TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/11 W105 1431122-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.2019
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Entscheidungsdatum

11.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W105 1431122-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.12.2017, Zl. 821170805/171358652/BMI-BFA_STM_AST_01, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Pashtunen sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, stellte am 30.08.2012 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 19.11.2012, Zl. 12.11.708-BAG, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.) und ihn gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

3. In Erledigung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde (nachdem die Beschwerde gegen Spruchteil I. des Bescheides zurückgezogen wurde) gegen Spruchteil II. des oben angeführten Bescheides wurde dieser nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.05.2014 und 21.11.2014 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.11.2014, Zl. W225 1431122-1/14E, Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.11.2014 erteilt (Spruchteil II.). Schließlich wurde Spruchteil III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ersatzlos behoben (Spruchteil III.).

Begründend wurde ausgeführt, aus den Länderfeststellungen zur Sicherheitslage in Kabul sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Falle einer zwangsweisen Rückkehr in eine für Leib und Leben "prekäre" Situation geraten würde. Daran würde auch die Tatsache, dass sich laut Angaben des Beschwerdeführers sein Vater sowie sein Bruder und seine bereits verheirateten Schwestern in Kabul aufhalten würden, nichts zu ändern vermögen. Im gegenständlichen Fall könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung iSd Art. 3 EMRK unterworfen zu werden. Unter Bedachtnahme auf die Sicherheitslage könne dem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, sich unter Gefährdung der durch § 8 AsylG 2005 geschützten Güter dorthin zu begeben. Im Falle des Beschwerdeführers würden sich somit aus den Feststellungen zur persönlichen Situation und vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan finden.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2014, Zl. W225 1431122-1/15Z, wurde Spruchpunkt A II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.11.2014, Zl. W225 1431122-1/14E, gemäß § 17 VwGVG iVm § 62 Abs. 4 AVG insofern berichtigt, als er zu lauten hat: "Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 28.11.2015 erteilt."

5. Am 18.09.2017 brachte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung beim BFA ein.

6. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.11.2017 brachte der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Gesundheitszustandes vor, dass er keine Krankheiten habe und gesund sei. Weiters gab er auf die Frage, ob er noch in Afghanistan lebende Angehörige habe, an, dass sein Vater und drei Schwestern in Afghanistan, konkret in Kabul leben würden, weiters habe er Freunde und Bekannte dort. In Bezug auf sein Privatleben gab der Beschwerdeführer an, dass er eine Aufnahmeprüfung für Krankenpflege gemacht habe und ein Vorstellungsgespräch habe. Er habe für 20 bis 25 Tage in XXXX einen Job in einem Ein-Euro-Geschäft ausgeübt. Danach habe er ein Deutschkursangebot vom AMS angenommen, da er seine Sprachkenntnisse verbessern hätte wollen. Der Job sei für ihn nicht gut gewesen, da er viel stehen hätte müssen und er Probleme mit er Wirbelsäule hätte. Nach Vorhalt, dass eine Rückkehr für ihn nach Kabul, Herat, Mazar-e Sharif oder Sar i Pul zum jetzigen Zeitpunkt zumutbar wäre, gab der Beschwerdeführer an, dass es dort nicht sicher wäre und er dort nicht leben könne. Er wolle außerdem in Österreich leben und eine Ausbildung machen.

7. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15.12.2017, Zl. 821170805/171358652/BMI-BFA_STM_AST_01, wurde

-

dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2014, Zl. W225 1431122-1/15Z, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.),

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dem Beschwerdeführer die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2014, Zl. W225 1431122-1/15Z, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.),

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dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.),

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gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.),

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gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.),

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gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden. Zum heutigen Zeitpunkt bestehe für ihn die Möglichkeit der Rückkehr ins Heimatland. Er stamme aus Kabul und liege in seinem Fall keine relevante Gefährdungslage in Bezug auf seine unmittelbare Heimatprovinz vor. Die Sicherheitslage in Herat sowie in Mazar-e Sharif sei relativ sicher. Kabul verfüge über einen Flughafen und könne man Kabul von Österreich aus problemlos erreichen. Auch Mazar-e Sharif verfüge über einen Flughafen und könne er diesen über Kabul erreichen, ohne einer besonderen Gefährdungslage ausgesetzt zu sein. Anhand der gegenwärtigen Länderinformationen zu Afghanistan könne eine innerstaatliche Fluchtalternative für männliche, gesunde und arbeitsfähige, unverheiratete Personen grundsätzlich bejaht werden. Er habe Familienangehörige und verfüge über einen Bekannten- sowie Freundeskreis in Kabul und könne seine Familie ihm weitere Unterstützung zukommen lassen. Er verfüge über ausreichend Berufserfahrungen und habe sich in Österreich Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen können. Er wäre arbeitsfähig. Er wäre durch eine Rückkehr nach Afghanistan keiner realen Gefahr mehr ausgesetzt, die eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Es könne in Österreich keine besondere Integrationsverfestigung festgestellt werden, sodass eine Rückkehrentscheidung als verhältnismäßig anzusehen sei.

9. Mit Schriftsatz vom 11.01.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsberater fristgerecht Beschwerde. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde die ihr obliegende Pflicht zur amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit in mehrfacher Weise verletzt habe. Eine umfassende Sachverhaltserhebung sei nicht erfolgt. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien nur rudimentär und unzureichend. Zur volatilen Sicherheitslage in Afghanistan und insbesondere Kabul werde auf den aktuellen Bericht von EASO von Dezember 2017 verwiesen, aus dem hervorgehe, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert habe. Auch gehe aus diesem hervor, dass ein Zugang zu sicherer und ausreichender Unterkunft und existenzsichernder Arbeit und medizinischer Grundversorgung nicht gegeben sei. Auch habe es die belangte Behörde verabsäumt, die individuellen Aspekte seines Vorbringens in der Beweiswürdigung entsprechend zu berücksichtigen, sodass diese unrichtigerweise zum Schluss gelangt sei, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei. Auch zähle er aufgrund seiner ehemaligen beruflichen Tätigkeit zu einer besonders exponierten Personengruppe. Da die belangte Behörde sich mit der besonderen Gefährdung des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt habe, sei das Verfahren mit gravierender Mangelhaftigkeit belastet. Auch sei verabsäumt worden, eine Interessenabwägung vorzunehmen und wäre er im Falle seiner Ausweisung in seinen Rechten gemäß Art. 8 EMRK verletzt. Er halte sich seit dem Jahr 2012 in Österreich auf, habe die deutsche Sprache bereits gut gelernt und sei sein Aufenthalt in Österreich verfestigt. Überdies habe er einen Arbeitsvertrag für Transitarbeitskräfte bei " XXXX " abgeschlossen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde im vorliegenden Fall davon ausgehe, dass die öffentliche Ordnung gefährdet sei und der Beschwerdeführer, der mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt in Österreich habe, in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt werden soll.

Beigefügt wurde der Beschwerde ein Arbeitsvertrag der Firma " XXXX " vom 02.01.2018.

10. Am 19.01.2018 langten die Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

11. Mit Verfügung vom 08.05.2019, Zl. W105 1434867-2/9Z, wurden dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers das Länderinformationsblatt (LIB) zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 sowie die UNHCR-Guidlines zu Afghanistan vom 30.08.2018 sowie der Bericht des European Asylum Office vom 20.04.2019 übermittelt und wurde die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.

12. Seitens des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers wurde sodann am 22.05.2019 eine undatierte Stellungnahme eingebracht, in welcher vorgebracht wurde, dass der Beschwerdeführer seit 7 Jahren durchgehend in Österreich lebe und sehr gut integriert sei. Die Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere Kabul habe sich sehr verschlechtert und würden täglich Bombenangriffe stattfinden. Der Beschwerdeführer mache gerade eine Ausbildung zur Lagerverwaltung/-logistik mit Staplerschein und werde danach eine externe Weiterbildung der XXXX absolvieren. Weiters habe er an einem Workshop für Kassatraining und am Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Auch war er bei XXXX tätig. Er spreche überdies Deutsch bereits auf dem Niveau B2 und wäre er in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus eigenem zu bestreiten. Er verfüge in Österreich über ein weitreichendes Netz an Freunden und Bekannten. Er arbeite weiters ehrenamtlich als Dolmetscher bei der Diakonie. Aktuellen (zitierten) Berichten sei zu entnehmen, dass sich die Versorgungslage in Mazar-e Sharif sowie Herat aufgrund von Wasserknappheit und Dürre verschlechtert habe, auch sei die Versorgung mit Nahrungsmitteln hier schlechter als vergleichsweise in Kabul. So gehe darüber hinaus auch aus einem Bericht der Afghanistan-Expertin Friederike STAHLMANN vom November 2018 hervor, dass Arbeit und Wohnraum in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat stark umkämpft seien.

Vorgelegt wurden unter einem folgende Dokumente/Unterlagen:

* AMS Bestätigung der Kurszeiten von XXXX

* Zeitplan der XXXX

* Schreiben der XXXX vom 27.03.2019

* Teilnahmebestätigung vom 08.03.2018 von XXXX

* Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom 11.12.2018

* Abrechnungsbelege Februar und April 2018

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Person

Der männliche, volljährige, ledige, gesunde, und arbeitsfähige Beschwerdeführer (ohne Obsorgepflichten) wurde am XXXX geboren, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Pashtunen an und bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Richtung. Er spricht Dari und Pashtu. Er wurde in der Provinz Kabul geboren. Er besuchte im Heimatland von 1994 bis 2006 die Grundschule sowie absolvierte er von 2007 bis 2009 in Kabul eine weitere Ausbildung für Management und war als Manager tätig. In Kabul sind nach wie vor sein Vater, Geschwister sowie seine Ehegattin aufhältig. Im Jahr 2012 verließ der Beschwerdeführer Afghanistan und reiste mit Schlepperunterstützung illegal nach Österreich, wo er am 30.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer hatte keine Probleme mit den Behörden im Heimatland. Auch hatte er keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit.

1.2. Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Seit seiner Antragstellung befindet sich der Beschwerdeführer auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse bis zu dem Niveau B1 besucht und entsprechende Sprachdiplome erworben. Weiters hat er beim Kurs "Kompetenzcheck Berufliche Integration Schwerpunkt Farsi - Männer" teilgenommen.

Der Beschwerdeführer hat Arbeitserfahrung im Einzelhandel in Österreich gesammelt. Weiters hat er im Herkunftsstaat in einem Unternehmen namens "Futures" als Manager gearbeitet. Der Beschwerdeführer hat die Ausbildung zur Lagerverwaltung/-logistik mit Staplerschein absolviert. Er hat weiters an einem Workshop für Kassatraining teilgenommen. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage der " XXXX ".

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Er nimmt aktuell Leistungen der Grundversorgung in Anspruch.

1.3. mögliche Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Der Beschwerdeführer hat angegeben, dass sein Vater sowie zahlreiche Geschwister (und mehrere Onkel und Tanten) wie auch seine Gattin nach wie vor in Kabul leben. Er hat keine Gründe dargetan, weswegen ihm eine Rückkehr in den Familienverband nicht möglich sein sollte. Der Beschwerdeführer hat angegeben, dass sein Bruder die Familie versorge und seine Ehegattin in deren Elternhaus lebt und von ihren eigenen Eltern versorgt wird. Diesbezüglich ist anzumerken, dass es dem Beschwerdeführer, der selbst über Schulbildung sowie eine universitäre Ausbildung verfügt, selbst auch möglich und zumutbar sein sollte, seinen Lebensunterhalt durch die Aufnahme einer Gelegenheitstätigkeit bzw. sonstiger Erwerbstätigkeit zu sichern. Soweit in der Beschwerde auf die sich verschlechterte Sicherheitslage in insbesondere Kabul hingewiesen wird, ist anzumerken, dass eine generelle Verschlechterung der Sicherheitslage dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes entspricht. Der Beschwerdeführer hätte jedoch darüber hinaus auch die Möglichkeit, in Mazar-e Sharif sowie Herat Zuflucht zu nehmen und liefe er nicht Gefahr, bei einer Rückkehr und einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen wurde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer kann die Stadt Mazar-e Sharif oder Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Die Stadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternativ zum Mohnanbau werden. Die Stadt Herat ist eine vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Sie ist relativ sicher. Die Taliban konnten die Stadt Herat nicht einnehmen, da sie von den Sicherheitskräften sehr gut bewacht ist. In Herat ist nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Insgesamt ist die Sicherheitslage in der Stadt Herat als ausreichend sicher zu bewerten.

Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke - wie fallbezogen vom Beschwerdeführer angegeben - schwach ausgeprägt bzw. nicht vorhanden sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Da der Beschwerdeführer gesund ist, kann auch nicht festgestellt werden, dass er im Falle der Rückkehr nach Mazar e Sharif oder Herat Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Hervorzuheben ist, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines persönlichen Profils als besonders gewandt, flexibel und anpassungsfähig zu qualifizieren ist, was ihn gerade gegenüber anderen Asylwerbern bzw. Rückkehrern gleicher Provenienz in eine privilegierte Position versetzt, weshalb eine positive Rückkehrprognose indiziert ist.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018:

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016)

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 11.09.2018, S. 71).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 11.09.2018, S. 71).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 11.09.2018, S. 72).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 11.09.2018, S. 61f).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in 16 Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB 11.09.2018, S. 107).

Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand, sodass die Stadt sicher erreichbar ist (LIB 11.09.2018, S. 107, 228 f).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (LIB 11.09.2018, S. 107).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Die Provinz Herat zählt zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (LIB 11.09.2018, S. 108).

Nach zehn Jahren der Entminung sind nun 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 11.09.2018, S. 108).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen

Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 11.09.2018, S. 109).

Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (LIB 11.09.2018, S. 110).

Rechtsschutz / Justizwesen

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

as afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert (SIGAR 30.4.2018b).

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren (DB 23.3.2010). Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind (GRIPS 1.2010). Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben (USIP 5.2014). Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern (MoI o.D.).

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden (SIGAR 30.4.2018a). Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen (AAN 5.7.2017; vgl. AAN 22.5.2018). Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen (AAN 22.5.2018; vgl. AAN 5.7.2017). Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AAN 31.1.2017).

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden (SIGAR 30.4.2018a). Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw. (AAN 5.7.2017).

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (SIGAR 30.4.2018a).

Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2017 von Transparency International, belegt Afghanistan von 180 Ländern den 177. Platz (TI 21.2.2018). Einer Umfrage zufolge betrachten 83,7% der Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes. Die Provinzen mit der höchsten Korruptionswahrnehmung sind Kabul mit 89,6%, Uruzgan mit 87,9%, Nangarhar mit 87,8% und Helmand mit 86,9% (AF 2017).

Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für amtliche Korruption vor, jedoch setzt die Regierung diese Vorschriften nicht effektiv um. Berichten zufolge gehen Beamte oft ungestraft korrupten Praktiken nach. Korruption ist in der afghanischen Gesellschaft verbreitet und die Geldflüsse des Militärs, der internationalen Geldgeber und des Drogenhandels verschärfen das Problem zusätzlich. Verschiedene Bereiche sind von Korruption betroffen. Zahlreiche staatliche Infrastrukturprojekte der letzten 15 Jahre wurden auf Basis von Günstlingswirtschaft vergeben. Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet, insbesondere im Strafrecht und bei der Anordnung von Haftentlassungen. Es wird auch von illegaler Aneignung von Land durch staatliche und private Akteure berichtet (USDOS 20.4.2018).

Bestechung bleibt im öffentlichen Sektor weiterhin verbreitet und Schmiergeldzahlungen können direkt oder indirekt von Beamten gefordert oder auch von den Bürgern und Bürgerinnen selbst angeboten werden. Afghanen zahlen in den folgenden Bereichen Bestechungsgelder: Rechtswesen, Arbeitsmarkt, an administrativen Behörden auf Provinz- und Distriktebene, Sicherheitsbehörden (ANA und ANP) sowie im Bildungs- und Gesundheitswesen (AF 2017). Trotz der Bemühungen der Geldgeber und der afghanischen Regierung Mechanismen zur Förderung von Verantwortlichkeit und Transparenz zu entwickeln, wurde ein erheblicher Teil der Hilfsgelder für Afghanistan durch Korruption und Fehlleitung veruntreut (AAN 17.5.2018).

Die afghanische Regierung bekennt sich zur Korruptionsbekämpfung mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und die Zivilgesellschaft. Am 25. August 2008 ratifizierten die damaligen afghanischen Führungskräfte die United Nations Convention against Corruption (UNCAC). Die 2014 gewählte Einheitsregierung (NUG) ist Teil des Self-Reliance through Mutual Accountability Framework (SMAF), einem Abkommen zwischen der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft u. a. zur Bekämpfung von Korruption (UNAMA 4.2017; vgl. UNAMA 5.2018, USDOS 3.1.2017). Im Jahr 2017 und Anfang 2018 war die Korruptionsbekämpfung weiterhin ein prioritäres Anliegen der afghanischen Machtträger. Wichtige Entwicklungen sind unter anderem die Annahme der Government's Anti-Corruption Strategy am 28. September 2017, die Verabschiedung und das Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs jeweils am 4. März 2017 und am 14. Februar 2018, die Erweiterung der Tätigkeiten des High Council on Rule of Law and Anti-Corruption, die Genehmigung des reformierten Haushaltsplans usw. (UNAMA 5.2018). Mit Stand April 2017 gab es in Afghanistan insgesamt 18

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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