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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen das am 1. März 2019 mündlich verkündete und am 9. April 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W244 2151757-1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: J M, vertreten durch die Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4600 Wels, Edisonstraße 1, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Anfechtungsumfang (Spruchpunkte A. II. und A. III.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 17. September 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 1. März 2017 zur Gänze abwies. Dem Mitbeteiligten wurde auch kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die mit dem gegenständlichen Erkenntnis in Bezug auf die Nichtgewährung von internationalem Schutz abgewiesen wurde (Spruchpunkt A. I.). Im Übrigen wurde der Beschwerde vom BVwG jedoch stattgegeben und der angefochtene Bescheid insoweit behoben. Es wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten auf Dauer unzulässig sei (Spruchpunkt A. II.), und es wurde ihm eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt (Spruchpunkt A.III.). Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für nicht zulässig erklärt.
3 Zur Begründung der Spruchpunkte A. II. und A. III. führte das BVwG zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte halte sich seit ca. viereinhalb Jahren in Österreich auf. Er habe seine in Österreich verbrachte Zeit erfolgreich genützt, um sich in vielerlei Hinsicht in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und dabei ein schützenwertes Privatleben in Österreich entwickelt. Er habe an zahlreichen Deutschkursen teilgenommen und verfüge über gute Deutschkenntnisse. Seit 1. Juni 2016 sei der Mitbeteiligte Lehrling in einem näher genannten Unternehmen und lebe mit einer österreichischen Familie, wo er in die täglichen Abläufe des Familienlebens stark eingebunden sei. Zudem habe er eine Beziehung zu einer Österreicherin begonnen. Der Mitbeteiligte gestalte seine Freizeit aktiv sowohl mit österreichischen als auch mit afghanischen Freunden. Er habe in Österreich am 21. August 2018 erfolgreich die Führerscheinprüfung abgelegt. Eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK falle daher zu Gunsten des Mitbeteiligten aus. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten sei somit unverhältnismäßig und es sei ihm ein entsprechender Aufenthaltstitel zu erteilen.
4 Gegen die Spruchpunkte A. II. und A. III. des Erkenntnisses wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die mit näherer Begründung unter anderem geltend macht, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Interessen bei der Abwägung nach Art. 8 EMRK abgewichen sei.
5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und begründet.
7 Der Revisionsfall gleicht in seinen entscheidungsrelevanten
Fragen jenem, der mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tag, Ra 2019/18/0212, entschieden wurde. Zur Begründung wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf dieses Erkenntnis verwiesen.
8 Auch im vorliegenden Fall führt die Amtsrevision zu Recht ins Treffen, dass die im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen zu den privaten und familiären Verhältnissen des Mitbeteiligten die Annahme einer außergewöhnlichen Integration im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht decken (vgl. zur außergewöhnlichen Integration z.B. VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049, mwN). Das BVwG hielt fest, dass der Mitbeteiligte seine in Österreich verbrachte Zeit erfolgreich genützt habe, um sich in vielerlei Hinsicht in die österreichische Gesellschaft zu integrieren, und dabei ein schützenwertes Privatleben in Österreich entwickelt habe. Es würdigte die guten Deutschkenntnisse, die Lehre in einem österreichischen Unternehmen, eine erfolgreich absolvierte Führerscheinprüfung sowie die Integration des Mitbeteiligten in die täglichen Abläufe einer österreichischen Familie, bei der er lebe. Dass diese Integrationsschritte aber eine außergewöhnliche Konstellation bilden, lässt das angefochtene Erkenntnis nicht erkennen. 9 Hinzu kommt, dass der Mitbeteiligte seine integrationsbegründenden Schritte in einem Zeitraum gesetzt hat, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (ein Umstand, der nach der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur die erreichte Integration entsprechend relativiert; vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN). Dies wird vom BVwG zwar angesprochen, jedoch in seinen weiteren Erwägungen nicht nachvollziehbar gewichtet.
10 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 18. September 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180189.L00Im RIS seit
25.10.2019Zuletzt aktualisiert am
25.10.2019