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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des N Z, vertreten durch Dr. Christine Fädler, Rechtsanwältin in Wien VIII, Josefstädterstraße 76, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Februar 1998, Zl. SD 937/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen syrischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75 ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 13. September 1992 mit einem von der österreichischen Botschaft in Syrien ausgestellten, bis 7. Oktober 1992 gültigen Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist. Da der Beschwerdeführer angegeben habe, einen Deutschkurs besuchen zu wollen, sei ihm ein weiterer Sichtvermerk, gültig bis 20. März 1993 (nach Ausweis der Akten: bis 30. März 1993), ausgestellt worden. Den am 23. März 1993 gestellten Antrag auf Ausstellung eines weiteren Sichtvermerkes habe der Beschwerdeführer zurückgezogen. Trotz ausdrücklicher Aufforderung habe er daraufhin das Bundesgebiet nicht verlassen. Sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei am 19. November 1993 in erster Instanz und am 18. Juli 1994 in zweiter Instanz abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer sei dennoch illegal im Bundesgebiet verblieben.
Der Beschwerdeführer habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer namentlich genannten Gesellschaft zwei Ausländer ohne die erforderliche Bewilligung beschäftigt und sei dafür jeweils am 7. August 1996 rechtskräftig bestraft worden. Damit sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG gegeben.
Bei der Beurteilung des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers falle zu dessen Ungunsten ins Gewicht, daß er sich seit 31. März 1993 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Dieses Verhalten wiege schwer, weil es "eine beachtliche Geringschätzung wesentlicher fremdenpolizeilicher Vorschriften" zum Ausdruck bringe. Es sei daher die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebenen Annahme gerechtfertigt. In einem solchen Fall sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG entgegenstünden. In Anbetracht des langen unerlaubten Aufenthaltes und des strafbaren Verhaltens sei die Maßnahme im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten. Die Abwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG falle zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Da der Beschwerdeführer mit einem Touristensichtvermerk nach Österreich gekommen sei und hier nur für den Besuch eines Deutschkurses einen weiteren Sichtvermerk erhalten habe, wögen seine privaten und familiären (zwei Brüder, Schwägerin und Neffen lebten in Österreich) Interessen nicht schwer. Den solcherart geminderten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und eines geordneten Arbeitsmarktes entgegen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde führt u.a. ins Treffen, daß gemäß § 36 Abs. 1 FrG gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden "kann" (Hervorhebung im Original) und daher der Behörde mit der seit 1. Jänner 1998 geltenden Rechtslage ein Ermessen eingeräumt worden sei.
Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
2. Der vorliegend maßgebliche § 36 Abs. 1 FrG lautet:
"Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt
1.
die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet
2.
anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft."
Diese Bestimmung räumt der Behörde insofern Ermessen ein, als sie die Behörde ermächtigt, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz Vorliegens der in den §§ 36 bis 38 FrG normierten Tatbestandsvoraussetzungen abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Der Verwaltungsgerichtshof hat hiezu in seinem Beschluß vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490, ausgesprochen, daß bei der Ermessensübung nicht bloß das Gewicht der privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden, welches schon für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen der §§ 36 bis 38 FrG gegeben sind, maßgeblich ist, von entscheidender Bedeutung ist. Die Behörde hat vielmehr bei ihrer Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 FrG in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechen und sich hiebei insbesondere von den Vorschriften des FrG leiten zu lassen.
Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nach § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG (vgl. das auch hier maßgebliche, zu den §§ 19 und 20 Abs. 1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 (im folgenden: FrG 1992(, ergangene hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1994, Zl. 94/18/0332) - öffentliche Interessen zugunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Maßnahme nach § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 36 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden (vgl. das zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG ergangene, für die Frage der Ermessensübung auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0175).
Die belangte Behörde hat jedoch im angefochtenen Bescheid zur Frage des Ermessens lediglich festgehalten, daß das Aufenthaltsverbot "in einem solchen Fall ... gerechtfertigt" sei. Da diese Ausführungen nach dem oben Gesagten keinesfalls eine nachvollziehbare Begründung der Ermessensentscheidung darstellen, belastete die belangte Behörde ihren Bescheid insofern mit einem wesentlichen Begründungsmangel.
3. Darüberhinaus ist der belangten Behörde auch insoweit ein Verfahrensmangel unterlaufen, als sie sich im angefochtenen Bescheid nicht mit dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegten hg. Beschluß vom 13. November 1995, Zl. AW 95/18/0743, auseinandergesetzt hat. Mit diesem Beschluß wurde der Beschwerde gegen den eine Aufenthaltsbewilligung versagenden Berufungsbescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Juli 1994 aufschiebende Wirkung zuerkannt, weil "nunmehr das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 FrG" (FrG 1992) "behauptet und bescheinigt wurde".
Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes war zwar - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift richtig ausführt - während der Geltung des FrG 1992 auch gegen eine Person zulässig, die die Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 leg. cit. erfüllte, doch hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid auch seinen seit 31. März 1993 (durchgehend) unrechtmäßigen Aufenthalt als schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens vorgeworfen. Der Aufenthalt einer Person, die gemäß § 17 Abs. 4 FrG 1992 nicht ausgewiesen werden durfte, war zwar gemäß § 15 Abs. 1 FrG 1992 nicht rechtmäßig, doch ist die von einem derartigen - vom Gesetz geduldeten - Aufenthalt ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung wesentlich geringer anzusetzen. Da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Berücksichtigung des erwähnten Beschlusses über die aufschiebende Wirkung unter Bedachtnahme auf die obigen Ausführungen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, liegt auch insoweit ein relevanter Verfahrensfehler vor.
4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Oktober 1998
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998180123.X00Im RIS seit
10.07.2001