TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/14 I403 2216355-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.06.2019
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Entscheidungsdatum

14.06.2019

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2216355-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH (ARGE Rechtsberatung), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2019, Zl. 1123665306/180510415, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2019 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsbürgerin, stellte am 22.07.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet; dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der belangten Behörde, vom 29.08.2016 zurückgewiesen und Italien für die Prüfung des Antrages für zuständig erklärt. Die Abschiebung nach Italien wurde für zulässig erklärt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.11.2016, Zl. W235 2135710-1/5E abgewiesen.

Der gegen die Beschwerdeführerin erlassene Festnahmeauftrag konnte nicht vollzogen werden, da die Beschwerdeführerin über keine Meldeadresse mehr verfügte. Die Überstellungsfrist lief ab.

Am 17.04.2018 wies sich die Beschwerdeführerin bei einer Polizeikontrolle mit dem Ausweis einer anderen Person, lautend auf XXXX, aus. Sie unterzeichnete am folgenden Tag ein Einvernahmeprotokoll mit diesem Namen. Am 01.06.2018 wurde sie vom BFA damit konfrontiert, dass ihre tatsächliche Identität festgestellt worden sei. In weiterer Folge stellte sie den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz und verwendete dazu wieder den im Spruch genannten Namen. Sie erklärte im Rahmen der Erstbefragung, Angst vor der Frau zu haben, welche ihre Reise nach Europa organisiert habe, weil sie dieser noch Geld schulde. Die Beschwerdeführerin wurde in weiterer Folge am 01.06.2018 und am 15.06.2018 vom BFA einvernommen.

Mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde vom 21.02.2019, zugestellt am 27.02.2019, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 01.06.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 20.03.2019 Beschwerde erhoben und beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Eigenschaft als Opfer von Menschenhandel die Flüchtlingseigenschaft, in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK oder gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen, bzw. in eventu die Rückkehrentscheidung und den Abspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.03.2019 vorgelegt. Am 06.06.2019 wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher die Beschwerdeführerin und ihre rechtsfreundliche Vertretung teilnahmen; ein Vertreter der belangten Behörde erschien nicht zur Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias. Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest. Sie ist volljährig und bekennt sich zum christlichen Glauben. Die Beschwerdeführerin stammt aus Agbor, lebte aber vor ihrer Ausreise gemeinsam mit ihrem Vater und ihren drei jüngeren Schwestern in Benin City. Ihre Mutter ist verstorben. Ihr Vater ist nach ihrer Ausreise aus Nigeria im Jahr 2017 verstorben. Ihre Schwestern leben inzwischen mit einer Tante, welche nach einem Schlaganfall beeinträchtigt ist, in einem Dorf. Laut Beschwerdeführerin besteht aktuell kein Kontakt mehr zu ihr.

Sie hat in Nigeria sieben Jahre die Schule besucht und dann durch den Verkauf von Wasser ihren Vater und ihre Schwestern finanziell unterstützt. Sie stammt aus einer sozial schwachen Familie.

Die Beschwerdeführerin wurde über Libyen und Italien nach Österreich gebracht, um hier der Prostitution nachzugehen. Ihr wurden nach Leistung eines Juju-Schwurs 25.000 Euro an Kosten vorgeschrieben, die sie ihrer "Madam" für die Reise nach Europa schulden würde. Im Jänner 2016 verließ sie als 15jährige mithilfe des Menschenhandelsnetzwerkes Nigeria und reiste über Libyen nach Italien. Dort hielt sie sich vier Monate auf und ging unter Zwang der Prostitution nach, ehe sie von ihrer "Madam" nach Österreich gebracht wurde, wo sie am 22.07.2016 im Auftrag der Menschenhändler ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte, um eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen und der Prostitution nachgehen zu können. In diesem Verfahren machte die Beschwerdeführerin im Auftrag ihrer "Madam" falsche Angaben; sie entzog sich schließlich dem Verfahren und ihrer Abschiebung nach Italien und reiste nach Aufforderung ihrer "Madam" nach Italien zurück, wo sie wiederum zur Prostitution gezwungen wurde. Nach weiteren drei Monaten kehrte sie im Auftrag ihrer "Madam" im April oder Mai 2017 nach Österreich zurück, wo sie - noch immer als Minderjährige - mit dem Ausweis einer anderen Prostituierten bis September 2017 in einer Bar in Wien als Prostituierte arbeitete. Die Beschwerdeführerin beendete die Arbeit in der Bar aufgrund einer drohenden Polizeikontrolle, der letzte telefonische Kontakt mit ihrer in Italien lebenden "Madam" fand im Dezember 2017 statt. Die Beschwerdeführerin hatte ungefähr 2000 Euro an ihre "Madam" gezahlt, die insgesamt 25.000 Euro von ihr verlangt hatte.

Die Beschwerdeführerin muss mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten, in Nigeria verfolgt zu werden. Sie wäre im Falle einer Rückkehr in Gefahr, von den Personen, die für ihre Außerlandesbringung verantwortlich waren, oder von anderen Personen, die sich ihre Zwangslage zunutze machen würden, wiederum zur Prostitution gezwungen oder andersweitig verfolgt zu werden. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes um ein Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung. Insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin auf keinen starken familiären Rückhalt zurückgreifen könnte, dass sie keine besondere Schulbildung und keine Berufserfahrung (über den Verkauf von Wasser hinaus) hat und dass sie bereits als Minderjährige nach Europa verbracht und hier zur Prostitution gezwungen wurde, kann nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden; vielmehr besteht die reale Gefahr, dass sie in eine existenzbedrohende Notlage gerät oder aufgrund ihrer Zwangslage wieder Opfer von Frauenhandel oder Zwangsprostitution wird.

Es liegen keine Asylausschlussgründe im Sinne des § 6 AsylG 2005 vor; die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführerin hat eine Sichelzellen-Erbanlage D57.3 und gibt an, sich immer wieder schwach zu fühlen. Eine besondere Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ergibt sich daraus aber nicht. Die Beschwerdeführerin nimmt ein Medikament gegen Eisenmangel (Ferrogradumed) und bei Bedarf Schmerzmittel (Mefenam und Pradulan).

Die unbescholtene Beschwerdeführerin erreichte die Volljährigkeit vor etwa einem halben Jahr. Seit 01.06.2018 befindet sich die Beschwerdeführerin in einer Schutzwohnung der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (LEFÖ-IBF). Das Strafverfahren, Zl. XXXX, in welchem die Beschwerdeführerin als Opfer von Menschenhandel geführt wird, wurde wegen unbekannten Aufenthaltes der Täter nach § 197 StPO abgebrochen.

1.2. Zum Menschenhandel in Nigeria

Der organisierte Menschenhandel bleibt eines der dringlichsten menschenrechtlichen Probleme in Nigeria. Nigeria ist eine Drehscheibe des Menschenhandels und eines der fünf größten Herkunftsländer von Opfern des Menschenhandels in der EU (Quelle: Auswärtiges Amt). Aus keinem anderen Drittstaat kommen derart viele Opfer von Menschenhandel nach Europa (Quelle: EASO, Country Guidance). Allerdings findet innerhalb der Grenzen Nigerias noch ein viel umfangreicherer Handel mit Menschen, unter anderem zu Zwecken der Prostitution, statt; häufig stellt dieser interne Menschenhandel den ersten Schritt zum grenzüberschreitenden Menschenhandel dar (Quelle: EASO Sexhandel).

Nigerianische Mädchen und Frauen sind somit Opfer von Menschenhandel innerhalb Nigerias und nach Europa, vor allem aber nach Italien, Spanien, Österreich und Russland (Quelle: US DoS Report).

Menschenhändler haben im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 ihre Aktivitäten verstärkt. Sie missbrauchen häufig das Asylsystem, insbesondere um den Aufenthalt und eine Mobilität in der EU zu ermöglichen. IOM berichtet von einem Anstieg von nigerianischen Frauen, die über Libyen in die EU reisen; bei 80% könne davon ausgegangen werden, dass sie Opfer sexueller Ausbeutung werden (Quelle: EASO, Targeting).

Profile der Opfer von Menschenhandel

Die meisten Opfer von Menschenhandel stammen aus Edo State, insbesondere Benin City und nahegelegenen Dörfern, und gehören zur Volksgruppe Edo/Bini (Quellen: EASO Country Guidance und EASO, Sexhandel). Ein schwacher wirtschaftlicher Hintergrund, eine geringe Bildung, ein geringes Alter, Kinderlosigkeit und schwierige familiäre Verhältnisse können das Risiko erhöhen, Opfer von Menschenhandel zu werden (Quelle: EASO, Targeting).

Methoden und Netzwerke der Menschenhändler

Nach Angaben von Europol bestehen nigerianische Menschenhändlerbanden häufig aus Zellen. Auf diese Weise können sie sehr effizient arbeiten, denn sie agieren unabhängig, können sich aber auf ein umfangreiches Netz persönlicher Kontakte stützen. Frauen (Madams) spielen in diesen Gruppen eine sehr wichtige Rolle und überwachen den Prozess des Menschenhandels von der Rekrutierung bis zur Ausbeutung sehr genau. Typischerweise haben die Madams zuvor als Prostituierte gearbeitet, teilweise auch als Opfer von Menschenhandel, und sich dann bis zur Rolle einer Madam, welche oftmals den Menschenhändlerorganisationen vorsteht, hochgearbeitet.

Madams sind sowohl in Nigeria wie im Zielland anzutreffen (Quelle: EASO, Sexhandel).

Die Menschenhändler geben teilweise vor, Arbeitsstellen in Europa vermitteln zu können, etwa als Friseurin oder Kindermädchen. Dennoch ist vielen Mädchen bewusst, dass sie in Europa der Prostitution nachgehen werden; zugleich sehen sich viele etwa aufgrund ihrer Rolle als älteste Tochter faktisch gezwungen, zum Einkommen der Familie beizutragen. Einige Opfer nehmen selbst Kontakt zu den Menschenhändlern auf, in der Hoffnung die Armut der Familie auf diesem Weg beenden zu können (Quelle: EASO, Targeting). Es wurde in den nigerianischen Medien immer mehr über diese Thematik und auch über von Europa abgeschobene Frauen berichtet, daher "weiß jeder, was läuft" (Quelle: EASO, Sexhandel). Viele der Frauen werden aber, selbst wenn ihnen bereits vor Abreise bewusst ist, dass sie der Prostitution nachgehen werden müssen, über die tatsächlichen Verdienstmöglichkeiten, die Arbeitsbedingungen und die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes getäuscht (Quelle: EASO, Sexhandel).

Teil des Modus Operandi der Menschenhändler ist insbesondere die Verwendung traditoneller Riten, die in Nigeria "Juju" genannt werden. Nach Informationen der Nigerian National Agency for Prohibition of Traffic in Persons (NAPTIP) unterziehen sich rund 90% der Mädchen und Frauen, die nach Europa gebracht werden, einer solchen Behandlung (zitiiert nach UK Home Office). Diese Zeremonie findet bei einem religiösen Schrein statt, um den Vertrag zwischen den Menschenhändlern und dem (späteren) Opfer zu besiegeln. Der dort geleistete Schwur dürfe nicht gebrochen werden, sonst würde es zu Unglück, Krankheit oder Schlimmerem führen (Quelle: EASO, Targeting). Mit dem Schwur sollen die Opfer davon abgehalten werden, die Identität der Schleuser oder sonstige Einzelheiten zu offenbaren. Ein Juju-Schwur wirkt als eine Art psychologische Kontrolle, da die Angst vor den Folgen eines Bruchs des Schwurs, also vor der Bestrafung durch die Götter, extrem groß ist. Allerdings glauben nicht alle Frauen an die Macht von Juju (EASO, Sexhandel). Am 9. März 2018 wurde vom Oba (König) von Benin ein Fluch gegen alle Menschenhändler und jene Priester, die sie mit Juju-Schwuren unterstützen, verhängt und erklärt, dass alle Schwüre ungültig seien (Quelle: EASO, Targeting).

Versprochen wird eine Reise nach Europa für 50.000 bis 70.000 Naira (etwa 250 Euro), nach der Ankunft in Europa werden die Schulden dann mit 50.000 bis 70.000 Euro angegeben und wird gefordert, die Summe durch Prostitution zu verdienen (Quelle: EASO, Targeting).

In einigen Fällen unterstützen die Familien der Opfer die Menschenhändler, da sie sich dadurch einen finanziellen Vorteil erhoffen. Frauen und Mädchen werden daher von ihrer Familie teilweise darin bestärkt, das Land zu verlassen (Quelle: EASO, Country Guidance).

Die vorherrschende und gängige Route dürfte es sein, die Opfer innerhalb Nigerias in Kleinbussen zu befördern (über den Bundesstaat Kano), dann über die Grenze zum Niger im Auto, zu Fuß oder auf dem Motorrad und im LKW bis nach Agadez. Ab Agadez begeben sich die Frauen auf eine gefährliche Reise durch die Sahara Richtung Libyen (meist Zuwarah, Sabha oder Tripolis). Von dort werden die Opfer auf Booten über das Meer nach Italien oder Malta gebracht. Eine andere Route führt nach Spanien. Im Verlauf dieser Reise über Land werden die Frauen von einem "Verbindungshaus" (auch als "Ghetto" bezeichnet) zum nächsten entlang der Route befördert, dort eingesperrt und in Dörfern und Städten entlang der Route regelmäßig sexuell ausgebeutet (EASO, Sexhandel).

Staatlicher Schutz

Die Gesetzgebung in Bezug auf Menschenhandel hat sich in Nigeria stark verbessert (Quelle: US DoS Report) und es gibt sowohl Initiativen zur Prävention wie auch einen verstärkten Fokus auf die Verfolgung der Täter. Dennoch ist die Umsetzung in einigen Landesteilen mangelhaft; eine effektive Umsetzung der Gesetze wird durch unzureichende Ressourcen und Kompetenzkonflikte zwischen Zentral- und Bundesstaaten behindert (Quelle: EASO, Country Guidance). Der besonders betroffene Bundesstaat Edo State hat 2018 ein Gesetz gegen den Menschenhandel verabschiedet, das höhere Strafen für Schleuser vorsieht (Quelle: Auswärtiges Amt). Der Gouverneur des Edo State hat zudem eine "Edo State Task Force" ins Leben gerufen, um den Menschenhandel nach Europa zu bekämpfen (Quelle: US DoS Report).

Gefahren für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria

Die wenigsten Opfer von Menschenhandel kehren freiwillig nach Nigeria zurück, obwohl ihnen dies die Möglichkeit bieten würde, sich für ein Programm der unterstützten freiwilligen Rückkehr von IOM zu entscheiden. Die meisten abgeschobenen Frauen werden daher bei ihrer Rückkehr von den Behörden nicht als Opfer von Menschenhandel identifiziert (EASO, Sexhandel).

Dennoch kann auch für Nigeria nicht festgestellt werden, dass Frauen und Mädchen generell dem Risiko unterliegen, Opfer von Frauenhandel zu werden. Es kann ebenfalls nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Opfer von Frauenhandel, das nach Nigeria zurückkehrt, automatisch einer Verfolgung der Menschenhändler unterliegt, welche sie ursprünglich nach Europa verbracht hatten. Dies ist abhängig von der individuellen Situation (UK Home Office). Zu berücksichtigen sind die Höhe der noch offenen "Schulden", ob das Opfer gegen die Täter ausgesagt hat, die Kenntnisse der Täter über die Familie des Opfers, Alter, Familienstand, finanzielle Mittel, soziales Netzwerk, die Involvierung der Familie in den

Menschenhandel, ... (Quelle: EASO, Country Guidance)

Manche Opfer von Menschenhandel fürchten eine Vergeltung durch die Menschenhändler oder "Madams", insbesondere wenn es noch offene "Schulden" gibt. Die Gefahr einer möglichen Vergeltung liegt eher in einem "Re-Trafficking" denn in körperlicher Gewalt. Allerdings gibt es auch vereinzelte Beispiele von Entführungen, körperlicher Gewalt, Einschüchterung, Brandlegung oder der Tötung von Familienmitgliedern. Einige Opfer von Menschenhandel weigern sich auch, gegen die Täter auszusagen aus Angst vor Rache. Viele Opfer von Menschenhandel finden sich in einer Menschenhandelssituation wieder; einige aus eigenem Willen, andere werden durch Menschenhändler dazu gezwungen oder durch ihre Familie dazu gedrängt (Quelle: EASO, Country Guidance).

Das Risiko für ein Re-Trafficking steigt insbesondere, wenn die "Schulden" noch nicht bezahlt sind oder die Frauen ohne Vermögen nach Nigeria zurückkehren. Die Mitglieder der Volksgruppe Edo akzeptieren Prostitution generell nicht; wenn Frauen mit einem gewissen Wohlstand aus Europa zurückkehren, müssen sie dennoch nicht verbergen, woher das Geld stammt (Quelle: EASO, Sexhandel). Die Gefahr einer sozialen Stigmatisierung ist dagegen besonders hoch, wenn die Frauen oder Mädchen ohne Erspartes oder mit gesundheitlichen Problemen zurückkehren. (Quelle: EASO, Country Guidance)

Manche, aber nicht alle Frauen bekommen im Fall einer erzwungenen Rückkehr bei offenen "Schulden" Probleme mit den Menschenhändlern. NAPTIP (siehe unten) kann sie dabei unterstützen, rechtlich gegen die Menschenhändler vorzugehen, doch hängt dies von der Bereitschaft der Opfer zur Aussage bei der Polizei ab.

In den großen Städten des Südens ist es für alleinstehende Frauen einfacher sich eine Existenz aufzubauen als im Norden. Frauen mit einer höheren Bildung haben bessere Voraussetzungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).

NAPTIP und NGOs

Die National Agency for Prohibiton of Trafficking in Persons (NAPTIP) ist die zentrale staatliche Agentur im Kampf gegen Menschenhandel. In den letzten Jahren wurden die Ressourcen stark erhöht, doch sind die Mittel noch immer nicht ausreichend (Quelle: US DoS Report). Aktuell sind mehr als 1000 Mitarbeiter bei NAPTIP beschäftigt (UK Home Office). NAPTIP hat seit ihrer Gründung 2003 359 Verurteilungen von Schleppern erreicht (Quelle: Auswärtiges Amt; Stand 11.09.2018) sowie nach eigenen Angaben seit 2012 bis heute 13.007 Opfern von Menschenhandel assistiert (Quelle: Auswärtiges Amt). Anderen Berichten zufolge wurde 5000 Opfern von Menschenhandel durch NAPTIP geholfen (Quelle: EASO, Actors).

NAPTIP bietet auch Unterstützung für Opfer von Menschenhandel an.; dies reicht von Schutzzentren, Beratung, Zugang zum Rechtssystem bis zur Unterstützung bei der Reintegration (Quelle: EASO, Actors). Neben dem Hauptquartier in Abuja gibt es neun Zentren, die das gesamte Staatsgebiet abdecken sollen: Lagos, Benin, Enugu, Uyo, Sokoto, Kano, Maiduguri, Osogbo and Makurdi. In all diesen Zentren gibt es "transit shelters", in welchen 315 Opfer von Menschenhandel bis zu sechs Wochen untergebracht und medizinisch und psychologisch betreut werden (Quelle: US DoS Report). Daneben bekommen die Opfer von Menschenhandel auch berufliche Ausbildungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Auch wenn NAPTIP sich nur um Opfer von Menschenhandel kümmern sollte, werden auch immer andere Verbrechensopfer an die Behörde verwiesen, was die Kapazitäten verringert (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).

Sollte eine längere Betreuung notwendig sein, werden die Mädchen und Frauen an NGOs vermittelt (2017 war das etwa bei 302 Opfern der Fall - Quelle: US DoS Report). So führt etwa das Frauenministerium zwei Schutzzentren, welche Opfer von Menschenhandel von NAPTIP zugewiesen bekommen; daneben gibt es in Bakhita Village, Lagos (The African Network Against Human Trafficking - ANAHT), in Benin City (The Nigerian Conference of Women Religious), in Abuja (The Women Trafficking and Child Labour Eradication Foundation - WOTCLEF) und in Jos, Plateau State (Grace Gardens) Schutzzentren (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Es gibt einige NGO¿s, die im Kampf gegen Menschenhandel aktiv sind; diese sind in der Dachorganisation "Network of Civil Society Organization Against Child Trafficking, Abuse and Labour" (NACTAL) vereint (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).

Quellen:

"EASO Country Guidance" - European Asylum Support Office: Country

Guidance: Nigeria; Guidance note and common analysis, Februar 2019

https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf (Zugriff am 29. März 2019)

"Auswärtiges Amt" (Deutschland): AA-Bericht Nigeria, 10. Dezember 2018

https://www.ecoi.net/en/file/local/1456143/4598_1547113065_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-bundesrepublik-nigeria-stand-oktober-2018-10-12-2018.pdf (Zugriff am 29. März 2019)

"EASO, Actors" - European Asylum Support Office: Nigeria; Actors of Protection, November 2018

https://www.ecoi.net/en/file/local/2001364/2018_EASO_COI_Nigeria_ActorsofProtection.pdf (Zugriff am 29. März 2019)

"US DoS Report" - US Department of State, Trafficking in Persons Report 2018, https://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/2018/ (Zugriff am 02.04.2019).

"UK Home Office" - United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note - Nigeria: Trafficking of women, November 2016, https://www.refworld.org/docid/5833112f4.html (Zugriff am 02.04.2019).

"EASO, Sexhandel" - European Asylum Support Office: Nigeria:

Sexhandel mit Frauen, Oktober 2015.

"EASO, KeySocioEconomic" - European Asylum Support Office: Nigeria; Key socio-economic indicators, November 2018

https://www.ecoi.net/en/file/local/2001365/2018_EASO_COI_Nigeria_KeySocioEconomic.pdf (Zugriff am 29. März 2019)

"EASO, Targeting" - European Asylum Support Office: Nigeria; Targeting of individuals, November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf (Zugriff am 29. März 2019)

2. Beweiswürdigung:

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Da die Beschwerdeführerin den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht ihre Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Feststellungen zu ihrer Familie, ihrer Herkunft sowie ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dem BFA (Protokoll vom 01.06.2018 und vom 15.06.2018) und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerdeführerin gab gleichbleibend an, dass ihre Mutter bereits vor einigen Jahren und ihr Vater im November 2017 verstorben sei. Soweit sie einmal erklärte, er sei im Schlaf gestorben und einmal, die Eltern von Gloria hätten seinen Tod verschuldet, lässt sich dieser (vermeintliche) Widerspruch dadurch erklären, dass die Beschwerdeführerin an unnatürliche Kräfte infolge des von ihr geleisteten Juju-Schwurs glaubt; so meinte sie in der Einvernahme durch das BFA am 15.06.2018: "Gloria sagte meinem Vater, dass ich nicht genug Geld verdiene. Deshalb ist mein Vater eingeschlafen und nicht noch einmal aufgewacht."

Während die Beschwerdeführerin in den Einvernahmen durch das BFA noch auf einen telefonischen Kontakt zu ihrer Tante hinwies, gab sie in der mündlichen Verhandlung an, dass dieser nach dem Umzug ihrer Tante, gemeinsam mit den drei Schwestern der Beschwerdeführerin, in ein Dorf abgebrochen sei.

Die Feststellung zu ihrer Erbanlage ergibt sich aus dem vorgelegten Ambulanzbefund des XXXX Kinderspitals vom 25.09.2018. Diesbezüglich ist allerdings festzuhalten, dass bei der Beschwerdeführerin nur eine Sichelzellen-Erbanlage (ICD Code: D57.3) diagnostiziert wurde; dies bedeutet, dass sie die Anlage zur Sichelzellenanämie in sich trägt, aber nicht daran erkrankt ist. Bis zu 40 % der Bevölkerung im tropischen Afrika sind heterozygote Anlagenträger. Die Träger des Sichelzellenallels haben sogar einen Evolutionsvorteil (den sogenannten Heterozygotenvorteil) gegenüber denen ohne Sichelzellenallel, die eher an Malaria sterben (vgl. dazu etwa http://www.gesundheits-lexikon.com/Herz-Kreislauf-Gefaesse/-Sichelzellenanaemie/;

Zugriff am 12.06.2019). Die Entdeckung der Veranlagung kann allerdings für die Familienplanung wichtig sein, um das Risiko zu bestimmen, ein Kind mit Sichelzellenanämie zu bekommen. Kinder erkranken daran, wenn beide Eltern eine Erbanlage für Hämoglobin S (HbS) weitergegeben haben. Eine besondere Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus der bei der Beschwerdeführerin diagnostizierten Erbanlage nicht.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage im Strafregister der Republik Österreich vom 14.06.2019.

Dass die Beschwerdeführerin am 29.05.2018 durch das Landeskriminalamt XXXX befragt wurde, ergibt sich aus der im Akt einliegenden "Zeugenvernehmung". Dass das Strafverfahren unter der Zl. XXXX gemäß § 197 StPO abgebrochen wurde, ergibt sich aus dem mit der Beschwerde vorgelegten Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 25.07.2018.

2.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin brachte im gegenständlichen Verfahren vor, dass sie über ihren Vater Kontakt zu den Eltern von Gloria, ihrer "Madam", geknüpft habe. Ihr Vater und der Vater von Gloria hätten sich immer in einem Lokal in Benin City getroffen, und sei das Gespräch darauf gekommen, dass die in Italien lebende Gloria die Beschwerdeführerin darin unterstützen könnte, in Europa zur Schule zu gehen und eine Ausbildung zur Frisörin zu machen. Der Beschwerdeführerin sei mitgeteilt worden, dass sie Gloria 25.000 Euro für die Verbringung nach Italien zu zahlen habe. Nach ihrer Ankunft in Italien sei die Beschwerdeführerin in Bologna zur Prostitution gezwungen worden; ihr Vater habe sich beim Vater von Gloria darüber beschwert, doch der habe auf den Juju-Schwur verwiesen und dass es eine Angelegenheit zwischen Gloria und der Beschwerdeführerin sei. Gloria habe sie dann nach vier Monaten mit dem Zug nach Österreich geschickt, damit sie hier eine Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG erhalte und zu arbeiten beginnen könne, doch wurde das erste Asylverfahren wegen Zuständigkeit Italiens nicht zugelassen. Während des Aufenthaltes in Traiskirchen habe die Beschwerdeführerin Gloria über ihren Vater kleinere Geldsummen geschickt, die sie mit Putzarbeiten im Camp verdient habe. Danach sie sie wieder etwa drei Monate in Bologna und in Mailand der Prostitution nachgegangen, ehe sie wieder im April 2017 nach Österreich verbracht worden sei. Gloria habe ihr einen Ausweis organisiert, mit welchem sie in einer namentlich genannten Bar in XXXX als Prostituierte gearbeitet habe. Aufgrund einer Auseinandersetzung in der Bar habe der Besitzer die Polizei rufen wollen, woraufhin die Beschwerdeführerin im September 2017 das Lokal verlassen habe, ohne den Ausweis mitzunehmen. Sie sei dann bei einer Freundin untergekommen und nicht mehr der Prostitution nachgegangen. Die in Italien lebende Gloria habe sie weiterhin telefonisch bedroht; nach dem Tod ihres Vaters im November 2017 habe sie ein letztes Mal mit Gloria telefoniert und danach ihre SIM-Karte weggeworfen und so den Kontakt abgebrochen.

Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde von ihr gleichbleibend und konsistent, sowohl vor dem BFA am 15.06.2018 wie auch in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht am 06.06.2019, erstattet.

Die belangte Behörde hatte dieses Vorbringen dennoch nicht für glaubhaft befunden und dies unter anderem damit begründet, dass die Beschwerdeführerin in der Erstbefragung (tatsächlich wohl gemeint: im Vorverfahren) andere Angaben getätigt habe. Dies wird vom Bundesverwaltungsgericht durchaus nicht verkannt, doch gab die Beschwerdeführerin selbst zu, dass sie in ihrem ersten Verfahren nicht die Wahrheit angegeben und auch keinen internationalen Schutz gesucht habe, sondern im Auftrag von Gloria versucht habe, eine Aufenthaltsberechtigungskarte zu bekommen, um hier als Prostituierte zu arbeiten. Daher können die Angaben des Erstverfahrens nicht herangezogen werden, um die nunmehrigen Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu beurteilen, und steht einer neuen Beurteilung auch nicht die Rechtskraft der Entscheidung über das vorangegangene Asylverfahren im Wege, da das Vorverfahren nicht zugelassen, sondern eine Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Antrages festgestellt worden war. Soweit die belangte Behörde das Vorbringen als "vage und wenig plausibel" kategorisierte, kann sich das Bundesverwaltungsgericht dieser Feststellung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht anschließen und verweist zudem darauf, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen der Einvernahmen durch das BFA noch minderjährig war. Der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angeführte vermeintliche Widerspruch, dass die Beschwerdeführerin einmal von einer Bedrohung durch Gloria und einmal durch Glorias Eltern gesprochen habe, löst sich auf, wenn man sich vor Augen führt, dass beide für die Beschwerdeführerin Teile des gleichen Menschenhandelsnetzwerkes darstellen. Die belangte Behörde spricht im angefochtenen Bescheid auch davon, dass das Strafverfahren, in dem die Beschwerdeführerin als Opfer von Menschenhandel geführt wurde, aufgrund ihrer widersprüchlichen Aussagen abgebrochen worden sei. Tatsächlich erfolgte (siehe dazu Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 25.07.2018 zu XXXX) allerdings ein Abbruch des Verfahrens gegen unbekannte Täter nach § 197 StPO, so dass daraus nicht der Schluss gezogen werden kann, das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei nicht glaubhaft.

Insgesamt kommt die erkennende Richterin nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und in Gesamtschau der Aktenlage zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin Nigeria unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verließ und in Italien und Österreich als Minderjährige zur Prostitution gezwungen wurde. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin war plausibel und nachvollziehbar und steht in Einklang mit den oben wiedergegebenen Berichten zu Frauen, die von Nigeria nach Libyen bzw. Europa verbracht wurden, um hier der Prostitution nachzugehen. Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zum Schluss, dass es sich beim Vorbringen der Beschwerdeführerin um eine stringente und durchaus schlüssige Wiedergabe der Geschehnisse handelt und das Vorbringen somit als glaubhaft zu werten ist. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin im vorangegangenen Verfahren unter Druck der Menschenhändler eine Falschaussage machte, entspricht dem typischen Verhalten eines Opfers von Menschenhandel. Es steht daher für das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel wurde.

Die Beschwerdeführerin entkam der Zwangslage, indem sie den Kontakt zur in Italien lebenden "Madam" abbrach und wird nunmehr von der "Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels" (LEFÖ-IBF) betreut. Es stellt sich die Frage, ob ihr im Falle einer Rückkehr nach Nigeria Verfolgung drohen würde, da dies nicht automatisch für alle Opfer von Menschenhandel anzunehmen, sondern von den individuellen Umständen abhängig ist.

Im Falle der Beschwerdeführerin besteht jedoch ein erhöhtes Risiko eines Re-Traffickings für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria. Sie kommt, wie erwähnt, aus einem sozial schwachen Umfeld und ist nicht gesichert, dass sie mit einer familiären Unterstützung rechnen könnte. Insbesondere ist aber zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin bereits als Minderjährige zur Prostitution gezwungen wurde und dass ihre Familie den Menschenhändlern bekannt ist. Auch ihre Abwendung von der "Madam" und ihre (auch in der mündlichen Verhandlung artikulierte) Bereitschaft, gegen Gloria und ihre Eltern auszusagen, erhöhen die Gefahr, dass sie eine Vergeltung der Menschenhändler zu befürchten hat. Die Beschwerdeführerin könnte sich zudem wohl auch nur schwer eine unabhängige Existenz sichern:

Sie hat nur für kurze Zeit eine Schule besucht und dann ihren inzwischen verstorbenen Vater beim Verkauf von Wasser unterstützt. Ihre Tante ist krank und kümmert sich bereits um die drei minderjährigen Schwestern der Beschwerdeführerin. Laut einer als "Expertise" betitelten Stellungnahme der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels" (LEFÖ-IBF) vom 19.06.2018 habe die Beschwerdeführerin erlebt, dass ihr Vater nach mehrmaliger Drohung plötzlich verstorben ist und sei sie dadurch in ihrem Glauben an das Juju-Ritual und die Macht der Menschenhändler bestärkt worden. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Nigeria wieder verpflichtet fühlen würde, ihrem "Schwur" nachzukommen und sich den Menschenhändlern unterzuordnen; nicht zu vergessen ist, dass sie erst vor wenigen Monaten die Volljährigkeit erreichte.

Wenn die Beschwerdeführerin an ihren Herkunftsort zurückkehren würde, müsste sie daher Verfolgungshandlungen durch das Menschenhandelsnetzwerk fürchten bzw. befürchten, dass sie aufgrund einer existentiellen Notlage keine andere Möglichkeit hat, als sich wieder in die Hände von Menschenhändlern zu begeben.

Wie oben zu entnehmen ist, bieten verschiedene Institutionen in Nigeria, insbesondere NAPTIP, Opfern von Frauenhandel bei ihrer Rückkehr Unterstützung. Diese ist allerdings quantitativ und auch zeitlich befristet. Die Frauen werden möglichst bald zu ihren Familien zurückgeschickt. Nun hat die Beschwerdeführerin keinen Familienverband, der sie nachhaltig unterstützen könnte; beide Elternteile sind verstorben. Als Ursache für das Risiko eines Re-Trafficking von Rückkehrerinnen nennt der EGMR zudem die fehlende Unterstützung, ja Ablehnung durch ihre Familien: "(...) les femmes expulsées d'un pays d'Europe et renvoyées au Nigeria sont souvent stigmatisées et rejetées par leurs familles ou communautés, généralement parce qu'elles n'ont pas remboursé leur dette. De plus, les rapports internationaux disponibles (...) mettent en lumière la difficulté de subsister au Nigéria en dehors d'un lien communautaire, de même que de se relocaliser en dehors de tout lien social. (...) La relocalisation est particulièrement malaisée pour les jeunes femmes seules retournées d'Europe et qui n'ont pas de formation ou d'éducation leur permettant d'être indépendante" (vgl. Entscheidung des EGMR V.F. gegen Frankreich vom 29.11.201, 7196/10; bestätigt wird dies auch den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Oktober 2015 zu "Nigeria: Sexhandel mit Frauen", insbes. S. 36 ff.; Finnish Immigration Service, Country Information Service, Public theme report: Human Trafficking of Nigerian Women to Europe, 24. März 2015 insbes. S. 24 ff., beide mit Hinweisen auf Studien aus diversen europäischen Staaten). Zwangsprostituierte, die ohne Geld und/oder krank aus Europa zurückkehren, werden von ihren Familien häufig abgelehnt und wieder in die Prostitution gezwungen. NGOs können soziale Beziehungsnetze nicht ersetzen und die Frauen - wenn überhaupt - nur für kurze Zeit begleiten und unterstützen, so dass diesen häufig nur die Prostitution bleibt, um überleben zu können (vgl. dazu Urteil des Schweizer Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2016, D-6806/2013, S. 38; abrufbar unter http://www.ksmm.admin.ch/dam/data/ksmm/dokumentation/informationen/urteil-bvger-2016-07-18-d.pdf).

Die Beschwerdeführerin hat im Falle einer Rückkehr keine familiäre Unterstützung zu erwarten; sie wurde bereits als Minderjährige Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es besteht daher die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie erneut in die Hände von Menschenhändlern gerät. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist auch nicht gegeben, da ihr diese aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität (Alter, keine soliden familiären Bindungen, keine abgeschlossene Berufsausbildung) nicht zumutbar ist.

2.4. Zu den Länderfeststellungen

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Die Verfahrensparteien traten den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 der Genfer Konvention findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren".

Die Beschwerdeführerin hatte erklärt, Opfer von Menschenhandel zu sein. Unter "Menschenhandel" ist im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2011/36/EU (Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels) "die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über die andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung" zu verstehen.

Ausbeutung im Sinne der genannten Richtlinie umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung sowie Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen (einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme). Ausbeutung liegt vor, sobald eine Person genötigt wird (unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung usw.), wobei es keine Rolle spielt, dass das Opfer seine Zustimmung gegeben hat.

Im Sinne des Art. 3 lit. a des Palermo-Protokolls ("Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels" zum UN-"Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität")

a) bezeichnet der Ausdruck "Menschenhandel" die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen;

b) ist die Einwilligung eines Opfers des Menschenhandels in die unter Buchstabe a genannte beabsichtigte Ausbeutung unerheblich, wenn eines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde;

c) gilt die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme eines Kindes zum Zweck der Ausbeutung auch dann als Menschenhandel, wenn dabei keines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde;

d) bezeichnet der Ausdruck "Kind" Personen unter achtzehn Jahren.

Nigeria ist, wie bereits festgestellt wurde, eine Drehscheibe des internationalen Frauenhandels. Grundsätzlich können Opfer von Menschenhandel nur dann Flüchtlinge im Sinne von Art 1 A (2) der GFK sein, wenn sie alle der dort genannten Voraussetzungen für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft erfüllen (UNHCR-Richtlinien zum Schutz von Opfern von Menschenhandel; vgl. auch EGMR, Statement of Facts - 49113/09, L.R. gegen Vereinigtes Königreich). Im Falle der Beschwerdeführerin wäre für eine Rückkehr nach Nigeria Verfolgung (etwa in Form eines "Re-Traffickings") zu erwarten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung aus Nigeria als soziale Gruppe anzusehen sind.

Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2011/95/EU (StatusRL) lautet:

Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

-

die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

-

die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

(...)

Nach der Definition der StatusRL gilt eine Gruppe daher insbesondere als eine "bestimmte soziale Gruppe", wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Dass UNHCR davon ausgeht, dass Opfern von Menschenhandel der Flüchtlingsstatus zu gewähren ist, ergibt sich eindeutig sowohl aus den Richtlinien zum Internationalen Schutz vom 07.05.2002:

"Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Artikel 1 A

(2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" als auch aus den Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 7 vom 07.04.2006: "Anwendung des Artikels 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge auf die Opfer von Menschenhandel und entsprechend gefährdete Personen". In letzteren wird zur Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgeführt:

"Frühere Opfer von Menschenhandel können auch als eine bestimmte soziale Gruppe angesehen werden, basierend auf dem unabänderlichen, gemeinsamen und in der Vergangenheit begründeten Merkmal, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein. Abhängig vom Kontext kann eine Gesellschaft auch Opfer von Menschenhandel als eine abgegrenzte Gruppe innerhalb der Gesellschaft ansehen. Bestimmte soziale Gruppen können jedoch nicht ausschließlich über die von den Mitgliedern dieser Gruppen erlittene Verfolgung oder die gemeinsame Angst vor Verfolgung definiert werden. Es sollte daher angemerkt werden, dass in solchen Fällen die vergangene Erfahrung des Menschenhandels eines der die Gruppe definierenden Elemente ist, nicht die zukünftige Verfolgung, die nun in Form von Ächtung, Bestrafung, Vergeltungsmaßnahmen und des erneuten Menschenhandels befürchtet wird." (Rn. 39).

Entsprechend wurde in der "Richterlichen Analyse" von EASO zu "Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (Richtlinie 2011/95/EU) aus dem Jahr 2018 festgestellt: "Was die Opfer von Menschenhandel betrifft, so ist es möglich, dass ihre Merkmale, d.h. die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die Diskriminierung ausgesetzt war, die gemeinsame Erfahrung als Opfer von Menschenhandel ("ein gemeinsamer Hintergrund, der nicht verändert werden kann") und die anschließende Stigmatisierung und Ausgrenzung durch die Gesellschaft (d.h. die Betroffenen werden "als andersartig betrachtet") jede der beiden in Artikel 10 Abs. 1 Buchstabe d genannten Varianten entsprechen." (EASO, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (2018) 59).

In Bezug auf Nigeria hatte etwa der EGMR von einer Stigmatisierung jener Frauen, die von Europa nach Nigeria abgeschoben werden, gesprochen (EGMR, V.F. gegen Frankreich (Nr. 7196/10) vom 19.11.2011); das Schweizer Bundesverwaltungsgericht hatte in einem Urteil vom 18.07.2016, D-6806/2013, betont, dass Zwangsprostituierte, die ohne Geld und/oder krank aus Europa nach Nigeria zurückkehren, von ihren Familien häufig abgelehnt und wieder in die Prostitution gezwungen werden; sie seien auch einem höheren Gewaltrisiko ausgesetzt.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass es sich bei Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, die nach Nigeria zurückkehren, um eine nach außen wahrnehmbare und von der Gesellschaft wahrgenommene und ausgegrenzte Gruppe handelt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Frauen, die zur sexuellen Ausbeutung nach Europa verbracht wurden, sich wieder problemlos in die Gesellschaft Nigerias integrieren, sondern ist aus Sicht der erkennenden Richterin davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit über einen gemeinsamen unveränderlichen Hintergrund verfügen und auch "eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden." (so auch Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA (2017) 162).

Es besteht daher gegenständlich ein Konnex zu einem der Fluchtgründe der Genfer Flüchtlingskonvention, nämlich der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Im Fall der Beschwerdeführerin liegt daher ein Fluchtgrund vor und ist auch davon auszugehen, dass sie wohlbegründete Furcht haben muss, im Falle einer Rückkehr wieder in eine Situation zu geraten, in der sie zur Prostitution gezwungen wird bzw. mit der Vergeltung der Menschenhändler zu rechnen hat.

Bei dieser Verfolgung handelt es sich allerdings um eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende, welche nur dann, wenn der nigerianische Staat die Beschwerdeführerin nicht zu schützen vermögen würde, asylrelevant ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, entscheidend, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteils aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil auf Grund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH, 28.10.2009, Zl. 2006/01/0793 sowie 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

Eine Schutzwilligkeit des nigerianischen Staates ist durchaus anzunehmen. Bereits 2003 wurden in Nigeria alle Formen des Menschenhandels verboten und die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP) etabliert. Es stellt sich allerdings die Frage der Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates, die etwa durch das VG Stuttgart in seinem Urteil vom 16.05.2014 (A7 K 1405/12) mit folgenden Worten verneint worden war: "Die Maßnahmen der Regierung sind jedoch nicht weitgreifend. NAPTIP hat zwar nach eigenen Angaben zwischen 2008 und 2011 die Verurteilung von mindestens 120 Menschenhändlern erreicht. NAPTIP, aber auch der National Immigration Service und UNODC gehen von einer weitaus höheren Dunkelziffer des Menschenhandels aus. Das NAPTIP ist unterfinanziert, und die wenigen Einrichtungen für Opfer sind in einem schlechten Zustand. Es werden nur mangelhafte Maßnahmen zur Rehabilitation und keine zur Reintegration der Opfer angeboten. Rückgeführte Opfer sind gefährdet, von den Händlern und den "Madames" bedroht und unter Druck gesetzt zu werden. Sie müssen mit Diskriminierung durch die Familie und das soziale Umfeld und mit Vergeltung des Sponsors rechnen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria - Update vom März 2010; Österreichisches Rotes Kreuz/ACCORD, "Nigeria - Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21.06.2011; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.08.2013)."

Diese Einschätzung deckt sich durchaus mit jener des US Department of State in den "Country Narrative" zu Nigeria aus dem "Trafficking in Persons Report" 2017 und 2018: Die nigerianische Regierung würde die Minimumstandards im Kampf gegen Menschenhandel nicht vollkommen einhalten; es wurde empfohlen die Finanzierung von NAPTIP zu erhöhen. Opfer von Menschenhandel würden Unterstützung in einem der 9 Schutzzentren mit einer Gesamtkapazität von 315 Plätzen finden. Theoretisch könnten diese Plätze auch rückgeführten Opfern von Menschenhandel zur Verfügung stehen, doch würde es keinen Hinweis geben, dass dies bereits erfolgt sei. In der Regel wird der Aufenthalt nur für sechs Wochen gewährt. Aus Sicht der erkennenden Richterin kann, selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Beschwerdeführerin einen der rund 300 Plätze in einem NAPTIP-Zentrum erhalten würde, nicht davon ausgegangen werden, dass sie nach sechs Wochen keine Verfolgung mehr zu befürchten hätte.

Von einer Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates kann daher nicht ausgegangen werden; diesbezüglich ist auch auf das Faktum zu verweisen, dass die Verschleppung zwecks Zuführung zur Prostitution in Nigeria keinesfalls als Einzelschicksal gesehen werden kann (vgl. dazu VwGH, 23.02.2011, Zl. 2011/23/0064). Die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes geht daher davon aus, dass der nigerianische Staat nicht in der Lage ist, der Beschwerdeführerin ausreichenden Schutz vor dieser durch Privatpersonen drohenden Verfolgung zu bieten.

Doch auch dies bedeutet noch nicht automatisch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für alle vom Menschenhandel betroffenen nigerianischen Frauen. So hat der EGMR in der Vergangenheit Beschwerden zurückgewiesen, mit denen nigerianische Frauen gegen eine Rückkehrentscheidung nach Nigeria vorgehen wollten, indem sie auf die Gefahr einer Zwangsprostitution in Nigeria verwiesen (vgl. EGMR, V.F vs. France, 7196/10; 29.11.2011 oder auch EGMR, Idemugia

v. France, 27.03.2012). Der EGMR erkannte gewisse Fortschritte in der Bekämpfung des Menschenhandels durch die nigerianischen Behörden an und ging vor allem von einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus.

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Flucht- bzw. Schutzalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, Zl. 98/01/0352; VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401; VwGH 22.5.2003, Zl. 2001/20/0268, mit Verweisen auf Vorjudikatur).

Es würde sich daher im konkreten Fall die Frage stellen, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt und ob diese der Beschwerdeführerin zumutbar wäre. Dies ist allerdings aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausgeschlossen: Die Beschwerdeführerin hat im Falle einer Rückkehr keine familiäre oder soziale Unterstützung zu erwarten; sie wurde bereits als Minderjährige Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es besteht daher die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht in der Lage wäre, für sich ein Existenzminimum zu sichern. Eine Ansiedelung fernab von ihrem Familienverband wäre ihr daher nicht zumutbar; eine Ansiedelung in ihrem Familienverband würde aber wohl ebenfalls bedeuten, dass sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wieder der Prostitution bzw. dem Frauenhandel zugeführt würde, da sie wohl die Verantwortung für ihre nach einem Schlaganfall gesundheitlich beeinträchtigte Tante und ihre minderjährigen Schwestern übernehmen würde.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Menschenhandel bedrohten Frauen, a

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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