TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/20 W226 2219791-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.08.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

W226 2219791-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 11/10, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2019, Zl. 1008966407/170158043, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

"Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein mit 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 05.08.2005 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.08.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Grenzpolizeiinspektion XXXX schilderte der Beschwerdeführer, dass er Russland aufgrund des Krieges verlassen habe.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 10.08.2005 schilderte der Beschwerdeführer, dass seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester in der Russischen Föderation leben würden, sein Vater sei XXXX verstorben. Er habe in XXXX von XXXX bis XXXX die Grundschule sowie einen Computerkurs besucht, gearbeitet habe er nicht. Er sei nicht vorbestraft und nie im Gefängnis gewesen. Er sei auch nicht Mitglied einer Partei oder einer bewaffneten Gruppe gewesen. In seinem Herkunftsstaat fürchte er um sein Leben, weil ihn das russische Militär bedrohen würde.

In der weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16.08.2005 gab der Beschwerdeführer an, dass seine beiden Brüder Widerstandskämpfer mit Nahrungsmitteln versorgt hätten. Die Russen hätten davon erfahren und seine Familie auf die "schwarze Liste" gesetzt. Sein älterer Bruder sei im April oder Mai XXXX von den Russen verschleppt worden und seitdem verschollen. Etwa einen Monat später sei auch er von den Russen verschleppt und festgehalten worden. Nach einer Woche habe seine Familie seinen Aufenthaltsort herausgefunden und ihn freigekauft. Danach habe er zwei Wochen im Krankenhaus verbracht und habe sich anschließend versteckt. Währenddessen habe seine Mutter seine Flucht vorbereitet.

Bei seiner ärztlichen Untersuchung am 18.08.2005 führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, dass er während seiner Festnahme mit Plastikflaschen geschlagen worden sei, ihm ein Plastiksack über den Kopf gezogen worden sei, sodass er keine Luft mehr bekommen habe und seine Hände über dem Kopf aufgehängt worden seien und ihm in den Bauch geschlagen worden sei.

Am 27.09.2005 fand vor dem Bundesasylamt erneut eine Einvernahme des Beschwerdeführers statt, der zusätzlich angab, dass er in Österreich keine Angehörigen habe. Mit seiner Mutter in XXXX habe er telefonisch Kontakt. Mit 15 habe er die Schule verlassen, das 9. Schuljahr aber nicht abgeschlossen. Bei einem Bombenangriff sei das Haus seiner Familie getroffen und seine Dokumente vernichtet worden. Um Geld zu verdienen, habe er manchmal auf Baustellen ausgeholfen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.09.2005, Zl. 05 11.887-BAT, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 in Österreich Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorgebracht habe, dem keine Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahrens entgegenstünden. Das Bundesasylamt sei daher zur Ansicht gelangt, dass alle Voraussetzungen für die Asylgewährung vorliegen würden.

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge im Bundesgebiet mehrfach straffällig und wie folgt rechtskräftig verurteilt:

1) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen §§ 127, 129 Abs. 1, 15, 12 3. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, davon 6 Monate bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren (junger Erwachsener);

2)

XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 142 Abs. 1 StGB, §§ 127, 130

1.

Fall StGB, § 229 Abs. 1 StGB und § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 8 Monate bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren, gleichzeitig wurde die Probezeit zu GZ 36 Hv 131/06y auf 5 Jahre verlängert (junger Erwachsener);

3) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 83 Abs. 1 StGB zu 6 Wochen bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren (junger Erwachsener);

4) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, gleichzeitig wurde die Probezeit zu 162 Hv 85/07v und 28 U 22/09g auf 5 Jahre verlängert;

5) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf die Verurteilung zu 163 Hv 50/11k zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 3 Monaten;

6) XXXX GZ XXXX , vom XXXX , wegen §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten;

7) XXXX , GZ XXXX vom XXXX , wegen §§ 12 3. Fall, 146, 147 Abs. 1 Z 1, 147 Abs. 2 StGB, § 50 Abs. 1 Z 1 und 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, wobei am 25.04.2017 aufgrund der am 13.06.2017 erfolgten Auslieferung nach Deutschland vorläufig vom Strafvollzug abgesehen wurde;

8) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 50 Abs. 1 Z 1 und 3 WaffG zu 12 Monaten bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren;

Mit Urteil des Amtsgerichts XXXX vom XXXX , Az 1 XXXX wurde der Beschwerdeführer zudem in Deutschland wegen Geldwäsche und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt.

Vom Vorwurf der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (Islamischer Staat), wurde der Beschwerdeführer hingegen mit Urteil des XXXX , GZ 9 XXXX , vom XXXX freigesprochen.

Mit Aktenvermerk vom 19.12.2018 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen der Straffälligkeit des Beschwerdeführers gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein.

Am 08.01.2019 ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Wien um Auskunft hinsichtlich des gegen den Beschwerdeführer aufgetretenen Verdachts nach § 278b StGB und um Informationen zu seiner Personenfahndung.

Mit Aktenvermerk vom selben Tag hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass der Beschwerdeführer nicht wie von den deutschen Behörden mitgeteilt, am 10.02.2019 aus der dortigen Haft entlassen werde, sondern bereits am 11.12.2018 entlassen, der LPD XXXX übergeben worden und seitdem unbekannten Aufenthalts sei.

Am 10.01.2019 teilte der Verein Neustart per E-Mail mit, dass sich der Beschwerdeführer in dessen freiwilliger Betreuung befinde und gab die aktuelle Postadresse des Beschwerdeführers bekannt.

Mit Schreiben vom 15.01.2019 wurde der Beschwerdeführer von der Einleitung des Aberkennungsverfahrens verständigt und für den 07.02.2019 zur Einvernahme geladen.

Am 17.01.2019 übermittelte das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung XXXX seine Stellungnahme und führte zusammengefasst aus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, der Beschwerdeführer sei zumindest logistisches Mitglied einer terroristischen Organisation, welches permanent versuche, sowohl finanzielle als auch personelle Beiträge für die Organisation zu lukrieren.

Aufgrund einer angeblichen Erkrankung des Beschwerdeführers ersuchte dessen Rechtsvertreter mit Schreiben vom 04.02.2019 um Verlegung der für 07.02.2019 anberaumten Einvernahme, die in der Folge für 26.02.2019 angesetzt wurde.

Mit Aktenvermerk vom 26.02.2019 hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass der Beschwerdeführer zu seiner Einvernahme nicht erschienen sei und seinem anwesenden Rechtsvertreter weder dessen Telefonnummer noch die aktuelle Meldeadresse bekannt sei.

Mit Schreiben vom selben Tag gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, binnen einer Frist von 14 Tagen zur Aberkennung, seiner aktuellen Gefährdungslage in der Russischen Föderation sowie seinen Bindungen zu Österreich schriftlich Stellung zu nehmen. Zudem holte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Besucherliste seines letzten Haftaufenthaltes von der Justizanstalt XXXX ein und ersuchte die dort am häufigsten aufscheinende Besucherin, XXXX um Auskunft zu ihrem Verhältnis zum Beschwerdeführer, etwaigen gemeinsamen Kindern und zu seinem derzeitigen Aufenthaltsort. Per E-Mail teilte diese am 01.03.2019 mit, dass sie vom Beschwerdeführer geschieden sei, keine Kinder mit ihm und auch keine Kenntnis seines Aufenthaltsortes habe.

Mit Stellungnahme vom 14.03.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, er sei nicht verheiratet, habe keine Kinder, keine nahen Verwandten in Österreich und gehe auch keiner Beschäftigung nach. Er spreche aber Deutsch und verfüge über einen großen Freundeskreis im Bundesgebiet. Derzeit lebe er von der Unterstützung seiner Freunde sowie des Vereins Neustart. In der Russichen Föderation habe er keine lebenden Verwandten. Er sei in seinem Herkunftsstaat als Asyl-kritische Person bekannt und erwarte ihn daher im Falle der Rückkehr die sofortige Inhaftierung inklusive Folter. Die Vorstrafen stelle er nicht in Abrede, doch gehe von ihm keine Gefährlichkeit aus und stelle er auch keine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.09.2005, Zl. 05 11.887-BAT zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 9 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, dass vor dem Hintergrund der Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie der Stellungnahme des LVT Wien der Aberkennungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 und 4 AsylG 2005 vorliege.

Der Beschwerdeführer habe den Status des Asylberechtigten erlangt, weil seine Brüder Widerstandskämpfer mit Nahrungsmitteln versorgt hätten und er selbst von russischen Streitkräften verschleppt worden sei. Da die beiden Tschetschenienkriege seit langem beendet seien, könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation aktuell einer Verfolgung ausgesetzt wäre, sodass ihm der Asylstatus auch nach § 7 Abs. 1 Z 2 abzuerkennen sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwies beweiswürdigend auf die acht einschlägigen Vorstrafen des Beschwerdeführers, welche in einer Gesamtschau ein besonders schweres Verbrechen darstellen würden. Aufgrund der Verurteilungen könne auch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Es zeige sich eindeutig die kriminelle Energie des Beschwerdeführers und habe das erlittene Haftübel nicht zu dessen Läuterung beigetragen.

Betreffend Rückkehrgefährdung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass für Abschiebungshindernisse keine Anhaltspunkte vorliegen würden. Der Beschwerdeführer sei ein arbeitsfähiger junger Mann, der in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen. Der Beschwerdeführer habe angeführt, von Freunden unterstützt zu werden. Da diese Unterstützung auch von Österreich aus möglich sei, könne er auf eben dieses Netzwerk im Falle der Rückkehr zurückgreifen. Zudem habe er in seinem Herkunftsstaat soziale Anknüpfungspunkte, die ihn unterstützen könnten. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden daher nicht vorliegen.

Die Rückkehrentscheidung wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einerseits mit den strafrechtlichen Verurteilungen und andererseits damit begründet, dass - abgesehen von seinen Deutschkenntnissen - weder eine berufliche, noch eine soziale Integration hervorgekommen sei. Hinsichtlich des Einreiseverbots verwies die belangte Behörde erneut auf die strafrechtliche Verurteilung und führte aus, aufgrund des Naheverhältnisses zu terroristischen Organisationen und der negativen Zukunftsprognose sei die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbotes gerechtfertigt. Die gesetzten Straftaten würden eine massive Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstellen und sei der Beschwerdeführer offenbar nicht gewillt, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, zumal auch eine Haftstrafe keinerlei Wirkung bei ihm gezeigt habe.

4. Gegen diesen Bescheid wurde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben und ergänzend vorgebracht, die Entscheidung verstoße einerseits gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden und andererseits gegen die vom EuGH zum Ausdruck gebrachten Grundsätze, wonach selbst bei Vorliegen schwerer Straftatbestände die Aberkennung des Flüchtlingsstatus sowie die Abschiebung nicht gerechtfertigt seien.

Mit Schreiben vom 07.06.2019 bezog das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Stellung zur Beschwerde und verwies vollinhaltlich auf den angefochtenen Bescheid, insbesondere die getroffenen rechtlichen Ausführungen. Es sei das gesamte Vorbringen hinsichtlich Glaubhaftigkeit und Plausibilität gewürdigt und seien dementsprechend vor dem Hintergrund der aktuellen Länderfeststellungen auch die korrekten Entscheidungen und Feststellungen getroffen worden.

5. Mit am 06.06.2019 übermitteltem Schreiben des Polizeikooperationszentrums XXXX sowie am 27.06.2019 übermittelter Übersetzung eines Ersuchens der ungarischen Grenzpolizei in XXXX wurde dem Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer am 06.06.2019 versucht habe, unter Verwendung eines gefälschten tschechischen Reisepasses die Grenze von Ungarn in die Ukraine zu passieren.

Am 27.06.2019 forderte das erkennende Gericht den Beschwerdeführer auf, binnen einer zweiwöchigen Frist einen Nachweis seiner polizeilichen Meldung vorzulegen und mitzuteilen, ob das Vollmachtsverhältnis zu seinem Rechtsvertreter weiterhin aufrecht ist, da aufgrund des versuchten Grenzübertritts und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit Oktober 2017 keinen aufrechten Wohnsitz im Bundesgebiet habe, massive Zweifel bestünden, ob er überhaupt noch im Bundesgebiet aufhältig sei bzw. den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen dort habe. Eine Stellungnahme blieb jedoch aus.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister sowie in das zentrale Fremdenregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum wesentlichen Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste als Minderjähriger am 05.08.2005 nach Österreich, wo er am 06.08.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.09.2005, Zl. 05 11.887-BAT der Status des Asylberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 7 AsylG 1997 zuerkannt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2019 wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und ihm weder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt noch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen den Beschwerdeführer wurde zudem ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe sowie muslimischen Glaubens. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer verließ die Russische Föderation im August 2005; bis dahin lebte er in XXXX , Tschetschenien. Er hielt sich nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und anschließend aufgrund seines Status als Asylberechtigter durchgängig rechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer beherrscht die tschetschenische und die russische Sprache sowie Deutsch.

Der Beschwerdeführer bezog zu Beginn seines Aufenthaltes in Österreich Leistungen für Asylwerber bzw. Flüchtlinge und bestritt seinen Lebensunterhalt anschließend hauptsächlich durch Leistungen aus der Mindestsicherung. Während seines gesamten Aufenthaltes war der Beschwerdeführer insgesamt 20 Tage erwerbstätig. Aktuell erhält er Unterstützung von Freunden.

Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und nicht verheiratet. Er hat in Österreich keine Verwandten.

Der Beschwerdeführer war bis 13.10.2017 in Österreich behördlich gemeldet, wurde am 13.06.2017 an Deutschland ausgeliefert und verbüßte dort eine Haftstrafe. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen und an die Landespolizeidirektion XXXX überstellt. Seither ist sein Aufenthaltsort unbekannt. Zuletzt wurde er am 06.06.2019 in Ungarn angehalten. Seinen Lebensmittelpunkt hat der Beschwerdeführer offensichtlich nicht mehr in Österreich, mag er seit wenigen Tagen auch erneut über eine Kontaktadresse als Obdachloser in XXXX verfügen.

1.2.2. Für den Beschwerdeführer scheinen im österreichischen Strafregister folgende Verurteilungen auf:

1) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen §§ 127, 129 Abs. 1, 15, 12 3. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, davon 6 Monate bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren (junger Erwachsener);

2)

XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 142 Abs. 1 StGB, §§ 127, 130

1.

Fall StGB, § 229 Abs. 1 StGB und § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 8 Monate bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren, gleichzeitig wurde die Probezeit zu GZ 36 Hv 131/06y auf 5 Jahre verlängert (junger Erwachsener);

3) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 83 Abs. 1 StGB zu 6 Wochen bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren (junger Erwachsener);

4) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, gleichzeitig wurde die Probezeit zu 162 Hv 85/07v und 28 U 22/09g auf 5 Jahre verlängert;

5) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf die Verurteilung zu 163 Hv 50/11k zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 3 Monaten;

6) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten;

7) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen §§ 12 3. Fall, 146, 147 Abs. 1 Z 1, 147 Abs. 2 StGB, § 50 Abs. 1 Z 1 und 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, wobei am 25.04.2017 aufgrund der am 13.06.2017 erfolgten Auslieferung nach Deutschland vorläufig vom Strafvollzug abgesehen wurde;

8) XXXX , GZ XXXX , vom XXXX , wegen § 50 Abs. 1 Z 1 und 3 WaffG zu 12 Monaten bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren;

Mit Urteil des Amtsgerichts XXXX vom XXXX Az XXXX wurde der Beschwerdeführer zudem in Deutschland rechtskräftig wegen Geldwäsche und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt.

Vom Vorwurf der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (Islamischer Staat), wurde der Beschwerdeführer hingegen mit Urteil des XXXX , GZ XXXX freigesprochen.

Am 06.06.2019 wurde der Beschwerdeführer beim Versuch, die Grenze von Ungarn in die Ukraine zu übertreten von ungarischen Behörden einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen und verwendete dabei einen gefälschten tschechischen Reisepass.

Festgestellt wird, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

1.2.3. In der Russischen Föderation leben nach wie vor die Mutter, zumindest einer der zwei Brüder sowie die Schwester des Beschwerdeführers.

1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation:

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer in der gesamten Russischen Föderation keine asylrelevante Verfolgung droht.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Folter oder unmenschliche Behandlung. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung wegen seines Aussehens oder seiner ethnischen Volksgruppenzugehörigkeit. Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation auch keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung in Österreich und wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, etwa auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus, niederzulassen und anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich auf folgende Quellen:

? Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31.08.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 15.10.2018;

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.06.2017, Russische Föderation, Menschenrechtsverletzungen von im Ausland verurteilten Personen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation;

? ACCORD Anfragenbeantwortung vom 28.09.2017, Russische Föderation, Menschenrechtsverletzungen von ihm Ausland verurteilten Personen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation;

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.05.2016 (Auszug), Russische Föderation, Lage von aus Syrien zurückkehrenden Kämpfern;

1.4.1. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung 31.08.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 15.10.2018:

1.4.1.1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

1.4.1.1.1. Kurzinformation vom 15.10.2018 (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 1.4.1.13. Bewegungsfreiheit bzw. 1.4.1.13.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

1.4.1.1.2. Kurzinformation vom 15.10.2018 (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 1.4.4. Rechtsschutz/Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

1.4.1.2. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1.4.1.2.1. Politische Lage in Tschetschenien im Besonderen

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

1.4.1.3. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.3.1. Sicherheitslage im Nordkaukasus im Allgemeinen

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.3.2. Sicherheitslage in Tschetschenien im Besonderen

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.4. Rechtsschutz / Justizwesen im Allgemeinen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 r

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten