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16/01 Medien, PresseförderungNorm
B-VG Art139 Abs1 Z2Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung der Bundespolizeidirektion Linz betreffend das Verbot des Anschlagens von Druckwerken an näher bezeichneten öffentlichen Orten im Stadtgebiet von Linz mangels Anpassung an geänderte Verhältnisse; das Bestehen von nur noch vier Flächen für das "freie" Anschlagen von Druckwerken im gesamten Stadtgebiet und das Verunmöglichen des Plakatierens im Bereich der Innenstadt stellen eine unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit darSpruch
I. §1 Abs1 und 2 der Verordnung der Bundespolizeidirektion Linz vom 1. Februar 1983 betreffend das Anschlagen von Druckwerken an öffentlichen Orten, Pr-4157, kundgemacht in der Amtlichen Linzer Zeitung, Folge 5/1983, 22 f., war gesetzwidrig.
II. Der Bundesminister für Inneres ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E1890/2018 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1. Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 7. November 2017 wurde über den Beschwerdeführer als Obmann des Vereines "***************************" gemäß §9 Abs1 VStG iVm §1 Abs2 Verordnung der Bundespolizeidirektion Linz vom 1. Februar 1983 betreffend das Anschlagen von Druckwerken an öffentlichen Orten, Pr-4157, kundgemacht in der Amtlichen Linzer Zeitung, Folge 5/1983, 22 f., (im Folgenden: PlakatierungsV) und §48 Bundesgesetz vom 12. Juni 1981 über die Presse und andere publizistische Medien (Mediengesetz – MedienG), BGBl 314/1981, idF BGBl I 50/2012 (im Folgenden: MedienG) eine Verwaltungsstrafe iHv € 80,– verhängt, da er als Vereinsobmann veranlasst habe, dass entgegen den Vorgaben der PlakatierungsV Plakate, mit denen auf die "***** ***** *** ********" hingewiesen wurde, im Stadtgebiet von Linz ausgehängt wurden. Die Plakate seien an einem Blechkasten, in welchem sich Mülltonnen befinden, einem Abspannmasten, mehreren Baustellengittern und einer Überdachung an einer Baustelle angebracht worden. In der gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, dass es in Linz nur noch vier "legale" Möglichkeiten, Plakate anzubringen, gebe und diese allesamt am Stadtrand lägen. Im innerstädtischen Bereich gebe es keine Flächen mehr, auf denen das Plakatieren zulässig sei. Bei Erlassung der Verordnung habe es hingegen 30 Flächen in Linz gegeben, die im Einklang mit den Vorschriften der Verordnung hätten plakatiert werden dürfen. Inzwischen seien die Flächen stark vermindert und Erweiterungen seien nicht ersichtlich.
1.2. Mit Erkenntnis vom 28. März 2018 gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insofern statt, als die Geldstrafe auf € 50,– herabgesetzt wurde; im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Wesentlichen aus, dass es die Bedenken des Beschwerdeführers gegen die PlakatierungsV nicht teile. Die Vorgaben der PlakatierungsV seien im Sinne der öffentlichen Ordnung insbesondere notwendig, um einen "Plakatwildwuchs" in der Innenstadt zu verhindern.
2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde nach Art144 B-VG sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzeskonformität des §1 Abs1 und 2 der PlakatierungsV entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 27. Februar 2019 beschlossen, diese Verordnungsbestimmung von Amts wegen auf ihre Gesetzeskonformität zu prüfen.
3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"[…]
3.5. Angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers, dass es in der Innenstadt von Linz faktisch keine Möglichkeiten mehr gebe, Plakate anzubringen, hegt der Verfassungsgerichtshof (nunmehr) Zweifel an der Gesetzeskonformität des §1 Abs1 und 2 PlakatierungsV. Der Verfassungsgerichtshof hegt vorläufig das Bedenken, dass unter Berücksichtigung der (geänderten) tatsächlichen Verhältnisse insbesondere in der Innenstadt von Linz die öffentlichen Interessen für die Einschränkungen in jenem Ausmaß, in dem sie sich durch die PlakatierungsV ergeben, das öffentliche Interesse an der Plakatierungsfreiheit nicht mehr überwiegen dürften. Im Verordnungsprüfungsverfahren wird zu prüfen sein, inwieweit die vom Verfassungsgerichtshof bereits im Hinblick auf Plakatierungsverbote in anderen Gemeinden geäußerten Bedenken, dass das Plakatierungsverbot überschießend sei (VfSlg 13.127/1992) bzw dass keine gesetzlich gebotene Prüfung hinsichtlich der Erforderlichkeit der Einschränkung der Plakatierungsfreiheit auf die in der in Prüfung gezogenen Verordnung genannten Örtlichkeiten im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vorgenommen worden sei (VfSlg 16.330/2001), auf Plakatierungsverbote wie das hier zu beurteilende übertragbar sind.
[…]"
4. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der in Prüfung gezogenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet.
4.1. Den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wird in der Stellungnahme der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 23. April 2019 wie folgt entgegengetreten:
"[…] Das BMI erließ am 16.12.1981 einen Ausführungserlass zu den für Sicherheitsbehörden relevanten Bestimmungen des Mediengesetzes. In diesem Erlass wurde zu §48 (Anschlag von Druckwerken) festgelegt, dass grundsätzlich die Annahme gerechtfertigt ist, dass besonders in geschlossenen Siedlungsgebieten ein ungehemmtes Plakatieren eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung darstellt. Die damalige Bundespolizeidirektion Linz hat am 01.02.1983 unter der Zahl Pr-4157 eine Plakatierungsverordnung erlassen. Im Jahr 1997 wurde im Rahmen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe zwischen Magistrat Linz und Bundespolizeidirektion Linz festgestellt, dass die Anordnungen in der genannten Plakatierungsverordnung weiterhin notwendig sind. Diesbezüglich wird auf das beiliegende Besprechungsprotokoll vom 19.11.1997 verwiesen. An der Grundlage für die Feststellung der damaligen interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Notwendigkeit des Vollzuges der Plakatierungsverordnung ist bis zum heutigen Zeitpunkt keine Änderung eingetreten. Aus diesem Grund bestand für die Landespolizeidirektion OÖ keine Veranlassung, die Verordnung inhaltlich abzuändern. Eine Wiederverlautbarung dieser Verordnung erfolgte von der Landespolizeidirektion OÖ für die Städte Linz, Wels und Steyr am 14.03.2019. […]"
4.2. Dem in der Stellungnahme der Landespolizeidirektion Oberösterreich genannten Besprechungsprotokoll vom 19. November 1997 (Pkt. 2, Seite 3 f.) lässt sich zur PlakatierungsV insbesondere Folgendes entnehmen:
Die Stadtverwaltung lege großen Wert darauf, dass die von der Bundespolizeidirektion Linz (nunmehr Landespolizeidirektion Oberösterreich) erlassene PlakatierungsV eingehalten werde. Es sei in letzter Zeit vermehrt festgestellt worden, dass insbesondere in Nebenstraßen, in der Nähe von Büchereien und sonstigen öffentlichen Einrichtungen Plakate angebracht seien, die das öffentliche Erscheinungsbild der Stadt "verschandelten". Es werde ersucht, die PlakatierungsV "rigoroser" zu vollziehen und damit einen Beitrag für ein sauberes Stadtbild zu leisten. Gerade in der Ballsaison nähmen die Plakatierungsaktionen wieder zu. Im Hinblick auf die jeweiligen Anbringungsmöglichkeiten sei die Entfernung mit größeren Schwierigkeiten verbunden. So sei es zum Beispiel sehr schwierig, diverse Plakate von Schaltkästen zu entfernen, da hiebei auch Beschädigungen eintreten könnten.
5. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich gab auf Grund einer weiteren Verfügung des Verfassungsgerichtshofes vom 22. Mai 2019 eine Stellungnahme ab, in der sie insbesondere Folgendes ausführt:
Das in der Verordnung vom 14. März 2019 verwendete Wort "Wiederverlautbarung" sei im B-VG Gesetzen vorbehalten (Art49a B-VG) und sollte dieser Ausdruck lediglich den Rechtsunterworfenen vermitteln, dass es sich bei der konkreten Verordnung nur um eine Anpassung an die derzeit in Geltung stehende Behördenstruktur in Österreich handle. Es sei beabsichtigt, die in Geltung stehende Behördenzuständigkeit dem Bürger zu verdeutlichen, um Rechtunsicherheit bezüglich nicht mehr existenter Behörden auszuschließen. Eine inhaltliche Abänderung sei nicht vorgenommen worden. Als Rechtsgrundlage sei Art18 Abs2 B-VG iVm §48 MedienG herangezogen worden. Die Verordnung sei gehörig kundgemacht (Art18 Abs2 B-VG). Die Kundmachung der Verordnung sei auf den Amtstafeln der Landespolizeidirektion Oberösterreich in Linz, Nietzschestraße 35, des Polizeikommissariates Wels in Wels, Dragonerstraße 29, und des Polizeikommissariates Steyr in Steyr, Berggasse 2, sowie auf der Behördenhomepage der Landespolizeidirektion Oberösterreich erfolgt. Diese Verordnung sei bei der LPD Oberösterreich am 14. März 2019 an der Amtstafel angeschlagen und bis dato nicht abgenommen worden. Beim Polizeikommissariat Wels sei der Anschlag am 15. März 2019 erfolgt und ebenfalls noch nicht abgenommen worden. An der Amtstafel des Polizeikommissariates Steyr sei diese Verordnung ebenfalls am 15. März 2019 angeschlagen und am 23. Mai 2019 wieder abgenommen worden.
6. Der Bundesminister für Inneres hat am 29. Mai 2019 eine Äußerung erstattet, in der er mitteilt, dass der in der Stellungnahme der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 23. April 2019 angeführte Erlass mit einem weiteren Erlass des Bundesministeriums für Inneres aufgehoben worden sei.
7. Der Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien hat mitgeteilt, dass von einer Äußerung abgesehen wird.
II. Rechtslage
1. Die PlakatierungsV lautet (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"Verordnung der Bundespolizeidirektion Linz vom 1. Februar 1983 betreffend das Anschlagen von Druckwerken an öffentlichen Orten
§1
(1) Auf Grund des §48 des Mediengesetzes, BGBl.Nr 314/1981, wird zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angeordnet, daß das Anschlagen (Plakatieren) von Druckwerken (§1 Abs1 Z4 leg.cit.) an öffentlichen Orten im Gebiet der Stadt Linz nur
a) an Flächen, die offensichtlich zum Anschlagen von Druckwerken bestimmt sind, oder
b) an anderen Flächen, sofern sie nicht unter die im Abs2 angeführten Beschränkungen fallen,
erfolgen darf.
(2) Das Anschlagen (Plakatieren) von Druckwerken darf nicht unmittelbar an Außenflächen von Gebäuden oder von Einfriedungen, an Brückenpfeilern, an Bäumen, an Denkmälern oder an Sachen, die der religiösen Verehrung gewidmet sind, erfolgen. Es ist weiters unzulässig an Einrichtungen oder Anlagen, die der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Versorgung mit Wasser oder Energie, dem öffentlichen Verkehr oder dem Post-und Fernmeldewesen dienen (dazu zählen insbesondere Laternen- und Abspannungsmasten, Schaltkästen, Notrufanlagen und Telefonzellen). Die vorstehenden Beschränkungen gelten nicht, soweit es sich um das Anschlagen von Druckwerken an offensichtlich hiezu bestimmten Flächen handelt.
(3) Das Anschlagen amtlicher Bekanntmachungen an Amtsgebäuden wird durch die vorstehenden Absätze nicht berührt.
§2
Wer Druckwerke entgegen den Bestimmungen des §1 anschlägt oder daran mitwirkt (§7 VStG 1950), begeht eine Verwaltungsübertretung und wird hiefür gemäß §49 des Mediengesetzes bestraft.
§3
Diese Verordnung tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft. […]"
2. §48 samt Überschrift des MedienG lautet:
"Anschlagen von Druckwerken
§48. Zum Anschlagen, Aushängen und Auflegen eines Druckwerkes an einem öffentlichen Ort bedarf es keiner behördlichen Bewilligung. Doch kann die Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Landespolizeidirektion, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch Verordnung anordnen, daß das Anschlagen nur an bestimmten Plätzen erfolgen darf."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Verordnungsprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:
2.1. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s zB EGMR 26.4.1979, Fall Sunday Times, EuGRZ 1979, 390; 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl VfSlg 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).
2.2. Das ungestörte Verbreiten von Druckwerken durch Aushängen oder Anschlagen ist vom Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf freie Meinungsäußerung gemäß Art13 StGG bzw Art10 EMRK umfasst (vgl EGMR 25.8.1993, Fall Chorherr, Appl 13.308/87, ÖJZ 1994, 173 [Flugblätter]; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 2016, §23 Rz 8 [Plakate]). Verbote oder Beschränkungen dessen stellen einen Eingriff in das Grundrecht dar und sind nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur zulässig, wenn überwiegende andere öffentliche Interessen dem Interesse an der Ausübung des Grundrechtes entgegenstehen (vgl VfSlg 8019/1977, 13.127/1992).
2.3. Im Einzelnen hat der Verfassungsgerichtshof hiezu ausgesprochen, dass das Anschlagen von Druckwerken im Verordnungsweg dort nicht beschränkt werden darf, wo keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen (VfSlg 8019/1977, 13.127/1992). §48 MedienG enthält eine Verordnungsermächtigung in diesem Sinne. Der Verfassungsgerichtshof hat zu dieser – verfassungsrechtlich unbedenklichen (VfSlg 10.886/1986, 13.127/1992) – Verordnungsermächtigung festgehalten, dass das Anschlagen von Druckwerken auf ihrer Grundlage im Verordnungsweg nur insoweit auf bestimmte Orte beschränkt werden kann, als dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlich ist (VfSlg 13.127/1992).
2.4. Eine auf §48 MedienG gestützte Verordnung ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zudem nur dann und insoweit gesetzmäßig, als die verordnungserlassende Behörde nachvollziehbare Erwägungen zu dieser Frage angestellt hat (VfSlg 10.886/1986, 13.127/1992, 16.330/2001, 17.943/2006; vgl zu §11 PresseG, BGBl 218/1922, der Vorgängerbestimmung des §48 MedienG, VfSlg 8019/1977, 9591/1982). Der Verordnungsgeber hat eine umfassende Prüfung vorzunehmen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Verbotes des Plakatierens auf allen von der Regelung betroffenen Flächen gegeben sind (VfSlg 13.127/1992). Hiebei ist insbesondere bei Auslegung und Anwendung der Voraussetzung der Erforderlichkeit des Verbotes zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eine Abwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen zum Verbreiten von Druckwerken durch Aushängen oder Anschlagen und den entgegenstehenden öffentlichen Interessen vorzunehmen.
2.5. Der Verfassungsgerichtshof geht außerdem davon aus, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung nicht nur die zum Zeitpunkt ihrer Erlassung gegebenen Umstände maßgeblich sind, sondern (auch) auf die – möglicherweise geänderten – tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Prüfung abzustellen ist (VfSlg 9588/1982, 16.366/2001, 19.805/2013; vgl hiezu auch VfSlg 13.127/1992). Bei wesentlichen Änderungen in den für die Verordnungserlassung ausschlaggebenden tatsächlichen Verhältnissen wird eine Verordnung rechtswidrig. Deshalb obliegt es dem Verordnungsgeber, sich in angemessenen Zeitabständen vom Weiterbestehen der tatsächlichen Verordnungsgrundlagen zu überzeugen, um die Verordnung allenfalls den Änderungen anzupassen (vgl VfSlg 14.601/1996, 19.805/2013). Eine Verzögerung der Anpassung ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur solange tolerierbar, bis der Verordnungsgeber von der Änderung des Sachverhaltes Kenntnis erlangt oder erlangen muss und es ihm sodann zumutbar ist, die Anpassung der Norm vorzunehmen (VfSlg 14.601/1996).
2.6. Diesen Anforderungen wurde im vorliegenden Fall nicht entsprochen:
2.6.1. Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, dass die durch die PlakatierungsV erfolgte Beschränkung der Plakatierfreiheit dem Schutz eines legitimen Zieles dient. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe insbesondere VfSlg 17.943/2006, 18.378/2008, 19.676/2012) sind Interessen des Ortsbild-, Natur- und Umweltschutzes grundsätzlich öffentliche Interessen, die Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne des Art10 Abs2 EMRK rechtfertigen können.
2.6.2. Fraglich ist aber, ob die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der PlakatierungsV auch – im Sinne des §48 MedienG – zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlich sind und ob die Behörde hiezu nachvollziehbare Erwägungen angestellt hat.
2.6.3. In Bezug auf §1 Abs2 PlakatierungsV sah der Verfassungsgerichtshof im Jahre 1986 noch keine Veranlassung, ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der PlakatierungsV einzuleiten (VfSlg 10.886/1986).
2.6.4. Die Regelungen der Verordnung führen aber nunmehr vor dem Hintergrund der gegenwärtig bestehenden tatsächlichen Verhältnisse nach dem im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht widerlegten Vorbringen des Beschwerdeführers – wonach im gesamten Stadtgebiet überhaupt nur noch vier Flächen für das "freie" Anschlagen von Druckwerken bestehen und im Bereich der Innenstadt das Plakatieren unmöglich ist – im Bereich ihrer Anwendung zu einem weitreichenden Plakatierungsverbot.
2.6.5. Damit überschreitet die in Prüfung gezogene Verordnung die gesetzliche Grundlage des §48 MedienG insofern, als eine derart weitreichende Einschränkung der grundsätzlich gewährleisteten Plakatierfreiheit nicht zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlich ist und eine unverhältnismäßige Einschränkung derselben darstellt. Das legitime Ziel des Ortsbildschutzes vermag nicht Eingriffe jedweder Intensität in die Plakatierfreiheit zu rechtfertigen. Ein derart weit gehendes Verbot ist der Bedeutung des verfolgten Zieles nicht mehr adäquat und sohin unverhältnismäßig (vgl hiezu VfSlg 18.652/2008, 19.159/2010).
2.6.6. Es wurde auch der vorläufigen Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass in Bezug auf die in Prüfung gezogene PlakatierungsV keine gesetzlich gebotene Prüfung hinsichtlich der weiteren Erforderlichkeit der Einschränkung der Plakatierungsfreiheit auf die in der Verordnung genannten Örtlichkeiten im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vor dem Hintergrund geänderter Tatsachen vorgenommen worden sei (vgl hiezu VfSlg 16.330/2001), im Verordnungsprüfungsverfahren nicht entgegengetreten; es wurden auch keine entsprechenden Akten vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, dass sich der Verordnungsgeber regelmäßig vom Bestehen der tatsächlichen Grundlagen der Verordnung überzeugt und die erforderliche Interessenabwägung – im Lichte geänderter tatsächlicher Verhältnisse – durchgeführt hätte.
2.6.7. Da damit auch keine – im Sinne der oben genannten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes – nachvollziehbaren Erwägungen angestellt wurden, ist festzustellen, dass die in Prüfung gezogene PlakatierungsV nicht zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlich war.
IV. Ergebnis
1. §1 Abs1 und 2 der Verordnung der Bundespolizeidirektion Linz vom 1. Februar 1983 betreffend das Anschlagen von Druckwerken an öffentlichen Orten, Pr-4157, kundgemacht in der Amtlichen Linzer Zeitung, Folge 5/1983, 22 f., war wegen Verstoßes gegen §48 MedienG gesetzwidrig; der PlakatierungsV wurde durch die am 14. März 2019 erlassene Verordnung der Landespolizeidirektion Oberösterreich derogiert.
2. Die Verpflichtung des Bundesministers für Inneres zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Plakatierungsverordnung, Werbeverbot, Anpassungspflicht (des Normgebers), Invalidation, Ortsbildschutz, Medienrecht, DerogationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:V20.2019Zuletzt aktualisiert am
12.01.2021