TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/24 G314 2221410-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.07.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

24.07.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G314 2221410-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu Recht:

A) Der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung

wird Folge gegeben und Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B) Im Übrigen wird der Beschwerde teilweise Folge gegeben und der Spruch des angefochtenen Bescheids, dessen Punkte I. bis III. unverändert bleiben, dahingehend abgeändert, dass Punkt IV. ersatzlos behoben wird und es in Punkt VI. richtig zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung".

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Gegen die Beschwerdeführerin (BF) wurde mit der Strafverfügung der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2019, GZ XXXX, wegen Überschreitung der zulässigen visumfreien Aufenthaltsdauer eine Geldstrafe verhängt. Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12.04.2019 wurde sie aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots zu äußern. Die BF erstattete eine Stellungnahme und beantwortete die Fragen der Behörde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erteilte das BFA ihr keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 3 FPG ein dreimonatiges Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.), erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.) und setzte gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.).

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid, jedenfalls aber das Einreiseverbot, zu beheben oder dahingehend abzuändern, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt und der BF von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG erteilt wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die BF regt außerdem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an. Sie begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass sie von 1992 bis 2004 legal in Österreich gelebt habe. Sie spreche perfekt Deutsch und versuche seit ihrer nunmehrigen Einreise im Dezember 2018, eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Sie sei zwischenzeitig nach einem Termin beim Magistrat XXXX am 04.04.2019 aus dem Bundesgebiet ausgereist und aufgrund der Verständigung über die Zustellung eines Briefes wieder eingereist. Sie werde von ihrem in XXXX lebenden Cousin mit Sach- und Geldleistungen versorgt und könne sofort eine Arbeitsstelle antreten, wenn ihr ein Aufenthaltstitel erteilt würde. Zwischen 2004 und 2018 sei sie in Bosnien und Herzegowina immer wieder Behördenwillkür ausgesetzt gewesen und habe lange Zeit keinen Reisepass erhalten. Sie wolle die Entscheidung über die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels in Österreich abwarten. Sie habe die zulässige Aufenthaltsdauer in Unkenntnis der rechtlichen Situation überschritten. Bei der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat drohe eine Verletzung der durch Art 8 EMRK geschützten Rechte, weil dort nach dem Tod ihrer Mutter nur noch ihr Vater lebe, sie keine Wohnmöglichkeit habe und als alleinstehende Frau weiterhin Behördenwillkür befürchte.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der BF kam am XXXX im bosnisch-herzegowinischen Ort XXXX zur Welt. Sie hat eine Berufsausbildung in der Gastronomiebranche absolviert. Zwischen 1992 und 2004 hielt sie sich rechtmäßig in Österreich auf. 2004 kehrte sie nach Bosnien und Herzegowina zurück, um dort ihre erkrankte Mutter zu pflegen. Die BF lebte sodann bis Ende 2018 in ihrem Heimatstaat, wo ihr Vater nach wie vor lebt. Ihre Mutter verstarb mehrere Monate vor ihrer nunmehrigen Einreise in das Bundesgebiet.

Die BF ist ledig und kinderlos. Sie spricht neben Bosnisch auch einigermaßen gut Deutsch. Sie ist gesund und arbeitsfähig.

Am 05.12.2018 reiste sie mit ihrem am 02.10.2018 ausgestellten und bis 02.10.2028 gültigen bosnisch-herzegowinischen Reisepass über Slowenien in das Bundesgebiet ein, wo sie sich zunächst ohne Wohnsitzmeldung aufhielt. Am 25.01.2019 stellte sie einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte" als Fachkraft in einem Mangelberuf, über den noch nicht entschieden wurde. Am 04.04.2019 hatte sie deshalb einen Termin beim Magistrat XXXX. Aktuell ist das Verfahren bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX anhängig.

Seit 25.02.2019 ist die BF im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet, und zwar zunächst bis 26.03.2019 in XXXX (Unterkunftgeber XXXX), danach bis 01.04.2019 in XXXX (Unterkunftgeber XXXX bzw. XXXX GmbH) und danach bis 02.05.2019 wieder in XXXX (Unterkunftgeber XXXX). Seither ist sie in XXXX (Unterkunftgeber XXXX) mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sie wird im Bundesgebiet von ihrem in XXXX lebenden Cousin mit Sach- und Geldleistungen unterstützt, hat hier aber keine weiteren ihr nahestehenden Bezugspersonen. Sie ist nicht krankenversichert.

Mit der (rechtskräftigen) Strafverfügung vom 09.04.2019 wurde gegen die BF wegen eines Verstoßes gegen § 120 Abs 1a iVm §§ 31 Abs 1 und Abs 1a FPG eine Geldstrafe von EUR 500 verhängt, weil sie ausgehend von ihrer Einreise in den Schengenraum am 05.12.2018 die sichvermerksfreie Aufenthaltsdauer ab 05.03.2019 überschritten habe. Abgesehen davon ist sie straf- und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten.

Die BF reiste nach dem Termin am 04.04.2019 aus dem Bundesgebiet aus, kehrte aber kurze Zeit später wieder zurück. Sie möchte den Ausgang des Verfahrens über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG im Inland abwarten und bei Vorliegen der Voraussetzungen unverzüglich eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungserhebliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Identität der BF geht aus ihrem in Kopie vorliegenden, grundsätzlich unbedenklichen Reisepass hervor, aus dem sich auch ihr Geburtsort ergibt. Ihre Berufsausbildung, ihr Inlandsaufenthalt zwischen 1992 und 2004, die anschließende Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina und ihr Aufenthalt dort bis Ende 2018 werden anhand ihrer plausiblen Stellungnahme an das BFA festgestellt, ebenso die Feststellungen zu ihren familiären Verhältnissen, ihren Sprachkenntnissen und ihrem Gesundheitszustand. Bosnischkenntnisse der BF sind aufgrund ihrer Herkunft plausibel, Deutschkenntnisse aufgrund ihres früheren Inlandsaufenthalts. Aus ihren auf Deutsch verfassten E-Mails an das BFA ergibt sich, dass sie zwar nicht (wie in der Beschwerde behauptet) perfekt Deutsch spricht, aber sich jedenfalls verständlich äußern kann.

Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme der BF oder Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit ergeben. Die Arbeitsfähigkeit folgt insbesondere aus der beabsichtigten Erwerbstätigkeit und ihrem berufsfähigen Alter.

Die Einreise der BF in den Schengenraum ergibt sich aus dem Einreisestempel in ihrem Reisepass. Den Aufenthalt im Bundesgebiet seither gibt sie - abgesehen von einer kurzfristigen Ausreise im April 2019 - zu. Ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ist im Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert. Der Termin am 04.04.2019 ergibt sich aus der von der BF mit der Beschwerde vorgelegten Terminbestätigung sowie aus dem E-Mail des Magistrats XXXX vom 05.04.2019.

Die festgestellten Wohnsitzmeldungen basieren auf dem Zentralen Melderegister (ZMR). Die Unterstützung der BF durch ihren Cousin ergibt sich aus dem insoweit plausiblen Beschwerdevorbringen. In ihrer Stellungnahme an das BFA gab sie an, über keine Krankenversicherung zu verfügen.

Die Strafverfügung vom 09.04.2018 und die Information über deren Rechtskraft sind aktenkundig. Es gibt keine Anhaltspunkte für andere Verwaltungsstrafen. Aus dem Strafregister ergibt sich die Unbescholtenheit der BF in Österreich; Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten liegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Die BF ist als Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina Fremde iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Da sie einen biometrischen Reisepass besitzt, ist sie nach Art 4 Abs 1 iVm Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 (Visumpflichtverordnung) von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit. Ausgehend von ihrer Einreise in den Schengenraum am 05.12.2018 hat sie die erlaubte visumfreie Aufenthaltsdauer seit 05.03.2019 überschritten. Seither hält sie sich gemäß § 31 Abs 1a FPG nicht rechtmäßig in Österreich auf, weil kein Fall des § 31 Abs 1 FPG vorliegt. Daran ändert auch ihre kurzfristige Ausreise im April 2019 nichts, zumal sie umgehend wieder in das Bundesgebiet zurückkehrte.

Grundsätzlich ist ein Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG gemäß § 21 Abs 1 NAG stets im Ausland bei der zuständigen österreichischen Berufsvertretungsbehörde zu stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abzuwarten. Auch wenn es davon diverse Ausnahmen gibt (siehe § 21 Abs 2 und 3 NAG) gibt, schafft sogar eine zulässige Inlandsantragstellung kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht, steht der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten (vgl. § 21 Abs 6 NAG). Die BF hätte daher nach dem Ablauf der zulässigen visumfreien Aufenthaltsdauer jedenfalls aus dem Schengenraum ausreisen müssen, um die Entscheidung über den beantragten Aufenthaltstitel im Ausland abzuwarten.

Da sich die BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ist zunächst gemäß § 58 Abs 1 AsylG von Amts wegen die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG zu prüfen. Gemäß § 58 Abs 3 AsylG ist darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung sind nicht erfüllt, weil der Aufenthalt der BF nie geduldet iSd § 46a FPG war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Zeugin oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt wurde. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher nicht korrekturbedürftig.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

Da BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG ("Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung", §§ 41 bis 45c FPG) fällt, ist die Entscheidung über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nach § 10 Abs 2 AsylG und § 52 Abs 1 Z 1 FPG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden.

Die Rückkehrentscheidung greift zwar mangels im Inland aufhältiger naher Angehöriger der BF nicht in ihr Familienleben ein, wohl aber in Privatleben. Sie ist daher gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen der BF, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (siehe VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs laut Art 8 Abs 1 EMRK nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist hier gemäß § 9 Abs 2 Z 1 BFA-VG zu berücksichtigen, dass sich die BF (nach einem 12-jährigen Inlandsaufenthalt und einem anschließenden 14-jährigen Aufenthalt in ihrem Herkunftsstaat) erst seit weniger als einem Jahr wieder im Bundesgebiet aufhält. Der VwGH hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt. Bei einem Inlandsaufenthalt von unter einem Jahr kann von einer ins Gewicht fallenden Aufenthaltsdauer keine Rede sein (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191).

Abgesehen von ihrem Cousin hat die BF im Inland keine ihr nahestehenden Bezugspersonen. Auf seine Unterstützung besteht kein Rechtsanspruch; ein gemeinsamer Haushalt wird nicht behauptet. Die BF spricht zwar Deutsch, war hier aber schon seit vielen Jahren nicht mehr erwerbstätig. Weitere konkrete Integrationsbemühungen sind nicht erkennbar. Ihr Privatleben wird gemäß § 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG dadurch maßgeblich relativiert, dass es in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die BF ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war.

Die BF hat starke Bindungen an ihren Heimatstaat iSd § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG, wo sie ihr bisheriges Leben überwiegend verbrachte. Sie ist mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut und sprachkundig. Sie wird daher in Bosnien und Herzegowina in der Lage sein, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation dort für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und sich ohne größere Probleme wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren, zumal sie dort bis Ende 2018 lebte und davon auszugehen ist, dass sie über ein übliches soziales Netzwerk und der langen Aufenthaltsdauer entsprechende kulturelle Anknüpfungen verfügt.

Die nach § 9 Abs 2 Z 6 BFA-VG maßgebliche strafrechtliche Unbescholtenheit der BF vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Abgesehen von ihrem nicht rechtmäßigen Aufenthalt und der Missachtung melderechtlicher Vorschriften am Beginn ihres Inlandsaufenthalts liegen keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs 2 Z 7 BFA-VG vor. Ebensowenig bestehen den Behörden zurechenbare überlange Verzögerungen iSd § 9 Abs 2 Z 9 BFA-VG.

Dem (schon aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer vergleichsweise geringen) Interesse der BF an einem Verbleib im Inland steht das große öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen und an einem geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften gegenüber, dem im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Bei der gemäß § 9 BFA-VG vorzunehmenden Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung gegen das gegenläufige persönliche Interesse der BF am Maßstab des Art 8 EMRK ist das Ergebnis der vom BFA vorgenommenen Interessenabwägung, wonach Ersteres überwiegt, daher nicht zu beanstanden. Durch die Rückkehrentscheidung wird Art 8 EMRK somit im Ergebnis nicht verletzt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen oder wurden in der Beschwerde behauptet, die eine Rückkehrentscheidung (vorübergehend oder auf Dauer) unzulässig erscheinen lassen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der Beschwerde ist damit unbegründet; die in der Beschwerde begehrte amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG kommt nicht in Betracht.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:

Für die gemäß § 52 Abs 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

Da keine dieser Voraussetzungen hier zutrifft, ist die Abschiebung der BF in ihren Herkunftsstaat zulässig. Bosnien und Herzegowina gilt als sicherer Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs 5 Z 2 BFA-VG iVm § 1 Z 1 HStV, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der dortigen Behörden spricht, zumal bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten insbesondere auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen Bedacht zu nehmen ist (in diesem Sinn VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).

Die BF hat die in der Beschwerde geschilderten Probleme in ihrem Herkunftsstaat (Behördenwillkür; schwierige Situation alleinstehende Frauen) nicht zum Anlass genommen, internationalen Schutz zu beantragen. In Anbetracht der vorrangigen Funktion der Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG, (lediglich) den Zielstaat der Abschiebung festzulegen, ist es nicht Aufgabe des BFA oder des BVwG, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme letztlich ein Verfahren durchzuführen, das der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz gleichkommt (VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044).

Konkrete Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung werden in der Beschwerde somit nicht behauptet. Unter Berücksichtigung der stabilen Situation in Bosnien und Herzegowina sowie der Lebensumstände der gesunden, arbeitsfähigen BF, die dort zuletzt zwischen 2004 und Ende 2018 gelebt und in der Person ihres Vaters auch eine familiäre Anknüpfung hat, ist Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden.

Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 53 Abs 1 und 2 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung bei einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ein Einreiseverbot erlassen. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des oder der Betreffenden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine Gefährdung öffentlicher Interessen indiziert. Dies ist fallbezogen etwa dann anzunehmen, wenn der oder die Drittstaatsangehörige wegen einer Übertretung des FPG oder der NAG rechtskräftig bestraft wurde (§ 53 Abs 2 Z 3 FPG).

Obwohl diese Voraussetzung hier grundsätzlich erfüllt ist, stellt der bloße unrechtmäßige Aufenthalt nach dem System der Rückführungsrichtlinie noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar, dass dies immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde (VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125). Wenn sich das Fehlverhalten des oder der Drittstaatsangehörigen auf den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränkt und fallbezogen ausnahmsweise (etwa auf Grund seiner kurzen Dauer oder der dafür maßgebenden Gründe) nur eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellt, ist daher überhaupt kein Einreiseverbot zu verhängen (VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).

Da sich das Fehlverhalten der BF hier auf die Überschreitung der zulässigen visumfreien Aufenthaltsdauer und die Missachtung melderechtlicher Vorschriften beschränkte, ist die Erlassung eines Einreiseverbots nicht zusätzlich zur Rückkehrentscheidung notwendig, um der von ihr ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens wirksam zu begegnen, zumal sie nur einen der Tatbestände des § 53 Abs 2 Z 1 bis 9 FPG erfüllt (siehe VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125). Es ist davon auszugehen, dass sie - nunmehr in Kenntnis der Rechtslage - den Ausgang des Verfahrens über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG in ihrem Herkunftsstaat abwarten wird.

Es gibt zwar keine zwingende Mindestdauer eines Einreiseverbots mehr. Ein auf nur drei Monate befristetes Einreiseverbot ist aber nicht signifikant besser geeignet als Reaktion auf den unrechtmäßigen Aufenthalt der BF als eine Rückkehrentscheidung ohne Einreiseverbot, zumal die Rückkehrentscheidung gemäß § 12a Abs 6 AsylG ohnehin 18 Monate ab ihrer Ausreise aufrecht bleibt. Das in Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Einreiseverbot ist daher ersatzlos zu beheben.

Zu den Spruchpunkten V. und VI. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des oder der Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Die Aberkennung bedarf - insbesondere angesichts der weitreichenden damit verbundenen Konsequenzen - einer entsprechend sorgfältigen, einzelfallbezogenen Begründung. Sie darf nicht ausschließlich darauf gestützt werden, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfüllt sind. Die Behörde muss vielmehr nachvollziehbar darlegen, warum darüber hinaus die sofortige Ausreise der BF geboten sei.

Das BVwG hat gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen.

Da die BF strafgerichtlich unbescholten ist, mittlerweile über eine Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet verfügt und ihr außer der Überschreitung der zulässigen visumfreien Aufenthaltsdauer keine wesentlichen Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten sind, ist nicht ersichtlich, dass ihre sofortige Ausreise geboten ist. Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids ist daher zu beheben und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Zugleich mit einer Rückkehrentscheidung wird gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids beträgt, wenn nicht der Betroffene besondere Umstände nachweist, die eine längere Frist erforderlich machen. Gemäß § 55 Abs 4 FPG ist von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 2 BFA-VG aberkannt wurde.

Da hier die aufschiebende Wirkung zu Unrecht aberkannt wurde, ist eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen. Da keine besonderen Umstände nachgewiesen wurden, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, beträgt diese gemäß § 55 Abs 2 FPG 14 Tage. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern.

Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und die mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt, zumal das Gericht ohnehin von der Richtigkeit der in der Beschwerde aufgestellten, glaubhaften Behauptungen der BF ausgeht.

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots (VwGH 29.05.2018, Ra 2018/20/0259). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung, freiwillige Ausreise, Rückkehrentscheidung,
Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2221410.1.00

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten