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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Pürgy sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der B O alias U in W, vertreten durch Mag. Patrick Göbel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts
vom 19. September 2018, Zl. I415 2157380-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die Beschwerde der Revisionswerberin gegen die übrigen Spruchpunkte (Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Nigerias, reiste im Jahr 2001 nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde im Jahr 2011 rechtskräftig abgewiesen.
2 Am 23. März 2015 stellte die Revisionswerberin einen Folgeantrag. Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung gab sie an, dass ihre alten Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien. Zusätzlich führte sie ihre im Jahr 2002 in Österreich diagnostizierte HIV-Erkrankung an. Sie habe Angst, sie würde in Nigeria nicht behandelt und von ihrer Familie verstoßen werden. 3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 24. April 2017 den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Nigeria zulässig sei, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und sprach aus, dass einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt werde. 4 Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erhoben, das diese mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abwies und aussprach, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 5 Begründend führte das BVwG aus, dass auf Basis der Berichte aus dem Herkunftsland die Revisionswerberin bei einer Abschiebung nach Nigeria keiner Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht wäre von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Das BVwG habe sich nur unzureichend mit der Erkrankung und deren möglichen Auswirkungen auf die Lebenssituation der Revisionswerberin im Falle der Rückkehr auseinandergesetzt. Es habe es unterlassen, konkrete und nachvollziehbare Feststellungen über die näheren Umstände der Erkrankung bzw. deren Stadium, die erforderliche Therapie, die zu erwartenden Kosten, die Möglichkeit der Fortsetzbarkeit der notwendigen Behandlung der HIV-Erkrankung, die Konsequenzen eines Abbruchs oder einer Änderung der Behandlung und über die Frage, ob das soziale Netzwerk der Revisionswerberin im Herkunftsstaat ausreichen würde, um eine existenzielle Notlage bei ihrer Rückkehr aufzufangen, zu treffen.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist im Sinne der Zulassungsbegründung zulässig; sie ist auch teilweise begründet.
9 Vorauszuschicken ist, dass sich die Revision zwar gegen das angefochtene Erkenntnis insgesamt wendet, inhaltlich aber nichts gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf den Status der Asylberechtigten vorgebracht wird. Soweit das BVwG daher die Beschwerde der Revisionswerberin gegen die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten abgewiesen hat, ist die Revision zurückzuweisen.
10 Berechtigung kommt der Revision aber in Bezug auf den verbleibenden Anfechtungsumfang zu. Das BVwG setzte sich nämlich mit der Erkrankung der Revisionswerberin und deren mögliche Auswirkungen auf ihre Lebenssituation im Falle der Rückkehr nach Nigeria nur unzureichend auseinander. Es weicht insofern auch von den Leitlinien in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. VwGH 21.3.2018, Ra 2018/18/0021, mit Verweis auf VwGH 26.4.2010, 2007/01/1272; 21.2.2017, Ro 2016/18/0005). 11 Insbesondere finden sich im angefochtenen Erkenntnis keine ausreichenden Feststellungen über das Stadium der Erkrankung der Revisionswerberin, die erforderliche Therapie, sowie die konkrete Verfügbarkeit von notwendigen Medikamenten in der Herkunftsregion der Revisionswerberin bzw. in Regionen einer allenfalls in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative. In Unkenntnis dieser Umstände sowie aufgrund der widersprüchlichen Berichte zu Behandlungsmöglichkeit bzw. Medikamentenverfügbarkeit im Hinblick auf HIV-Erkrankungen lässt sich auch nicht überprüfen, ob die Revisionswerberin in Nigeria, wie das BVwG annimmt, die notwendige Behandlung der behaupteten HIV-Erkrankung tatsächlich fortsetzen könnte, verneinendenfalls, welche Konsequenzen ein Abbruch oder eine Änderung der Behandlung auf ihre gesundheitliche Situation hätte und inwieweit diese ihre Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben beeinflussen würde.
12 Wie die Revision in ihrer Begründung zu Recht unter Angabe von Auszügen aus Länderberichten ausführt, setzte sich das BVwG mit den sich teils widersprechenden Berichten zur Behandelbarkeit von HIV/AIDS im Herkunftsland nicht ausreichend auseinander. Insbesondere unterlässt es Feststellungen, ob in der Herkunftsregion der Revisionswerberin oder in Regionen einer allenfalls in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative entsprechende Medikamente verfügbar sind. Die Feststellung des BVwG, dass die Versorgung mit Medikamenten in Nigeria ausreichend gewährleistet und für jedermann verfügbar sei, entspricht jedenfalls nicht den Berichten zur Lage im Herkunftsstaat. Aufgrund dessen findet die Einschätzung des BVwG, die Revisionswerberin sei in der Lage, ihre Existenzgrundlage im Herkunftsstaat durch Teilnahme am Erwerbsleben zu sichern, derzeit keine ausreichende Deckung. Dass das soziale Netzwerk der Revisionswerberin in Nigeria bzw. ihr ebenfalls HIV-positiver Ehemann allein ausreichen würden, eine existentielle Notlage der Revisionswerberin bei Rückkehr aufzufangen, hat das BVwG nicht dargetan. Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision auch, die Relevanz der gerügten Ermittlungsmängel darzutun.
13 Angesichts des sich aus dem Verwaltungsakt ergebenden schlechten Immunstatus der Revisionswerberin und Länderberichten, wonach Medikamente für HIV-Erkrankungen teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden können, aber nicht landesweit flächendeckend ausgegeben werden, ist auch dadurch die Relevanz dieses Verfahrensmangels gegeben.
14 Ausgehend davon lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob die Revisionswerberin bei Rückkehr in den Herkunftsstaat - entgegen Art. 3 EMRK - keine Lebensgrundlage vorfinden würde.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher im spruchgemäßen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, im Übrigen aber gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. September 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190378.L00Im RIS seit
05.02.2020Zuletzt aktualisiert am
05.02.2020