als inzwischen keine Änderungen der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage eingetreten ist. Ansonsten ist die Behörde der Verpflichtung zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und zur eigenständigen rechtlichen Beurteilung nicht enthoben (siehe Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 23).

Ein Bescheid, mit dem ein Verwaltungsverfahren gemäß § 38 AVG wegen einer Vorfrage ausgesetzt wird, entfaltet nur solange Rechtswirkungen, als das Verfahren, in dem über die Vorfrageabzusprechen ist, nicht rechtskräftig entschieden ist (VwGH 11.05.2009, 2008/18/0301).

Daraus ergibt sich für das Beschwerdeverfahren Folgendes:

Die Beschwerden richten sich gegen die Bescheide, mit denen das Bundesamt ein bei ihr anhängiges Verwaltungsverfahren (die Entscheidung über die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 und des BF2) bis zum rechtskräftigen Abschluss eines anhängigen Verfahrens betreffend die Frage, welchen Status auf internationalen Schutz der leibliche Vater des BF2 erhält für die BF1 und den BF2 gemäß § 38 AVG "unterbrochen" (gemeint: ausgesetzt) hat.

Als Vorfrage im Sinn von § 38 AVG wurde vom Bundesamt die im anhängigen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht u.a. zu klärende Frage angesehen, welche Entscheidung im Asylverfahren des Vaters des BF2 getroffen werde.

Unbestritten ist, dass die BF1 und XXXX die leiblichen Eltern des BF2 sind. In Bezug auf den BF2 sind die BF1 und XXXX Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG. In Bezug auf BF2 und B1 sowie in Bezug auf BF2 und XXXX liegen jeweils die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Z3 ASylG vor.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde zwar die Anträge von Familienangehörigen gesondert zu prüfen; die Verfahren sind jedoch unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Eine gemeinsame Führung der Verfahren von Familienmitgliedern hat jedoch nur dann zu erfolgen, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim BVwG anhängig sind (vgl. VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits dargelegt, dass § 34 AsylG der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband dient. Ziel dieser Vorschrift ist es, Familienangehörigen (iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Es erhalten alle Familienangehörigen einen eigenen Bescheid, mit dem über die Asylgewährung oder über die subsidiäre Schutzgewährung abgesprochen wird. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienangehörigen anzuwenden. Das gemeinsame Führen aller offener Verfahren beim BFA bzw. im Beschwerdeverfahren beim BVwG, sofern diese gleichzeitig jeweils dort anhängig sind, hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird (vgl. wiederum VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, mit Hinweis auf die jeweils dort auszugsweise wiedergegebenen Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005, BGBI. I Nr. 100/2005, RV 952 BigNR 22. GP, 54, bzw. Erläuterungen zu der Vorgängerregelung des § 10 Asylgesetz 1997 idF der AsylGNovelle 2003, RV 120 BigNR 22. GP, 15; sowie mwN) (VwGH 19.06.2019, Ra 2018/01/0204).

Die Verfahren der BF1 und des BF2 sind noch beim Bundesamt anhängig, das Verfahren von XXXX jedoch am Bundesverwaltungsgericht. Eine gemeinsame Verfahrensführung hat sohin nicht zu erfolgen.

Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines Familienangehörigen in erster Linie auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommt, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (Filzwieser/Frank/Klobmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht 2016, § 34 AslyG, K20).

Wäre einem der Familienangehörigen selbst der Satus des Asylberechtigten zuzuerkennen, so geht dies vor. Diesfalls würde als Folge auf Antrag auch den anderen Familienangehörigen der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden. Die ehemalige Bezugsperson, also der subsidiär Schutzberechtigte könnte nun selbst einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes stellen und bekäme, ohne dass entschiedene Sache vorläge, dann selbst auch den Status des Asylberechtigten. (Filzwieser/Frank/Klobmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht 2016, § 34 AslyG, 1<21).

Die vom Bundesamt angenommene Vorfrage, nämlich welche Entscheidung im Asylverfahren des Vaters des BF2 getroffen werde, stellt daher für die Entscheidung des Bundesamtes keine präjudizielle Rechtsfrage dar, weil die Beantwortung der Frage nach dem Ausgang des Asylverfahrens des Vaters des BF2 wie oben dargestellt für den Ausgang des Verfahrens der BF1 und des BF2 nicht unabdingbar ist und sohin keine notwendige Grundlage darstellt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen. Im vorliegenden Fall lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten und die Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung ist auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC nicht ersichtlich.

4. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden (vgl. etwa VwGH 25.09.2015, Ra 2015/16/0085, mwN). Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Familienverfahren, Voraussetzungen,
Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W252.2163054.2.00

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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