Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. E*****, vertreten durch DDr. Meinhard Ciresa, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2019, GZ 2 R 139/18b-38, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. August 2018, GZ 53 Cg 22/16f-32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:
Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rechtswidrigkeit privater Urteilsveröffentlichungen im Zusammenhang mit dem Bruch einer beruflichen Verschwiegenheitsverpflichtung.
Der beklagte Rechtsanwalt war im Verfahren des Handelsgerichts Wien AZ 22 Cg 22/14z rechtsfreundlicher Vertreter der dort klagenden Immobilienmaklerin. Der (dort beklagte) Kläger hatte der Immobilienmaklerin einen Vermittlungsauftrag betreffend den Erwerb einer Luxusimmobilie in W***** erteilt, jedoch – nach Ankauf durch eine in seiner Sphäre befindliche Gesellschaft – die Zahlung der Provision in Höhe von 1,26 Mio EUR trotz Fälligkeit seit 17. 11. 2011 verweigert, und wurde deshalb mit Urteil des Erstgerichts vom 30. 10. 2015 und bestätigendem Berufungsurteil vom 29. 7. 2016 zur Zahlung der Provision samt Anhang verpflichtet; seine außerordentliche Revision wurde vom Obersten Gerichtshof zu AZ 4 Ob 205/16z zurückgewiesen.
Da die Immobilienmaklerin die Einbringung ihres Zuspruchs aus diesem Verfahren mangels persönlichen Vermögens des Klägers in Österreich als gefährdet ansah, erwirkte der Beklagte unmittelbar nach Zustellung des Berufungsurteils am 24. 8. 2016 für die beiden Urteile Vollstreckbarkeitsbestätigungen, die ihm am 25. 8. 2016 vom Handelsgericht Wien auch ausgestellt wurden. Daraufhin brachte er am 30. 8. 2016 in Absprache mit der Immobilienmaklerin einen Exekutionsantrag gegen den Kläger ein. Die Vollstreckbarkeitsbestätigungen wurden allerdings am 1. 9. 2016 aufgrund tatsächlich nicht abgelaufener Leistungsfrist wieder aufgehoben. Zu Exekutionsschritten war es nicht gekommen, der Kläger beglich am 5. 9. 2016 – innerhalb (tatsächlich bis 7. 9. 2016 noch) offener Leistungsfrist – die titulierte Schuld.
Der Beklagte hatte bereits im März 2016 in dieser Angelegenheit Kontakt mit dem Journalisten eines Nachrichtenmagazins aufgenommen und diesem – in Abstimmung mit der Immobilienmaklerin – zunächst das erstinstanzliche sowie in weiterer Folge auch das berufungsgerichtliche Urteil übermittelt. Vor Einbringung des Exekutionsantrags veranlasste er außerdem dessen Übermittlung an den Journalisten nach dessen Zusicherung, den Antrag publizistisch nicht zu verwenden.
Am 5. 9. 2016 erschien im Nachrichtenmagazin ein Artikel betreffend den Erwerb der Immobilie durch den Kläger und das Verfahren zwischen diesem und der Immobilienmaklerin; vom Exekutionsantrag ist darin nicht die Rede.
Der Kläger begehrt(e) einerseits die Unterlassung kreditschädigender Äußerungen (gegen ihn sei aufgrund einer urteilsmäßigen Verpflichtung ein Exekutionsantrag eingebracht und/oder ein Exekutionsverfahren eingeleitet worden) – insoweit wurde das Verfahren durch Unterlassungsvergleich beendet – und andererseits die Feststellung der Haftung des Beklagten für jeden Schaden, der dem Kläger erwachsen ist oder erwachsen wird
1. aus der Verbreitung der Behauptung gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber Medien, dass gegen den Kläger aufgrund einer urteilsmäßigen Verpflichtung ein Exekutionsantrag eingebracht und/oder ein Exekutionsverfahren eingeleitet worden sei, obwohl die urteilsmäßige Leistungsfrist noch gar nicht abgelaufen war, und
2. aus der Mitwirkung an der Verletzung der die Immobilienmaklerin treffenden Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf den Erwerb der Liegenschaft in W*****.
Das Berufungsgericht wies das gesamte Feststellungsbegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein rechtliches Interesse an der Feststellung bereits fälliger Ersatzansprüche nicht besteht (RS0038934). Soweit deshalb der Kläger die Feststellung der Haftung des Beklagten für jeden Schaden, der dem Kläger erwachsen ist, anstrebt, entspricht die Abweisung des Klagebegehrens der Rechtslage (RS0039201).
2.1. Nach § 9 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Prozessvorbringen durch einen Rechtsanwalt, selbst wenn es tatbestandsmäßig im Sinn des § 1330 ABGB sein sollte, ist somit nach § 9 Abs 1 RAO gerechtfertigt, sofern die Ausübung des Rechts im Rahmen der Prozessführung nicht missbräuchlich erfolgt. Eine (allfällige) Herabsetzung des Gegners darf also nicht wider besseres Wissen geschehen (RS0114015; aus jüngerer Zeit 6 Ob 28/17m; 6 Ob 30/19h), wobei maßgeblich dafür nicht ist, ob der Täter die Unrichtigkeit hätte kennen müssen; es kommt vielmehr auf sein konkretes Wissen von der Unrichtigkeit an (6 Ob 40/09i; 6 Ob 30/19h).
2.2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen beschaffte der Beklagte die Vollstreckbarkeitsbestätigungen für die beiden Urteile zeitnah zur Zustellung des Berufungsurteils und brachte den Exekutionsantrag bereits am 30. 8. 2016 deshalb ein, weil seine Mandantin, die Immobilienmaklerin, die Einbringung ihres titulierten Zuspruchs mangels persönlichen Vermögens des Klägers in Österreich als gefährdet ansah. Dass dem Beklagten der Umstand der noch nicht abgelaufenen Leistungsfrist bei Einbringung des Exekutionsantrags bewusst gewesen wäre, lässt sich den Feststellungen hingegen nicht entnehmen (immerhin verfügte er zu diesem Zeitpunkt ja auch über Vollstreckbarkeitsbestätigungen des Handelsgerichts Wien). Ebenso wenig haben die Vorinstanzen festgestellt, dass – wie der Kläger im Verfahren erster Instanz vorbrachte – der „Exekutionsantrag vom Beklagten ganz offensichtlich alleine zu dem Zweck eingebracht [worden wäre], um ihn an Medien weiter zu geben und dem Kläger auf diesem Weg […] zu schaden“. Von einem rechtsmissbräuchlichen Exekutionsantrag im Sinn der dargestellten Rechtsprechung (2.1.) kann somit nicht ausgegangen werden, wobei vor allem auf die vom Kläger selbst im Verfahren erster Instanz besonders hervorgehobene Entscheidung 4 Ob 168/93 zu verweisen ist: „Nur wer bei gehöriger Aufmerksamkeit voraussehen kann, dass eine Prozessführung aussichtslos ist, wird ersatzpflichtig; das gleiche muss für eine Exekutionsführung gelten.“
3. Das Berufungsgericht hat – dies im ausdrücklichen Widerspruch zu seiner aufgrund des auch hier zu beurteilenden Sachverhalts gegen die Immobilienmaklerin gerichteten Entscheidung vom 30. 4. 2018 (AZ 2 R 142/17t) – im vorliegenden Verfahren die Auffassung vertreten, diese (und damit auch der Beklagte) hätten durch die Übermittlung der Gerichtsentscheidungen und des Exekutionsantrags an den Journalisten keine einen Immobilienmakler treffenden Verschwiegenheitsverpflichtungen verletzt. Ein solcher Widerspruch kann zwar die Zulässigkeit einer Revision im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründen (6 Ob 191/01h); im vorliegenden Verfahren hat das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren aber aus anderen Gründen zutreffend abgewiesen:
3.1. Das Berufungsgericht hat unter Zitierung der Entscheidung 1 Ob 151/06x ausgeführt, dass das für den Erfolg einer Feststellungsklage gemäß § 228 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen zu prüfen sei. Es müsse spätestens bei Schluss der mündlichen Verhandlung über die Klage vorliegen. Wird ein Feststellungsbegehren auf eine Schadenersatzpflicht gestützt, so müsse in jenem Zeitpunkt allerdings nicht auch schon ein Primärschaden eingetreten sein; es genüge vielmehr die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts. Diesfalls setze die Bejahung eines Feststellungsinteresses jedoch die konkrete Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts voraus. Eine theoretisch mögliche künftige Schädigung auf dem Boden einer abstrakten Beurteilung reiche nicht.
3.2. Dem hält der Kläger in seiner Revision lediglich entgegen, ein Feststellungsinteresse könne „nur verneint werden, wenn zukünftig eintretende Schäden aus einem bestimmten Schadensereignis schlechthin und absolut auszuschließen“ seien; dies sei hier aber nicht der Fall. Die von ihm als Beleg hiefür zitierten Entscheidungen vermögen das vom Kläger angestrebte Ergebnis nicht zu tragen:
Im Fall der Entscheidung 7 Ob 149/06x belasteten den (dortigen) Kläger „mehrfache Dauerfolgen“, weshalb daraus resultierende künftige Schäden nicht völlig auszuschließen waren.
Die Entscheidung 8 Ob 138/17b stellte klar, dass die zuvor angeführte Entscheidung nicht dahingehend verstanden werden könne, dass entgegen der ständigen Rechtsprechung für das Konstatieren des Ausschlusses zukünftiger Schäden erforderlich wäre, dass diese mit absoluter Gewissheit nicht eintreten werden. Trotz Vorliegens von Dauerschäden beim (dortigen) Kläger wurde das Feststellungsbegehren abgewiesen, weil Spätfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen worden waren.
Dem folgte auch die Entscheidung 2 Ob 11/18h, die ergänzend ausführte, dass es für das Feststellungsinteresse nur darauf ankomme, ob künftige Folgen ausgeschlossen werden können oder nicht; dabei handle es sich um eine Tatfrage.
3.3. Einen Ausschluss künftiger Schäden „schlechthin und absolut“ verlangt die Rechtsprechung somit nicht. In der Entscheidung 6 Ob 295/03f hat der Oberste Gerichtshof vor dem Hintergrund des § 1330 ABGB vielmehr ausgeführt, aus der Erwägung, dass die Feststellungsklage nicht nur dem Ausschluss der Verjährung dient, sondern auch der Vermeidung künftiger Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde nach, sei es für die Annahme eines rechtlichen Interesses zwar nicht erforderlich, dass ein Schaden bis zum Schluss der Verhandlung eingetreten ist, wenn sich das schädigende Ereignis, das den konkreten Schaden hatte auslösen können, bereits ereignet habe und der Schaden auch ohne weiteres Zutun des Schädigers in der Zukunft eintreten könne. Strebt der Kläger mit dem Feststellungsbegehren die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden an, habe er aber eine konkrete Beeinträchtigung seiner beruflichen Tätigkeit (künftiger Verlust von Aufträgen) aufzuzeigen und konkrete vermögensrechtliche Nachteile zu behaupten. Diese Entscheidung steht durchaus im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung, wonach für eine Feststellung der Haftung für künftige Schäden die bloß abstrakte Möglichkeit eines Schadenseintritts nicht ausreicht, weshalb es Sache des Klägers ist, im Einzelfall aufzuzeigen, welcher Art die möglichen Schäden sein könnten, wobei der anspruchsbegründende Sachverhalt zumindest in groben Umrissen behauptet werden muss (RS0038949).
Im vorliegenden Verfahren ging das Berufungsgericht auf Tatsachenebene davon aus, dass es dem Kläger nicht gelungen sei zu konkretisieren, warum der Empfänger der inkriminierten Behauptungen, also der Journalist, diese weiter verbreiten sollte; es sei auch nicht ersichtlich, welche Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts aufgrund der Offenbarung des Inhalts eines Immobiliengeschäfts gegenüber einem Journalisten bestünde. Damit hat das Berufungsgericht aber künftige Folgen ausgeschlossen. Dem gegenüber hat der Kläger konkrete Beeinträchtigungen seiner beruflichen Tätigkeit und konkrete vermögensrechtliche Nachteile im Sinn der Entscheidung 6 Ob 295/03f (auch) im Revisionsverfahren nicht dargetan.
Es ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, ob ein Feststellungsinteresse vorliegt (1 Ob 230/18g MR 2019, 81 [Walter] = ZIIR 2019, 226 [Thiele]). Die Verneinung dieser Frage durch das Berufungsgericht im vorliegenden Fall ist jedenfalls vertretbar.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.
Textnummer
E126185European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00063.19M.0829.000Im RIS seit
24.10.2019Zuletzt aktualisiert am
24.10.2019