RS Vfgh 2019/9/26 V20/2019

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Veröffentlicht am 26.09.2019
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Index

16/01 Medien, Presseförderung

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z2
EMRK Art10
StGG Art13
MedienG §48
V der BPolDion Linz vom 01.02.1983 betr das Anschlagen von Druckwerken an öffentlichen Orten (PlakatierungsV) §1 Abs1 und Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung der Bundespolizeidirektion Linz betreffend das Verbot des Anschlagens von Druckwerken an näher bezeichneten öffentlichen Orten im Stadtgebiet von Linz mangels Anpassung an geänderte Verhältnisse; das Bestehen von nur noch vier Flächen für das "freie" Anschlagen von Druckwerken im gesamten Stadtgebiet und das Verunmöglichen des Plakatierens im Bereich der Innenstadt stellen eine unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit dar

Rechtssatz

Verstoß von §1 Abs1 und Abs2 der Verordnung der BPD Linz vom 01.02.1983 betreffend das Anschlagen von Druckwerken an öffentlichen Orten, Pr-415, gegen §48 MedienG.

Das Anschlagen von Druckwerken im Verordnungsweg darf dort nicht beschränkt werden, wo keine überwiegenden öffentlichen Interessen (Interessen des Ortsbild-, Natur- und Umweltschutzes) entgegenstehen. Der VfGH hat zu der in §48 MedienG enthaltenen - verfassungsrechtlich unbedenklichen - Verordnungsermächtigung festgehalten, dass das Anschlagen von Druckwerken auf ihrer Grundlage im Verordnungsweg nur insoweit auf bestimmte Orte beschränkt werden kann, als dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Der Verordnungsgeber hat eine umfassende Prüfung vorzunehmen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Verbotes des Plakatierens auf allen von der Regelung betroffenen Flächen gegeben sind (VfSlg 13127/1992). Hiebei ist insbesondere bei Auslegung und Anwendung der Voraussetzung der Erforderlichkeit des Verbotes zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eine Abwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen zum Verbreiten von Druckwerken durch Aushängen oder Anschlagen und den entgegenstehenden öffentlichen Interessen vorzunehmen.

In Bezug auf §1 Abs2 der Verordnung der BPolDion Linz vom 01.02.1983 betreffend das Anschlagen von Druckwerken an öffentlichen Orten (PlakatierungsV) sah der VfGH im Jahre 1986 noch keine Veranlassung, ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der PlakatierungsV einzuleiten. Es obliegt dem Verordnungsgeber, sich in angemessenen Zeitabständen vom Weiterbestehen der tatsächlichen Verordnungsgrundlagen zu überzeugen, um die Verordnung allenfalls den Änderungen anzupassen. Die Regelungen der Verordnung führen aber nunmehr vor dem Hintergrund der gegenwärtig bestehenden tatsächlichen Verhältnisse - wonach im gesamten Stadtgebiet überhaupt nur noch vier Flächen für das "freie" Anschlagen von Druckwerken bestehen und im Bereich der Innenstadt das Plakatieren unmöglich ist - im Bereich ihrer Anwendung zu einem weitreichenden Plakatierungsverbot.

Damit überschreitet die in Prüfung gezogene Verordnung die gesetzliche Grundlage des §48 MedienG insofern, als eine derart weitreichende Einschränkung der grundsätzlich gewährleisteten Plakatierfreiheit nicht zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlich ist und eine unverhältnismäßige Einschränkung derselben darstellt. Das legitime Ziel des Ortsbildschutzes vermag nicht Eingriffe jedweder Intensität in die Plakatierfreiheit zu rechtfertigen. Ein derart weit gehendes Verbot ist der Bedeutung des verfolgten Zieles nicht mehr adäquat und sohin unverhältnismäßig.

Es wurde auch der vorläufigen Annahme des VfGH, dass in Bezug auf die in Prüfung gezogene PlakatierungsV keine gesetzlich gebotene Prüfung hinsichtlich der weiteren Erforderlichkeit der Einschränkung der Plakatierungsfreiheit auf die in der Verordnung genannten Örtlichkeiten im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vor dem Hintergrund geänderter Tatsachen vorgenommen worden sei, im Verordnungsprüfungsverfahren nicht entgegengetreten; es wurden auch keine entsprechenden Akten vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, dass sich der Verordnungsgeber regelmäßig vom Bestehen der tatsächlichen Grundlagen der Verordnung überzeugt und die erforderliche Interessenabwägung - im Lichte geänderter tatsächlicher Verhältnisse - durchgeführt hätte.

Der PlakatierungsV wurde durch die am 14.03.2019 erlassene Verordnung der Landespolizeidirektion Oberösterreich derogiert.

(Anlassfall E 1890/2018, E v 01.10.2019, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Meinungsäußerungsfreiheit, Plakatierungsverordnung, Werbeverbot, Anpassungspflicht (des Normgebers), Invalidation, Ortsbildschutz, Medienrecht, Derogation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:V20.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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