Entscheidungsdatum
25.07.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W217 2215818-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M, sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER BA, MA, über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, NÖ und Bglnd, gegen die Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 28.01.2019, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung", in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Herr XXXX (in der Folge: BF) begehrte am 23.05.2018 beim Sozialministeriumservice (in der Folge: belangte Behörde) die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass sowie die Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO.
2. Im von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 19.10.2018 wird von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des BF ausgeführt, dass folgende Funktionseinschränkungen beim BF bestehen würden:
1
Erblindung rechts nach perforierender Augenverletzung, Zustand nach Grauer Star Operation mit Hinterkammerlinsenimplantation links
2
Knick-Plattfuß beidseits bei Sprunggelenks- und Fußwurzelarthrose
3
Lendenwirbelsäule: Lumboischialgie bei degenerativen Veränderungen (Osteochondrosen) nach Bandscheibenoperation L3/4 mit inkompletter Peronäusparese rechts
4
Diabetes mellitus nicht insulinpflichtig
Betreffend die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde festgehalten:
1. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine. Bei der fachärztlich-orthopädischen Untersuchung finden sich an beiden oberen Extremitäten keine behinderungsrelevanten funktionsbeeinträchtigenden Einschränkungen der Beweglichkeit, Motorik oder Sensibilität, wodurch ein festes Anhalten und ein sicherer Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel gegeben ist. Trotz der Funktionseinschränkung seitens der Sprung-und Fußgelenke beidseits und der degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule in Kombination mit der inkompletten Peronäusparese rechts ist eine ausreichende Gehstrecke von 300-400 Metern aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe bewältigbar und zuzumuten. Das Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel, sowie das Bewältigen von Niveauunterschieden oder Hindernissen, die Sitzplatzsuche und die notwendige Fortbewegung innerhalb eines öffentlichen Verkehrsmittels ist wegen des ausreichenden Bewegungsumfanges aller großen Gelenke der unteren Extremitäten, wenn erforderlich im Nachstellschritt, durchführbar und zuzumuten. Die Verwendung von Hilfsmitteln zum Gehen (Gehstock oder Krücke) erhöht die Stabilität, stellt keine erhebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dar und ist somit zuzumuten.
2. Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein
Gutachterliche Stellungnahme:
Aus den angeführten Gründen und der ausreichend erhaltenen selbständigen Stand-und Gangsicherheit und Orientierungsmöglichkeit ist daher aus fachärztlich-orthopädischer Sicht seitens des Stütz-und Bewegungsapparates eine erhebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht objektivierbar.
3. Im Rahme des hierzu erteilten Parteiengehörs führte der BF aus, dass es ihm keinesfalls möglich sei, aufgrund der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Sprung- und Fußgelenke beidseits, der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, der Fußheberschwäche sowie der inkompletten Peronäusparese rechts eine Wegstrecke von 300-400 m aus eigener Kraft und ohne Hilfe zu bewältigen. Er sei bei Wegen außer Haus auf die Inanspruchnahme von 2 Stützkrücken angewiesen. Ebenfalls sei durch einen bestehenden Beckenschiefstand und der dadurch auftretenden Schmerzen die Gehstrecke massiv eingeschränkt. Zur Linderung dieser Schmerzen erhalte er von Zeit zu Zeit Infiltrationen durch seinen behandelnden Orthopäden. Durch die bestehenden Arthrosen in den Sprunggelenken sei es ihm weiters nicht möglich, sein Gleichgewicht zu halten, sodass auch eine Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht gewährleistet sei. Auch die in der Zwischenzeit erfolgte Anpassung von orthopädischem Schuhwerk habe zu keiner Besserung geführt. Insbesondere die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel scheine aufgrund der bestehenden Unsicherheit, der bestehenden Schwankungen sowie des Unvermögens sein Gleichgewicht halten zu können, keinesfalls gewährleistet. Auch wären zu überwindende Niveauunterschiede beim Ein- und Aussteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche und bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (vor Aussteigen drücken der Stopptaste und Fortbewegung zur Ausstiegsstelle) mit zu berücksichtigen. Es sei die Einholung eines neurologischen Gutachtens unbedingt erforderlich.
4. Mit Bescheid vom 21.11.2018 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen.
Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt worden sei, welches ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.
5. Mit Schreiben vom 04.01.2019 erhob der BF Beschwerde gegen den Bescheid vom 21.11.2018 und führte darin Gleichlautendes wie in seiner Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs aus. Weiters sei die Einholung eines neurologischen Gutachtens unbedingt erforderlich.
6. In seiner Stellungnahme vom 24.01.2019 führte der bereits befasste Facharzt für Orthopädie Folgendes aus:
"Antwort(en):
Im Gutachten wurden die subjektiven Angaben und die objektiven Befunde erfasst, die Schmerzsymptomatik und notwendige medikamentöse Therapien berücksichtigt. Aufgrund der Gesamtbeurteilung im Gutachten ergab sich keine erhebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, da zum Zeitpunkt der Untersuchung keine behinderungsrelevanten Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich des Stütz-und Bewegungsapparates vorlagen.
Die im neu eingereichten Befund der Drs. XXXX und XXXX erstellten Befunde bringen hinsichtlich der Diagnosen keine neuen Erkenntnisse.
Der neu eingereichte Befund von Dr. XXXX vom 14.11.2018 entspricht fast wortwörtlich dem Befund vom Juni 2018, der bereits im Gutachten vom Oktober 2018 erfasst und berücksichtigt wurde, es sind daher daraus naturgemäß keine neuen Erkenntnisse zu gewinnen.
Der neu eingereichte Befund von Dr. XXXX (Allgemeinmedizin) beschreibt eine Druckstelle ohne Größenangabe (Ulcus cruris im Bereich des medialen Knöchels) mit Angabe der Lokaltherapie. Dieser Befund bewirkt jedoch keine Änderung der Einschätzung in Bezug auf die Unmöglichkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Insgesamt sind daher die vorgebrachten Argumente nicht geeignet, die vorliegende Beurteilung zu entkräften, somit ist eine Änderung des Gutachtens hinsichtlich der Einschätzungen und der Feststellungen zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus fachärztlich-orthopädischer Sicht nicht gerechtfertigt."
7. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 28.01.2019 wies die belangte Behörde die Beschwerde des BF ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die aufgrund der Beschwerde durchgeführte ärztliche Begutachtung ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.
8. Mit Schreiben vom 06.02.2019 beantragte der BF, die gegenständliche Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsgericht am 12.03.2019 ein. Dieses ersuchte um Erstellung eines ergänzenden medizinischen Sachverständigengutachtens.
9. Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, führt in seinem Sachverständigengutachten vom 07.05.2019, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF, wie folgt aus:
"Anamnese: Keine Begleitung. Es besteht ein Z.n. Discus OP L4/5 mit Rest Peroneusparese re, zusätzlich besteht eine diabetische PNP
Nervenärztliche Betreuung: fallweise, zuletzt 2/19 Dr. XXXX
Subjektive derzeitige Beschwerden: Gangstörung, Schmerzen in beiden
UE
Sozialanamnese: lebt mit Ehefrau, pensioniert, kein Pflegegeld
Medikamente (neurologisch/psychiatrisch): Praxiten 15mg 0-0-1 ,5, Adjuvin 100mg,
Trittico 150mg 0-0-2/3 Neurostatus:
Die Hirnnerven sind unauffällig, Amaurose re, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen.
Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen re deutliche Vorfußheber und Großzehenheberschwäche, li geringe Vorfußheberschwäche, Fersen/Zehenspitzen/Einbeinstand bds. nicht möglich
die Muskeleigenreflexe sind seitengleich nicht auslösbar. Stell und Haltereflexe sind deutlich beeinträchtigt.
Die Koordination ist ataktisch gestört
die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird in den UE strumpfförmig als gestört angegeben
Das Gangbild ist deutlich hinkend mit re betontem Steppergang mit 1 Stock, verlangsamt.
Psychiatrischer Status:
Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert,
Antriebsstörung, Auffassung regelrecht, keine kognitiven Defizite,
Affekt ausgeglichen, Stimmungslage euthym, in beiden Skalenbereichen affizierbar, keine Ein und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.
1.) Es liegen folgende Funktionseinschränkungen aus nervenärztlicher Sicht vor, die das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300-400m), das Ein und Aussteigen bei den üblichen Niveauunterschieden ohne fremde Hilfe oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel erheblich erschweren: hochgradige N. peroneuparese rechts, leichte N. Peroneuparese li, diabetische PNP, Verminderung der Stell und Haltereflexe
2.) 1. Erblindung re
2. Knick und Plattfuß des oberen Sprunggelenkes re und flexibler Fehlstellung li
3. Diabtes mellitus
4. PNP
5. Abnützungsbedingter Wirbelsäulenschaden
Die Verbindung von Peroneusparese re > li und diabetischer PNP mit deutlicher Verminderung der Stell- und Haltereflexe mit erhöhter Sturzneigung wirken sich maßgeblich negativ auf die Fortbewegung aus.
3.) Ja. Hochgradige N. peroneuparese rechts, leichte N. Peroneuparese li, diabetische PNP, Verminderung der Stell und Haltereflexe
4.) Nein
5.) Durch die sensomotorischen Ausfälle ist besonders die Standfestigkeit mit Gleichgewicht beeinträchtigt.
6.) Abl. 60-61: von nervenärztlicher Seite sind die Beschwerden nachvollziehbar und objektivierbar
Abl. 8: Kein nervenärztlicher Befund
Abl. 18: Kein nervenärztlicher Befund
Abl. 22, 26, 53: Keine nervenärztliche Befunde
7.) Abl. 13-14: Die PNP wurde mitberücksichtigt, daher Änderung der Beurteilung
Abl. 28-31: Die PNP wurde mitberücksichtigt, daher Änderung der Beurteilung
Abl. 48: Von Nervenärztlicher Sicht: Durch die sensomotorischen Ausfälle ist besonders die Standfestigkeit mit Gleichgewicht beeinträchtigt.
8.) Dauerzustand"
10. Mit Schreiben vom 20.05.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF und der belangten Behörde das eingeholte Gutachten zur Kenntnisnahme und allfälliger Stellungnahme binnen zweier Wochen. Diese Frist verstrich ungenützt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Am 23.05.2018 langte bei der belangten Behörde der gegenständliche Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass sowie auf Ausstellung eines Parkausweises ein.
Der BF ist Inhaber eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 %.
Beim BF liegen folgende Funktionseinschränkungen vor:
-
Erblindung rechts
-
Knick und Plattfuß des oberen Sprunggelenkes re und flexibler Fehlstellung li
-
Diabetes mellitus
-
PNP
-
Abnützungsbedingter Wirbelsäulenschaden
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass liegen vor.
Hinsichtlich der Auswirkungen der beim BF bestehenden Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im oben wiedergegebenen medizinischen Gutachten von Dr. XXXX der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
2. Beweiswürdigung:
Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung", die zur Gewährung der Vornahme dieser Zusatzeintragung führen, gründet sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 07.05.2019. Unter Berücksichtigung der vom BF ins Verfahren eingebrachten medizinischen Unterlagen und nach persönlicher Untersuchung des BF wurde vom medizinischen Sachverständigen festgestellt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für den BF nicht zumutbar ist.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie gelangte unter den von ihm geprüften Gesichtspunkten auf Grundlage der Ergebnisse der persönlichen Untersuchung des BF am 07.05.2019 zu dem Schluss, dass im Fall des BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, da die Verbindung von Peroneusparese re > li und diabetischer PNP mit deutlicher Verminderung der Stell- und Haltereflexe mit erhöhter Sturzneigung sich maßgeblich negativ auf die Fortbewegung auswirken. Die hochgradige N. peroneuparese rechts in Verbindung mit der leichten N. Peroneuparese links, der diabetischen PNP, der Verminderung der Stell- und Haltereflexe erschweren das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300-400m), das Ein und Aussteigen bei den üblichen Niveauunterschieden ohne fremde Hilfe sowie die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel erheblich.
Somit waren die im Rahmen der Beschwerde erhobenen Einwände geeignet, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu entkräften, da sie ausreichend substantiiert waren.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des medizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. XXXX , welches daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu Spruchpunkt A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hierzu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hierfür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
...
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)
Wie bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, wurde seitens des vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten, auf einer persönlichen Untersuchung des BF basierenden Sachverständigengutachtens eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 07.05.2019, nachvollziehbar festgestellt, dass im Fall des BF die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen.
Im Rahmen der persönlichen Begutachtung wurde festgestellt, dass der BF nicht mehr in der Lage ist, die geforderte Gehstrecke von 300-400 m in angemessener Zeit selbständig zu bewältigen, auch das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel sind nicht gewährleistet.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
Im gegenständlichen Fall wurde der Grad der Behinderung des BF unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung eingeschätzt. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden Sachverständigengutachtens geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W217.2215818.1.00Zuletzt aktualisiert am
23.10.2019