TE Bvwg Beschluss 2019/7/23 G306 2211741-1

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Veröffentlicht am 23.07.2019
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Entscheidungsdatum

23.07.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

G306 2211741-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA.: Bulgarien, vertreten durch RA XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 12.11.2018, Zl. XXXX, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze

a u f g e h o b e n und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

z u r ü c k v e r w i e s e n .

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) ist seit dem 02.02.2010 durchgehend in Österreich aufhält und bei seiner Mutter sowie Stiefvater, behördlich gemeldet. Der BF besitzt eine unbefristete Anmeldebescheinigung seit dem 15.02.2010.

Der BF wurde mit Beschluss des Landesgericht XXXX vom XXXX.2018, ZahlXXXX in Untersuchungshaft genommen.

Am 26.03.2018 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Stande der Untersuchungshaft betreffend beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes niederschriftlich befragt.

Mit Erkenntnis des Landesgericht XXXX vom XXXX2018, rk, Zahl XXXX, wurde der BF gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Der BF beging eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Wäre ihm die Tat zuzurechnen gewesen, so hätte er das Verbrechen der versuchten Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs. 1 StGB begangen.

Mit Schreiben des 05.06.2018 wurde das BFA von der rechtskräftigen Verurteilung des BF in Kenntnis gesetzt.

Mit dem oben genannten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher der BF, begründet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, die Dauer herabzusetzen; eine mündliche Verhandlung anzuberaumen sowie ein psychiatrisches Gutachten erstellen zu lassen; die Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 27.12.2018 einlangten.

Die ausgewiesene Rechtsvertretung brachte mit Eingaben vom 15.03.2019, 17.05.2019 sowie 06.06.2019 diverse Anträge ein bzw. brachte sie Urkunden in Vorlage.

Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung:

Der BF ist als Staatsangehöriger von Bulgarien EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009) zulässig.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal ganz gravierende Ermittlungslücken vorliegen.

Vorweg ist zu beanstanden, dass die belangte Behörde den BF drei Tage, nach dem er in Untersuchungshaft genommen wurde, niederschriftlich einvernommen hat. Die Befragungen zur familiären, sozialen und privaten Bindungen des BF zum Bundesgebiet und seiner in Österreich lebenden Mutter und Stiefvater, blieben äußerst oberflächlich. Zumal die belangte Behörde wusste, dass sich der BF zu diesem Zeitpunkt zumindest seit über 8 Jahre durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhielt. Es wurden keine Befragungen hinsichtlich des Privat- und Familienlebens gestellt, aus denen auch Schlüsse gezogen werden könnten. Darüber hinaus ist zu beanstanden, dass der BF zwar gleich drei Tage nach der Erlassung der Untersuchungshaft vom BFA kurz befragt wurde, im Anschluss jedoch keinerlei Parteiengehör - nach Verurteilung - mehr gewährt wurde.

Die belangte Behörde erachtete es nicht als erforderlich, obwohl sie nunmehr von der strafrechtlichen Verurteilung und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher wusste, dem BF neuerlich eine Verständigung zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zukommen zu lassen. Die belangte Behörde hat ihrerseits auch keinerlei Ermittlungstätigkeiten betreffend den aktuellen Gesundheitszustand wahrgenommen. Die belangte Behörde begnügte sich einzig und allein auf die personsbezogenen Angaben der BF im strafrechtlichen Verfahren und des im Strafverfahren ergangene Gutachten, stellte selbst jedoch keine weiteren Ermittlungen an. Auf der Grundlage der bisherigen mangelhaften Ermittlungen des BFA ist daher noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren den BF zu seinen privaten, persönlichen sowie familiären Verhältnissen sowie zu seinem gegenwärtigen Gesundheitszustand zu befragen haben. Indem sich die belangte Behörde über den BF einen persönlichen Eindruck verschafft hat, wird es ihr auch möglich sein, eine nachvollziehbare Gefährderprognose erstellen zu können.

Des Weiteren hat sich die belangte Behörde nicht mit der Therapierbarkeit der psychiatrischen Erkrankung in Bulgarien auseinandergesetzt.

Ebenso wären Feststellungen zu treffen gewesen, aus denen die Betreuungssituation in Bulgarien hervorgeht. Dabei wäre zu berücksichtigen gewesen, ob der BF Sozialleistungen für seine psychischen Erkrankung in Anspruch nehmen könnte. Ob der BF eventuell bei Verwandten unterkommen und betreut werden könnte. Auch fehlt eine schlüssige Begründung für die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine Ermittlungen durchgeführt wurden und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass § 67 FPG grundsätzlich (nur) Fälle schwerer Kriminalität erfasst und dem BFA bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ein entsprechender Begründungsaufwand zukommt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher - dem in der Beschwerde eventualiter gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag entsprechend - gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G306.2211741.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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