TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/5 W226 2143179-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.08.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

W226 2143179-4/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA.

Russische Föderation, vertreten durch: ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2019, Zl. 1051808505/180416350, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I.

Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines

Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, sowie §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9, 46, 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die beschwerdeführende Partei (im Folgenden: BF) ist ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stammt aus Tschetschenien und ist der muslimischen Religion zugehörig. Der BF reiste am 12.02.2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, zugleich gelangten auch sein Vater und seine Schwester als Asylwerber illegal in das Bundesgebiet.

In einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.02.2015 brachte der Vater zu seinem Fluchtgrund befragt vor, dass er Anfang 2014 von Leuten des Kadyrov verhaftet worden sei. Diese hätten von ihm verlangt, dass ein weiterer Sohn, der in Österreich lebt, nach Tschetschenien zurückkehre. Er sei damals von Verwandten freigekauft worden. Ihm sei jedoch angedroht worden, dass er inhaftiert werde, sollte der in Österreich lebende Sohn nicht nach Tschetschenien zurückkehren. Er sei außerdem ein alleinerziehender Vater von zwei minderjährigen Kindern. Seine Mutter, welche sich um die beiden Kinder gekümmert habe, sei letztes Jahr verstorben. Er selbst habe einen Schlaganfall gehabt und habe eine Herz- und eine Lebererkrankung, auch deshalb brauche er die Unterstützung des älteren Sohnes. Er möchte, dass der Sohn in Österreich die beiden Kinder miterziehe.

Im Zuge einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 17.03.2015 schilderte der Vater weiters, dass Hepatitis B und C festgestellt worden seien. Er habe einen Sohn, dieser lebe schon seit elf Jahren hier in Österreich. Seine Gesundheit sei nicht die beste, deshalb sei er mit seinen jüngeren Kindern hier in Österreich. Der Sohn, der in XXXX wohne, sei in der Heimat verfolgt worden und könne deshalb auch nicht zurück. Der in Österreich lebende Sohn habe ihn im Lager besucht und sie würden täglich miteinander telefonieren, der in Österreich lebende Sohn würde auch als Dolmetscher fungieren. Auf die Frage, ob der in Österreich lebende Sohn ihn auch finanziell unterstütze, gab der BF1 an, dass dies der Fall sei. Er selbst sei krank und arbeitslos, ohne die Hilfe des in Österreich lebenden Sohnes hätte er seine eigenen Kinder nicht versorgen können. Dieser in Österreich lebende Sohn sei verheiratet und habe vier Kinder. Zur Gesundheit führte der BF1 aus, dass er vergesslich geworden sei, er habe einen Hirnschlag gehabt und dürfe außerdem maximal drei Kilogramm heben. Er habe von zu Hause auch Medikamente mitgebracht, diese seien teilweise zu Ende gegangen, hier in Österreich bekomme er im Moment keine, denn er müsse erst wegen der Leber untersucht werden.

In einer weiteren Einvernahme beim Bundesamt am 09.07.2015 verwies der Vater darauf, dass seine Leber krank sei, die Leberkrankheit bestehe seit 1993 und seine Ohren seien seit seiner Kindheit "krank". Der in Österreich lebende älteste Sohn habe ihm von Österreich aus Geld nach Russland überwiesen, er habe wegen seiner schlechten Gesundheit dort nicht arbeiten können und habe keine Rente bekommen. Er habe in Russland von der Rente seiner Mutter gelebt, diese sei jedoch im April 2014 verstorben. Der BF2 bekomme eine Waisenrente und davon hätte die Familie gelebt. Er habe seinem älteren Sohn nicht zur Last fallen wollen. Hier in Österreich würde er das Geld des älteren Sohnes nicht mehr brauchen, dieser bringe ihm nur Lebensmittel und sonst würden sie nichts brauchen. Der BF1 brachte ein Dokument der Bezirksverwaltung XXXX vom XXXX in Vorlage, wonach der älteste Sohn mit der Obsorge des BF betraut worden sei, nachdem die Mutter des BF2 im Jahre 2001 verstorben sei.

1.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 30.11.2016, wurde im Verfahren des BF und seines Vaters jeweils unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist und in Spruchpunkt IV. gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Darin wurden die Identität, Volksgruppe und Religionszugehörigkeit der BF festgestellt, weiters der Gesundheitszustand des BF1, sowie dass diese Krankheit im Herkunftsstaat behandelbar sei und keine unmittelbar lebensbedrohliche Krankheit vorliege. Das Vorbringen bezüglich der Inhaftierung des Vaters, weil damit die Rückkehr eines weiteren Sohnes aus Österreich erzwungen werden sollte, wurde als nicht glaubhaft beurteilt.

1.3. Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.02.2017 mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.04.2017, Zlen. W226 2143175-1/11E, W226 2143179-1/10E und W226 2143183-1/9E, in allen Spruchpunkten abgewiesen.

Darin wurde festgestellt:

"Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und Muslime. Ihre Identität steht infolge der vorgelegten Dokumente fest. Sie stellten nach illegaler Einreise am 12.02.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Nicht festgestellt werden kann, dass dem BF1 in der Russischen Föderation eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht. Vielmehr ist der BF1 in das Bundesgebiet gereist, um hier bestehenden Krankheiten besser und kostengünstiger behandeln zu lassen. Offensichtlich ist der BF1 nach dem Tod seiner Mutter, von deren Pension die Familie auch teilweise gelebt hat, zur Auffassung gekommen, dass die medizinische Versorgung und allfällige Heilungsmöglichkeiten in einem Land wie Österreich besser sind als in der Russischen Föderation, zudem die finanzielle Absicherung besser ist als in der Heimat. Nicht festgestellt werden kann, dass der BF1 im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die BF2 und BF3 haben eigene Bedrohungen nicht einmal behauptet. Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Der BF1 leidet seit dem Jahr 1993 an gesundheitlichen Problemen, wobei im Herkunftsstaat eine vergleichbare Behandlung wie in Österreich gegeben ist. Die BF halten sich seit ihrer Einreise am 12.02.2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Im Bundesgebiet halten sich Angehörige, die zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind, auf, nämlich der ältere Sohn des BF1, der seit 2004 in Österreich lebt, verheiratet ist und fünf Kinder hat. Der BF1 lebt von der Grundversorgung und hat keine fortgeschrittene Integration im Bundesgebiet dargelegt, ebensowenig seine beiden Kinder (BF2 und BF3). Zahlreiche enge Verwandte leben unverändert in der Russischen Föderation (Tschetschenien)."

Die Erkenntnisse wurden den BF am 28.04.2017 zugestellt und rechtskräftig.

2.1. Am 05.09.2017 stellten der BF und sein Vater, die im Bundesgebiet verblieben waren, neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag).

Diesen begründete der Vater in einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.09.2017 wie folgt: "Ich habe Hepatitis B und C und stehe derzeit unter ärztlicher Behandlung. Meine Kinder wollen Österreich nicht verlassen, da sie schon sehr gut in Österreich integriert sind und sehr gut Deutsch sprechen. Außerdem weiß ich nicht, wie es in Zukunft mit meiner Gesundheit aussieht. Im Falle des Falles, dass es mich nicht mehr gibt, können meine beiden Kinder zu ihrem älteren Bruder XXXX , welcher auch hier in Österreich mit seiner Familie (Frau und 5 Kinder) lebt." Bei einer Rückkehr befürchte er für den Fall seines Todes, dass seine Kinder in Tschetschenien ohne ihm nichts anfangen könnten. Außerdem habe er Angst, wieder Probleme mit den Feinden seines älteren Sohnes zu bekommen. Sonstige Ausreise-, Flucht- oder Verfolgungsgründe habe er nicht.

Der BF selbst gab in der Erstbefragung an, in Österreich bleiben zu wollen, da er hier eine Ausbildung als Elektriker machen wolle. Er stelle sich die Zukunft in Österreich viel besser vor, als in Tschetschenien, wo die Bedingungen viel schlechter und nicht so zukunftsfreudig wie in Österreich seien. Sie hätten damals Tschetschenien wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Vaters verlassen. Sein älterer Bruder habe das Sorgerecht für ihn, falls seinem Vater etwas passieren sollte. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass sein Vater die Krankheit nicht überstehe. Wenn er sterbe, seien sie alle allein in Tschetschenien.

Die Schwester des BF brachte im Wesentlichen vor, dass sie nicht nach Tschetschenien zurückkehren wollen, weil sie Angst hätten, dass ihr Vater ins Gefängnis komme und sie dann dort alleine wären und niemanden mehr hätten. Es gebe keinen konkreten Hinweis, dass ihr Vater ins Gefängnis komme, aber sie glaube, dass man ihn bestrafe, weil er im Jahr 2014 mit ihnen nach Russland geflohen sei. Ihr Vater sei in Tschetschenien zwei Mal im Gefängnis gewesen. Die BF3 wolle nächstes Jahr in Österreich die Lehre als Friseurin beginnen.

In einer Einvernahme beim Bundesamt am 19.09.2017 wurden die BF im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache, einer Vertrauensperson und einer Rechtsberaterin erneut zu den Gründen für ihre Antragstellung befragt. Der Vater gab dazu im Wesentlichen an, dass er bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wieder wegen seines älteren Sohnes von der Behörde belästigt werde. Seine zwei Kinder haben in Österreich einen Schulabschluss gemacht und hätten in Tschetschenien keine Chance auf eine weitere Zukunft. Auf Nachfragen gab er an, dass sich seine Fluchtgründe alle auf die des alten Verfahrens beziehen würden. Zu seinen Befürchtungen bei einer Rückkehr befragt, gab er neuerlich an, dass die Behörden ihn weiter belästigen würden. Sie würden sich durch ihn erhoffen, seinen älteren Sohn zurückzuholen. Dies seien alle seine Fluchtgründe. Es sei ihm wichtig, dass seine Kinder ihr Leben in Österreich in den Griff bekommen. Seine Kinder hätten in Tschetschenien niemanden mehr. Es sei für ihn gefährlich in Tschetschenien. Wenn ihm dort etwas passiere, dann hätten seine Kinder niemanden mehr zu Hause. Hier in Österreich hätten sie ihren älteren Bruder.

Der BF1 könne sich im Moment nicht vorstellen, zurück nach Russland zu fahren. Er habe auch noch ein paar Termine beim Arzt wegen seiner Hepatitis. Der Termin sei am 02.10.2017. Nach seinen momentanen Gesundheitszustand befragt, gab er an, dass ihm die Ärzte Schmerzmittel verschrieben hätten. Sie würden ihn untersuchen, um herauszufinden, wie sie ihn behandeln sollen. Er habe Hepatitis B und C. Unter Hepatitis B leide er seit 1994 und die Hepatitis C sei in Österreich festgestellt worden. Dies habe er schon in seinen Vorverfahren bekannt gegeben. Er nehme Tabletten gegen seinen hohen Blutdruck. Für seine Leber nehme er Essential forte. Er lebe mit den übrigen BF in einer Pension. Er lebe darüber hinaus mit niemandem in einer Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Er habe seit seiner ersten Antragstellung das Bundesgebiet nicht verlassen. Der Direktor von der Pension, wo sie wohnen würden, gebe ihnen immer Arbeit (Rasenmähen, Ausmalen etc.). Sie hätten bis jetzt alle drei € 150 pro Person von der Sozialhilfe bekommen. Jetzt würden nur noch seine Kinder Sozialhilfe bekommen. Der BF1 sei nicht in Vereinen oder Organisationen in Österreich tätig.

Er verstehe etwas Deutsch, aber könne es nicht sprechen. In der Russischen Föderation würden zwei Schwestern und sein kleiner Bruder leben. Sie hätten über Skype und über das Telefon ca. einmal in der Woche Kontakt. Sein kleiner Bruder sei gelähmt. Seine ältere Schwester habe eine eigene Familie. Seine kleine Schwester sei verwitwet und ziehe die Enkelkinder groß, da der Sohn schon gestorben sei. Sie würden überleben. Sie seien Selbstversorger und hätten Kühe. Im Falle einer Rückkehr könne er im Heimatland weiter eine Beziehung zu seinen Familienangehörigen aufbauen. Sein älterer Sohn in Österreich komme sie ca. zwei Mal im Monat besuchen. Eine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit zu ihm bestehe nicht.

Der BF selbst brachte in der Einvernahme beim Bundesamt im Wesentlichen vor, dass er in Österreich bleiben und sich hier eine Zukunft aufbauen wolle. In Russland habe er keine Zukunftsperspektiven. Er habe keine neuen Fluchtgründe. Zu Befürchtungen bei einer Rückkehr befragt, gab der BF2 an: "Ich habe Angst, dass ich kein zu Hause mehr habe, in meinem Heimatland. Die Verwandten in meinem Heimatland haben alle eine eigene Familie und ihre eigenen Probleme." Danach befragt, ob dies alle Fluchtgründe seien, gab er an: "Mein Vater wurde zwei Mal von den Behörden in Russland mitgenommen. Ich weiß, dass er irgendwelche Schwierigkeiten mit den Behörden in Russland hat." Sein Vater sei krank und falls dieser sterbe, wisse der BF2 nicht, was er in Russland machen werde.

Der BF sei 9 Jahre in Russland und 8 Monate in Österreich in der Schule gewesen. Er sei nie berufstätig gewesen. Er lebe in Österreich von € 150 Sozialhilfe. Er lebe in Österreich nur mit seinem Vater und seiner Schwester zusammen. Auf nicht regelmäßiger Basis würden sie auch finanzielle Unterstützung von seinem älteren Bruder erhalten, wenn sie Geldsorgen hätten und ihn danach fragen würden. Der BF sei nicht in Vereinen oder Organisationen in Österreich tätig. Er verstehe Deutsch besser als er spreche. In der Russischen Föderation würden sich zwei Tanten und ein Onkel aufhalten. Der BF würde zwei Mal in der Woche mit ihnen über das Internet telefonieren. Er glaube, dass bei ihnen alles in Ordnung sei. Sie könnten im Heimatland weiter eine Beziehung zu den Familienangehörigen aufbauen, jedoch nicht bei ihnen wohnen, da sie selbst große Familien hätten.

Die Schwester des BF brachte in der Einvernahme beim Bundesamt im Wesentlichen vor, dass ihr Vater bei einer Rückkehr nach Tschetschenien festgenommen werde und sie sowie ihr jüngerer Bruder allein wären. Ihr jüngerer Bruder habe noch keine Ausbildung gemacht, sie habe noch keinen Abschluss. Sie könnten in Tschetschenien ohne Abschluss nicht arbeiten und hätten niemanden in Russland, der ihnen helfen könnte. Sonst gebe es keine Fluchtgründe. Dies seien alle Fluchtgründe.

Die Schwester sei 7 Jahre in Russland und 2 Jahre in Österreich in der Schule gewesen. Sie sei nie berufstätig gewesen. Sie lebe in Österreich von € 150 Sozialhilfe. Zum älteren Bruder bestehe keine finanzielle Abhängigkeit. Sie lebe in Österreich nur mit ihrem Vater und ihrem jüngeren Bruder zusammen. Sie sei nicht in Vereinen oder Organisationen in Österreich tätig. Sie spreche sehr gut Deutsch. In der Russischen Föderation würden sich zwei Tanten und ein Onkel aufhalten. Die BF3 würde ihnen zwei bis drei Mal in der Woche schreiben. Manchmal würden sie auch telefonieren. Sie hätten alle schon eine eigene Familie. Der Sohn der Tante sei bereits verstorben, deshalb kümmere sie sich um die Enkelkinder. Ihr Onkel sei gelähmt. Im Falle einer Rückkehr könne sie im Heimatland weiter eine Beziehung zu ihren Familienangehörigen aufbauen.

Vorgelegt wurden u.a.: zwei Empfehlungsschreiben von Privatpersonen, eine Bestätigung für die Teilnahme des BF und der Schwester an einem Deutschkurs A1 sowie an einer Summerschool, eine Bestätigung für die Teilnahme des BF1 an einem Deutschkurs, eine Ambulanzkarte vom 27.07.2017 des BF1, drei Leistungsbescheinigungen sowie ein Jahreszeugnis einer NMS der BF3.

2.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF vom 05.09.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurden den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 idgF nicht erteilt, gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.), wobei gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.).

Darin wurde zum Vater im Wesentlichen festgestellt, dass seine Identität feststehe, er laut der Angaben im Verfahren an einer Fazialisparese (Gesichtslähmung), einer chronischen epitympanalen Otitis media (chronische Mittelohrentzündung), Hepatitis B und C sowie einem hereditären Faktor-XII-Mangel (Verminderung des Gerinnungsfaktors XII) leide. Sein erstes Asylverfahren unter der Zahl 1051808309 - 150166246/BMI-BFA_STM_RD sei am 28.04.2017 rechtskräftig abgeschlossen worden, wobei sein gesamtes Erstverfahren auf einem nicht glaubhaften Vorbringen beruht habe. Er habe im gegenständlichen Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens 1051808309 - 150166246/BMI-BFA_STM_RD entstanden sei. Er habe lediglich wegen seiner alten noch aufrechten Gründe einen neuerlichen Asylantrag gestellt. In Österreich verfüge er über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte zu den übrigen BF sowie seinem älteren Sohn.

Sein Aufenthalt in Österreich erstrecke sich über einen Zeitraum von 12.02.2015 bis in die Gegenwart, wobei seine Einreise nach Österreich illegal erfolgt sei. In Österreich sei er nicht Mitglied von Organisationen oder Vereinen und sei auch nicht berufstätig gewesen. Er sei unbescholten. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich bestehe. Hinsichtlich der übrigen BF wurde mit Ausnahme der Krankheiten im Wesentlichen gleiches festgestellt. Abweichend wurde zum BF und zu seiner Schwester festgestellt, dass das Vorbringen, wonach sie im Heimatland nicht arbeiten könnten, weil sie keinen Schulabschluss hätten, nicht glaubhaft sei. Die Schwester des BF würde Deutsch sprechen.

Weiters wurden Feststellungen zu den Verhältnissen in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien getroffen.

In der Beweiswürdigung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Feststellung, dass die BF im gegenständlichen Verfahren keinen nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens neu entstandenen und glaubhaften Sachverhalt vorgebracht haben, sich aus Ihren Angaben bei der Erstbefragung am 05.09.2017 und bei der Einvernahme am 19.09.2017 zum gegenständlichen Verfahren ergebe. Was die weiteren und gemäß § 8 AsylG 2005 berücksichtigungswürdigen Aspekte betreffe, sei anzumerken, dass sich im gegenständlichen Verfahren ebenso kein Hinweis auf einen seit Rechtskraft der Erstverfahren entscheidungsrelevant geänderten Sachverhalt ergeben habe, weder im Hinblick auf Ihre persönliche Situation, noch im Hinblick auf die allgemeine Lage im Heimatland.

Weder aus Ihrem Vorbringen im gegenständlichen Verfahren, noch aus den im Erstverfahren zugrunde gelegten Feststellungen zum Heimatland der BF, würden sich unter Berücksichtigung von aktualisierten Versionen des im Erstverfahren verwendeten Quellenmaterials Hinweise auf eine sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens maßgeblich geänderte Lage in Ihrem Heimatland ergeben. Das Bundesamt kam in einer Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK insbesondere im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer und dem Aufenthaltsstatus auf Basis mehrerer (unbegründeter) Asylverfahren auch unter Würdigung der integrativen Anstrengungen der BF zum Ergebnis, dass das öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen die privaten und familiären Interessen der BF überwiege.

2.3. Dagegen wurde binnen offener Frist in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Darin wurde eingangs u.a. darauf hingewiesen, dass der Vater des BF als alleinerziehender Vater seit 2015 mit seinen beiden minderjährigen Kindern in Österreich zusammenwohne. Der volljährige Sohn des Vaters des BF lebe seit 2004 gemeinsam mit seiner Familie in Österreich und habe den Status eines Asylberechtigten. Der Vater habe bereits einen Schlaganfall erlitten und stehe derzeit wegen Hepatitis B und C in Österreich in Behandlung. Der BF und seine Schwester hätten in Österreich die Schule besucht. Der Vater werde mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Herkunftsstaat weiterhin verfolgt und werde zusätzlich aufgrund seiner Erkrankung in eine ausweglose Lage geraten. Da der BF und die Schwester noch minderjährig und auf den Unterhalt ihres Vaters angewiesen seien, würden auch sie in eine ausweglose Lage geraten, wenn der Vater nicht entsprechend medizinisch versorgt werde. Die Behörde habe in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten keinerlei Ausführungen gemacht, inwiefern sich die Lage im Herkunftsstaat einerseits und der Sachverhalt bzw. die persönlichen Umstände der BF seit der letzten Entscheidung nicht geändert hätten. Eine neue Sachlage im Vergleich zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung liege insbesondere vor, weil sich der Gesundheitszustand des Vaters zwischenzeitlich geändert habe bzw. er in Österreich nun entsprechend behandelt werde. Das Vorliegen einer Art. 3 EMRK-Verletzung hätte insbesondere durch entsprechende Feststellungen zum Gesundheitszustand des Vaters und zur medizinischen Versorgungslage im Herkunftsland ermittelt werden müssen. Die BF seien seit beinahe drei Jahren in Österreich und hätten sich gut integriert. Außerdem befinde sich der volljährige Sohn des Vaters des BF und Bruder der übrigen BF in Österreich, mit dem ein enges Verhältnis bestehe und der aufgrund der Erkrankung des Vaters über kurz oder lang für den BF und die Schwester die Vaterrolle übernehmen werde. Das Interesse der BF am Verbleib in Österreich und der Achtung ihres Privat- und Familienlebens sei daher eindeutig höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthaltes. Bei Abschiebung der BF in die Russische Föderation könne die Beziehung zum in Österreich lebenden Sohn bzw. Bruder nicht aufrechterhalten werden. Weiters sei auch im Hinblick auf den Schutzumfang von Art. 8 EMRK der Gesundheitszustand des BF1 zu berücksichtigen.

2.4. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerden des BF, seines Vaters und seiner Schwester mit Erkenntnis vom 4.1.2017, Zl W182 2143179-2/2E vollinhaltlich ab. Dies mit folgender Begründung:

"1.1. Die BF, ein Vater und dessen beide Kinder, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und haben sich im Herkunftsland in Tschetschenien aufgehalten. Ihre Identität steht fest. Der BF2 wird in wenigen Tagen volljährig, die BF3 wird in wenigen Tagen XXXX Jahre alt.

Die BF1 - BF3 reisten im Februar 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 12.02.2015 Anträge auf internationalen Schutz. Die Anträge wurden im Wesentlichen mit dem Vorbringen des BF1 begründet, wegen seines seit 2004 in Österreich lebenden älteren Sohnes, dem hier der Status des Asylberechtigten zukommt, in Tschetschenien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein. Weiters wurden die Erkrankungen des BF1, im Wesentlichen Hepatitis B und C und ein Schlaganfall Anfang 2014, sowie der Tod der Mutter des BF1 als Grund genannt, weshalb er die übrigen BF nicht mehr versorgen könnte.

Das erste Asylverfahren der BF wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.02.2017 mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.04.2017 (zugestellt am 28.04.2017), Zlen. W226 2143175-1/11E, W226 2143179-1/10E und W226 2143183-1/9E, rechtskräftig im Wesentlichen mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass die Anträge abgewiesen wurden und gegen die BF durchsetzbare Rückkehrentscheidungen ins Herkunftsland ausgesprochen wurden. Das Fluchtvorbringen der BF wurde als unglaubwürdig gewertet.

Die BF sind trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidungen im Bundesgebiet verblieben und haben am 05.09.2017 neuerlich Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Diese wurden erneut mit der Furcht des BF1 vor behördlicher Verfolgung wegen seines in Österreich aufhältigen älteren Sohnes sowie seines im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustandes begründet. Neue Vorfälle wurden nicht behauptet.

Der XXXX -jährige BF1 leidet im Wesentlichen an den Folgen eines Schlaganfalles im Jahr 2014 (Gesichtslähmung), einer chronische Mittelohrentzündung sowie einer Hepatitis B und C, die in Österreich behandelt wird. Mit Ausnahme der Hepatitis C, die erst in Österreich festgestellt wurde, wurde der BF bereits im Herkunftsland medizinisch behandelt.

Die BF leben in Österreich von der Grundversorgung und gehen keiner Erwerbstätigkeit nach. Der BF1 verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau A1, der BF2 auf Niveau B1.2, die BF3 verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse.

Die BF wurden im Herkunftsland geboren und haben bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2015 auch dort gelebt. Im Herkunftsland halten sich ein Bruder sowie zwei Schwestern des BF1 auf, zu denen regelmäßiger Kontakt besteht.

Der älteste Sohn des BF1 lebt seit 2004 in Österreich und ihm kommt der Status des Asylberechtigten zu. Die BF wohnen mit diesem nicht zusammen. Der älteste Sohn besucht die BF im Schnitt zwei Mal im Monat und unterstützt diese gelegentlich finanziell oder mit Sachleistungen.

Der BF2 und die BF3, die im Alter von XXXX und XXXX Jahren nach Österreich gekommen sind, haben im Herkunftsland 9 bzw. 7 Jahre die Schule besucht. In Österreich hat der BF 8 Monate einen polytechnischen Lehrgang und die BF3 zwei Jahre eine NMS besucht. Für den BF2 und die BF3 wurden keine Erkrankungen geltend gemacht.

Die BF sind unbescholten.

Nicht festgestellt werden kann, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach die BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ohne Hinzutreten individueller Faktoren in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person drohen würde oder dass ihnen im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die BF leiden an keinen zwischenzeitlich aufgetretenen akut lebensbedrohlichen oder im Herkunftsland nicht behandelbaren Krankheiten.

In der Beschwerde wurde kein neuer Sachverhalt dargetan.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid ausgegangen, welche unter Berücksichtigung der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes (vgl. VwGH 19.09.2017, Zl. Ra 2017/20/0059-14, Rz 13) nachfolgend wiedergegeben werden:

" [...]

0. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

-

FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

-

FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

-

ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

-

ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Mena Watch (10.5.2017): Russland setzt auf sunnitische Soldaten in Syrien,

http://www.mena-watch.com/russland-setzt-auf-sunnitische-soldaten-in-syrien/, Zugriff 21.7.2017

-

Standard (25.4.2017): Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich,

https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec, Zugriff 21.7.2017

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.7.2017

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

0.1. Nordkaukasus allgemein

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

Caucasian Knot (2.2.2017): Statistics of victims in Northern Caucasus for 2016, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/38325/, Zugriff 18.7.2017

-

Caucasian Knot (15.4.2017): Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2017,

http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/39216/, Zugriff 18.7.2017

-

ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten