TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/30 W226 2219266-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2019
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Entscheidungsdatum

30.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W226 2219266-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2019, Zl. 751845002-161177596/BMI-BFA_BGLD_RD, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbotes mit 10 Jahren befristet wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste mit seiner Frau und seiner Tochter in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 01.11.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Grenzpolizeiinspektion Apetlon schilderte der Beschwerdeführer, dass er in Tschetschenien an Kriegshandlungen teilgenommen habe, dort festgenommen, geschlagen und gefoltert worden sei. Seine Verwandten hätten ihn vom Gefängnis freigekauft. Er habe Angst um sein Leben gehabt, weshalb er geflüchtet sei.

In der weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 09.11.2005 schilderte der Beschwerdeführer, dass ihm 2004 zwei- bis dreimal von der russischen Miliz Fingerabdrücke abgenommen worden und er drei- oder viermal für ca. fünf Stunden von der Miliz und Militärbehörden angehalten worden sei. Er könne in seiner Heimat nicht auf der Straße gehen, weil er von der Regierung verfolgt werde. Bei seiner Anhaltung sei er jedes Mal geschlagen und mit Strom misshandelt worden. Er sei mit einem Gewehrkolben geschlagen und mit Füßen getreten worden, ihm sei ein Plastiksack über den Kopf gestülpt und er sei gewürgt worden, man habe ihm mit einem Hammer auf die Fingerkuppen geschlagen und ihn schließlich mit einem Messer am Ohrläppchen geschnitten. Am Kopf habe er zwei Narben vom Gewehrkolben. Die Misshandlungen mit Strom hätten sich so dargestellt, dass ein Kabel an seinem Zeigefinger und ein weiteres an seinem Geschlechtsorgan angebracht worden sei, wobei die Kabel mit einem Gerät verbunden gewesen wären. Anschließend habe jemand an einer Kurbel gedreht. Eine Misshandlung habe etwa 3 Minuten gedauert, anschließend seien Pausen von etwa 10 Minuten gemacht worden. Davor sei er jedes Mal mit Wasser übergossen worden. Verletzungen habe er davon keine.

Am 18.04.2006 erfolgte eine neuerliche niederschriftliche Einvernahme, bei welcher der Beschwerdeführer angab, dass man in seinem Herkunftsstaat nicht unter normalen Umständen leben könne, weil man für alles, was man mache, bei der Polizei angezeigt werde. Im ersten Tschetschenienkrieg XXXX habe er die Widerstandskämpfer mit Medikamenten und Lebensmitteln unterstützt. Deshalb sei er insgesamt dreimal von russischen und tschetschenischen Militärsoldaten festgenommen worden, einmal bei sich zu Hause und zweimal bei Kontrollposten. Kurz vor der ersten Festnahme seien vier Tschetschenen, die für die Russen gearbeitet hätten, umgebracht worden. Es sei ihm vorgeworfen worden, dass er deren Mörder kenne. Die Nachbarn hätten ihn angezeigt. Bei der ersten Anhaltung sei er geschlagen, mit Strom misshandelt und am linken Ohrläppchen mit einem Messer geritzt worden, bei der zweiten habe man ihn auf den Kopf geschlagen, bei der dritten sei nichts passiert. Am Kopf habe er Narben, die ihm mit einem Gewehrkolben zugefügt worden seien. Die Stromstöße habe er irgendwann nicht mehr ausgehalten und habe er sich davon befreien können. Danach habe er sich hinknien müssen und seien ihm die Hände am Rücken mit Lederriemen verbunden worden, wovon er sich ebenfalls befreit habe. Da man ihm nichts beweisen habe können, sei er freigelassen worden. Sein Bruder sei zu insgesamt XXXX Jahren Haft verurteilt worden, weil man ihn gezwungen habe, zuzugeben, an Kämpfen teilgenommen zu haben, was er aber nicht gemacht habe.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.04.2006, Zl. 05 18.450-BAE, wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.), seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer weder eine Verfolgung noch eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft machen habe können. Stichhaltige Gründe, wonach der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre, könnten nicht festgestellt werden. Ein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich liege nicht vor, weshalb ein Eingriff in Art. 8 EMRK nicht gegeben sei.

Infolge dagegen erhobener Berufung des Beschwerdeführers wurde am 25.07.2006 vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Dabei brachte der Beschwerdeführer vor, dass er XXXX die Rebellen an der südwestlichen Front unterstützt habe. Der Führer dieser Region, der auch mit ihm verwandt gewesen sei und in seiner Nähe gewohnt habe, sei XXXX umgekommen. Danach habe dessen Bruder die Rebellengruppe geführt. Die Russen hätten sich dann zurückgezogen und dieser sei dann auch vermutlich XXXX getötet worden. Er selbst habe nicht gekämpft. Die Tschetschenen, an deren Ermordung ihm Beteiligung vorgeworfen worden sei, hätten für den russischen Geheimdienst gearbeitet. Sein Bruder sei zwar bei den Rebellen gewesen, man habe ihm aber ohne Beweise Beteiligung an Terrorakten vorgeworfen. Zu den von ihm vorgelegten Ladungen gab der Beschwerdeführer an, dass er diese von der Miliz erhalten habe.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.01.2007, Zl. 301.533-C1/E1-XV/53/06 wurde der Berufung stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Begründend führte der Unabhängige Bundesasylsenat aus, dass der Beschwerdeführer im ersten Tschetschenienkrieg Rebellen unterstützt und weiterhin Kontakt zu Rebellengruppen gehalten habe. Sein Bruder sei wegen der Teilnahme an Kämpfen/Aktionen auf Seiten der Rebellen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Der Beschwerdeführer sei dreimal wegen unterstellter staatsfeindlicher Gesinnung festgenommen und dabei körperlich misshandelt worden und habe zuletzt Ladungen des Kriminalamtes erhalten. Es liege daher genau ein Fall vor, in welchem wegen individueller Verfolgung gezielte Menschenrechtsverletzungen (pro-) russischer Organe drohen könnten, weshalb dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren gewesen sei.

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge im Bundesgebiet zweimal straffällig und wie folgt rechtskräftig verurteilt:

1) BG XXXX , GZ XXXX vom XXXX , wegen § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je EUR 4,00, insgesamt sohin EUR 160,00 bzw. im Falle der Nichteinbringung zu 20 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe sowie

2) LG XXXX , GZ XXXX vom XXXX , wegen § 83 Abs. 1 StGB, §§ 15, 109 Abs. 1 und 3 Z 1 StGB, § 107 Abs. 1 StGB, § 107b Abs. 1 und 3 Z 1 4. Fall, Abs. 4 StGB, § 107b Abs. 1 und 3 Z 2, Abs. 4 2. und 4. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, wobei der Beschwerdeführer unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren am

XXXX nach Verbüßung von vier Jahren und acht Monaten vorzeitig aus der Haft entlassen wurde.

Mit Aktenvermerk vom 26.08.2016 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen der zuletzt erfolgten Verurteilung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 11.04.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und brachte vor, dass es in der Russischen Föderation nach wie vor Probleme gebe, er aber nicht darüber sprechen wolle und "alles im Computer" stehe. Sein Bruder, der wegen Unterstützung von Rebellen im Krieg zu XXXX Jahren Haft verurteilt worden sei, sitze seine Strafe noch zwei Jahre ab. Ein weiterer Bruder lebe in XXXX , seine Schwestern seien verheiratet und würden in anderen Teilen Tschetscheniens leben. Seine Geschwister seien alle XXXX . Seit drei Monaten habe er keinen Kontakt zu ihnen, davor jedoch alle zwei Wochen.

Weiters gab er an, dass er bei einem Freund gewohnt habe, den er mit Geld unterstützt habe, er sei dort aber nicht behördlich gemeldet gewesen. Von 2004 bis 2013 habe er mit seiner Exfrau und den gemeinsamen Kindern zusammengelebt. Wo seine Exfrau und die Kinder aktuell leben, wisse er nicht und wolle er dies auch nicht wissen. Vor drei Jahren habe er im Gefängnis seine derzeitige Ehefrau kennengelernt, die er aber nur nach islamischem Recht geheiratet habe. Während der Haft hätten ihn in den letzten fünf Jahren zwei- oder dreimal Freunde besucht, daneben zweimal innerhalb von drei Monaten seine aktuelle Ehefrau und eine ehemalige Nachbarin seiner Schwester, welche ebenfalls in Österreich lebe. Übers Jugendamt habe er versucht, Kontakt zu seinen Kindern aufzunehmen, doch habe er darauf keine Antwort bekommen. Alle zwei bis drei Monate habe er mit seinen Verwandten telefoniert und ein- oder zweimal einen Brief geschrieben. Seine derzeitige Ehefrau sei Asylwerberin aus der Russischen Föderation und lebe im XXXX bei ihrem Bruder. Er habe in Österreich fünf Jahre gearbeitet, vor seiner Inhaftierung aber von Sozialhilfe gelebt. Seine Verurteilung sei falsch gewesen, er habe nichts gemacht. Nach tschetschenischen Gesetzen habe er keine Straftat begangen.

Zu seiner Rückkehr befragt führte der Beschwerdeführer aus, er werde in diesem Fall umgebracht. Ihm werde nämlich vorgeworfen, Rebellen unterstützt zu haben. Seine Verwandten könnten im Herkunftsstaat leben, weil sie unschuldig seien. Für ihn habe sich in Tschetschenien nichts verändert, weil einmal im Monat "FSB-Leute" bei seinem Bruder nach ihm fragen würden. Ihm würden 20 Jahre Haft drohen. Nach seiner Haft wolle er arbeiten und eine Familie gründen.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.01.2007, Zl. 301.533-C1/E1-XV/53/06 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, dass vor dem Hintergrund der Verurteilungen des Beschwerdeführers der Aberkennungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorliege.

Es könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation Verfolgung drohen würde, er habe Kontakt zu seinen dort lebenden Verwandten, sei gesund und nicht in medizinischer Behandlung.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwies beweiswürdigend auf die Verurteilung des Beschwerdeführers vom XXXX , wonach der Beschwerdeführer wegen fortgesetzter Gewaltausübung an seiner damaligen Ehefrau und der gemeinsamen Tochter verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer habe seine damalige Ehefrau mit Schlägen ins Gesicht und Tritten gegen die Beine misshandelt, sie regelmäßig gefährlich bedroht um sie zur Unterlassung der endgültigen Beendigung der Lebensgemeinschaft zu nötigen und sie trotz ihrer Gegenwehr zur Duldung des Beischlafs genötigt. Seine zum damaligen Zeitpunkt unmündige Tochter habe er ebenfalls mit Schlägen ins Gesicht und gegen den Kopf sowie Tritten gegen die Beine misshandelt. Weiters sei der Beschwerdeführer in die Wohnung seiner Exfrau gewaltsam eingedrungen, wodurch diese Hämatome und Prellungen erlitten habe. Bei den geschilderten Tathandlungen handle es sich jedenfalls um solche, die mit einer Geiselnahme oder Entführung gleichzusetzen seien, weshalb von einem besonders schweren Verbrechen auszugehen sei. Vom Beschwerdeführer gehe weiterhin eine massive Gefahr aus, weil er sich völlig uneinsichtig zeige und behaupte, seine Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt.

Betreffend Rückkehrgefährdung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass sich die Sicherheitslage im Vergleich zum Jahr 2005 deutlich besser darstelle. Großflächige Kampfhandlungen würden nicht mehr stattfinden und sei davon auszugehen, dass die dem Beschwerdeführer unterstellten Straftaten aufgrund zahlreicher zwischenzeitlicher Amnestien nicht mehr zum Tragen kommen würden, zumal auch der Bruder des Beschwerdeführers dauerhaft in Tschetschenien leben könne. Außerdem stünde es dem Beschwerdeführer offen, sich in anderen Landesteilen außerhalb Tschetscheniens anzusiedeln. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl konnte daher keine Gründe erkennen, welche die Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.

Die Rückkehrentscheidung wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einerseits mit der strafrechtlichen Verurteilung wegen fortgesetzter Gewaltausübung und andererseits damit begründet, dass - abgesehen von seinen Deutschkenntnissen - keine nachhaltige berufliche und soziale Integration hervorgekommen sei. Hinsichtlich des Einreiseverbots verwies die belangte Behörde erneut auf die strafrechtliche Verurteilung und führte aus, die Dauer des Einreiseverbots entspreche jenem Zeitraum, innerhalb welchem ein allfälliger positiver Gesinnungswandel des Beschwerdeführers hinsichtlich der österreichischen Rechtsordnung zu erwarten sei.

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben und ergänzend vorgebracht, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer mit seiner derzeitigen Ehefrau vor seiner Inhaftierung ein Jahr ein Familienleben geführt habe und auch jetzt mit ihr im gemeinsamen Haushalt zusammenlebe. Der Beschwerdeführer habe an einem psychologischen Behandlungsprogramm für Gewalttäter, einem Kurs für erfolgreiche Lagerwirtschaft und einem Staplerführerkurs teilgenommen sowie die diesbezügliche Prüfung erfolgreich abgelegt, weshalb von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen sei. Zudem sei die Ehefrau des Beschwerdeführers auch bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Bei der Festsetzung des Einreiseverbotes habe die Behörde ausschließlich auf die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers abgestellt, aber keine Prognosebeurteilung vorgenommen, weshalb qualifizierte Begründungsmängel vorliegen würden.

5. Mit Schreiben vom 05.06.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Meldung der Landespolizeidirektion XXXX , vom 04.06.2019 übermittelt, wonach der Beschwerdeführer aufgrund des Besitzes von Cannabiskraut angezeigt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers, des Gerichtsaktes seiner Lebensgefährtin, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum wesentlichen Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste mit seiner Frau und seiner Tochter nach Österreich, wo er am 01.11.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.01.2007, Zl. 301.533-C1/E1-XV/53/06 der Status des Asylberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 7 AsylG 1997 zuerkannt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2019, wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und ihm weder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt noch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen den Beschwerdeführer wurde zudem ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe sowie muslimischen Glaubens. Seine Identität steht fest und ist aus dem Spruchkopf der vorliegenden Entscheidung ersichtlich.

Der Beschwerdeführer verließ die Russische Föderation im Oktober 2005; bis dahin lebte er in XXXX , Tschetschenien. Er hielt sich nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und anschließend aufgrund seines Status als Asylberechtigter durchgängig rechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer beherrscht die Tschetschenische und die Russische Sprache sowie Deutsch.

Der Beschwerdeführer hat eine Ausbildung zum Maler abgeschlossen und während seines Aufenthaltes in Österreich insgesamt fünf Jahre gearbeitet, unmittelbar vor seiner Inhaftierung allerdings ein Jahr lang von Sozialhilfe gelebt und währenddessen im Zeitraum von 08.11.2017 bis 04.04.2018 an einem psychologischen Behandlungsprogramm für Gewalttäter in der Justizanstalt XXXX teilgenommen, von 18. bis 19.06.2018 den Kurs "erfolgreiche Lagerwirtschaft" sowie von 11. bis 15.06.2018 den Staplerführerkurs absolviert und die Staplerführerprüfung erfolgreich abgelegt.

Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und geschieden. In Österreich lebt die Exfrau des Beschwerdeführers mit den drei gemeinsamen Kindern, zu welchen seit seiner Verurteilung im Jahr 2014 weder Kontakt noch ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

Zudem lebt die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in Österreich, die er nach islamischem Recht geheiratet hat, wobei deren Folgeantrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zurückgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgewiesen (vgl. W226 2182207-2/3E). Eine Lebensgemeinschaft oder ein Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht.

Der Beschwerdeführer ist derzeit in einer Unterkunft für Obdachlose behördlich gemeldet.

1.2.2. Für den Beschwerdeführer scheinen im österreichischen Strafregister folgende Verurteilungen auf:

1) BG XXXX , GZ XXXX vom XXXX , wegen § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je EUR 4,00, insgesamt sohin EUR 160,00 bzw. im Falle der Nichteinbringung zu 20 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe sowie

2) LG XXXX , GZ XXXX vom XXXX , wegen § 83 Abs. 1 StGB, §§ 15, 109 Abs. 1 und 3 Z 1 StGB, § 107 Abs. 1 StGB, § 107b Abs. 1 und 3 Z 1 4. Fall, Abs. 4 StGB, § 107b Abs. 1 und 3 Z 2, Abs. 4 2. und 4. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, wobei der Beschwerdeführer unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren am

XXXX nach Verbüßung von vier Jahren und acht Monaten vorzeitig aus der Haft entlassen wurde.

Am 04.06.2019 wurde der Beschwerdeführer aufgrund des Besitzes von Cannabiskraut angezeigt.

Festgestellt wird, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

1.2.3. In XXXX , Tschetschenien, dem Herkunftsort des Beschwerdeführers lebt nach wie vor ein Bruder des Beschwerdeführers, seine Schwestern leben in anderen Teilen Tschetscheniens. Sie sind alle Unternehmer und der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu ihnen.

1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation:

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer in der gesamten Russischen Föderation keine asylrelevante Verfolgung droht.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Folter oder unmenschliche Behandlung. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung wegen seines Aussehens oder seiner ethnischen Volksgruppenzugehörigkeit. Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation auch keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung in Österreich und wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, etwa auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung 31.08.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 15.10.2018, werden folgende Feststellungen getroffen:

1.4.1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

1.4.1.1. Kurzinformation vom 15.10.2018 (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 1.4.13. Bewegungsfreiheit bzw. 1.4.13.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

1.4.1.2. Kurzinformation vom 15.10.2018 (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 1.4.4. Rechtsschutz/Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

1.4.2. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1.4.2.1. Politische Lage in Tschetschenien im Besonderen

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

1.4.3. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.3.1. Sicherheitslage im Nordkaukasus im Allgemeinen

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.3.2. Sicherheitslage in Tschetschenien im Besonderen

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.4. Rechtsschutz / Justizwesen im Allgemeinen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühes

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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