Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** F*****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei T***** S*****, Schweiz, vertreten durch Mag. Ernst Michael Lang, Rechtsanwalt in Hohenems, wegen 8.320 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 11. Jänner 2019, GZ 14 R 176/18b-25, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Perg vom 4. Juli 2018, GZ 35 C 274/17y-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 694,90 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger schloss im Jahr 2013 mit einer schweizerischen Aktiengesellschaft (über deren österreichische Tochtergesellschaft) Ansparpläne („Ratenkaufpläne“) über Edelmetallbestände, wobei er insgesamt 8.320 EUR in diese Anlageform investierte.
Der Beklagte ist Rechtsanwalt und öffentlicher Notar in Zürich. Im gegebenen Zusammenhang stellte er im Auftrag der schweizerischen Aktiengesellschaft jährlich notariell beglaubigte Prüfberichte über die Übereinstimmung der Ist- und der Sollbestände der veranlagungsrelevanten Edelmetalle aus.
Am 13. 3. 2017 brachte der hier Beklagte beim schweizerischen Friedensrichteramt ein (obligatorisches) Streitschlichtungsgesuch ein, wonach festzustellen sei, dass ihn (unter anderem) gegenüber dem Kläger des hier vorliegenden Verfahrens keine Haftung im Zusammenhang mit der Prüfung von Edelmetallbeständen treffe. Da das Schlichtungsverfahren scheiterte, erhob er am 12. 9. 2017 (mit „Klagebewilligung“ des Friedensrichteramts) beim Bezirksgericht Zürich eine Klage auf Feststellung, dass er nicht Schuldner (unter anderem) des Klägers des hier vorliegenden Verfahrens im (Teil-)Betrag von 50 EUR sei.
Mit Urteil vom 1. 10. 2018 sprach das Schweizerische Bundesgericht aus, dass auf die Beschwerde des hier Beklagten mangels Vorliegens einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung nicht eingetreten wird. Damit wurde die Entscheidung im schweizerischen Verfahren rechtskräftig, wonach auf die in der Schweiz erhobene negative Feststellungsklage des hier Beklagten wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit und mangels eines schützenswerten Feststellungsinteresses nicht einzutreten sei.
Im hier vorliegenden Verfahren erhob der Kläger am 30. 8. 2017 Schadenersatzklage gegen den Beklagten, weil dieser seine Prüfpflichten in Bezug auf die veranlagungsrelevanten Edelmetallbestände verletzt habe.
Der Beklagte erhob eine Unzuständigkeitseinrede und stellte den Antrag auf „Unterbrechung“ des Verfahrens, weil beim Bezirksgericht Zürich zwischen denselben Parteien ein negatives Feststellungsverfahren anhängig sei, das mit dem hier vorliegenden Verfahren in engem Zusammenhang stehe.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ab, weil von keiner ordnungsgemäßen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im schweizerischen Verfahren ausgegangen werden könne. Die Voraussetzungen nach Art 30 Nr 1 iVm Art 27 Abs 1 LGVÜ 2007 seien daher nicht gegeben.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beklagten Folge und setzte das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren vor dem Bezirksgericht Zürich aus. Auch nach schweizerischem Recht obliege die Zustellung der Klage dem Gericht. Von einem Zustellmangel könne nicht ausgegangen werden, weil im schweizerischen Verfahren das Schlichtungsgesuch und auch die Klage als zur prozessordnungsgemäßen Behandlung geeignet betrachtet und die Verfahren geführt worden seien. Entgegen der Ansicht des Klägers begründe nach Art 62 der schweizerischen Zivilprozessordnung sowohl die Einreichung eines Schlichtungsgesuchs als auch die Einbringung einer Klage Rechtshängigkeit. Die Aussetzungsgründe des Art 27 Abs 1 LGVÜ 2007 seien daher gegeben. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Über Antrag des Klägers sprach das Rekursgericht nachträglich aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei, weil insbesondere zur Frage, ob die Einbringung eines Antrags bei der Schlichtungsstelle in der Schweiz gemäß Art 202 der schweizerischen Zivilprozessordnung Rechtshängigkeit iSd Art 27 Abs 1 LGVÜ 2007 bewirke, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers, der auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt. Gleichzeitig mit diesem Rechtsmittel (ebenfalls am 18. 2. 2019) verfasste der Kläger unter Hinweis auf die zwischenzeitlich rechtskräftige Entscheidung im schweizerischen Verfahren den (in der Folge beim Erstgericht eingebrachten) Antrag, das vorliegende Verfahren fortzusetzen.
Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Beklagte, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, weil das schweizerische Verfahren zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen sei; in eventu sei die angefochtene Entscheidung zu bestätigen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Klägers ist unzulässig.
1. Das Rechtsmittelverfahren betrifft die Aussetzung des hier vorliegenden (österreichischen) Verfahrens nach Art 27 Abs 1 LGVÜ 2007 wegen Rechtshängigkeit mit Bezug auf das in der Schweiz geführte Verfahren über die negative Feststellungsklage des hier Beklagten. Das Rekursgericht hat den abweisenden erstinstanzlichen Beschluss über den Aussetzungsantrag des Beklagten abgeändert und das vorliegende Verfahren ausgesetzt und zudem ausgesprochen, dass das Verfahren nur über Parteiantrag fortgesetzt wird. Auf diesen Beschluss des Rekursgerichts gelangt § 528 ZPO zur Anwendung. Dazu hat das Rekursgericht nachträglich ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
2. Der Rechtsmittelausschluss des § 192 Abs 2 ZPO steht dem Revisionsrekurs nicht entgegen, weil sich dieser Rechtsmittelausschluss grundsätzlich nur auf eine Nicht-Unterbrechung bezieht. Aus der Entscheidung 7 Ob 102/10s könnte (nach dem Ergebnis) abgeleitet werden, dass eine zwingend vorgeschriebene Unterbrechung nicht anfechtbar ist. Bei der Aussetzungspflicht nach Art 27 Abs 1 LGVÜ 2007 handelt es sich (bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen) um eine zwingend angeordnete „Unterbrechung“.
Die zitierte Entscheidung betrifft aber den Spezialfall einer Verfahrensunterbrechung nach § 57 Abs 3 VfGG im Zusammenhang mit einer Verordnungsprüfung nach Art 89 Abs 2 B-VG. Der darin angenommene Rechtsmittelausschluss wird damit begründet, dass im Fall der Anfechtbarkeit eines solchen Unterbrechungsbeschlusses das Rekursgericht dem Prozessgericht auftragen könnte, die Anfechtung einer Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit zu unterlassen oder durchzuführen, was Art 89 Abs 2 B-VG widerspräche, der jedem Gericht die selbständige Beurteilung überlasse, ob es Bedenken gegen die Anwendung einer Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit hege.
Diese Überlegungen gelten für eine Aussetzung nach Art 27 Abs 1 LGVÜ 2007 nicht, weil dem Prozessgericht in dieser Hinsicht keine Befugnis zur eigenständigen Beurteilung zukommt, sondern die inhaltlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung im LGVÜ 2007 konkret vorgegeben sind.
3.1 Der Revisionsrekurs des Klägers ist aber mangels Beschwer unzulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel auch materielle Beschwer voraus. Sie fehlt, wenn der Rechtsmittelwerber kein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RS0041746; RS0043815) und der Entscheidung daher nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme (RS0002495). Die Beschwer muss sowohl im Zeitpunkt der Einlangung des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Entscheidung darüber bestehen (RS0043815 [T27]; RS0006497 [T36]; RS0130548 [T2]). Ist dies nicht der Fall, so ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770).
3.2 Wie bereits ausgeführt hat das Rekursgericht das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung im schweizerischen Verfahren gemäß Art 27 Abs 1 LGVÜ 2007 ausgesetzt und ausgesprochen, dass das Verfahren nur über Parteiantrag fortgesetzt wird. Das betreffende schweizerische Verfahren ist, was von beiden Parteien ausdrücklich zugestanden wird, zwischenzeitlich rechtskräftig beendet. Aus diesem Grund hat der Kläger beim Erstgericht auch bereits den Antrag gestellt, das vorliegende Verfahren fortzusetzen.
Die Erledigung des Revisionsrekurses des Klägers hätte damit nur mehr rein theoretische Bedeutung, zumal das vorliegende Verfahren vor dem Erstgericht nunmehr fortzuführen ist. Für die Behandlung des Revisionsrekurses fehlt es dem Kläger daher an der Beschwer, weshalb das Rechtsmittel zurückzuweisen ist.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 Abs 2 ZPO. Nach der Rechtsprechung kommt dem Rechtsmittelwerber die Regelung des ersten Halbsatzes dieser Bestimmung dann nicht zugute, wenn er den Wegfall der Beschwer selbst zu vertreten hat (6 Ob 302/00f). Dies hat auch dann zu gelten, wenn dem Rechtsmittelwerber bei Einbringung des Rechtsmittels der Wegfall der Beschwer bekannt ist. Dies war hier der Fall, zumal der Kläger den Fortsetzungsantrag am selben Tag wie den – mit dem ordentlichen Revisionsrekurs verbundenen – Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts verfasst hat.
Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses wegen des rechtskräftig abgeschlossenen schweizerischen Verfahrens in seiner Revisionsrekursbeantwortung hingewiesen.
Textnummer
E126402European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00159.19I.0924.000Im RIS seit
23.10.2019Zuletzt aktualisiert am
14.02.2020