Entscheidungsdatum
07.10.2019Norm
BauO NÖ 2014 §35 Abs2 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Gibisch als Einzelrichter über die Beschwerde des A gegen den Berufungsbescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 10. April 2019, ***, betreffend Abbruchauftrag zu Recht:
1. Der angefochtene Bescheid wird in Stattgebung der Beschwerde dahingehend abgeändert, dass der in Berufung gezogene Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 21. August 2018, ***, aufgehoben wird.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 28 Abs. 2 Z. 1 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
Mit Bescheid des Stadtamtes der Stadtgemeinde *** vom 21. August 2018, ***, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 35 Abs. 2 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014 der Auftrag zum Abbruch seiner auf dem von ihm gepachteten Grundstück Nr. *** (EZ ***), KG ***, auf Los *** festgestellten Nebengebäude in Form einer nicht unterkellerten Gerätehütte in Holzbauweise im Ausmaß von ca. 1,30 x 2,00 m, mit einer Gebäudehöhe von ca. 2,10m und eines Flugdaches im Ausmaß von 5,15 x 2,30 m, mit einer Gebäudehöhe von ca. 2,40m, in der Widmung Grünland Land- und Forstwirtschaft binnen 6 Monaten ab Rechtskraft des Bescheides erteilt, gemäß § 76 AVG Verfahrenskosten in der Höhe von € 27,60 vorgeschrieben und gleichzeitig die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2018 zum Bestandteil des Bescheides erklärt:
Begründend führte die Baubehörde erster Instanz im Wesentlichen aus, dass sich die beim Lokalaugenschein festgestellten Baumaßnahmen auf dem im Eigentum der Stadtgemeinde *** stehenden Grundstück als nicht bewilligt und widmungswidrig herausgestellt hätten.
Mit rechtzeitiger Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er sämtliche festgestellten Bauwerke mit 1. Jänner 2005 vom Vorpächter übernommen und bislang unbeanstandet behalten habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Berufung im Wesentlichen mit der Begründung keine Folge gegeben, dass der Beschwerdeführer im Wege der Ersitzung Eigentümer der historisch stets konsenslosen, jedoch bewilligungspflichtigen Superädifikate geworden und daher gesetzmäßiger Adressat des Abbruchauftrages sei.
2. Beschwerdevorbringen:
Der Beschwerdeführer bringt abweichend von seiner Berufung im Wesentlichen vor, dass er den Garten samt den Bauwerken nicht vom Vorpächter, sondern von der Grundeigentümerin als Verpächterin übernommen habe. Dies ergebe sich aus der Planbeilage zum Pachtvertrag, dem zufolge die Bauwerke mitverpachtet worden seien. Zwischen ihm und dem Vorpächter seien keine Rechtsgeschäfte abgeschlossen worden. Er sei daher nicht Bauwerkseigentümer.
Über Aufforderung durch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Vorlage des Pachtvertrages legte der Beschwerdeführer lediglich Planbeilagen vor und räumte ein, dass im Pachtvertrag keine Bauwerke als Pachtgegenstand genannt sind.
3. Rechtslage:
§ 35 Abs. 2 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014, LGBl. Nr. 1/2015, lautet:
„§ 35
Sicherungsmaßnahmen und Abbruchauftrag
(1) …
(2) Die Baubehörde hat den Abbruch eines Bauwerks ungeachtet eines anhängigen Antrages nach § 14 oder einer anhängigen Anzeige nach § 15 anzuordnen, wenn
1. …
2. für das Bauwerk keine Baubewilligung (§ 23) oder Anzeige (§ 15) vorliegt.
Für andere Vorhaben gilt Z 2 sinngemäß.
…“
4. Erwägungen:
Das Grundstück Nr. *** (EZ ***), KG *** liegt unbestritten in der Widmung Grünland Land- und Forstwirtschaft. Die Abbruchobjekte wurden unbestritten von einem Vorpächter konsenslos und widmungswidrig ohne Zustimmung des Grundeigentümers errichtet. Strittig ist einzig die Rechtsfrage der Eigentümerstellung hinsichtlich dieser Abbruchobjekte. Mangels gesonderter Regelung der Eigentümerstellung in der NÖ Bauordnung 2014 ist diese Frage ausschließlich nach den Regeln des Zivilrechts zu beurteilen (VwGH 98/06/0061):
1. Eigentum an den Abbruchobjekten im Errichtungszeitpunkt:
Die belangte Behörde geht erkennbar davon aus, dass ein Superädifikat unter der Voraussetzung einer erkennbar fehlenden Belassungsabsicht auch gegen den erklärten Willen des Grundeigentümers entstehen kann. Die Rechtsprechung geht grundsätzlich vom Erfordernis einer Zustimmung des Grundeigentümers aus (OGH 3Ob541/50, zuletzt OGH 5Ob35/15f). Auf eine Vereinbarung mit dem Grundeigentümer kommt es dabei insbesondere dann an, wenn sich die mangelnde Belassungsabsicht nicht schon aus dem äußeren Erscheinungsbild ergibt. Im vorliegenden Fall ergibt sich die mangelnde Belassungsabsicht schon aus dem äußeren Erscheinungsbild der bloß locker mit dem Untergrund verbundenen Holzkonstruktionen in Leichtbauweise (OGH 2Ob242/05k). Selbst die baurechtliche Konsenswidrigkeit einer baulichen Anlage steht dem zivilrechtlichen Entstehen eines Superädifikats nicht entgegen, weshalb sich dessen Eigentümer gegen die Vollstreckung eines (nur) gegen den Grundeigentümer erlassenen Abbruchauftrags wehren kann (OGH 3Ob119/93).
Vor diesem Hintergrund kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie in diesem ersten Prüfschritt vom Entstehen eines Superädifikats im Errichtungszeitpunkt ausgegangen ist, das auch ohne Urkundenhinterlegung zum Eigentum des Errichters wurde. Dahingegen blieb das Eigentum an der Baufläche durch die konsenswidrige Bauführung ungeschmälert, da der außerbücherliche Eigentumserwerb an der Baufläche nach § 418 Satz 3 ABGB neben der Redlichkeit des Bauführers voraussetzt, dass der Grundeigentümer vom Bau auf seinem Grund weiß und ihn vorwerfbar dennoch nicht untersagt (OGH 3Ob216/15h), worauf hier nichts hindeutet. Im vorliegenden Fall kann von einem „dennoch nicht Untersagen“ der Grundeigentümerin, die in den im Akt aufliegenden Pachtverträgen stets auf die widmungsbedingt zu unterlassende Bautätigkeit verweist, keine Rede sein. Ein originärer Eigentumserwerb an der von der Baumaßnahme des Errichters betroffenen Grundfläche kommt daher nicht in Betracht (OGH 1Ob239/08s). Dies führt zum Zwischenergebnis, dass der Errichter der Abbruchobjekte Eigentum an den Abbruchobjekten als durch ihr Erscheinungsbild erkennbare Superädifikate erwarb.
Eigentum am Superädifikat erwirbt zunächst der Errichter (OGH 5Ob55/13v). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bleibt das Eigentum an einem Superädifikat von der Beendigung oder dem Wegfall des Grundbenützungsverhältnisses an sich unberührt. Das Bauwerk steht zwar auch weiterhin im Eigentum seines bisherigen Eigentümers, der es allerdings auf Verlangen des Grundeigentümers beseitigen müsste, sofern er es nicht aufgrund einer besonderen Abrede auf den Grundeigentümer zu übertragen hat (z.B. OGH 7Ob224/13m). Im vorliegenden Fall bestanden die vor 1. Jänner 2005 errichteten Abbruchobjekte während der an diesem Tag begonnenen Pacht durch den Beschwerdeführer bis dato unverändert.
Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob das Eigentum des Errichters an den Abbruchobjekten – originär oder derivativ – auf den Beschwerdeführer übergegangen ist. Da er – seitens der belangten Behörde unwidersprochen sowie im Einklang mit dem vorgelegten Akteninhalt – ausdrücklich behauptet, mit dem Vorpächter diesbezüglich kein Rechtsgeschäft abgeschlossen zu haben, kommen nur originäre Erwerbsarten in Betracht.
2. Keine Ersitzung:
Die von der belangten Behörde angenommene Ersitzung der Abbruchobjekte durch den Beschwerdeführer setzt der ständigen Rechtsprechung zufolge rechtmäßigen, echten und redlichen Besitz des Ersitzers während der gesamten Ersitzungszeit von drei Jahren voraus (zuletzt OGH 8Ob38/14t). Redlich ist, wer die Sache, die er besitzt, aus wahrscheinlichen Gründen für seine hält. Das setzt die positive Überzeugung von der Rechtmäßigkeit im weiteren Sinn voraus, also etwa von der Gültigkeit des Titels, auf dem der Rechtserwerb basieren soll (zuletzt OGH 5Ob55/13v). Auch leichte Fahrlässigkeit in der Beurteilung der Frage, ob der Besitzerwerb in fremde Rechte eingreife, schließt den guten Glauben aus; aber auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Besitzwerbers zerstören ihn und nur entschuldbarer Irrtum vermag ihn zu sichern (OGH 3Ob103/05a). Im vorliegenden Fall deutet nicht nur nichts auf ein zwischen einem Vorbesitzer und dem Beschwerdeführer abgeschlossenes Rechtsgeschäft hin, sondern leugnet der Beschwerdeführer ein solches ausdrücklich. Mangels eines qualifizierten Besitzes scheidet daher Ersitzung des Eigentums an den Abbruchobjekten durch den Beschwerdeführer aus. Dies unabhängig davon, ob der Vorbesitzer selbst jemals (originär oder derivativ) Eigentümer der Abbruchobjekte war.
3. Keine Aneignung
Eine für den gedachten Fall einer Dereliktion der Abbruchobjekte durch den Voreigentümer denkbare Aneignung scheidet als Eigentumstitel schon deshalb aus, weil eine Aneignung im Unterschied zur Ersitzung kein außerbücherliches Eigentum verschafft (OGH 99/05/0051). Vielmehr würde eine Aneignung der Abbruchobjekte die vorangegangene Einverleibung deren Herrenlosigkeit voraussetzen (OGH 5Ob21/14w). Der Erwerb des Eigentumsrechtes durch Okkupation nach vorangegangener Dereliktion erfolgt bei Superädifikaten durch entsprechende Urkundenhinterlegung (OGH 2R233/11x).
Vor diesem Hintergrund kann ein Eigentumsrecht des Beschwerdeführers an den Abbruchobjekten aufgrund der Aktenlage ausgeschlossen werden, weshalb allein der angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Wenn der Beschwerdeführer seine Behauptung des Eigentumsrechts der Stadtgemeinde *** auf – unklare – Beilagen zum Pachtvertrag stützt, ist ihm Folgendes zu entgegnen:
Den beiden zwischen der Grundeigentümerin und dem Beschwerdeführer abgeschlossenen Pachtverträgen vom 3. Jänner 2005 und vom Dezember 2014 lässt sich übereinstimmend entnehmen, dass
1. Vertragsgegenstand jeweils ausschließlich die Nutzung der Grundfläche „Los ***“ ist,
2. aufgrund der Widmung als Grünland grundsätzlich keine Bauwerke im Sinne der NÖ Bauordnung zulässig sind,
3. der Beschwerdeführer nicht berechtigt ist, dort Bauwerke zu errichten sowie
4. eine Verletzung dieser Bestimmungen zur vorzeitigen Auflösung berechtigt.
Vor diesem Hintergrund scheiden die Abbruchobjekte als vertragliche Pachtgegenstände jedenfalls aus.
Da der Beschwerdeführer somit an den Abbruchobjekten weder dinglich noch obligatorisch berechtigt ist, scheidet er einerseits als Adressat des in Berufung gezogenen Abbruchauftrags aus, kann andererseits jedoch im Fall der Vollstreckung eines gegenüber einem anderen Verpflichteten in Rechtskraft erwachsenen Abbruchauftrages in keinem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden.
5. Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:
Weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der im Beschwerdefall in Rede stehende Anspruch als „civil right“ im Sinne der EMRK zu beurteilen ist, weil im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich ist: Gemäß § 44 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dem nicht entgegensteht. Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der EuGH hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder „hoch-technische“ Fragen (exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte.
Diese Voraussetzungen liegen auch im Beschwerdefall vor: Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus den Akten; in rechtlicher Hinsicht ist der Beschwerdefall durch die Rechtslage und die bisherige Rechtsprechung geklärt, wobei (davon abgesehen) zur Lösung von Rechtsfragen im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen.
Da eine öffentliche mündliche Verhandlung aufgrund der ausschließlichen Rechtsfragen keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt, konnte von einer Verhandlung abgesehen werden.
6. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da der als erwiesen angenommene Sachverhalt und die in diesem Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften eindeutig sind und im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis weder von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht noch eine solche Rechtsprechung fehlt und die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch einheitlich beantwortet wird.
Schlagworte
Bau- und Raumordnungsrecht; baubehördlicher Auftrag; Abbruchauftrag; Superädifikat;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2019:LVwG.AV.851.001.2019Zuletzt aktualisiert am
23.10.2019