Entscheidungsdatum
21.03.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
L521 2130287-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2017, Zl. 1053618804-170674637, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 08.11.2018 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2016, L520 2130287-1/5E, verwiesen. Mit dieser Entscheidung wurde der vom Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen des Irak, am 14.03.2015 gestellte Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen.
Zuvor war dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2016, Zl. 1053618804-150266615, rechtskräftig der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt worden und erlangte der Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.06.2017.
2. Vom 20.08.2016 bis zum 14.09.2016 reiste der Beschwerdeführer zum Zweck des Familienbesuchs in den Iran.
3. Am 07.03.2017 beantragte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.
4. Mit Note des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer die amtswegige Einleitung eines Aberkennungsverfahrens hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zur Kenntnis gebracht und ihm Gehör zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat eingeräumt.
5. Der Beschwerdeführer - seinerzeit vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx - erstattete am 22.06.2017 eine schriftliche Stellungnahme und sprach sich gegen die Aberkennung des zum zuerkannten Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Die Lage im Herkunftsstaat sei nach wie vor von Auseinandersetzungen mit den Milizen des Islamischen Staates geprägt und instabil, von einer Verbesserung der Lage könne nicht ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer habe sich darüber hinaus im Bundesgebiet stets wohlverhalten.
6. Am 05.07.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Der Beschwerdeführer legte im Gefolge seiner Einvernahme insbesondere dar, an Diabetes zu leiden und dagegen Medikamente einzunehmen.
Er stehe derzeit in Kontakt zu seiner im Irak lebenden Ehefrau und den Kindern, allerdings habe es Streit mit seiner Ehefrau gegeben, da er sie im Irak zurückgelassen habe. Seine Familie lebe derzeit in einem Lager für Binnenvertriebene. Er selbst fürchte im Fall einer Rückkehr in den Irak Strafverfolgung oder den Tod, da er gegen einen hohen Offizier eine Klage eingebracht habe und nunmehr von diesem verfolgt werde. Im Irak könne er in jedem Fall nicht leben, da er dort "nur schlimmes erlebt" und "zu viele Probleme" habe. Die Darstellung der Lage im Irak in internationalen Medien sei ebenso unrichtig wie die Lageeinschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes, da die Medien ein "falsches Bild" vermitteln würden.
Er selbst lebe in Wien und beziehe dort Mindestsicherung. Er wolle demnächst einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besuchen. Ein Arbeitsvermittler habe ihm eine Anstellung als Reinigungskraft zugesagt. Näheres dazu könne er nicht angeben.
7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2017 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2016, Zl. 1053618804-150266615, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem Beschwerdeführer die ihm erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 4 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, die Sicherheitslage im Irak habe sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stabilisiert und sogar verbessert. Dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr in den Herkunftsstaat zumutbar und möglich. Schützenswerte private Bindungen im Bundesgebiet wären nicht feststellbar, sodass eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei.
8. Mit Verfahrensanordnungen vom 27.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
9. Gegen den der seinerzeitigen rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers am 28.07.2017 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der ihm beigegebenen und bevollmächtigen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In der Beschwerde wird - soweit hier von Relevanz - ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter Folge zu geben, eventualiter wird die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 bzw. die Aufhebung der Rückkehrentscheidung und der damit zusammenhängenden Absprüche begeht und schließlich die Durchführung einer mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt.
In der Sache bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, das belangte Bundesamt habe die angefochtene Entscheidung auf unzureichende Feststellungen zur Lage im Irak gestützt und sich außerdem unzureichend mit der gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer sei zuckerkrank und darüber hinaus vor mehreren Jahren im Irak überfallen und durch Schüsse schwer verletzt worden, weshalb er an eine Traumatisierung leide. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer aufgrund seines sunnitischen Glaubens im Fall einer Rückkehr in den Irak gefährdet.
Der Beschwerde ist eine Erklärung des Beschwerdeführers angeschossen, womit die dem MigrantInnenverein St. Marx erteilte Vollmacht gekündigt wird.
10. Die Beschwerdevorlage langte am 14.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.
11. Zur Vorbereitung der für den 08.11.2018 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.10.2018 aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.
12. Das belangte Bundesamt teilte dem Bundesverwaltungsgericht mit Eingabe vom 05.10.2018 aufgrund der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, dass der Beschwerdeführer keine Leistungen der Grundversorgung mehr in Anspruch nehme und über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet mehr verfüge.
13. Am 31.10.2018 brachte die bevollmächtige Rechtsberatungsorganisation dem Bundesverwaltungsgericht die Kündigung der erteilten Vollmacht zur Kenntnis.
14. Am 08.11.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt und im Verlauf dieser Verhandlung die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der dem Beschwerdeführer im Vorfeld übermittelnden Länderdokumentationsunterlagen und weiterer länderkundlicher Dokumente erörtert. Der Beschwerdeführer blieb der mündlichen Verhandlung unentschuldigt fern, sodass er in der Sache nicht einvernommen werden konnte.
15. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.12.2018 wurden dem Beschwerdeführers aktualisierte Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen. Innerhalb der eingeräumten Frist langte keine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX im Gouvernement Diyala geboren und lebte dort zuletzt in der Stadt XXXX in einem Haus in seinem Eigentum. Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der Beschwerdeführer besuchte im Herkunftsstaat Grundschule und anschließend eine weiterführende Schule im Gesamtausmaß von 12 Jahren und erlangte die Matura. Er studierte Sportpädagogik und schloss das Studium am 21.11.2007 ab. Darüber hinaus erlernte er eigenen Angaben zufolge das Handwerk des Goldschmiedes bei seinem Vater. Im Anschluss daran trat der Beschwerdeführer in das Berufsleben ein und arbeitete als Sportlehrer.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Ehefrau und die Kinder halten sich derzeit im Irak auf und lebten den Angaben des Beschwerdeführers zufolge zuletzt in einem Lager für Binnenvertriebene in XXXX im Gouvernement Diyala. Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist Lehrerin und unterrichtet Geographie im Flüchtlingscamp.
Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben. Die drei Brüder und die vier Schwestern des Beschwerdeführers leben weiterhin im Irak. Ein Bruder des Beschwerdeführers lehrt als Universitätsprofessor an der Universität XXXX und unterrichtete dort Hebräisch. Eine Schwester des Beschwerdeführers leitet eine Schule im Gouvernement Diyala. Feststellungen zu den weiteren Geschwistern des Beschwerdeführers können nicht getroffen werden.
Am 14.02.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal vom Gouvernement Diyala ausgehend auf dem Landweg in die Türkei und gelangte anschließend schlepperunterstützt nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 14.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2016, Zl. 1053618804-150266615, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 15.06.2017 erteilt (Spruchpunkt III).
Spruchpunkte II. und III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2016, Zl. 1053618804-150266615, erwuchsen mangels Anfechtung in Rechtskraft. Die gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2016 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20.12.2016, L520 2130287-1/5E, als unbegründet ab.
Verfahrenshilfeanträge des Beschwerdeführers beim Verfassungsgerichtshof und beim Verwaltungsgerichtshof blieben erfolglos.
In der Sache erachtet das Bundesverwaltungsgericht den vorgebrachten ausreisekausalen Vorfall - nämlich einen Raubüberfall auf die von ihm und seinen Brüdern betriebene Goldschmiede - zwar als möglich, jedoch als kriminelle Handlung ohne Bezug zu einem in der Genfer Konvention angeführten Grund. Eine aus dem Vorfall resultierende individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr in den Irak aufgrund dieses Vorfalls oder aus konfessionellen Gründen wurde als nicht glaubhaft erachtet.
1.3. Dem Beschwerdeführer steht im Falle einer Rückkehr in den Irak
-
sollte er eine Rückkehr in die Stadt XXXX nicht in Erwägung ziehen
-
auch eine zumutbare und taugliche innerstaatliche Aufenthaltsalternative in einem sunnitischen Viertel in Bagdad oder in der Stadt XXXX zur Verfügung. Er hat dort nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt zu rechnen und verfügt dort über eine gesicherte Existenzgrundlage.
1.4. Der Beschwerdeführer verfügt über irakische Ausweisdokumente im Original (Personalausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis).
1.5. Der Beschwerdeführer leidet an Diabetes mellitus Typ II. Ein Facharzt für Psychiatrie bescheinigte ihm am 27.12.2016, an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer schweren depressiven Episode zu leiden und dagegen Medikamente einzunehmen.
1.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Der Beschwerdeführer ist ein arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit hervorragender Ausbildung in der Schule und an der Universität sowie mit im Herkunftsstaat erworbener Berufserfahrung als Goldschmied. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft sowie durch Sozialleistungen des irakischen Lebensmittelverteilungssystems PDS (Public Distribution System). Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.
1.7. Der Beschwerdeführer reiste am 14.03.2015 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und wurde in weiterer Folge wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes in Wien festgenommen. Nach seiner Festnahme stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz und erlangte ein vorläufiges Aufenthaltsrecht als Asylwerber. Ab dem 16.06.2016 hielt sich der Beschwerdeführer rechtmäßig als subsidiär Schutzberechtigter im Bundesgebiet auf. Bereits am 20.08.2016 reiste er bis zum 14.09.2016 zum Zweck des Familienbesuchs in den Iran.
Der Beschwerdeführer bezog von der Antragstellung an bis zum 03.08.2018 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war zunächst in Unterkünften für Asylwerber im Bundesland Kärnten in den Ortschaften XXXX untergebracht. Vom 27.06.2016 an lebte der Beschwerdeführer in der Bundeshauptstadt Wien, wo er mehrmals seine Unterkunft wechselte. Der Beschwerdeführer verfügt seit dem 01.02.2018 über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet mehr, er hat das Bundesgebiet an einem nicht feststellbaren Tag verlassen. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Der Beschwerdeführer unterließ es insbesondere, dem Bundesverwaltungsgericht seinen derzeitigen Aufenthaltsort bekannt zu geben und blieb der mündlichen Verhandlung am 08.11.2018 unentschuldigt fern.
Der Beschwerdeführer warm im Bundesgebiet nicht legal erwerbstätig und hatte auch keine bestimmte Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in Aussicht. Er verfügte in Österreich über keine Verwandten und pflegte im Übrigen normale soziale Kontakte.
Der Beschwerdeführer besuchte keine sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache und legte keine Prüfungen ab. Er besuchte am 30.11.2016 einen Werte- und Orientierungskurs.
1.8. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG geduldet. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
1.9. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:
1. Aktuelle Ereignisse
27.06.2018: Papst Franziskus kreierte Patriarch Mar Louis I Sako, Oberhaupt der Chaldäisch Katholischen Kirche, als Kardinal. Ägypten betonte, dass es sich weiter am Wiederaufbau und an der Stabilisierung des Irak beteiligen wird. Muqtada al-Sadr gab bekannt, dass er alle Operationen seiner Miliz Saraya al-Salam in Basra einstellen lassen wird, nachdem es Zwischenfälle mit den örtlichen Kräften gegeben hatte.
01.07.2018: Die nationale irakische Ölgesellschaft kündigte an, dass sie mit Zustimmung der OPEC eine schwimmende Ölspeicherplattform bauen wird um ihre Kapazität auf sechs Millionen Barrel zu erhöhen.
02.07.2018: Die Sicherheitssituation an der irakisch-syrischen Grenze entspannt sich wegen der Militäroperationen gegen die konzentrierten IS-Zellen in der Region.
02.0.7./04.07.2018: Die Bundespolizei verlegte einige ihrer Truppen in die Provinz Kirkuk um die Sicherheit zu gewährleisten, da sich IS-Kämpfer im Süden formierten. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), die PMUs und die Peshmerga starteten eine gemeinsame Offensive in der Region.
10.07.2018: Gemäß einer Aussage von Premier Abadi habe sich die Sicherheitssituation in Mosul seit dem erklärten Sieg über den IS im Dezember 2017 massiv verbessert.
13.07.2018: Laut den Aussagen von PMU-Patrouillen bleibt die Sicherheitssituation in der Region westlich von Bayji wegen der IS-Zellen angespannt.
16.07./17.07.2018: Der irakische Elektrizitätsminister kündigte an, dass Teheran keine Elektrizität mehr in den Irak exportieren wird. Daraufhin reiste der irakische Minister für Planung nach Jeddah um die Energiekrise mit einer saudischen Delegation zu besprechen.
23.07.2018: Kuwait bot dem Irak mit der Sendung von mobilen Generatoren Hilfe an um seine Energiekrise zu lösen.
14.08.2018: Die Türkei und der Irak einigten sich auf ein Abkommen um einen neuen Grenzübergang nahe dem Grenzübergang Fish-Khabour zu eröffnen. Jordanien unterzeichnete mit dem Irak ein Sicherheitsabkommen um die Straße zwischen Amman und Bagdad und um die Grenze zu öffnen.
16.08./21.08.2018: Durch das Wiederinkrafttreten der Iransanktionen ist der damals amtierende Premierminister Abadi bemüht das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran auszubalancieren. Dank einer intensiven wirtschaftlichen Kooperation reiste eine irakische Delegation nach Washington um Ausnahmen von den Sanktionen zu verhandeln.
19.08.2018: Die irakische Zentralregierung und die kurdische Regionalregierung einigten sich mittels eines Abkommens darauf gemeinsame Checkpoints an der Straße von Erbil nach Kirkuk einzurichten um die Straße öffnen zu können.
20.08.2018: Die Türkei und der Irak unterzeichneten ein Energieabkommen, in dem festgehalten wurde, dass die Türkei dem Irak Elektrizität liefern werde und bei der Entwicklung der lokalen Infrastruktur Unterstützung leisten wird.
20.10.2018/21.10.2018: Die irakischen Streitkräfte setzen ihre Militäroperationen gegen den IS fort. So töteten Sicherheitskräfte am 20.10.18 vier Extremisten in ihrem Versteck in Hit, drei Extremisten in Kirkuk und zwei Extremisten in der Provinz Diyala. Mindestens 23 Menschen wurden bei jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfällen getötet. So kamen am 21.10.18 mindestens vier irakische Polizisten bei zwei Bombenexplosionen ums Leben, die von den Kämpfern des IS in den Regionen al-Shoura und Makhmour verübt wurden. Ebenfalls am 21.10.18 wurde eine turkmenische Familie von unbekannten bewaffneten Männern im Distrikt Hawija, rund 55 Kilometer südwestlich von Kirkuk, getötet. Auch in Jalawla, Provinz Diyala, töteten Unbekannte eine Familie.
25.11.2018: Am 25.11.18 verkündete das Gesundheitsministerium, dass bei starken Regenfällen mindestens 21 Menschen ums Leben gekommen und etwa 180 Personen verletzt worden seien. Laut der UN-Mission im Irak (UNAMI) sind in Salah ad-Din etwa 10.000 und in Ninewa etwa 15.000 Menschen in Folge der Fluten auf Unterstützung angewiesen. Am stärksten betroffen seien der Distrikt Shirqat (Provinz Salah ad-Din) und die Vertriebenenlager Qayyarah und Jedda (Provinz Ninewa). Flutschäden wurden auch in einigen südlichen Provinzen gemeldet. Häuser und Viehbestände seien hier zerstört sowie Brücken und Dörfer überschwemmt worden. UNAMI beteiligt sich an einer Notfallunterstützungsmission.
03.12.2018: Die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) nominiert Nechviran Barzani als Präsidentschaftskandidaten für die autonome Region Kurdistan. Sein Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten soll Masrur Barzani (Sohn des langjährigen Präsidenten Massud Barsani) werden.
04.12.2018: Laut Medienberichten unterbrachen Parlamentsabgeordnete am 04.12.18 eine Parlamentssitzung, die zu einer Regierungsbildung nach der Wahl im Mai 2018 führen sollte. Die Posten u.a. für das Innen- und Verteidigungsministerium bleiben unbesetzt. Dem Stillstand liegt eine Spaltung zwischen den zwei schiitischen Hauptblöcken von Moqtada Sadr und dem Milizenführer Hadi al-Amiri zugrunde.
07.12.2018: Massive Regenfälle haben in weiten Teilen des Landes zu Zerstörungen und Beschädigungen von Infrastruktur sowie Wohnhäusern geführt. Besonders betroffen sind intern Vertriebene in den Provinzen Salah ad-Din und Ninewa (Mosul, Nimrud, Sinjar Gebirge). Lokalen Medien zufolge wurden etwa 80 Familien aus dem Dorf Zanazel (Provinz Ninewa) evakuiert. Das Krisenkoordinierungszentrum des kurdischen Innenministeriums (Joint Crisis Coordination Centre) meldete am 07.12.18, dass im Vertriebenenlager Dibaga 2 in der Provinz Erbil etwa 700 intern Vertriebene auf Notfallhilfe angewiesen seien.
2. Politische Lage
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.02.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).
Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Am 002.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 02.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).
Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).
In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).
Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.02.2018).
Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).
Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 12.02.2018). Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der einzelnen Regionen des Irak ist aus der Grafik im Punkt Minderheiten ersichtlich.
2.1. Parteienlandschaft
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)
Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).
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Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al-Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).
2.2. Protestbewegung
Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
2.3. Autonome Region Kurdistan
Ein Teil des föderalen Staates Irak ist die Autonome Region Kurdistan, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Die Autonome Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung. Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayish) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaimaniyya, Dohuk und Halabdscha aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninawa. Die Autonome Region Kurdistan betreibt außerdem eine eigenständige Wirtschafts- und Außenpolitik und regelt Fragen der Grenzkontrolle selbst - hierzu gehört auch die von zentralirakischen Behörden unabhängige Vergabe von Visa.
Bis heute ist die Region faktisch zwischen KDP (Kurdistan Democratic Party) und PUK (Patriotic Union of Kurdistan) aufgeteilt - wobei die PUK in den letzten Jahren Einfluss an Goran abgeben musste. Innerhalb der autonomen Kurdenregion gibt es immer wieder Konflikte zwischen den drei großen irakisch-kurdischen Parteien KDP, Goran und PUK. Grund dafür ist unter anderem die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, die im Kurdengebiet vorherrschen. Darüber hinaus sorgte der Streit um die Präsidentschaft Mas?ud Barzanis für Spannungen, dessen (bereits außertourlich verlängerte) Amtszeit schon im August 2015 abgelaufen war. Die Waffenlieferungen des Westens und anderer Verbündeter an die Kurden haben zudem den Effekt, dass die kurdische Politik insgesamt zwar an Bedeutung gewinnt, sich jedoch dadurch die Spannungen zwischen den kurdischen Fraktionen weiter erhöhen. KDP und PUK sind durch ihre jeweiligen Bündnisse mit mächtigen - teilweise gegensätzlichen - Partnern gespalten: Die KDP mit Mas'ud Barzani, dem Präsidenten der KRG (Kurdish Regional Government - die Regionalregierung in der KRI) wird vorrangig vom Westen unterstützt und steht der Türkei nahe, während die PUK vorrangig vom Iran unterstützt wird und der türkischen PKK sowie der irakischen Regierung in Bagdad nahesteht. Beide Parteien haben ihre jeweils eigenen Militäreinheiten (Peschmerga), die im Kampf gegen den IS oftmals in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander stehen.
Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25.09.2017 deutlich verschlechtert (AA 12.02.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.09.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).
Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.02.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).
Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.02.2018). Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).
3. Sicherheitslage
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich verbessert, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv und ist die Sicherheitslage regional unterschiedlich (CRS 4.10.2018).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates in allen Fällen sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen. aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten und zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (AA 12.02.2018).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.02.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es weiterhin zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).
Die im Folgenden dargestellte Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle und ziviler Opfer ist im Kontext der Bevölkerungsanzahl eines Gouvernements zu sehen. Im Folgenden findet sich eine Tabelle mit Schätzungen der Bevölkerungszahlen der irakischen Provinzen (herausgegeben von der Republik Irak, mit Stand 2009):
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(Quelle: Republik Irak, zitiert bei UK HO 3.2017)
3.1. Islamischer Staat (IS)
Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 03.07.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 06.10.2018).
Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 04.10.2018; vgl. ISW 02.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 04.10.2018). Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Rückzugsgebiete des IS, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und wo sich IS-Kämpfer tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 06.10.2018). Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).
Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 06.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.08.2018).
3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 06.02.2018).
So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 06.10.2018).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im dritten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak im dritten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 12.11.2018).
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(Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) zusammengestellt von ACCORD, 12.11.2018)
Laut Angaben von UNAMI, der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge. Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichnete UNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017. für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben. da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai. Juli. August und Dezember (UNAMI 3.1.2017).
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle. dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016
935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).
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(IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 31.10.2018)
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(IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence. https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 31.10.2018)
Der sich im Jahr 2018 bereits in der ersten Jahreshälfte abzeichnende Trend einer sich stetig verbessernden Sicherheitslage setzte sich bis zuletzt fort, was aus den untenstehenden Grafiken ersichtlich ist.
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(MOI - Musings on Iraq (12.2018):
http://musingsoniraq.blogspot.com/2018/12/large-drop-in-violence-in-iraq-november.html, Zugriff 04.12.2018)
Im November 2018 wurde die geringste Anzahl ziviler Opfer im Irak seit sechs Jahren verzeichnet (UNAMI 3.12.2018).
3.3. Sicherheitslage Bagdad
Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen während des Bürgerkrieges von 2006-2007 aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen.
Die Sicherheit der Provinz obliegt dem "Baghdad Operations Command", das auf Kräfte aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zurückgreifen kann. Daneben werden auch schiitische Milizen eingesetzt, deren Bedeutung als steigend beschrieben wird (OFPRA 10.11.2017).
Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch, als die Zurückeroberung Mosuls begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 stark ab auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad stetig zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivitäten, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Davon abgesehen sind sunnitische Bewohner weiterhin der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt. Die Bedrohung durch schiitische Milizen stieg ab dem Jahr 2013 an und erreichte im Jahr 2015 ihren Höhepunkt (OFPRA 10.11.2017).
Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.04.2018).
Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die jedoch bis in den Juni 2018 signifikant abnahm und auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).
Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad in absoluten Zahlen höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 06.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt und die Einwohnerzahl bedenkt, sind die Angriffe selten (Joel Wing 09.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).
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(MOI - Musings on Iraq (9.2018):
http://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/violence-remained-steady-in-iraq-august.html, Zugriff 04.12.2018)
In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).
3.4. Sicherheitslage Autonome Region Kurdistan (KRG)
In Erbil bzw. Sulaymaniya und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings ist die derzeitige Sicherheitssituation aufgrund der andauernden Kämpfe, in die teilweise auch die kurdischen Streitkräfte (Peshmerga) und diverse Milizen eingebunden sind, besorgniserregend. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 01.11.2018).
Die türkische Armee führt regelmäßig (teilweise im Abstand von wenigen Tagen) Luftangriffe auf PKK-Ziele in der kurdischen Autonomieregion im Irak durch. Beide Seiten (sowohl die Türkei als auch die PKK) geben wenig Informationen über die Opfer. In Einzelfällen handelt es sich um Zivilisten (CEDOCA 14.03.2018).
Nachdem die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI) ihre bewaffneten Aktivitäten im Jahr 2015 wieder aufnahm, fanden 2016 zum ersten Mal seit zehn Jahren auch wieder iranische Angriffe auf KDPI-Ziele in der Autonomen Region Kurdistan-Irak statt (CEDOCA 14.3.2018). Iranische Revolutionsgarden führten gezielte Tötungen von KDPI-Mitgliedern in der Autonomen Region Kurdistan durch (Al Monitor 7.3.2018). Der Iran hat in der Vergangenheit auch bewaffnete kurdische Oppositionsgruppen im Irak beschossen. Auch im September 2018 kam es zu einem tödlichen Raketenangriff der iranischen Revolutionsgarden auf die KDPI im Irak (Reuters 8.9.2018; vgl. RFE/RL 9.9.2018).
3.5. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak
In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit terroristischen Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese (abstrakte) Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala, wo sich Rückzugsgebiete des Islamischen Staates befinden. Hinzu kommen Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 01.11.2018). Innerhalb der erwähnten Gouvernements ist die Sicherheitslage regional unterschiedlich.
Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeine Stabilität dar (GPPI 3.2018).
Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Di