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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des S D, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2018, L502 1438285-1/69E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 25. Mai 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. September 2013 wurde der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen sowie die Ausweisung des Revisionswerbers in die Türkei ausgesprochen (Spruchpunkt III.).
2 Zur weiteren Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/01/0126, verwiesen, mit dem das im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben wurde.
3 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides neuerlich als unbegründet ab. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wurde aufgehoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die Revision erklärte das BVwG nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 4 Das BVwG stellte fest, der Revisionswerber sei - rechtskräftig letztlich mit Urteil des türkischen Kassationshofes vom 15. Jänner 2014 - aufgrund näher genannter Tathandlungen nach näher genannten Strafbestimmungen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Dem sei - unter anderem - der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, die aktive und führende Beteiligung an der Mitgliederwerbung der Organisation "für die Umsetzung der bewaffneten Kämpfe der Partei" sowie die Beteiligung an mehreren "illegalen Versammlungen" bzw. Demonstrationen in den Jahren 2005 und 2007 bzw. die "Anleitung der Gruppe" bei diesen Veranstaltungen, wobei die Polizei mit Molotowcocktails, Schlagstöcken und Steinen angegriffen und Straßensperren errichtet worden seien, zugrunde gelegen. Der Revisionswerber sei von August 2008 bis Mai 2011 in Untersuchungshaft gewesen, wobei die Untersuchungshaft auf die Strafhaft angerechnet werde. Während des mit Urteil des türkischen Kassationshofes abgeschlossenen Rechtsmittelverfahrens sei der Revisionswerber auf freien Fuß gesetzt worden und habe die Türkei im Jahr 2012 in Hinblick auf den drohenden Antritt der Strafhaft verlassen. Gegen den Revisionswerber sei darüber hinaus in den Jahren 2012 und 2013 in der Türkei ein weiteres Strafverfahren in seiner Abwesenheit geführt bzw. fortgesetzt worden, zu dem jedoch keine weiteren Feststellungen getroffen werden könnten. Es ergebe sich insgesamt nicht, dass die gegen den Revisionswerber in der Türkei geführten Strafverfahren rechtsstaatlichen Anforderungen nicht entsprochen hätten bzw. in Hinblick auf die Straftaten unverhältnismäßige Strafen verhängt worden seien oder eine Verurteilung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit des Revisionswerbers bzw. seiner politischen Überzeugungen erfolgt sei.
5 Den Revisionswerber erachtete das BVwG in Hinblick auf diverse Widersprüche und Ungereimtheiten in seinen Angaben persönlich nicht als glaubwürdig. Das betreffe insbesondere auch seine Behauptung, er sei in der Türkei während der Haft gefoltert worden. So habe er zunächst angegeben, sich eine Fraktur der Nase im Kindesalter zugezogen zu haben, diese Verletzung im Widerspruch dazu in der Folge jedoch auf Folterungen zurückgeführt. Zu dem weiteren in der Türkei in den Jahren 2012 und 2013 geführten Strafverfahren des Revisionswerbers habe - auch nach Durchführung von Erhebungen durch die Österreichische Botschaft - nichts Weiteres in Erfahrung gebracht werden können. Der Revisionswerber habe trotz mehrfacher Aufforderung keine weiteren Informationen über die Strafverfahren erteilt und dazu keine Unterlagen - wie etwa einen Strafregisterauszug - vorgelegt. Dies wäre dem Revisionswerber aber möglich gewesen, zumal er sich dazu seines türkischen Anwaltes hätte bedienen können, der den Revisionswerber in der Türkei weiterhin vertrete. Der Revisionswerber habe daher seine Mitwirkungspflicht bei Feststellung des Sachverhaltes verletzt.
6 In der staatlichen Strafverfolgung des Revisionswerbers in der Türkei sei fallbezogen keine asylrelevante Verfolgung zu erkennen. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen zur Lage in der Türkei bestehe kein reales Risiko, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr in die Türkei eine seine Rechte nach Art. 3 EMRK verletzende Behandlung zu erwarten habe. Das betreffe, wie sich aus einem näher genannten Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter ergebe, insbesondere auch die noch zu verbüßende Strafhaft.
7 Mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 913/2019-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zu Entscheidung ab.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in
nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer
außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zunächst gegen die Beweiswürdigung und bringt vor, das BVwG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Revisionswerber während seiner Haft in der Türkei nicht gefoltert worden sei bzw. ihm dort nicht erneut Folter drohe. Das BVwG habe es unterlassen, Feststellungen zu den Haftbedingungen in der Türkei zu treffen. Soweit es in seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgehe, dass keine inadäquaten Haftbedingungen vorlägen, sei dies unrichtig. Tatsächlich sei die Versorgung in türkischen Gefängnissen generell unzureichend bzw. drohe den Insassen, Opfer von Folter zu werden. 12 Diese Ausführungen gehen insoweit nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, als das BVwG - wenngleich teilweise disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - Feststellungen zu den Haftbedingungen in der Türkei getroffen hat. Das BVwG zitiert im Rahmen seiner Länderfeststellungen zu den Haftbedingungen in der Türkei im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation enthaltene Berichte verschiedener Organisationen. Es legt seiner rechtlichen Beurteilung in dieser Frage die in den Feststellungen wiedergegebene Schlussfolgerung des UN-Sonderberichterstatters für Folter aus dem Jahr 2016 zu Grunde, wonach die Haftbedingungen in den Gefängnissen in wichtigen Städten in der Türkei generell befriedigend seien. Die Revision, die dem lediglich andere Teile des Länderinformationsblattes entgegenhält, legt damit nicht dar, dass die Beurteilung des BVwG, für den Revisionswerber bestünde bei einer Rückkehr in die Türkei alleine wegen der Haftbedingungen keine maßgebliche Gefährdung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK, fallbezogen an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit leidet.
13 Soweit das BVwG die Behauptung des Revisionswerbers, er sei in der Vergangenheit in der Türkei gefoltert worden, nicht als glaubwürdig erachtete, konnte es sich auf diverse Widersprüche und Ungereimtheiten in seinen Angaben stützen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0528, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit der Erwägungen des BVwG vermag die Revision fallbezogen nicht aufzuzeigen.
14 Die Revision macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung weiters geltend, das BVwG habe hinsichtlich des in den Jahren 2012 und 2013 gegen den Revisionswerber in der Türkei geführten weiteren Strafverfahrens zu Unrecht keine weiteren Erhebungen durchgeführt und keine näheren Feststellungen getroffen. Der Vorwurf des BVwG, der Revisionswerber hätte seine Mitwirkungspflicht verletzt, treffe nicht zu, zumal dem Revisionswerber nicht zugemutet werden könne, die türkischen Behörden um Übermittlung von Unterlagen an ihn zu ersuchen, weil dadurch seine Anschrift in Österreich bekannt würde.
15 Mit diesem Vorbringen macht die Revision eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss aber schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für die Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 25.4.2019, Ra 2018/19/0710, mwN).
16 Dem wird die Revision, die keine Ausführungen dazu enthält, zu welchen anderen Sachverhaltsannahmen das BVwG hinsichtlich des gegen den Revisionswerber geführten weiteren Strafverfahrens gekommen wäre, nicht gerecht, sodass sie mit ihrem Vorbringen daher schon deshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen vermag. Bereits im Vorerkenntnis (VwGH Ra 2016/01/0126, Rn. 25, mit weiteren Hinweisen) wurde im Übrigen auf die den Revisionswerber bei Feststellung des Sachverhaltes treffende Mitwirkungspflicht hingewiesen. Der Argumentation des BVwG, dem Revisionswerber wäre es auch über seinen türkischen Anwalt möglich gewesen, die von ihm abverlangten Informationen bzw. Unterlagen zu erlangen, tritt die Revision nicht konkret entgegen.
17 Soweit zur Zulässigkeit der Revision schließlich noch vorgebracht wird, die Verurteilung des Revisionswerbers zu einer Freiheitsstrafe sei aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei erfolgt, wobei das BVwG es unterlassen habe, Feststellungen zu den Gründen der Verurteilung zu treffen, übersehen diese Ausführungen die ohnedies getroffenen negativen Feststellungen (vgl. Rn. 4), sodass schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird (vgl. VwGH 5.8.2019, Ra 2019/20/0307, mwN).
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 25. September 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190487.L00Im RIS seit
05.02.2020Zuletzt aktualisiert am
05.02.2020