TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/1 W115 2174937-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2019
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Entscheidungsdatum

01.07.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W115 2174937-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan auf Dauer unzulässig ist und XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der zum damaligen Zeitpunkt unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei und der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehören würde. Sein genaues Geburtsdatum wisse er nicht. Er könne lediglich angeben, dass er XXXX Jahre alt sei. Seine Muttersprache sei Dari. Neben Dari spreche er auch noch Paschtu. Er sei in der Provinz XXXX geboren und habe in dieser Provinz auch bis zu seiner Ausreise gelebt. Vor ca. zwei Monaten habe er Afghanistan verlassen. Über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn sei er schlepperunterstützt bis nach Österreich gereist. Befragt nach seinen Familienverhältnissen gab der Beschwerdeführer an, dass er ledig sei und keine Kinder habe. In seiner Heimatprovinz würden noch seine Eltern, sein älterer Bruder und seine beiden jüngeren Brüder sowie zwei von seinen Schwestern leben. Seine dritte Schwester lebe in der Provinz XXXX . Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan die Schule besucht habe. Er könne in den Sprachen Dari und Paschtu lesen und schreiben. Einen Beruf habe er nicht erlernt und sei zuletzt als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er seine Heimat aufgrund des Krieges sowie der Taliban verlassen habe müssen. Sein älterer Bruder sei als Polizist tätig und deswegen sei die gesamte Familie von den Taliban mit dem Tod bedroht worden. Befragt was er bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, antwortete der Beschwerdeführer, dass er den Krieg und die Taliban fürchten würde.

1.2. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , wurde die Obsorge hinsichtlich des zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Beschwerdeführers dem zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen.

1.3. Am XXXX wurde vom gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers ein Prüfungszeugnis des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) vom XXXX hinsichtlich der bestandenen Prüfung über die Kenntnisse der deutschen Sprache der Niveaustufe B1 durch den Beschwerdeführer in Vorlage gebracht.

1.4. Nach Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte wurde der Beschwerdeführer am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Kurzbezeichnung BFA; in der Folge belangte Behörde genannt) im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei. Im XXXX sei er an der Nase operiert worden. Weiters habe er Albträume und Schmerzen im Rücken. Deswegen seien ihm auch Medikamente verschrieben worden. Den Namen der Medikamente könne er nicht nennen. Er sei auch nicht in ärztlicher Behandlung oder in Therapie. Auf Befragung durch die belangte Behörde gab der Beschwerdeführer an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehören würde. Er sei im Jahr XXXX im Dorf XXXX , Provinz XXXX , geboren. Sein genaues Geburtsdatum wisse er nicht. Er habe auch keine Tazkira. Er sei ledig und habe keine Kinder. Im Dorf XXXX habe er 11 Jahre gelebt und sei dann gemeinsam mit seiner Familie im Jahr XXXX in das Dorf XXXX , das ebenfalls in der Provinz XXXX liege, gezogen. Zum jetzigen Zeitpunkt würden dort noch seine Mutter, seine drei Brüder sowie zwei von seinen Schwestern leben. Seine dritte Schwester sei bereits verheiratet und lebe gemeinsam mit ihrem Ehemann in der Provinz XXXX . Weiters verfüge er in der Provinz XXXX noch über Onkeln und Tanten. Darüber hinaus lebe ein Onkel von ihm in XXXX . Sein Vater sei bereits verstorben. Er sei von den Taliban getötet worden. Davon habe der Beschwerdeführer erst erfahren, als er bereits in Österreich gewesen sei. Befragt zu seinen Lebensumständen in Afghanistan gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er dort in die Schule gegangen sei und anschließend seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen habe. Weiters habe er 9 - 10 Monate in einem Camp der Amerikaner in einer Bäckerei gearbeitet. Befragt zur aktuellen Situation seiner Familie gab der Beschwerdeführer an, dass diese nunmehr schlecht bzw. sehr schlecht sei. Sie würden in einem Haus leben, das jemand anderen gehören würde. Sie würden auf den Feldern desjenigen arbeiten, dem das Haus gehöre und würden aus diesem Grund keine Miete zahlen. Zudem arbeite sein Bruder bei der Polizei und versorge die Familie. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er und seine Familie ihr Heimatdorf XXXX aufgrund der Taliban verlassen hätten müssen. Die Amerikaner hätten in diesem Dorf die Taliban angegriffen und viele von ihnen getötet. Die Taliban hätten daraufhin die Hazara für diesen Angriff verantwortlich gemacht und in der Folge neun Hazara getötet. Die Polizei habe nichts gegen die Bedrohung durch die Taliban unternommen. Aus diesem Grund hätten die Dorfbewohner XXXX verlassen. Nachdem der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie in das Dorf XXXX gezogen sei, habe sein älterer Bruder den Beruf des Polizisten ergriffen. Aus diesem Grund hätten die Taliban mehrmals von seinem Vater verlangt, dass sein Bruder nicht mehr für die Polizei arbeiten solle. Sein Vater sei deswegen mehrmals von den Taliban bedroht und schließlich von ihnen umgebracht worden. Befragt, ob er auch selbst verfolgt oder bedroht worden sei, antwortete der Beschwerdeführer, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara von den Paschtunen des Öfteren als Ungläubiger beschimpft worden sei. Von den Taliban sei er nie persönlich verfolgt oder bedroht worden. Er habe jedoch Angst gehabt, dass dies passieren könnte. Junge Männer würden von den Taliban nicht in Ruhe gelassen und die Polizei könne nichts gegen die Taliban unternehmen. Nirgends in Afghanistan würde es Sicherheit geben. Aus diesen Gründen habe er im Jahr XXXX Afghanistan verlassen. Zu seiner Situation in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er bereits mehrere Deutschkurse erfolgreich absolviert und sich gerade für einen Kurs für den Pflichtschulabschluss angemeldet habe. Er wolle in Österreich gerne eine Ausbildung machen und arbeiten. In seiner Freizeit spiele er Fußball und Theater und habe darüber hinaus engen Kontakt mit der Familie XXXX . Diese würde er öfters besuchen und sie würden gemeinsam kochen, schwimmen gehen oder Ausflüge machen.

Weiters wurden dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde Länderfeststellungen zu Afghanistan vorgehalten und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen. Zu den Länderfeststellungen wurde vom Beschwerdeführer keine Stellungnahme abgegeben.

Im Zuge dieser Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer medizinische Beweismittel hinsichtlich der von ihm angegebenen Nasenoperation (Nasenseptumplastik nach Masing mit Re-Implantation von autologem Septumknorpelmaterial sowie Turbinoplastik inferior beidseits in Larynxmaskennarkose am XXXX ), eine Ambulanzkarte vom XXXX , integrationsbescheinigende Unterlagen (darunter ein A2-Zeugnis über die bestandene Deutschprüfung auf A2-Niveau vom XXXX ) sowie zwei Farbfotos, die nach den Angaben des Beschwerdeführers seinen älteren Bruder als Polizist zeigen, in Vorlage gebracht.

1.5. Am XXXX wurden vom Beschwerdeführer folgende medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht:

? Überweisungsschein vom XXXX betreffend eine MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule

? Therapieplan vom XXXX , ausgestellt von einem Facharzt für Orthopädie

? Kopie einer Medikamentenpackung " XXXX "

1.6. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.); der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.); ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

1.7. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.8. Gegen den im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer ohne Vorlage von Beweismitteln fristgerecht eine Beschwerde, mit der der Bescheid vollinhaltlich angefochten wurde. In der Begründung wurde der Beweisführung sowie der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde substantiiert entgegengetreten. Zudem wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.

2. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.1. Am XXXX wurde vom Beschwerdeführer ein mit XXXX datierter Lehrvertrag in Vorlage gebracht. Aus diesem geht hervor, dass der Beschwerdeführer den Lehrberuf Tischler ergriffen hat. Die Lehrzeit wird mit XXXX angegeben.

2.2. Mit Schriftsatz vom XXXX wurde unter Berufung auf die erteilte Vollmacht bekanntgegeben, dass der Beschwerdeführer im weiteren Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch den Rechtsanwalt XXXX vertreten wird.

2.3. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter einen Fristsetzungsantrag ein.

2.4. Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , wurde der Fristsetzungsantrag dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 38 Abs. 4 VwGG mit der Aufforderung zugestellt, binnen drei Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie derselben sowie eine Kopie des Nachweises über die Zustellung der Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) an die antragstellende Partei dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt.

Gegenständliche verfahrensleitende Anordnung ist der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

2.5. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in der Folge eine mündliche Verhandlung für den XXXX an. Mit Schreiben vom XXXX wurde von der belangten Behörde mitgeteilt, dass die Teilnahme eines Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde aufgrund der gegebenen Aktenlage die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolles ersucht.

2.6. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX brachte der Beschwerdeführer nach Erläuterung des bisherigen Verfahrensganges und des Akteninhaltes im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari auf richterliche Befragung im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass er gesund sei und dass aus gesundheitlicher Hinsicht keine Hinderungsgründe vorliegen würden, der heutigen Verhandlung zu folgen. Er sei afghanischer Staatsangehöriger und gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Seine Muttersprache sei Dari. Daneben spreche er auch noch Deutsch. Früher habe er auch noch die Sprache Paschtu beherrscht, diese habe er aber schon lange nicht mehr gesprochen. In Afghanistan habe er die Schule besucht, jedoch keinen Beruf erlernt. Er habe seinen Vater in der Landwirtschaft geholfen und dort Hilfstätigkeiten ausgeführt. Weiters habe er auch noch in einer Bäckerei auf einem Stützpunkt der Amerikaner gearbeitet. Auf richterliche Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass er in dem Dorf XXXX , in der Provinz XXXX , geboren sei. An diesem Ort habe er ca. bis zu seinem 10. Lebensjahr gelebt und sei danach gemeinsam mit seiner Familie in das Dorf XXXX , welches ebenfalls in der Provinz XXXX liege, gezogen. Dort habe er sich bis zu seiner Ausreise aufgehalten. Befragt zu seinen Familienverhältnissen gab der Beschwerdeführer an, dass sich in Afghanistan noch seine Mutter, seine drei Brüder, seine drei Schwestern sowie ein Onkel väterlicherseits aufhalten würden. Sie würden alle nunmehr in der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX , leben. Eine Schwester sei bereits verheiratet und würde getrennt von der Familie leben. Sein Vater sei bereits verstorben. Von seinem Tod habe er erst erfahren, als er schon in Österreich gewesen sei. Befragt, warum seine Familie die Provinz XXXX verlassen habe, gab der Beschwerdeführer an, dass dies aufgrund der Sicherheitslage geschehen sei. Sein älterer Bruder habe dort als Polizist gearbeitet und deswegen sei die Familie von den Taliban bedroht worden. Aus diesem Grund hätten sie sich vor ca. einem Jahr entschieden nach XXXX zu gehen. Weiters habe er noch Verwandte in Pakistan und einen Onkel väterlicherseits in XXXX . Zu der wirtschaftlichen Situation seiner Familie in Afghanistan befragt, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass es ihnen wirtschaftlich nicht sehr gut gehen würde. Sein älterer Bruder würde in XXXX Brunnen graben und mit den Einkünften aus dieser Tätigkeit die Familie versorgen. Seine Familie lebe in einem Lehmhaus. Sie bezahle dafür keine Miete, müsse sich aber dafür um das Haus und das Grundstück kümmern.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er und seine Familie damals ihr Dorf XXXX verlassen hätten müssen, da die Amerikaner in diesem Dorf die Taliban angegriffen und viele von ihnen getötet hätten. Die Taliban hätten daraufhin die Hazara für diesen Angriff verantwortlich gemacht und in der Folge neun Hazara geköpft. Obwohl dieser Fall zur Anzeige gebracht worden sei, habe die Polizei nichts gegen die Bedrohung durch die Taliban unternommen. Wegen der Bedrohung durch die Taliban hätten schließlich die gesamten Bewohner das Dorf XXXX verlassen. Er und seine Familie seien, wie bereits vorhin angegeben, in das Dorf XXXX gezogen. Dies sei im Jahr XXXX oder XXXX gewesen. Nachdem sie in das Dorf XXXX gezogen seien, sei sein älterer Bruder Mitglied bei der örtlichen Polizei geworden. Nachdem die Amerikaner die Provinz XXXX verlassen hätten, habe sich die Sicherheitslage drastisch verschlechtert. Die Taliban seien zu den Häusern gekommen und hätten sich alles genommen was sie haben hätten wollen. Auch die Angriffe der Taliban auf die Polizei hätten zugenommen. So seien auch mehrere Kollegen seines Bruders getötet worden. Die jungen Männer in XXXX hätten nur zwei Möglichkeiten gehabt, entweder auf der Seite der Taliban oder auf der Seite der Regierung zu kämpfen. Aus diesem Grund habe sein Vater zu ihm gesagt, dass er Afghanistan verlassen müsse. Im Jahr XXXX sei er schließlich aus Afghanistan ausgereist. Auf richterliche Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass es nie persönliche Drohungen der Taliban gegen ihn selbst gegeben habe. Die Taliban hätten immer nur verlangt, dass sein älterer Bruder nicht mehr für die Polizei arbeiten solle. Aus diesem Grund sei auch sein Vater von ihnen getötet worden. Wie bereits angegeben, habe er von dem Tod seines Vaters erst erfahren, als er schon in Österreich gewesen sei. So habe ihm seine Mutter Ende XXXX telefonisch erzählt, dass die Taliban mehrmals verlangt hätten, dass sein älterer Bruder seine Tätigkeit bei der Polizei beenden solle. Da er dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei sein Vater von den Taliban umgebracht worden. Wann genau er getötet worden sei, wisse er nicht, er könne nur angeben, dass dies im Jahr XXXX geschehen sei. Nach dem Tod seines Vaters sei seine Familie weiter von den Taliban bedroht worden und aus diesem Grund schließlich in die Provinz XXXX , nach XXXX , gezogen. Auf richterliche Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass es seither keine Drohungen der Taliban gegen seine Familie mehr gegeben habe. Auch sein älterer Bruder sei nicht mehr bei der Polizei, sondern grabe jetzt Brunnen. In diesem Zusammenhang gab der Beschwerdeführer ergänzend an, dass er regelmäßig Kontakt mit seiner Familie habe. So telefoniere er meistens alle zwei Monate mit seinem älteren Bruder oder seiner Mutter. Befragt, was er bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, gab der Beschwerdeführer an, dass er sich nicht vorstellen könne, wieder nach Afghanistan zurückzukehren, dies vor allem wegen der schlechten Sicherheits- und Wirtschaftslage.

Zu seiner Situation in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er bereits mehrere Deutschkurse besucht und die A2-Prüfung sowie die B1-Prüfung erfolgreich abgelegt habe. Weiters habe er erfolgreich die Pflichtschulabschlussprüfung absolviert und mache zum jetzigen Zeitpunkt gerade eine Tischlerlehre. Er befinde sich im zweiten Lehrjahr und verdiene ca. 800,- € im Monat. Im letzten Jahr habe er zum ersten Mal die Berufsschule besucht. Nach dem Abschluss seiner Lehre habe er vor in jenem Betrieb, wo er gerade seine Lehre absolviere, als Tischler zu arbeiten. Daneben wolle er auch die Matura machen. Zu seiner Wohnsituation befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er in einer Mietwohnung leben würde. Die Miete teile er sich mit seinem Mitbewohner. In seiner Freizeit spiele er Fußball beim FC XXXX . Früher habe er auch in einem Theaterverein Theater gespielt, dafür habe er jedoch wegen seiner beruflichen Tätigkeit keine Zeit mehr. In Österreich habe er auch schon viele Freunde gefunden. So verbringe er viel Zeit mit der Familie XXXX . Sie würden sich gegenseitig besuchen und er werde regelmäßig zu Familienfesten eingeladen. So sei er heuer sowie letztes Jahr beim Weihnachtsessen dabei gewesen. Auch habe er die Töchter zu ihrem Schulball begleitet.

In diesem Zusammenhang wurde vom bevollmächtigten Vertreter ein Konvolut an integrationsbescheinigenden Unterlagen (darunter das Jahreszeugnis der Berufsschule XXXX vom XXXX hinsichtlich des positiven Abschlusses der ersten Fachklasse für den Lehrberuf Tischlerei durch den Beschwerdeführer, eine Lohn - Gehaltsabrechnung für XXXX lautend auf den Beschwerdeführer, das mit XXXX datierte Zeugnis über die bestandene Pflichtschulabschlussprüfung durch den Beschwerdeführer, ein unbefristeter Mietvertrag vom XXXX lautend auf den Beschwerdeführer, diverse Unterstützungsschreiben sowie Farbfotos, die den Beschwerdeführer u.a. mit seinen Fußballkammeraden und zusammen mit der Familie XXXX zeigen) in Vorlage gebracht.

In weiterer Folge wurden ergänzend zu den in der Ladung angeführten Länderberichten zur Lage in Afghanistan durch den verfahrensführenden Richter aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers in der heutigen Verhandlung folgende Unterlagen in das Verfahren eingebracht:

? EASO-Guidance Note zu Afghanistan von Juni 2018

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre, anfragende Stelle: BVwG vom 13.09.2018

? Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif: Landflucht als Folge der Dürre; Auswirkungen der Dürre/Landflucht auf die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, auf die Wohnraumbeschaffung und die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler (insbesondere von RückkehrerInnen) [a-10737], vom 12.10.2018

Nach Erörterung dieser Unterlagen und der in der Ladung angeführten Länderberichten, gab der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers dazu an, dass aus diesen Berichten hervorgehe, dass die Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere auch in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, weiterhin volatil sei. Hinzu komme, dass in Afghanistan nunmehr auch Naturkatastrophen eingetreten seien, die insbesondere für Neuansiedler eine innerstaatliche Fluchtalternative unzumutbar machen würde. Der Beschwerdeführer habe bislang nur in der Provinz XXXX gelebt und sich nie in anderen Teilen Afghanistans aufgehalten.

2.7. Weiters wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine Kopie der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom XXXX der belangten Behörde übermittelt. Eine Stellungnahme dazu wurde von dieser nicht erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch genannten Namen und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Der Beschwerdeführer ist im Dorf XXXX , in der Provinz XXXX geboren und hat dort ca. bis zu seinem 10. Lebensjahr gelebt. Danach ist der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie in das Dorf XXXX , welches ebenfalls in der Provinz XXXX liegt, gezogen und hat dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Weiters verfügt er über Kenntnisse der Sprache Paschtu. Darüber hinaus verfügt er über sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, leidet an keinen schweren Krankheiten und ist arbeitsfähig. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Mutter, seine drei Brüder, seine drei Schwestern sowie ein Onkel väterlicherseits leben in der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX . Eine Schwester des Beschwerdeführers ist bereits verheiratet und lebt getrennt von der Familie. Weiters verfügt der Beschwerdeführer noch über Verwandte in Pakistan und einen weiteren Onkel väterlicherseits in XXXX . Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers gräbt in XXXX Brunnen und mit den Einkünften aus dieser Tätigkeit versorgt er die Familie des Beschwerdeführers. Die Familie des Beschwerdeführers lebt in einem Lehmhaus. Sie bezahlen dafür keine Miete, muss sich aber dafür um das Haus und das Grundstück kümmern.

Der Beschwerdeführer hat regelmäßig telefonischen Kontakt zu seiner Mutter und seinem älteren Bruder.

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan einige Jahre die Schule besucht und kann in seiner Muttersprache lesen und schreiben. Er hat keine Berufsausbildung absolviert. In Afghanistan hat der Beschwerdeführer seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen sowie einige Monate in einer Bäckerei gearbeitet.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr XXXX Afghanistan verlassen und reiste schlepperunterstützt über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich ein. Er gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und hat dort am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im XXXX aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer hat mehrere Deutschkurse besucht und hat am XXXX die Prüfung über deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2 bestanden. Am XXXX hat er die Prüfung über deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 bestanden. Weiters hat der Beschwerdeführer in Österreich erfolgreich die Pflichtschulabschlussprüfung abgelegt und befindet sich seit XXXX in einem dreijährigen Lehrverhältnis als Tischler. Die Lehrzeit endet am XXXX . Der Beschwerdeführer besucht die Berufsschule und hat die erste Fachklasse für den Lehrberuf Tischlerei positiv abgeschlossen, wobei er im Pflichtgegenstand "Deutsch und Kommunikation" mit der Note "Sehr gut" beurteilt worden ist. Zurzeit befindet sich der Beschwerdeführer im zweiten Lehrjahr und bezieht eine Lehrlingsentschädigung, die über der Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG liegt. Mit diesen Einkünften bestreitet er seinen Lebensunterhalt und ist in der Lage, sich selbst zu erhalten. Seit Beginn seines Lehrverhältnisses bezieht der Beschwerdeführer keine Leistungen mehr aus der vorübergehenden Grundversorgung. Er wohnt mit einer weiteren Person in einer Mietwohnung und teilt sich mit ihr die Miete. Der Mietvertrag läuft auf den Namen des Beschwerdeführers.

In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Fußball in einem Fußballverein. Er ist in Österreich sozial integriert und verfügt über zahlreiche freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern, insbesondere zu der Familie XXXX .

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Familienangehörigen in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keinen konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Bedrohungen oder Übergriffen durch die Taliban ausgesetzt. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Die Familie des Beschwerdeführers ist zwar durch die Tätigkeit des älteren Bruders des Beschwerdeführers als Polizist in das Visier der Taliban geraten, seitdem dieser jedoch seine Tätigkeit bei der Polizei beendet hat und die Familie des Beschwerdeführers in die Provinz XXXX gezogen ist, ist sie keiner Bedrohung mehr durch die Taliban ausgesetzt.

Dem Beschwerdeführer droht auch wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams keine konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Glaubensrichtung des Islams in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer "Verwestlichung" in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit somit keiner wie immer gearteten Verfolgung von asylrelevanter Intensität ausgesetzt.

1.4. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Überstellung in seine Heimatprovinz XXXX aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Provinz XXXX ist individuell nicht zumutbar.

Dem Beschwerdeführer steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in einer der großen Städte Afghanistans, nämlich Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung; diesbezüglich wird auch auf die nachfolgenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

Eine Ansiedlung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat ist möglich und zumutbar. Er kann diese von Österreich sicher mit dem Flugzeug erreichen. Der Beschwerdeführer ist im afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Heimatstaates und in Afghanistan gesprochenen Sprachen vertraut. Zudem lebt ein Großteil seiner Familie weiterhin in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat bislang nicht in Mazar-e Sharif oder Herat gelebt und verfügt in diesen Städten über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts seines Gesundheitszustandes und seiner Arbeitsfähigkeit könnte sich der Beschwerdeführer in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er hat in Afghanistan bereits Berufserfahrung in einer Bäckerei gesammelt. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er könnte anfangs auch (finanzielle) Unterstützung von seiner sich in der Provinz XXXX aufhaltenden Familie erhalten.

Sohin wäre es dem Beschwerdeführer möglich, in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem Beschwerdeführer würde bei seiner Rückkehr in eine dieser beiden Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, in der Fassung vom 26.03.2019:

Politische Lage (Verfassung):

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

[...]

Sicherheitslage (Allgemein):

[...]

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

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Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

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Anschläge bzw. Angriffe auf hochrangige Ziele:

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

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Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban:

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh:

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

Haqqani-Netzwerk:

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban, hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).

Al-Qaida:

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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