Entscheidungsdatum
27.05.2019Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
G310 2216029-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde vonXXXX, geboren am XXXX, StA. Rumänien, vertreten durch Mag. Georg DERNTL, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid
ersatzlos behoben.
C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin (BF) wurde im Bundesgebiet mehrmals strafgerichtlich verurteilt, weswegen sie mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 06.03.2018 aufgefordert wurde, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots Stellung zu nehmen; gleichzeitig wurden an sie konkrete Fragen zu ihrem Aufenthalt in Österreich, ihrem Privat- und Familienleben und ihren Bindungen zu ihrem Heimatstaat gerichtet. Die BF erstattete eine entsprechende Stellungnahme, beim BFA eingelangt am 29.03.2018.
Zuletzt wurde gegen sie mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX2018, XXXX, eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verhängt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Bescheid der Justizanstalt XXXX vom XXXX, GZ.:XXXX, wurde der BF der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes ab Strafantritt per XXXX.2019 bewilligt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde dagegen gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit den strafgerichtlichen Verurteilungen und den Anzeigen wegen des Verdachts der Übertretungen nach dem Suchtmittelgesetz begründet. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sei aufgrund der Straftaten gegen fremdes Eigentum und der begangenen Suchtgiftdelikte notwendig, um die von ihr ausgehende erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern und in ihr einen positiven Gesinnungswandel ihrer Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung zu bewirken.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, den Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabzusetzen und einen Durchsetzungsaufschub zu gewähren, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen und Durchführung einer Beschwerdeverhandlung. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit gegründet, dass sich die BF seit mehr als 10 Jahren im Bundesgebiet aufhalte, weswegen ihr Verhalten die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch ihren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährden müsse, was nicht zutreffe. Die BF lebe nunmehr in geordneten Verhältnissen, gehe einer Beschäftigung nach, bezahle die Kosten für den elektronisch überwachten Hausarrest, habe keinen Kontakt zur Suchtgiftszene mehr und konsumiere keine Drogen mehr. Für eine positive Prognose würden auch das milde Urteil sowie der bewilligte elektronisch überwachte Hausarrest sprechen.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 15.03.2019 einlangten.
Feststellungen:
Die BF hält sich seit Juli 2005 im Bundesgebiet auf und wurde ihr am XXXX.2007 eine Anmeldebescheinigung (Familienangehöriger) ausgestellt. Einzig vom XXXX.2016 bis XXXX.2016 sowie vom XXXX.2017 bis XXXX.2017 war die BF im Bundesgebiet melderechtlich nicht erfasst. In Österreich leben ihre Mutter, zu welcher sie ein gutes Verhältnis hat, sowie ihr Stiefvater und Halbbruder. Sie lebt zusammen mit ihrem Verlobten in einer Mietwohnung.
Die BF besuchte zunächst in Rumänien und danach in Österreich die Volksschule. Danach folgte der Besuch der Hauptschule sowie für ein Jahr der Besuch eines polytechnischen Lehrgangs. Sie verfügt über Rumänisch-, Deutsch- und Englischkenntnisse sowie über EDV-Kenntnisse. Beruflich war sie unter anderem als XXXX sowie als XXXX tätig.
Im Strafregister scheinen drei strafgerichtliche Verurteilungen auf.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2016, XXXX, wurde die BF wegen der Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB und der Verleumdung nach § 297 Abs 1 1. Fall StGB und wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 2. Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt. Mildernd war das Geständnis, erschwerend das Zusammentreffen von Vergehen und Verbrechen. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass die BF am XXXX.2016 wahrheitswidrig behauptete, dass erstens eine andere Person sie Ende Sommer 2015 mit dem Umbringen bedroht habe und zweitens, dass diese Person sie Ende November 2015 zur Bekanntgabe eines Planes, indem diese Person sie aufgefordert habe, nach Bosnien zu fahren, widrigenfalls diese Person die BF umbringen werde, anschließend eine schwarze Pistole genommen, den Schlitten zurückgezogen, ihr an die linke Schläfe angesetzt und gesagt hätte, er werde sie umbringen, wenn sie den Plan nicht verrate, genötigt habe.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2017, XXXX, wurde die BF für schuldig befunden, zwischen XXXX.2016 und XXXX.2017 in XXXX das Ergebnis einer automationsunterstützten Datenverarbeitung durch Eingabe von Daten beeinflusst, sich unrechtmäßig bereichert und dadurch einer Person einen Schaden in der Höhe von EUR 525,-- verursacht zu haben, indem sie bei insgesamt 27 Bestellungen auf der Internetseite www.amazon.de im Gesamtumfang von EUR 525,-- die Bankdaten dieser Person eingab. Die BF wurde wegen des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt. Mildernd war das Tatsachengeständnis, erschwerend hingegen der äußerst rasche Rückfall sowie die einschlägige Vorstrafe.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde die BF wegen der Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 2. und 3. Fall, Abs 2 Z 2 und 3 SMG und § 28a Abs 1 5. Fall, Abs 2 Z 2 und 3 SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, wobei 18 Monate unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden. Mildernd gewertet wurden das teilweise Geständnis und die teilweise Sicherstellung von tatverfangenem Suchtgift, erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen und mehreren Vergehen und eine einschlägige Vorstrafe aus. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten zu den beiden ersten genannten Urteilen wurde abgesehen und die diesbezüglichen Probezeiten nicht verlängert. Die BF wurde für schuldig befunden, in XXXX und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift, in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge, wobei sie als Mitglied einer kriminellen Vereinigung handelte, erstens aus den Niederlanden aus- und nach Österreich eingeführt zu haben, wobei sie in Bezug auf Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge handelte, indem sie etwas im Februar 2017 über Anweisung von zwei gesondert verfolgten männlichen Personen ca. 5.000 Stück Ecstasy-Tabletten (enthaltend zumindest 572 Gramm MDMA) aus den Niederlanden nach Deutschland schmuggelte; zweitens anderen überlassen zu haben, wobei sie in Bezug auf Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge handelte, indem sie etwas im Februar 2017 die oben erwähnten geschmuggelten Ecstasy-Tabletten an weitere Mitglieder der kriminellen Vereinigung zum Weiterverkauf überließ, zwischen März und April 2017 in mehreren Teilverkäufen insgesamt 20 Gramm Cannabiskraut zum Grammpreis von EUR 10,-- sowie 20 Stück Ecstasy-Tabletten zum Stückpreis von EUR 15,-- an unbekannte Abnehmer verkaufte, zwischen Februar und März 2017 eine unbekannte Menge Cannabiskraut an eine weibliche Person überließ, und etwa von September 2016 bis zumindest April 2017 in mehreren Teilübergaben eine insgesamt unbekannte Menge Cannabiskraut, Ecstasy-Tabletten, MDMA, Methamphetamin und Amphetamin unentgeltlich an eine weitere weibliche Person überließ. Weiters hat die BF in XXXX und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen, wobei sie die Taten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging, indem sie ab zumindest Juni 2016 bis zumindest 07.02.2018 in zahlreichen Teilerwerben eine insgesamt unbekannte Menge Cannabiskraut, Ecstasy-Tabletten, MDMA, Methamphetamin und Amphetamin teils von bislang unbekannten Verkäufern, teils von abgesondert verfolgten Mittätern erwarb und bis zum Eigenkonsum besaß.
Derzeit verbüßt die BF die mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2018 verhängte Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes ab, wobei die Bewilligung dieser Form des Strafvollzugs damit begründet wurde, dass die BF seit XXXX.2018 im Ausmaß von 40 Wochenstunden als XXXX beschäftigt ist, somit über einen Kranken- und Unfallversicherungsschutz verfügt und ein Einkommen in der Höhe von derzeit EUR 1.321,-- bezieht. Die BF verfügt über ein strukturiertes soziales Umfeld und lebt gemeinsam mit ihrem Verlobten in einer Mietwohnung. Die Erhebungen der Justizanstalt XXXX sowie des Vereins Neustart ergaben keine Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass die BF, bei Einhaltung der ihr mit Bescheid der Justizanstalt XXXX auferlegten Weisungen, die beantrage Vollzugform missbrauchen würde. Die BF hält die Regeln und Vorgaben im Rahmen des elektronisch überwachten Hausarrests ein und unterzieht sich einer psychosozialen Beratung.
Das im Bescheid der Justizanstalt XXXX erwähnte Beschäftigungsverhältnis wurde mit XXXX2019 beendet. Die BF weist seit XXXX.2019 ein neues Beschäftigungsverhältnis auf. Bei ihrem letzten Arbeitgeber war sie vom XXXX.2018 bis XXXX.2018 sowie vom XXXX.2018 bis XXXX.2019 und davor bei einem weiteren Arbeitgeber vom XXXX.2018 bis XXXX.2019 beschäftigt. Zwischen 2011 und 2018 bezog sie, abgesehen von kurzen Zeitenräumen der Beschäftigung, hauptsächlich Arbeitslosengeld und Notstands- bzw. Überbrückungshilfe.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG im Zusammenhang mit dem Vorbringen der BF in ihrer Stellungnahme und in der Beschwerde sowie den vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellungen zur Identität und den Familienverhältnissen der BF beruhen auf den entsprechenden Angaben in ihrer Stellungnahme, den Ausführungen des Vereins Neustart in der Stellungnahme vom 10.04.2019 und auf ihrem in Kopie im Akt befindlichen Reisepass.
Der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister. Die Anmeldebescheinigung ist im Fremdenregister ersichtlich.
Der schulische und berufliche Werdegang sowie die Sprachkenntnisse der BF ergeben sich aus dem im Akt aufliegenden Lebenslauf der BF. Für das Vorhandensein entsprechender Deutschkenntnisse spricht auch die Durchführung der Verhandlung vor dem Landesgericht XXXX am XXXX.2018 ohne Beiziehung eines Dolmetschers.
Der derzeitige Familienstand der BF und das Bestehen eines stabilen sozialen Umfelds ergeben sich aus den Ausführungen in der Beschwerde sowie dem Bescheid der Justizanstalt Linz, welchem der Vollzug der Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests und die Umstände für dessen Bewilligung entnommen werden kann.
Dass sich die BF einer psychosozialen Beratung unterzieht kann der Bestätigung von XXXX, Beratungsstelle für Suchtfragen, vom 11.04.2019 und der Stellungnahme des Vereins Neustart vom entnommen werden, in welcher ebenfalls das bestehende soziale Umfeld bestätigt wird.
In der Stellungnahme des Vereins Neustart ist das Ende des Beschäftigungsverhältnisses und die voraussichtliche Wiederaufnahme einer anderen Beschäftigung dokumentiert und wird dies durch die Eintragungen im Versicherungsdatenauszug, welchem auch die weiteren Beschäftigungszeiten der BF entnommen werden können, bestätigt.
Die strafgerichtlichen Verurteilungen der BF und die zugrundeliegenden Taten werden anhand der Strafurteile und des Strafregisters festgestellt.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag der BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision
Als Staatsangehörige von Rumänien ist die BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).
Gemäß Art 28 Abs 3 lit a Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) darf gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat hatten, eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Nach dem Erwägungsgrund 24 dieser Richtlinie sollte gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden.
Mit der Bestimmung des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG soll Art. 28 Abs 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie umgesetzt werden. Hierzu judizierte der EuGH bereits, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/02148 mit Verweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff; daran anknüpfend auch EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:
Da sich die BF schon mehr als zehn Jahre kontinuierlich in Österreich aufhält und hier erwerbstätig ist, ist der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG (Art 28 Abs 3 lit a Freizügigkeitsrichtlinie) heranzuziehen. Die kurzen Abwesenheiten in den Jahren 2016 und 2107 fallen nicht ins Gewicht (vgl. § 53a Abs 2 Z 1 FPG).
Die Art und Schwere der begangenen strafbaren Handlungen zeigen zwar, dass es der BF jedenfalls zu den Tatzeitpunkten an einer Verbundenheit mit den rechtlich geschützten Werten fehlte. Dabei fällt insbesondere unter Beachtung der letzten Verurteilung der lange Tatzeitraum, die Begehung um Rahmen einer kriminellen Vereinigung sowie die Überschreitung der Grenzmenge an Suchtgift ins Gewicht. Auch hat sie sich durch die Verhängung von bedingten Freiheitsstrafen nicht von weiterer Delinquenz abhalten lassen.
Dem gegenüber ist aber zu beachten, dass bislang keine bedingte Strafnachsicht widerrufen werden musste. Die BF hält sich bereits seit 2005 im Bundesgebiet auf. Es ist ihr gelungen, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen. Sie lebt in einer Lebensgemeinschaft und hat Kontakt zu ihrer Kernfamilie, weswegen von einem stabilen sozialen Umfeld auszugehen ist. Dies war auch Grund für die Bewilligung des elektronisch überwachten Hausarrests. Zudem hält sie sich an die mit der Bewilligung dieser Vollzugsform in Zusammenhang stehenden Weisungen der Justizanstalt XXXX. Insgesamt betrachtet ist somit davon auszugehen, dass sich ihre Lebensverhältnisse mittlerweile soweit stabilisiert haben, dass eine positive Zukunftsprognose für sie erstellt werden kann.
Angesichts dessen kann daher im gegenständlichen Fall nicht von einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich gemäß § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG gesprochen werden.
Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen die BF somit nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde zu beheben.
Sollte die BF in Zukunft wieder straffällig werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie neuerlich zu prüfen sein.
Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil C):
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall, Voraussetzungen,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G310.2216029.1.01Zuletzt aktualisiert am
23.10.2019