TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/17 W264 2188211-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2019
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Entscheidungsdatum

17.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W264 2188211-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.2.2018, 1113638006/160637661, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste im Mai 2016 unrechtsmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 6.5.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung des BF wurde unter Beiziehung eines Dolmetsch für die Sprache Dari durchgeführt.

Der BF gab in der Erstbefragung an:

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Dem Einvernahmeprotokoll der LPD XXXX , PI XXXX , Zahl: XXXX , ist zu entnehmen, dass der BF die Frage "Verstehen Sie den Dolmetscher?" bejahte und weiters, dass die Niederschrift in einer für den BF verständlichen Sprache rückübersetzt wurde. Auf die Frage "Haben Sie Ergänzungen / Korrekturen zu machen" gab er "nein" zur Antwort und er bejahte die darauffolgende Frage "Haben Sie alles verstanden?". Die Niederschrift trägt auf Seite 7 die Unterschrift des BF.

2. Am 10.7.2017 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Es war ein Dolmetsch für die Sprache Dari anwesend.

Der BF wurde zu seinen Fluchtgründen und Generalien befragt. Er gab auf Befragen an, bisher die Wahrheit gesagt zu haben. Er gab zum Fluchtgrund befragt an, als "Familienangehöriger eines öffentlich Bediensteten [...] auch immer wieder im Visier aller Talibanunterstützer oder anderer Krimineller" geraten zu sein. Sein Bruder habe ihm zuletzt auch nicht mehr gesagt, wo der Bruder Dienst versehen habe. Eines Abends habe der Bruder den BF und dessen Mutter besucht und wollte über Nacht bleiben. Es seien in der Nacht Leute gekommen, welche nach dem Bruder gesucht hätten und habe der BF Angst bekommen und auf Aufforderung der Mutter das Land verlassen. Mit seiner Ehefrau habe er manchmal via Internet Kontakt.

Auf die Nachfrage "haben Sie somit alle Ihre Gründe für die Asylantragstellung genannt?" gab er an: "Das ist mein Fluchtgrund, es ist sehr gefährlich, ich wäre alleine, ich wäre zum Tode verurteilt, müsste ich nach Afghanistan zurückkehren". Im Falle der Rückkehr erwarte ihn der Tod, von seiten der Staatenlichen Behörden würde ihm nichts drohen (Antwort "Nein"; Niederschrift BFA S. 6).

Der BF gab auf Befragen an, den Dolmetsch sehr gut verstanden zu haben und nach der Rückübersetzung gab er an "Ich habe keine Einwendungen, es wurde alles richtig protokolliert".

3. Der BF legte dem BFA folgende Dokumente vor:

* Schulbesuchsbestätigung der HLW XXXX vom 17.11.2017

* ÖSD Zertifikat A1 "sehr gut bestanden"

* Teilnahmebestätigung über Sprachkursteilnahme und Empehlung der Mag. XXXX

4. Mit dem nunmehr bekämpften oben im Spruch näher bezeichneten Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

5. Hiergegen brachte der BF mit Schriftsatz vom 2.3.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde ein und wird auf den Inhalt dieser verwiesen.

6. Die belangte Behörde legte den bezughabenden Fremdakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langten dieser am 6.3.2018 ein.

7. Am 28.6.2018 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der BF und sein Rechtsberater sowie die belangte Behörde teilnahmen und welcher ein Dolmetsch für die Sprache Dari beigezogen wurde.

Der BF wurde eingangs über seine Mitwirkungspflicht und sein Aussageverweigerungsrecht sowie darüber, dass es nur um Fluchtgründe die ausschließlichen Bezug auf Afghanistan haben, belehrt und dazu befragt.

(Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

"Die R fordert BF auf, nun in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit Ihres Fluchtberichts.

Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen.

BF führt aus wie folgt: Ich habe in Afghanistan einen Bruder, eine Schwester gehabt, die beiden waren älter als ich. Mein Bruder, XXXX hat in der Provinz Paktia bei der Feuerwehr gearbeitet. Er war auf Urlaub und kam nach Hause. In der Ortschaft wusste niemand wo er arbeitet und was er tut. Er kam immer für eine oder zwei Wochen nach Hause und ging dann wieder arbeiten. So ging das ein bis eineinhalb Jahre. Einmal als er zu Hause war, ich war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause, er war mit meiner Mutter zu Hause. Normalerweise war ich immer bei meiner Mutter, ich wollte sie nicht alleine lassen. Da mein Bruder zu dieser Zeit zu Hause war, habe ich ihn gebeten, dass er bei der Mutter bleibt und ich bin zu einer Freundin gefahren. Um 22:00 Uhr in der Nacht hat meine Mutter angerufen, sie hat sehr viel geweint und gesagt, dass ein paar bewaffnete Männer bei uns waren und dass mein Bruder mitgenommen wurde. Ich bin dann vier Tage nicht mehr nach Hause gegangen. Zwei Tage war ich bei zwei Freunden untergebracht. Zwei Tage bei XXXX und zwei Tage bei XXXX . Auf

Befragen wo die beiden leben: beide haben ca. 20 Minuten von uns entfernt gelebt, auch in XXXX .

Auf Erfragen ob es möglich wäre bei Rückkehr den Kontakt zu beiden wiederherzustellen: Wenn sie noch in Afghanistan sind, vielleicht ja.

BF weiter: Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich das Land verlasse. Ich wollte es nicht, ich wollte eigentlich dortbleiben und meinen Bruder suchen. Aber da meine Mutter darauf bestand, habe ich das Land verlassen.

R: Haben Sie nun alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht oder gibt es noch etwas von dem Sie sagen: Das war auch ein Grund, warum ich Afghanistan verlassen musste?

BF: Ja, deswegen bin ich geflüchtet. Keiner in unserer Ortschaft wusste, dass mein Bruder bei der Polizei und der afghanischen Regierung arbeitet, aber danach haben das alle erfahren, sie haben es mitbekommen. Dadurch konnte ich dort nicht mehr leben.

Auf Befragen was ich mit "danach" meine: Es ist ein kleines Dorf und es hat sich schnell verbreitet, mit danach meine ich diesesn Vorfall mit bewaffnetetn Männern, die meinen Bruder mitgenommen haben.

R: Wie ist Ihr Vater gestorben, wissen Sie das?

BF: Er hat auf den Feldern gearbeitet und dort wurde er getötet. Auf Befragen "von wem" gebe ich an: Es gibt immer wieder Kampfhandlungen dort. Genau wissen wir nicht, wie er ums Leben gekommen ist, aber es gibt immer wieder Kampfhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und deren Gegnern.

R: Haben Sie Onkeln oder Tanten in Afghanistan?

BF: Ich habe zwei Onkel väterlicherseits, drei Onkel mütterlicherseits, zwei Tanten väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits. Ein Onkel väterlicherseits ist bei einer Explosion ums Leben gekommen. Mit dem zweiten Onkel väterlicherseits, namens XXXX , bin ich nicht in Kontakt. Das letzte Mal war ich in Kontakt, als ich noch in Afghanistan war. Wir hatten nicht so sehr guten Kontakt miteinander, weil es in Afghanistan immer wieder Streit wegen Grundstücken gibt.

Meine Mama lebt nicht mehr im Heimatdorf, sondern in XXXX , das ist ein Dorf ca. 20 bis 25 Autominuten von meinem Dorf entfernt.

Das Haus in dem wir gelebt haben im Heimatdorf gibt es noch, ich weiß nicht genau wer dort gerade wohnt. Das ist ein ziemlich großes Haus wo mehrere Familien gelebt haben. Unser Hausteil ist vielleicht frei, oder vielleicht auch nicht, vielleicht haben ihn die Nachbarn für sich genommen.

R: Gibt es noch Felder, die Ihrer Familie gehören?

BF: Ein bisschen schon, haben wir.

R: Fällt Ihnen noch etwas ein, wenn Sie sich zurückerinnern, von dem Sie sagen "das war auch ein Fluchtgrund, den ich heute aber noch nicht gesagt habe"? BF: Nein, nur das was ich gesagt habe.

R: Wissen Sie, wie der Beruf Ihres Bruders ausgesehen hat, hat er jemals über seine Berufstätigkeit erzählt?

BF: Teilweise, manchmal hat er darüber gesprochen. Er konnte lesen und auch schreiben, er ist zwölf Jahre zur Schule gegangen. Seine Aufgabe war Lebensmittel einkaufen für die ganze Mannschaft, wo er gearbeitet hat. Seine Aufgabe hat auch einen bestimmten Begriff, einen Namen, ich weiß nicht wie man das nennt.

Auf Befragen ob er den Namen eines Stützpunktes oder so genannt hatte: Ich glaube er hat im Zentrum von Paktia gearbeitet hat, aber wie genau der Stützpunkt hieß, das weiß ich nicht.

Auf Befragen ob der Vorfall mit den drei vermummten Männern, die den Bruder mitnahmen, der Polizei angezeigt wurde: In unserer Ortschaft gibt es gar keine Polizeistation. In der Nähe gibt es aber Stützpunkte von Dorfmilizen namens Arbaki. Es gab damals diesen Stützpunkt Arbaki, ob es ihn noch immer gibt weiß ich nicht. Die uniformierten Polizisten kommen zu uns nicht, das können sie gar nicht. Die Sicherheitslage dort ist total schlecht, in der Nähe des Stützpunktes Arbaki ist ein Taliban Stützpunkt und jeder hat eigene Flaggen. Die Taliban sind dort unterwegs mit Motorrädern. Man kann es bei Google Maps leicht recherchieren.

Auf Befragen wie viele Männer gekommen sind damals laut der Mama:

Ich glaube vier, ich war aber selbst nicht anwesend und weiß es deshalb nicht genau.

R: Wenn Sie jemand fragt, bei welcher Art von Berufsgruppe hat Ihr Bruder gearbeitet, was antworten Sie dann?

BF: Mein Bruder hat für die Feuerwehr gearbeitet, wir haben das damals nur niemanden erzählt.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Es kommt zu solchen Streitigkeiten und Problemen, aber bei mir persönlich ist das nicht passiert.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Nein, persönlich nicht, aber es passiert immer wieder zwischendurch.

R: Waren Sie in Afghanistan einmal Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig? BF: Nein.

R: Haben Sie Berufserfahrung in Afghanistan?

BF: Als Schweißer habe ich gearbeitet. Gleichzeitig als ich damals die Schule besucht habe, habe ich auch gearbeitet. In Afgahnistan geht das nicht anders, man muss gleichzeitig arbeiten. Ab meinem zehnten Lebensjahr habe ich gearbeitet.

R: Waren Sie in Afghanistan jemals in Haft?

BF: Nein.

R: Sind Sie in Afghanistan vorbestraft oder werden Sie mit einer staatlichen Fahndungsmaßnahme wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief gesucht? BF: Nein.

R: Hatten Sie in Afghanistan jemals Probleme mit Behörden, der Polizei oder einem Gericht? BF: Nein.

R: Nahmen Sie in Afghanistan an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

BF: Nein.

R: Wurden Sie in Afghanistan jemals von irgendjemandem bedroht oder verfolgt (Blutfehde, Racheakte oder dergleichen)?

BF: Nein.

R: Was befürchten Sie für Ihr Leben, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten? BF: Ich kann in keiner anderen Provinz in Afghanistan leben. Wenn ich zurückkehren muss, muss ich zurück in mein Heimatdorf und dort wissen alle, dass ich über zwei Jahre weg war. Die Leute wissen wo ich bin, wo ich war, es verbreitet sich sehr schnell. Dadurch bekommen die Taliban schnell mit, dass ich dort bin und wo ich war. Deswegen kann ich nicht dort leben, ich habe alles verloren. Die Sicherheitslage ist dort sehr schlecht und in anderen Provinzen in Afghanistan habe ich niemanden der mich unterstützen könnte.

R: Waren Sie einmal in Marzar-e-Sharif, Herat oder Kabul?

BF: Ich war einmal ein paar Tage in Marzar-e-Sharif, als ich das Land verlassen wollte, ich bin dort durchgereist. Zwei, drei Tage verblieb ich dort. In Herat oder Kabul war ich noch nie."

Im Gerichtsverfahren kam auch ein strafrechtlich relevantes Verhalten des BF zur Sprache:

(Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

"Die R befragt den BF an welche Besonderheit er sich in Österreich seit seinem Aufenthalt hier erinnern kann.

BF: Ich habe eine Schule besucht, Deutsch gelernt. Ich lebe hier in Sicherheit und in Ruhe. Man kann hier in Ruhe leben und ich habe hier gute Beziehungen zu anderen Menschen.

Auf Befragen ob er auch in Afghanistan die Schule besucht hat gibt er an, ja zwölf Jahre.

R: Können Sie sich erinnern, dass Sie etwas gemacht haben, das nicht der Ruhe und der Sicherheit dienlich ist?

BF: Ja, es gab einen Vorfall, etwas "Kleineres" ist in einem Bahnhof passiert. Ich war trainieren in einem Sportclub und habe am Bahnhof ein paar Landsleute getroffen und es kam zum Streit. Danach bin ich weggegangen und nach ein paar Tagen wurde ich von der Polizei erwischt. Ich habe mich am Bahnhof nach dem Streit entfernt, weil ich keine Probleme bekommen wollte. Bis dahin habe ich in Österreich zwei Jahre gelebt und das ohne Probleme. Ich lege vor die Beilage ./B (Benachrichtung des Opfers von der Einstellung des Verfahrens durch den Bezirksanwalt der StA XXXX ).

R: Haben Sie einmal einem Mädchen mit der Faust ins Gesicht geschlagen?

BF: Nein.

R hält ihm die Meldung der LPD NÖ vom 06.04.2018 vor.

Als Beilage ./C legt der RV die Strafverfügung der LPD NÖ vom 10.4.2018 vor (verhängte Geldstrafe iHv EUR 70,-- wegen Übertretung des § 81 Abs 1 SPG durch Einschlagen auf einen anderen Mann, sodass am 10.3.2018 im Bereich des Bahnhofvorplatzes in XXXX unter den Passanten große Aufregung und Unruhe herrschte und die öffentliche Ordnung gestört war.

Die R teilt mit, dass sie betreffend die Meldung vom 06.04.2018 den Bezug habenden Akt der Strafbehörden anfordern wird.

BF: Es kam nie zu einem Streit mit einem Mädchen. Auf Befragen ob ich einem Mädchen ins Gesicht geschlagen habe: Niemals. Zu so einem Vorfall mit einem Mädchen ist es niemals gekommen. Ich stehe zu dem was ich gesagt habe.

R: Haben Sie je eine männliche Person in Österreich geschlagen?

BF: Es ist zu einem Streit gekommen, der Streit war nur ganz klein. Kann sein, dass wir uns gegenseitig geschlagen haben. Ich wollte gar keinen Streit haben. Außerdem war ich alleine und sie waren zu dritt. Ich wurde angegriffen, ich habe mich nur verteidigt. Der Streit war wegen einem Mädchen, an den Namen erinnere ich mich nicht mehr, wir waren Instagram Freunde. Wir haben miteinander geschrieben, aber haben uns noch nicht gesehen. Sie schrieb, wenn ich am Bahnhof bin, soll ich kommen und hallo sagen. Sie war dort mit ein paar Afghanen, ich bin hin und habe hallo gesagt. Sie war keine Afghanin. Sie wusste nicht wer ich bin und ich habe auf Instagram hingewiesen. Die anderen sind auf mich losgegangen, ich solle zur Seite gehen und sie haben gefragt was soll das, dass sie deine Freundin ist. Einer bezeichnete das Mädchen als seine Freundin. Die anderen sind auch auf mich losgegangen.

Auf Befragen, ob ich für den Fall, dass ich nicht alleine, sondern in Begleitung von Personen dort gewesen wäre, ob es auch zu dem Streit gekommen wäre: Schwer zu sagen, hätte ich dort auch ein paar Freunde gehabt, hätten die vielleicht verhindert, dass es zum Streit kommt. Betreffend die Strafverfügung vom 10.4.2018 habe ich eine Ratenvereinbarung geschlossen.

Ich lebe seit zwei Jahren hier, ich habe nicht einmal eine Schwarzfahrerstrafe bekommen. Manchmal hört man schlimme oder böse Sachen, manchmal kann man sich nicht kontrollieren und nicht nicht reagieren.

Die R erklärt Ihm das Verbot der Selbstjustiz und das Gebot im Falle einer Gefahr die Polizei zu rufen.

BF: Ich bekomme sehr wenig Geld und muss jetzt auch die Strafe bezahlen. Ich habe daraus gelernt, und es tut mir sehr, sehr leid. Eigentlich sollte ich zur Polizei gehen und eine Anzeige erstatten. Ich hatte auch blaue Flecken, die Fotos sind im Akt. Ich bin nicht zur Polizei, weil ich keine Probleme mit der Polizei haben wollte.

Der BF bringt in Deutscher Sprache vor, dass er seinen Tag in der Schule verbringt und eigentlich keine Zeit hat zum Bahnhof zu gehen und auch nicht zum Bahnhof geht.

Der BF führt in Deutscher Sprache aus, dass das in seiner Heimat ganz anders war, aber er jetzt weiß, dass man sich in Österreich nicht selbst verteidigen muss."

Der BF legte dem Gericht vor:

* Meldung der LPD XXXX , vom 6.4.2018, Zahl: XXXX , worin betreffend den BF als Beschuldigten berichtet wird: "wollte mit einem Mädchen flirten. Das spätere Opfer forderte ihn auf, dies zu unterlassen. Anschließend schlug der Täter dem Opfer mit der Faust in das Gesicht".

* Lebenslauf des BF samt Motivationsschreiben an XXXX in XXXX

* Schreiben der HLW XXXX vom 22.6.2018 über den BF

Der RV legte dem Gericht folgende Stellungnahme vor:

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8. Das strafrechtlich relevante Verhalten des BF betreffend wurde am 28.6.2018 Anfrage an das Strafamt der LPD XXXX gestellt: "Beim Bundesverwaltungsgericht ist eine Beschwerdesache des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 anhängigund legte dieser in der heutigen Verhandlung die Strafverfügung vom 10.4.2018 vor. Es ergeht das Ersuchen, dem Bundesverwaltungsgerichtden do. Akt XXXX oder allenfalls eine Kopie dieses Aktes zum Zwecke der Einsichtnahme zu übermitteln."

9. Der Schulleiter und die Klassenvorständin der HLW XXXX wurden mit Erledigung vom 28.6.2018 ersucht, dem Bundesverwaltungsgericht die Kopie des Lehrplans betreffend das Unterrichtsfach "Ethik" in Lehrgängen der Übergangsstufe zu übermitteln oder allenfalls das Bundesgesetzblatt dieses Lehrplans bekannt zu geben.

10. Die zuständige Bezirksanwältin wurde mit Erledigung vom 28.6.2018 unter Bezugnahme auf die Benachrichtigung XXXX über die Einstellung des Verfahrens ersucht, dem Bundesverwaltungsgericht den do. Akt XXXX oder allenfalls eine Kopie dieses Aktes zum Zwecke der Einsichtnahme zu übermitteln.

11. Per Email vom 2.7.2018 wurde seitens der HLW XXXX dem Gericht der Lehrplan der Übergangsstufe "Lehrgangsangebot für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch" übermittelt. Laut Stundentafel ist der Gegenstand "Ethik" im Ausmaß von zwei Wochenstunden vorgesehen. Unter "IV. A. 1. Ethik" wird als Bildungs- und Lehraufgabe unter anderem "Gewalt und Konfliktbewältigung" beschrieben.

12. Die Staatsanwaltschaft XXXX übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am 5.7.2018 eine Kopie des Aktes XXXX , welchem unter anderen einliegen:

* Abschlussbericht gem. § 100 Abs 2 Z 4 StPO betreffend den BF wegen Verdacht auf Körperverletzung am 10.3.2018

* Amtsvermerk der LPD XXXX , SPK XXXX , PI XXXX vom 22.3.2018 betreffend den BF wegen Verdacht auf Körperverletzung am 22.3.2018

13. Die LPD XXXX übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht eine Kopie des do. Aktes XXXX , welche am 9.7.2018 einlangte und welchem unter anderen einliegen:

* Anzeige der LPD XXXX , SPK XXXX , PI XXXX vom 8.4.2018 betreffend den BF wegen Verdacht auf Ordnungsstörung nach § 81 Abs 1 SPG am 22.3.2018

* Ratenzahlungsvereinbarung, Einkommennachweis

* Bescheid Teilzahlung

14. Am 8.8.2018 langte die Verständigung vom Rücktritt der Verfolgung durch die StA XXXX ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente und abgegebenen Stellungnahme, aufgrund der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakte der belangten Behörde, der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem und in die oben unter I.11. bis I.14. genannten Unterlagen werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

1.1. Feststellungen zum BF und zu den Fluchtgründen:

1.1.1. Der BF ist afghanischer Staatangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung. Der BF stammt aus der Provinz XXXX in Afghanistan. Er ist am XXXX geboren.

1.1.2. Der BF hat keine Kinder. Der Familienstand des BF kann nicht festgestellt werden. Die Mutter des BF, XXXX und Verwandte des BF sind in Afghanistan aufhaltig.

1.1.3. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Paschto und er hat in Afghanistan Schulbildung im Umfang unbekannten Ausmaßes erreicht. In Afghanistan konnte der BF Berufserfahrung als Schweißer erlangen.

1.1.4. Er reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 6.5.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.5. Der BF leidet an keinen Krankheiten.

1.1.6. Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers sind auf der Kompetenzstufe A2.

1.1.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.

1.1.8. Dass dem BF eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat Afghanistan gedroht hat bzw nach seiner Rückkehr droht, kann nicht festgestellt werden.

1.1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret dem BF als Angehöriger seiner Volksgruppe sowie als sunnitischer Moslem bzw dass jeder Angehörige der Volksgruppe des BF sowie der Glaubensrichtung des BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

1.1.10. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret der BF aufgrund der Tatsache, dass sich zuletzt in Europa aufgehalten hat, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

1.1.11. Dem BF droht im Falle der Rückkehr nicht eine Verfolgung aufgrund der Rückkehr aus dem westlichen Ausland.

1.2. Feststellungen zur Rückkehrmöglichkeit des BF:

1.2.1. Der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit vom Konflikt sowie dessen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Herkunftsprovinz des BF ist XXXX . Logar gehört zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Einem hochrangigen Polizeibeamten zufolge hat sich die Sicherheitslage im Vergleich zur Vergangenheit verbessert. Außerdem plane man, Operationen gegen die Taliban zu verstärken. Aufgrund der Nähe zu den Außendistrikten der Stadt Kabul, fanden in Logar heftige Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften statt. Im Jahr 2017 gehörte Logar zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Anschläge. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 156 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Logar 148 zivile Opfer (67 getötete Zivilisten und 81 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen und Luftangriffen. Dies bedeutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Obwohl die Gefechte u.a. in Logar stiegen, sank in der Provinz die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven. Militärische Operationen gegen die Taliban finden regelmäßig statt, um die Stellungen der Aufständischen zu zerstören.

Im Falle der Rückkehr dorthin droht dem BF ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

1.2.2. Der BF kann sich in Afghanistan in Balkh in Mazar-e Sharif ansiedeln.

Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri, sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Laut Länderbericht wurden im Dezember 2017 verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz bloß 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen und ist daher eine gefahrlose Rückkehr von Österreich über den Luftweg möglich.

1.2.3. Der BF kann sich bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat ansiedeln.

Laut Länderbericht ist Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Herat verfügt über einen internationalen Flughafen, sodass der BF Herat von Österreich aus gefahrlos über den Fluchtweg erreichen kann.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsort Kabul oder in die Fluchtalternativen Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine für ihn als Zivilperson ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Fall einer Rückkehr kann damit nicht festgestellt werden.

1.3. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

(basierend auf dem Länderbericht der Staatendokumentation sowie auf den

untenstehend angeführten weiteren Quellen):

Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 29.06.2018 Fassung der Aktualisierung idF 4.6.2019:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wurde mit 4.6.2019 in das LIB Afghanistan übernommen (Relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage).

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

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Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

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Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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