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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. H A, 2. A S, 3. H S, 4. N S, und 5. Y S, alle vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2018, Zlen. 1. L502 2126402-1/25E, 2. L502 2126403-1/16E,
3. L502 2126404-1/16E, 4. L502 2126406-1/31E und 5. L502 2134113- 1/13E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien, alle irakische Staatsangehörige sunnitischen Glaubensbekenntnisses, sind Mitglieder einer Familie; der Fünftrevisionswerber und die Erstrevisionswerberin sind Ehegatten, die zweit- bis viertrevisionswerbenden Parteien ihre minderjährigen Kinder im Alter von zwölf, sieben und drei Jahren.
2 Sie beantragten am 9. Juni 2015 bzw. am 29. Juli 2016 internationalen Schutz und stützten sich dabei zusammengefasst darauf, dass der Fünftrevisionswerber von schiitischen Milizionären bedroht worden sei und bei Rückkehr Gefahr laufe, von diesen getötet zu werden.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Anträge auf internationalen Schutz in Bestätigung entsprechender Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte Fristen für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig. 4 Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen des Fünftrevisionswerbers (Verfolgung durch schiitische Milizionäre) aus näher dargestellten Gründen keinen Glauben. Zum subsidiären Schutz führte es aus, dass eine Gewährung dieses Schutzes von vornherein nicht in Betracht komme, wenn Personen sich in Situationen befänden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufwiesen. Subsidiärer Schutz setze voraus, dass den Betroffenen ein von einem Akteur verursachter ernsthafter Schaden drohe oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Betroffenen als Zivilpersonen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts gegeben sei. All dies liege im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Zulässigkeit der Abschiebung begründete das BVwG damit, dass im gegenständlichen Fall keine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat gegeben sei, die eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte der revisionswerbenden Parteien befürchten lasse.
5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Sie macht in der Zulassungsbegründung und in der Sache geltend, dass das BVwG auf die besondere Vulnerabilität der Familie mit drei minderjährigen Kindern nicht eingegangen sei, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Prüfung einer drohenden Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK besonders berücksichtigt werden müsse. Im Folgenden legt die Revision näher dar, welche schwierige Rückkehrsituation die revisionswerbenden Parteien nach ihrem Standpunkt vorfänden. Überdies bringt die Revision vor, das BVwG habe seine Beweiswürdigung nicht in gesetzmäßiger Weise offen gelegt, es stütze seine Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen des Fünftrevisionswerbers in großen Teilen auf die mangelhafte Beweiswürdigung des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen. Auch seien einzelne beweiswürdigende Erwägungen des BVwG nicht zutreffend.
6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.
8 Unzulässig erweist sich die Revision insoweit, als sie die Nichtzuerkennung von Asyl bekämpft. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG seine Beweiswürdigung tragend auf die Ergebnisse der durchgeführten mündlichen Verhandlung gestützt und in einer nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstandenden Begründung des Erkenntnisses seine diesbezüglichen Erwägungen näher dargelegt.
9 Die Revision war daher insoweit wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
10 Berechtigung kommt der Revision jedoch in Bezug auf die übrigen bekämpften Teile der Entscheidung zu.
11 Dazu ist vorauszuschicken, dass die Rechtsansicht des BVwG, subsidiärer Schutz komme entgegen dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und der dazu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei realer Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und/oder 3 EMRK (ohne Zutun eines Akteurs) nicht in Betracht, nicht geteilt wird. Diesbezüglich ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, zu verweisen, in der mit ausführlicher Begründung dargestellt wurde, dass und warum der Verwaltungsgerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält.
12 Ausgehend davon hätte bereits im Rahmen der Prüfung des Anspruches der revisionswerbenden Parteien auf subsidiären Schutz darauf Bedacht genommen werden müssen, ob ihnen bei Rückkehr in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr der Verletzung ihrer durch Art. 2 und/oder Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohen würde, und zwar auch dann, wenn diese Gefahren nicht auf das Verhalten eines Akteurs zurückzuführen sind oder die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht werden. Diese Prüfung hat das BVwG zu Unrecht unterlassen und sein Erkenntnis dadurch (vorrangig) mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
13 Soweit es eine derartige Prüfung im Zusammenhang mit der für zulässig erklärten Abschiebung (nach § 52 Abs. 9 FPG) vorgenommen hat, weist die Revision zu Recht darauf hin, dass dabei die nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vorgegebenen Leitlinien keine ausreichende Beachtung gefunden haben. So besteht nach der Judikatur der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts die Verpflichtung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der besonderen Vulnerabilität von Kindern, eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, die eine Familie mit minderjährigen Kindern bei einer Rückkehr zu erwarten hat, durchzuführen (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0229 bis 0232, mwN, 19.6.2019, Ra 2019/18/0084 bis 0093; VfGH 26.06.2019, E 2838/2018 ua, mwN). 14 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht: An keiner Stelle der Entscheidungsgründe findet sich eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, welche konkrete Rückkehrsituation die Familie mit ihren Kindern vorfände. Auf die Minderjährigkeit der zweit- bis viertrevisionswerbenden Parteien wird argumentativ überhaupt nicht eingegangen. Das BVwG beschränkt sich vielmehr auf die allgemeine Aussage, es könne nicht festgestellt werden, dass die revisionswerbenden Parteien bei Rückkehr in den Irak eine existenzbedrohende Situation vorfänden, und führt dazu im Wesentlichen nur aus, beim Fünftrevisionswerber handle es sich um einen arbeitsfähigen Mann, der für seinen und den Unterhalt der Familie sorgen könne. Auch die Möglichkeit von verwandtschaftlicher Unterstützung sei nach Auffassung des BVwG gegeben. Alle diese Annahmen wurden nicht näher überprüft, bleiben spekulativ und werden zu den realen Verhältnissen im Irak nicht in Bezug gesetzt. In seinen Länderfeststellungen trifft das BVwG nur Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak und geht auf weitere Umstände, die für eine Beurteilung der Existenzgefährdung der Familie notwendig wären (Unterkunft, Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Wasser, Gesundheitsversorgung), nicht ein.
15 Zutreffend kritisiert die Revision auch, dass sich die Beweiswürdigung zu den (unvollständigen) Länderfeststellungen, wonach sich diese "auf die im Akt einliegenden ...
Informationsquellen sowie auf die Kenntnis des Gerichts von der notorischen allgemeinen Lage im Irak" stützten, mangels jeglichen Hinweises auf die konkret herangezogenen Quellen einer nachprüfenden Kontrolle entzieht und der Begründungspflicht von Entscheidungen des Verwaltungsgerichts somit auch in diesem Punkt nicht entspricht.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte vorrangig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 18. September 2019
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180038.L01Im RIS seit
25.10.2019Zuletzt aktualisiert am
25.10.2019