Entscheidungsdatum
01.08.2019Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W144 2204372-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , XXXX geb, StA. von Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes Für Fremdenwesen und Asyl, datiert 27.06.2017, Zl.: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (BF) ist ein minderjähriger Staatsangehöriger des Irak, der gemeinsam mit seinem volljährigen Bruder, XXXX geb., und ferner 2 Cousinen seines Vaters letztlich von der Türkei über Bulgarien ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist ist, wo jedenfalls beide Brüder Asylanträge gestellt haben. Der BF stellte - so wie sein älterer Bruder - am 02.05.2018 einen auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Bezüglich des Bruders des BF liegt eine EURODAC-Treffermeldung für Bulgarien vom 19.12.2017 wegen Asylantragstellung vor; offensichtlich wurde der BF aufgrund seiner Minderjährigkeit nicht daktyloskopiert, sodass bezüglich seiner Person keine EURODAC-Treffermeldung aufliegt.
Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:
Im Verlauf seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 02.05.2018 gab der BF neben seinen Angaben zum Reiseweg lediglich an, dass er in Bulgarien keinen Asylantrag habe stellen und er dort nicht habe bleiben wollen. In Bulgarien sei er zweieinhalb Monate lang in einem geschlossenen Lager an der rumänischen Grenze untergebracht gewesen. Er selbst sei nicht eingesperrt worden, da er zu jung gewesen sei, während hingegen sein Bruder und seine Tanten den ersten Monat in einem Gefängnis verbracht hätten. Den Ort, wo er untergebracht gewesen sei, könne er nicht angeben. In Bulgarien und Rumänien seien sie schlecht behandelt worden. Er wolle in keines der Länder zurückkehren. Er wolle in Österreich bleiben, er habe sein Land aufgrund der allgemeinen politischen Lage verlassen und könne sonst nichts Wesentliches angeben.
Das BFA richtete in der Folge bezüglich beider Antragsteller offensichtlich am 07.05.2018 auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestützte Wiederaufnahmeersuchen an Bulgarien. Bulgarien akzeptierte diese Wiederaufnahmeersuchen durch ausdrückliche Zustimmung mit Schreiben vom 11.05.2017. unter einem teilten die bulgarischen Behörden die Alias-Daten bezüglich des BF, unter denen er in Bulgarien bekannt ist, mit.
In der Folge wurde versucht, den BF sowie seinen Bruder zu einer Einvernahme vor das BFA zu laden, doch sind der BF und sein Bruder bereits ab dem 03.05.2018 untergetaucht und konnte ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden, sodass eine weitere Einvernahme des BF unterbleiben musste.
Mit Schreiben vom 24.05.2018 teilte das BFA den bulgarischen Behörden mit, dass der BF und sein Bruder untergetaucht ("absconded") seien, wodurch die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs.2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert wurde.
Das BFA wies sodann die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheiden jeweils vom 27.06.2018, offensichtlich irrtümlich mit der Jahreszahl 2017 datiert, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Bulgarien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Prüfung der Anträge zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung der BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Bulgarien zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde des BF.
Der Bruder des BF brachte gegen seine Entscheidung hingegen keine Beschwerde ein, sodass (da auch kein Familienverfahren gem. § 34 AsylG vorliegt) dessen Verfahren durch Zurückweisung seines Asylantrages gem. § 5 AsylG rechtskräftig negativ beendet ist.
Der BF brachte im Zuge seiner Beschwerde im Wesentlichen vor, dass der BF unmündiger Minderjähriger sei, was von der Behörde auch nicht angezweifelt worden sei. Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft geblieben, da dem BF kein Parteiengehör zu seiner geplanten Überstellung nach Bulgarien gewährt worden sei. Weder der Minderjährige BF, noch seine gesetzliche Vertretung seien darüber informiert worden. Wenn die Behörde davon ausgehe, dass der BF seine Mitwirkungspflicht verletzt habe, übersehe sie, dass der BF noch minderjährig sei, sodass diesbezüglich nicht bekannt sei, warum der Minderjährige überhaupt unbekannten Aufenthaltes sei. Der BF habe bereits angegeben, dass er nicht nach Bulgarien zurückkehren möchte, da er dort schlecht behandelt und in einem geschlossenen Lager untergebracht gewesen sei. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass keine sichere Unterbringung des BF gewährleistet und auch sonst seine Versorgung mangelhaft wäre. Im Sinne des Kindeswohls, sei es bedenklich, ohne jegliche Ermittlungen seinen Antrag zurückzuweisen.
Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 19.10.2016.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 30.08.2018, Zl. W144 2204372-1/3E, wurde die Beschwerde gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG mit der Maßgabe, dass die Zuständigkeit Bulgariens zur Prüfung des Antrags gem. Art 18 Abs. 1 lit b iVm. Art. 11 Dublin III-VO gegeben ist, als unbegründet abgewiesen.
Dagegen erhob der BF außerordentliche Revision beim VwGH, der das Erkenntnis des BVwG mit Erkenntnis vom 26.06.2019, Zl. Ra 2018/20/0495-12, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufhob. Begründend führte der VwGH im Wesentlichen aus, dass in casu die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 11 Dublin III-VO nicht vorgelegen seien. Art. 11 Dublin III-VO spreche einleitend von "Familienangehörigen und/oder unverheirateten minderjährigen Geschwistern". Mangels Obsorgeberechtigung des volljährigen Bruders für den Minderjährigen Revisionswerber seien sie weder Familienangehörige im Sinne der Legaldefinition des Art. 2 lit. geht Dublin III-VO noch - mangels Minderjährigkeit des Bruders - minderjährige Geschwister, sodass die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 11 Dublin III-VO nicht vorgelegen seien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.
Nicht festgestellt werden kann, dass der BF in Begleitung einer Person eingereist ist, die nach österreichischem Recht oder hiesigen Gepflogenheiten für den BF verantwortlich wäre.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus den Akten des Bundesamtes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde
Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG idgF lauten:
"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
[ ... ]
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
[ ... ]
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
[ ... ]
und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:
"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) lauten wie folgt:
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Art. 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Art. 8
Minderjährige
(1) Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhält, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Ist der Antragsteller ein verheirateter Minderjähriger, dessen Ehepartner sich nicht rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhält, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich der Vater, die Mutter, oder ein anderer Erwachsener - der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats für den Minderjährigen zuständig ist - oder sich eines seiner Geschwister aufhält.
(2) Ist der Antragsteller ein unbegleiteter Minderjähriger, der einen Verwandten hat, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, und wurde anhand einer Einzelfallprüfung festgestellt, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen kann, so führt dieser Mitgliedstaat den Minderjährigen und seine Verwandten zusammen und ist der zuständige Mitgliedstaat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.
(3) Halten sich Familienangehörige, Geschwister oder Verwandte im Sinne der Absätze 1 und 2 in mehr als einem Mitgliedstaat auf, wird der zuständige Mitgliedstaat danach bestimmt,
was dem Wohl des unbegleiteten Minderjährigen dient.
(4) Bei Abwesenheit eines Familienangehörigen eines seiner Geschwisters oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2, ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.
(5) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Ermittlung von Familienangehörigen, Geschwistern oder Verwandten eines unbegleiteten Minderjährigen; die Kriterien für die Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung; die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit eines Verwandten, für den unbegleiteten Minderjährigen zu sorgen, einschließlich der Fälle, in denen sich die Familienangehörigen, Geschwister oder Verwandten des unbegleiteten Minderjährigen in mehr als einem Mitgliedstaat aufhalten, delegierte Rechtsakte zu erlassen. Bei der Ausübung ihrer Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte geht die Kommission nicht über den in Artikel 6 Absatz 3 vorgesehenen Umfang des Wohls des Kindes hinaus.
(6) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese
Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Hieraus folgt rechtlich:
Der BF ist unbegleiteter Minderjähriger, er hat keine Familienmitglieder oder Geschwister, die sich im Sinne des Art. 8 Abs. 1 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, sodass für seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO Österreich zuständig ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient.
Dazu ist auszuführen, dass sich der minderjährige BF seit nunmehr über einem Jahr im Bundesgebiet befindet, weiters aus der Aktenlage und eingeholten IZF-Auskünften nicht erkannt werden kann, dass sein älterer Bruder etwa bereits nach Bulgarien überstellt worden und dort aufhältig wäre, sodass es insgesamt betrachtet zum Entscheidungszeitpunt nicht dem Wohle des Minderjährigen dient, wenn dieser nach einem bereits längeren Aufenthalt im Bundesgebiet und einer damit einhergehenden Gewöhnung an sein Umfeld nun wieder aus diesem Umfeld herausgerissen und in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden würde, wo überdies keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte festgestellt werden können. Bei einer Abwägung aller Umstände ergibt sich daher in casu, dass die Durchführung des Verfahrens im Bundesgebiet dem Wohle des Minderjährigen dient und daher Österreich für seinen Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Minderjährigkeit, ZulassungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W144.2204372.1.00Zuletzt aktualisiert am
22.10.2019