TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/19 W264 2167083-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.07.2019
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Entscheidungsdatum

19.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W264 2167083-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.7.2017, 1094729604/151771423, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste im November 2015 unrechtsmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung des BF wurde unter Beiziehung eines Dolmetsch für die Sprache Dari durchgeführt.

2. Am 29.3.2017 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Es war ein Dolmetsch für die Sprache Dari anwesend.

Der BF wurde zu seinen Fluchtgründen und Generalien befragt. Er gab auf Befragen an, bisher die Wahrheit gesagt zu haben.

3. Der BF legte dem BFA folgende Dokumente vor:

* Bestätigung über freiwillige Arbeit in der Gemeinde XXXX

* Empfehlungsschreiben der XXXX

* Sozialbericht der Caritas-Unterbringung

* Unterstützungsprognose der Logopädin XXXX

* Deutschkursbestätigungen

* Fotos über die freiwillige Tätigkeit und sportliche Betätigung des BF

4. Mit dem nunmehr bekämpften oben im Spruch näher bezeichneten Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

5. Hiergegen brachte der BF mit Schriftsatz vom 31.7.2017 das Rechtsmittel der Beschwerde ein und wird auf den Inhalt dieser verwiesen.

6. Die belangte Behörde legte den bezughabenden Fremdakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langte dieser am 9.8.2017 ein.

7. Am 1.8.2018 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der BF und seine Rechtsvertreterin, Mitarbeiterin des Rechtsanwaltes Mag. Bitsche, teilnahmen und welcher ein Dolmetsch für die Sprache Dari beigezogen wurde.

Der BF wurde eingangs über seine Mitwirkungspflicht und sein Aussageverweigerungsrecht sowie darüber, dass es nur um Fluchtgründe die ausschließlichen Bezug auf Afghanistan haben, belehrt und dazu befragt.

(Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

"RV verweist auf die OZ12, E-Mail vom 13.07.2018 und die darin befindlichen Zertifikate und Integrationsunterlagen und legt vor, ein Empfehlungsschreiben vom 28.07.2018, Familie XXXX , ein Empfehlungsschreiben von Herrn XXXX XXXX , eine Arbeitsbestätigung über ehrenamtliche Arbeit vom 25.07.2018, ein Empfehlungsschreiben von Frau XXXX , eine Unterstützungserklärung von Spielern und Funktionären des ASV XXXX und gibt der BF auf

Nachfrage auf einen ÖFB-Spielerpass an, dass er selbst nicht aktiv spielt, jedoch sein Bruder, XXXX , und der BF im Verein Tätigkeiten rund um den Sportplatz ausübt. Weiters wird vorgelegt ein Empfehlungsschreiben vom 18.07.2018, Fotos vom zweitägigen Wanderausflug auf den Schneeberg/Rax und über Freiwilligenarbeit auf dem Friedhof. Weiters wird vorgelegt eine Anfrage betreffend zukünftige Arbeitsanstellung an das Hotel XXXX , vom 24.07.2018, und gibt die Vertreterin zur Auskunft, dass die Hoteldirektorin derzeit auf Urlaub weilt und eine Rückmeldung noch nicht erfolgt ist.

BF wird aufgefordert den Namen, die Volksgruppenzugehörigkeit, das Religionsbekenntnis und die Heimatprovinz auf ein Blatt Papier zu schreiben und wird dies als Beilage ./B zur Verhandlungsschrift genommen.

Der BF gibt auf doÜ an, dass er aus Kabul Stadt stammt.

R: In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre Eltern und wie heißen die?

BF: Sie leben im Iran, Teheran. Mein Vater heißt XXXX , meine Mutter heißt XXXX (Beilage./C)

R: Haben Sie Geschwister?

BF: Ja, ein Bruder von mir lebt in Mistelbach, die Schwestern sind verheiratet, eine lebt in der Türkei, eine in Belgien, zwei Schwestern leben im Iran.

R: Haben Sie Kontakt zu Ihren Schwestern?

BF: Ja, mit denen in der Türkei und in Belgien habe ich Kontakt.

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu den Eltern und über welches Medium?

BF: Sehr unterschiedlich, einmal pro Monat, manchmal zweimal pro Monat. Wenn Sie Zeit haben, rufen die Eltern mich an. Zuletzt zirka vor einem Monat.

R: In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre, Onkel, Tanten und wie heißen die?

BF: Onkel vs ist verstorben, die Kinder leben in Deutschland. Onkel ms ist auch verstorben, die Kinder leben in Österreich und Deutschland. Die Tanten sind verstorben, wo die Kinder leben, weiß ich nicht. Tante vs, habe ich eine, lebt in der Türkei.

R: Die in Österreich lebenden Verwandten heißen?

BF: Eine Cousine lebt in Österreich, namens XXXX ( Beilage./D und ./E), sie lebt in Linz. Ich habe Kontakt zu ihr.

R: Unterstützt sie Sie mental, finanziell, wirtschaftlich?

BF: Nein, manchmal ladet sie mich ein, manchmal ich sie. Es war noch nie so, dass sie für mich eine Stütze gewesen wäre, wie ein Elternteil wie so etwas noch nie passiert ist.

Manchmal fragt sie mich "Was brauchst du? Was willst du?" Ich sage, ich brauche nichts.

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu dieser und über welches Medium?

BF: Gestern.

R: Haben Sie vor Ihrer Einreise nach Österreich eine Schule besucht? Wie lange?

BF döÜ: In Afghanistan habe ich eine Schule fertiggemacht. Es war 12 Jahre Gymnasium.

R: Haben Sie vor Ihrer Einreise nach Österreich Berufserfahrung erlangt? Wieviele Jahre?

BF doÜ: Ja, als Taxifahrer. Mit Taxi kann man nicht so gut verdienen. Ich habe gewechselt auf größeres Taxi und dann auf Bus. Ich war auch Schuster. Zuerst 3 Jahre ich habe als Schuster gearbeitet, dann 2 Jahre Taxifahrer, dann Busfahrer.

Die R fordert BF auf, nun in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit Ihres Fluchtberichts.

Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen.

BF führt aus wie folgt:

Ich war mit meinem Bruder XXXX (der in Österreich ist) mit dem Bus unterwegs. Wir wurden von ein paar Kriminellen gestoppt, unser Geld wurde uns weggenommen. Ich wurde mit einer Pistole mehrmals im Kopfbereich geschlagen. Die Spuren kann man noch immer sehen, ich war beim Arzt und es wurde mit sechs Stichen genäht.

Nach der Behandlung beim Arzt ging ich zu Polizei. Die haben mir gesagt, dass ich mit der Polizei mitmachen soll, dass ich kooperieren soll, sodass sie diese Leute erwischen können. Am nächsten Tag wurden die Kriminellen verhaftet, aber gegen Schmiergeld waren sie gleich wieder auf freiem Fuß. Wir haben uns in Gefahr gefühlt, dass wir wieder von denen angegriffen werden können. Sie waren sehr gefährlich Leute. Deswegen haben wir das Land verlassen.

Wir sind dann in den Iran.

R: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Afghanistan verlassen haben?

BF: Das wars.

R: Wohin waren Sie mit Ihrem Bruder XXXX mit dem Bus unterwegs?

BF: Nach der Arbeit waren wir unterwegs nach Hause. Und die Kriminellen haben uns ca. 200 m von unserem Haus entfernt gestoppt.

R: Haben Sie diese Menschen, die Sie ca. 200 m von ihrem Haus entfernt gestoppt haben vorher jemals gesehen?

BF: Nein.

R: Waren die Gesichter dieser Menschen erkennbar?

BF: Die Gesichter waren zu erkennen, sie hatten einen Schal um den Hals. Auf Befragen wie der Schal aussah: In Kabul tragen viele solchen.

R: Welche Farbe? Haben die alle den gleichen Schal getragen?

BF: Ich habe nur diesen Menschen gesehen, der bei mir war und mich geschlagen hat. Von den anderen habe ich nichts bemerkt.

R: Und beschreiben Sie mir jetzt den Schal?

BF: Die sind aus Baumwolle, kosten ca. 30 bis 40 Afghani und werden von allen getragen und sind gegen Staub.

R: Welche Farbe hatte der Schal?

BF doÜ: Schwarze Farbe.

R: Was haben diese kriminellen Menschen gesagt, als sie Sie gestoppt haben?

BF: Einer ist vorne gestanden, ich musste stoppen und er kam direkt zu mir und sagte: "Alles raus. Handy, Geld, alles was Sie dabei haben rausnehmen". Er war mit einer Pistole bewaffnet, wir konnten dagegen nichts machen.

R: Hatten Sie als Busfahrer keine Waffe mit?

BF: nein. Keine Waffe. Auf Befragen: auch kein Messer.

R: Hatten Sie heute eine Waffe oder ein Messer mit?

BF doÜ: Heute? Nein! Auch sonst nicht. Ich kenne auch keinen in Österreich, der Messer trägt. Ich habe denen alle Sachen gegeben:

mein Geld und mein Handy. Ich hatte nur diese mit. Es war ca. 14.000 Afghani.

R: Warum wissen Sie warum es 14.000 waren?

BF doÜ: Diese Leute arbeiten immer so: machen Stopp und schauen in die Taschen.

Frage wird wiederholt und übersetzt.

BF: Ich habe Studenten transportiert und sie haben monatlich bezahlt und an dem Tag haben sie das Geld bezahlt und es waren 12 Leute von denen ich 12.000 hatte und den Rest hatte ich an dem Tag eingenommen.

R: Haben diese Männer auch von Ihrem Bruder Geld weggenommen?

BF: Nein.

R: Warum mussten Sie genäht werden?

BF: Weil ich mit der Pistole geschlagen wurde.

R: Beschreiben Sie mir wie das war: als er Sie mit der Pistole schlug wie war das als er dann weg war mit der Wunde?

BF: Er hat mich geschlagen, ich habe es am Hemd gesehen, es war Blut da [BF streift sich mit der rechten Hand über die linke Oberkörperseite, ausgehend vom Hals bis Mitte des Thorax]

R: Sind Sie bewusstlos geworden?

BF doÜ: Nein, aber ein bisschen Kopfschmerzen.

R: Wieviele Männer waren es?

R: Ich habe zwei Personen selber gesehen, aber vielleicht waren noch zwei Personen in der Nähe, damit sich die von mir gesehenen Personen sicher fühlen.

R: Wurde Ihr Bruder auch geschlagen?

BF: Nein. Er ist laut geworden und ein Krimineller zog die Waffe und dann ist mein Bruder ruhig geblieben.

R: Welche Waffen trugen die beiden Männer, die Sie gesehen haben, bei sich?

BF: Einer hatte ein Messer, der zweite eine Pistole.

R: Sonst noch Waffen?

BF doÜ: Nein, nix.

R: Von wo nach wo sind Sie gefahren, als das passiert war, als die Männer Sie aufhielten?

BF: Wir waren von Makrojan nach Kotesangi unterwegs. Wir haben in Kotesangi gelebt.

R: Warum schlug Sie dieser Mann? Sie haben ihm doch eh das Geld gegeben?

BF: Am Anfang hatte ich Widerstand geleistet, ich wollte ihm nicht das Geld hergeben.

R: Warum haben Sie es dann doch getan?

BF: Er hat eine Pistole rausgenommen. Hätte ich ihm nichts gegeben, hätte er mich umgebracht.

Als ich ihm gesagt habe, dass ich ihm mein Geld und Handy nicht geben möchte, hat er mich mit der Pistole im Kopfbereich geschlagen.

R: Denken Sie jetzt zurück, als Sie mit Ihrem Bruder im Bus unterwegs waren. Wie genau war die Anhaltung?

BF: Die Passagiere haben den Bus verlassen, wir waren dann unterwegs nach Hause. Ich und mein Bruder. Und sie haben uns plötzlich gestoppt. Normalerweise oder fast immer, wenn wir mit dem Bus unterwegs waren, haben wir Musik gehört.

R: Und weiter?

BF: Und dann ist dieser Vorfall passiert.

R: Möchten Sie mir noch etwas genauer schildern wie dieser Vorfall passiert ist?

BF: Was soll ich noch sagen?

R: Denken Sie noch oft an diesen Vorfall zurück?

BF: Ja, fast immer. Manchmal, wenn ich dran denken soll, bekomme ich Kopfschmerzen.

R: Haben Sie jetzt Kopfschmerzen, wenn Sie daran denken?

BF: Nein, nein, jetzt nicht. Manchmal, wenn ich dran denke.

R: Reden Sie mit Ihrem Bruder noch manchmal über diesen Vorfall? BF:

Nein.

R: War dieser Vorfall der Grund, warum Sie Afghanistan verlassen haben?

BF: Ja.

R: Und warum war das der Grund?

BF: Ich glaube, dass die Leute für die Freilassung viel Geld gezahlt haben.

Wir haben Angst gehabt, dass sie uns finden und bestrafen können.

Es ist eine kriminelle Bande, sie haben es mehrmals getan.

R: Woher wissen Sie, dass die das mehrmals getan haben?

BF: Vor ein paar Tagen wurde ein Nachbar von denselben Männern mit einem Messer gestochen.

R: Wer sagt Ihnen, dass es dieselben Männer waren?

BF: uns wurde erzählt, dass die Leute auch in gleicher Art und Weise angegriffen wurden.

R: Aber Sie haben jetzt keine Beweise, dass es wirklich die gleichen Leute waren?

BF: Nein, wir haben es nur gehört. Dort funktioniert es, dass jede Ortschaft unter Kontrolle einer bestimmten Gruppe ist. Auf Befragen gebe ich an, die Gruppe die meinen Ort kontrollierte, hatte keinen bestimmten Namen.

R: Wie ist der Name des Anführers?

BF: Er ist bekannt unter "Cousin von XXXX ".

[Anm: XXXX ist phonetisch wahrgenommen; im Nachfolgenden auch als " XXXX " bezeichnet]

R: Wer ist XXXX ?

BF: Er ist ein mächtiger großer Mensch in Afghanistan, ich weiß nicht ob er ein Parlamentarier ist oder nicht.

R: Haben Sie diesen Mann, der sie gestoppt und bedroht hat, vorher jemals gesehen?

BF: Nicht gesehen, aber von ihm gehört.

R: Was haben Sie von ihm gehört?

BF: Dass sie Kriminelle sind, den Menschen Geld abnehmen, dass sie Diebe sind. Befragt ob ich gehört habe, ob die schon jemanden umgebracht haben: Das habe ich nicht gehört.

R: Haben Sie das schon vorher gehört oder erst nachdem der Vorfall passiert ist?

BF: Nachher. Ich habe das telefonisch von meinem Bruder XXXX gehört. XXXX lebte damals auch in Kabul, heute lebt er im Iran.

Befragt nach dem Erwägen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gebe ich an: Wir haben schon ein Problem mit diesen Männern gehabt und sie können uns überall verfolgen.

R: Warum sind Sie dann nicht auch in den Iran gegangen?

BF: Ich bin in den Iran gegangen, aber die mögen Afghanen dort nicht.

R: Beschreiben Sie mir bitte was dann war, nachdem Sie das Geld diesem Mann gegeben haben?

BF: Wir sind nach Hause gefahren und ich wurde zu einem Arzt gebracht.

Nach der Behandlung bin ich nach Hause gegangen und am nächsten Tag zur Polizei.

R: Sind Sie also mit dem Bus nachhause gefahren und dann erst zu einem Arzt?

BF: Den Bus habe ich am Ort des Vorfalls zurückgelassen und bin zu

Fuß nach Hause gegangen. Befragt warum ich den Bus nicht mitnahm:

Ich habe geblutet und mich sehr schlecht gefühlt.

Mein Bruder konnte damals nicht Busfahren.

R: Haben Sie den Bus später wieder bekommen?

BF: Ja.

R: Hatten Sie keine Angst, dass die den Bus auch stehlen?

BF: Den Schlüssel habe ich mitgenommen.

R: Wissen Sie noch das Datum des Vorfalls?

BF: Ende 9. Monat 2015.

R: Wann sind Sie ausgereist aus Afghanistan?

BF: Im Oktober 2015, 10. Monat. Ob 1. oder 2. Oktober, das weiß ich nicht.

R: Was hat die Polizei gesagt als Sie dort hingekommen sind um die Anzeige zu erstatten?

BF: Ich habe zuerst erzählt was alles passiert ist. Die Polizei hat gesagt, dass ich mitmachen soll und helfen soll, dass die Polizei sie erwischen kann. Sie waren den Polizisten schon bekannt.

Befragt nach dem Namen der Männer: ich weiß die Namen nicht. Aber wie gesagt, die sind unter "Gruppe vom Cousin von XXXX " bekannt.

R: Wie erklären Sie sich das, dass die Polizei zunächst Ihre Mitwirkung einforderte und dann die Männer doch wieder frei ließ?

BF: Die Polizei dachte, dass wir Angst bekommen und eine Kooperation ablehnen werden.

R: Woher wissen Sie, dass diese Männer die Polizei bestochen haben?

BF: Deswegen, weil wenn die Polizei jemand erwischt, bleibt er wegen einer Kleinigkeit drei, vier Monate in Haft. In dem Fall habe ich der Polizei eine Arztbestätigung vorgelegt, es ist also ein großer Vorfall passiert. Trotzdem waren die auf freiem Fuß. Deswegen glaube ich, dass die an die Polizei viel bezahlt haben.

R: Haben Sie nun alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht oder gibt es noch etwas von dem Sie sagen: Das war auch ein Grund, warum ich Afghanistan verlassen musste? BF: Das wars.

RV an den BF:

RV: Woher wissen Sie, dass die Leute freigelassen wurden? BF: Ich habe die Leute noch einmal gesehen.

RV: Und wo?

BF: In der Nähe der Uni in Kabul.

RV: Glauben Sie, dass die Leute in der Lage sind andere Personen umzubringen, wenn man der Forderung nicht nachkommt?

BF: Ja, natürlich. Sie haben Waffen: Pistole, Messer und wird auch von einer großen Persönlichkeit unterstützt.

RV: Wissen diese Leute, dass Sie sie bei der Polizei angezeigt haben?

BF: Ja. Ich gehe davon aus, dass sie das von der Polizei wissen und deshalb die Polizei von denen Geld verlangt hat.

RV: Haben diese Leute je nach Ihnen oder Ihrem Bruder gesucht? BF:

Ja.

RV: Woher wissen Sie das?

BF: Mein Bruder XXXX sagte das.

RV: Woher weiß Ihr Bruder das?

BF: In der Nähe unseres Hauses gibt es Geschäfte. Mein Bruder XXXX ist mit den Verkäufern befreundet und wusste es von denen.

RV: Glauben Sie, dass der Cousin von XXXX es erfahren würde, wenn Sie zurück nach Afghanistan müssten?

BF: Ja, sie haben eigene Männer dort. Sie werden es schnell herausfinden, dass wir dort sind.

RV: Würde Ihnen die Polizei helfen?

BF: Nein. Wenn die Polizei kein Schmiergeld bekommt, macht die Polizei nicht das was sie machen soll. Die Polizei dort hilft niemanden, nur, wenn man Schmiergeld bezahlt.

R: Warum sind Sie dann trotzdem zur Polizei gegangen, wenn die eh niemandem hilft? BF: Die Polizei hat gesehen, dass ich eine Arztbestätigung vorgelegt habe.

Frage wird wiederholt.

BF: Es gibt viele Leute dort, die keine Hilfe der Polizei bekommen haben. Die Polizei hilft nur denen, die an die Polizei Geld gezahlt haben.

Wenn man zB einen Führerschein haben will, muss man 10.000 Schmiergeld zahlen. Sonst bekommt man ihn nicht.

RV: Wurde Ihre Familie nachdem Sie ausgereist sind, ebenfalls bedroht?

BF: Ja. Direkt nicht, aber die Familie hat mitbekommen, dass diese Band uns sucht. Mit "uns" meine ich mich und meinen Bruder XXXX . Das ist beides sein Vorname.

RV: Gibt es noch andere Probleme, die Sie hätten, wenn Sie nach Kabul zurückkehren müssten?

BF doÜ: Die Sicherheitslage hat sich drastisch verschlechtert. Fast täglich Selbstmordattentate. Das ist das größte Problem.

R: Meinen Sie damit das ist Ihr "größtes Problem"?

BF: Mein Problem ist das oben Geschilderte. Ich meine die Sicherheitslage ist zusätzlich ein Problem.

RV: Wissen Sie oder haben Sie gehört, wie es Menschen geht, die keine Familie haben in Afghanistan und zurück müssen?

BF: Das kann man nicht mehr "ein Leben" nennen.

R. Wem in Afghanistan würden Sie erzählen, dass Sie wieder da sind, wenn Sie zurück nach

Afghanistan müssten? Wem würden Sie sagen "Hallo ich bin wieder da! Das ist meine Adresse"

BF: Ich gehe nicht zurück.

R: Das war nicht die Frage. Beantworten Sie die Frage.

BF: Ich gehe nicht zurück, wenn ich zurückkehren muss komme ich ums Leben. Ich habe hier Freunde gefunden.

R: Es geht um das AsylG. Das gibt genau vor, was ist ein Asylgrund, was nicht. Deshalb sprechen Sie hier. Es steht eine Rückkehrentscheidung im Raum.

R. Wem in Afghanistan würden Sie also erzählen, dass Sie wieder da sind, wenn Sie zurück nach Afghanistan müssten?

BF: Ich habe niemanden dort. Wen soll ich davon informieren?

R: Also würden Sie niemandem dort sagen, dass sie wieder in Afghanistan sind?

BF: Ich habe dort keine Familie oder Freunde, die mich unterstützen könnten oder die ich informieren sollte.

R: Kennen Sie Menschen aus Afghanistan, die in Österreich waren und zurückgekehrt sind nach Afghanistan?

BF: Ich habe solche bei Youtube gesehen, aber persönlich nicht.

R: Was machen die auf Youtube?

BF: Ich habe gesehen, dass jemand zurück gegangen ist nach Afghanistan und sich das Leben nahm.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Nein.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Nein.

R: Waren Sie in Afghanistan einmal Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig? BF: Nein

R: Waren Sie in Afghanistan jemals in Haft?

BF: Nein.

R: Sind Sie in Afghanistan vorbestraft oder werden Sie mit einer staatlichen Fahndungsmaßnahme wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief gesucht?

BF: Nein. Wenn ich nicht will, dass mir jemand schadet, warum soll ich jemandem schaden?

R: Hatten Sie in Afghanistan jemals Probleme mit Behörden, der Polizei oder einem Gericht? BF: Nein. Mit der Polizei nur insofern, dass sie mir bei dem oben geschilderten Vorfall nicht geholfen haben.

R: Nahmen Sie in Afghanistan an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

BF: Nein.

R: Wurden Sie in Afghanistan jemals von irgendjemandem bedroht oder verfolgt (Blutfehde, Racheakte oder dergleichen)?

BF: Nein. Die Bewohner von Kabul sind die besten Bewohner von ganz Afghanistan.

Waren Sie schon einmal in Herat oder Mazar-e Sharif?

BF doÜ: In Mazar-e Sharif schon. In Herat nicht. Wir haben in Mazar-e Sharif jedes Jahr ein Fest (Pilgerfest). Ich war manchmal dort, es braucht nämlich viel Zeit. Ich kenne in Mazar-e Sharif einen Verwandten, weitschichtig verwandt. Er heißt XXXX . Er lebt noch, aber vielleicht ist er ganz alt geworden, ich weiß nicht genau, vielleicht 70 der 78.

Ich will nicht dorthin gehen. Mit "dorthin" meine ich Mazar-e Sharif.

R: Das war nicht die Frage.

BF: Er mag mich nicht.

R: Wen meinen Sie damit?

BF: XXXX .

R: Warum mag er Sie nicht?

BF [macht eine abschätzende Mundbewegung]: Wenn er nicht mein Freund ist und wir uns nicht treffen, warum soll er mich mögen?

R: Haben Sie mit ihm in Afghanistan zu tun gehabt?

BF: Ich war damals klein, ich erinnere mich nicht.

R: Was ist er zu Ihnen?

BF: Er ist ein älterer Mensch. Deshalb sagen wir zu ihm "Onkel".

R: Was ist er wirklich zu Ihnen?

BF: Keine Verwandtschaft, ich weiß es nicht. Wir sagen zu ihm Onkel. Vielleicht von der mütterlichen Seite, vielleicht von der väterlichen Seite.

R: Als Sie auf Pilgerreise waren, haben Sie den XXXX besucht? BF:

Nein.

R: Wo haben Sie dann gewohnt?

BF: Man kann in einem Hotel bleiben für eine Nacht oder zwei Nächte. Es war ein Hotel, den Namen weiß ich nicht. Ein großes Gebäude.

R: Warum ist Ihnen XXXX erinnerlich?

BF: Sie haben gefragt.

R: Ich habe Sie heute zu Beginn gefragt: "In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre, Onkel, Tanten und wie heißen die?" Warum haben Sie XXXX da nicht erwähnt? BF: Sie haben über Verwandtschaft und Familie gefragt, aber der ist kein Verwandter. Der ist weitschichtig.

R: Sie haben 12 Jahre Gymnasium besucht. Sie können unmöglich den Verwandtschaftsgrad nicht wissen.

BF doÜ: Wenn eine Sache jemandem nicht wichtig, wie kann er das dann wissen.

Ist in Afghanistan irgendeinmal irgendein Mensch zu Ihnen gekommen und hat sie bedroht oder verfolgt?

BF: Nein.

R: Was befürchten Sie für Ihr Leben, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten? BF: Ich habe Angst vor den Männern, die uns angegriffen haben. Sie werden mich 100%ig finden.

R: Haben Sie heute alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht? BF: Ja.

R: Haben Sie den D heute immer gut verstanden?

BF doÜ: Ja ich habe alles verstanden.

D lobt die Deutschkenntnisse des BF.

BF: Man muss immer Kontakt haben. Man muss sprechen."

8. Vorgelegt wurden folgende Unterlagen:

* Unterstützungserklärung der Familie XXXX

* Unterstützungserklärung des XXXX

* Arbeitsbestätigung über ehrenamtliche Mitarbeit der XXXX

* Empfehlungsschreiben der XXXX

* Unterstützungserklärung des Fußballklubs ASV XXXX

* Unterstützungserklärung des XXXX

* Fotos über freiwillige Arbeit des BF am Friedhof

* Fotos über einen Wanderausflug auf den Schneeberg/Rax

* Email des Boutiquehotel XXXX vom 24.7.2018

9. Mit Email vom 13.7.2018 wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

* ÖSD-Zertifikate A1 bis B2

* Deutschkursbestätigungen

* Bestätigungen über Pflichtschulabschlusskurs

* Sozialberichte der Caritas

* Empfehlungsschreiben

* Fotographien

* Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten

* Bewilligung über Übungsfahrten für den Führerschein B

10. Die Rechtsvertretung gab in der Verhandlung des Bruders am 30.8.2018 eine schriftliche Stellungnahme vom 27.8.2018 ab, worin zur Blutrache ausgeführt wird, zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage, ein Fehlen sozialer / familiärer Anknüpfungspunkte vorgebracht wird, auf das Gutachten Stahlmann vom 28.3.2018 eingegangen wird und ein Kalenderblatt mit Anschlägen in Kabul mitgesendet wird. Darin wird handschriftlich nach der Einvernahme des XXXX von der Rechtsvertreterin anstelle "Regierungstätigkeit des Neffen von XXXX " "Regierungstätigkeit von Abdul Raol XXXX , dessen Neffe Anführer der Gruppe ist" ersetzt und durch handschriftliche Ergänzung im Schriftsatz behauptet, der BF wäre Blutrache ausgesetzt bzw gehöre der "Sozialen Gruppe der Personen, welche durch die Gruppierung des Neffen von XXXX verfolgt werden", an. Handschriftlich wurde auch im Satz auf Seite 5 des Schriftsatzes "... dass auch bereits ein Nachbar der Beschwerdeführer durch die Gruppierung getötet wurde" ersetzt, sodass der Satz nun lautet: "... dass auch bereits der Sohn eines Nachbarn der Beschwerdeführer durch die Gruppierung getötet wurde".

11. Mit Email vom 12.9.2018 langten Unterlagen des BF ein, nämlich:

* Email der Firma Fuß&Schuh XXXX betreffend Schnuppertag

12. Mit Email vom 22.11.2018 langten Unterlagen des BF ein, nämlich:

* Zeugnis über die Abschlusssprüfung aus Berufsorientierung vom 19.9.2018

* Fotos über die Ausbildung und Alltagsgestaltung

13. Mit Email vom 17.1.2019 langten weitere Unterlagen des BF ein, nämlich:

* Bestätigung der VHS über Pflichtschulabschluss

14. Mit Email vom 7.6.2019 langten weitere Unterlagen des BF ein, nämlich:

* Fotos der Zeugnisüberreichung des Pflichtschulabschlusses

* Zeugnis des Pflichtschulabschlusses

* Vereinbarung mit der Gemeinde XXXX über freiwillige Arbeit

15. Mit Email vom 7.6.2019 langten weitere Unterlagen des BF ein, nämlich:

* Empfehlungsschreiben der XXXX

* ZMR-Auszüge

* Sozialversicherungsauszug

* Zeitungsartikel über den Pflichtschulabschluss

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente, aufgrund der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakte der belangten Behörde, der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

1.1. Feststellungen zum BF und zu den Fluchtgründen:

1.1.1. Der BF ist afghanischer Staatangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung. Der BF stammt aus Kabul in Afghanistan. Er ist am XXXX geboren.

1.1.2. Der BF ist verheiratet und Vater eines Kindes. Diese sind bei den Eltern des BF aufhaltig. Die Eltern und zwei Schwestern des BF leben im Iran. Der BF verfügt über einen Bruder und eine Cousine in Österreich.

1.1.3. Seine Muttersprache ist Dari und er hat in Afghanistan Schulbildung im Umfang unbekannten Ausmaßes erreicht. In Afghanistan konnte der BF Berufserfahrung als Taxifahrer erlangen. Der BF ist in Österreich ehrenamtlich tätig und besucht kann auf einen in Österreich erlangten Pflichtschulabschluss verweisen.

1.1.4. Er reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im November 2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.5. Der BF leidet an keinen Krankheiten.

1.1.6. Der BF spricht deutsch.

1.1.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.

1.1.8. Dass dem BF eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat Afghanistan gedroht hat bzw nach seiner Rückkehr droht, kann nicht festgestellt werden.

1.1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret dem BF als Angehöriger seiner Volksgruppe sowie als sunnitischer Moslem bzw dass jeder Angehörige der Volksgruppe des BF sowie der Glaubensrichtung des BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

1.1.10. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret der BF aufgrund der Tatsache, dass sich zuletzt in Europa aufgehalten hat, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

1.1.11. Dem BF droht im Falle der Rückkehr nicht eine Verfolgung aufgrund der Rückkehr aus dem westlichen Ausland.

1.2. Feststellungen zur Rückkehrmöglichkeit des BF:

1.2.1. Der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit vom Konflikt sowie dessen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Herkunftsprovinz des BF ist Kabul. In Anbetracht der UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 ist die Hauptstadt Kabul als Ort für die Wiederansiedelung außer Acht zu lassen. Aus den letzten KI (Kurzinformationen) zur Aktualisierung des Länderberichts vom 4.6.2019 und 26.3.2019 kommt hervor: Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019).

Im Falle der Rückkehr dorthin droht dem BF ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

1.2.2. Der BF kann sich in Afghanistan in Balkh in Mazar-e Sharif ansiedeln.

Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri, sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Laut Länderbericht wurden im Dezember 2017 verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz bloß 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen und ist daher eine gefahrlose Rückkehr von Österreich über den Luftweg möglich.

1.2.3. Der BF kann sich bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat ansiedeln.

Laut Länderbericht ist Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Herat verfügt über einen internationalen Flughafen, sodass der BF Herat von Österreich aus gefahrlos über den Fluchtweg erreichen kann.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsort Kabul oder in die Fluchtalternativen Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine für ihn als Zivilperson ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Fall einer Rückkehr kann damit nicht festgestellt werden.

1.3. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

(basierend auf dem Länderbericht der Staatendokumentation sowie auf den

untenstehend angeführten weiteren Quellen):

Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 29.06.2018 Fassung der Aktualisierung idF 4.6.2019:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wurde mit 4.6.2019 in das LIB Afghanistan übernommen (Relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage).

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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