Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Wien 6, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte in Wien, wegen 4.090.707 EUR sA und Feststellung, aus Anlass der Revisionsrekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Mai 2019, GZ 4 R 34/19b-19, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 12. Februar 2019, GZ 26 Cg 109/18m-9, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren 3 Ob 156/19s wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landesgericht Klagenfurt am 17. April 2019 zu 21 Cg 74/18v gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Text
Begründung:
Der klagende Verein nach § 29 KSchG macht gegen die Beklagte mit Sitz in Deutschland wegen von ihr zu verantwortender Abgasmanipulationen aufgrund von Zessionen durch 729 Verbraucher als (zum Teil ehemalige) Eigentümer von betroffenen Fahrzeugen verschiedener Marken Schadenersatzansprüche auf Leistung und Feststellung geltend. Der Kläger wirft der Beklagten vor, dass sie durch den Einbau einer Manipulationssoftware schadensstiftende, unerlaubte Handlungen gesetzt habe. Der Schaden bestehe darin, dass die Verbraucher dem Händler bzw Voreigentümer einen Kaufpreis für ein nicht manipuliertes Fahrzeug bezahlt hätten, während die Fahrzeuge tatsächlich bedingt durch die Ausstattung des Motors mit einer verbotenen und zulassungswidrigen Software um zumindest 30 % weniger wert seien. Die internationale Zuständigkeit stützt der Kläger auf Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Der Abschluss des Kaufvertrags, die Zahlung des Kaufpreises und die Übergabe und Auslieferung der Fahrzeuge seien jeweils im Sprengel des angerufenen Gerichts erfolgt. Dort habe sich das deliktische Verhalten der Beklagten erstmals ausgewirkt, sodass es sich dabei um den Erfolgsort handle. Mangels Abschlusses eines Kaufvertrags und Übergabe der Fahrzeuge in Deutschland habe den Verbrauchern dort noch kein Schaden entstehen können.
Die Beklagte bestritt die „internationale und örtliche“ Zuständigkeit, weil weder der Handlungs- noch der Erfolgsort in Österreich gelegen seien und auch kein deliktischer Schadenersatzanspruch iSd Art 7 Abs 2 EuGVVO 2012 bestehe; auch die sachliche Zuständigkeit sei wegen Unzulässigkeit der gebündelten Geltendmachung von Ansprüchen verschiedener Verbraucher nicht gegeben.
Das Erstgericht erklärte sich – soweit in dritter Instanz noch relevant – für „international unzuständig“ und wies die Klage zurück. Die Klägerin könne sich nicht auf Art 7 Nr 2 EuGVVO stützen. Nach der Judikatur des EuGH sei der Erfolgsort eines reinen Vermögensschadens nicht eng anhand der konkreten Rechtsgutverletzung zu ermitteln, sondern der Geschehensablauf im jeweiligen Einzelfall gesamthaft zu analysieren. Dass der Kläger an die Übergabe der Fahrzeuge anknüpfe, greife zu kurz, weil der reine Vermögensschaden der Fahrzeugkäufer dadurch zum Sachschaden am Fahrzeug umfunktioniert werde. Aus Sicht der Prozesseffizienz könne hier grundsätzlich das Gericht am Sitz der Beklagten sach- und beweisnah entscheiden, weil sich die strittigen Fragen unabhängig vom Ort der Übergabe der Fahrzeuge stellten. Es lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der geltend gemachte Vermögensschaden, der im Ausland verursacht worden sei, in Österreich besser abgehandelt werden könne als am Ort der schädigenden Handlung; damit fehle eine inländische Gerichtsbarkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge, verwarf die „Einrede der internationalen Unzuständigkeit“ und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.
Erst jüngst habe es in einem Parallelverfahren derselben Parteien unter Beteiligung derselben Parteienvertreter zu 2 R 31/19x seine Rechtsprechung zu vergleichbaren Klagen von Einzelpersonen gegen die Beklagte referiert und an dieser Judikatur auch im dortigen Sammelklageverfahren festgehalten, weil eine Abtretung der Ansprüche den Gerichtsstand nicht ändere und die Beklagte keine wesentlichen neuen, nicht bereits berücksichtigten Argumente vorgebracht habe. Die weiters von der Beklagten erhobene, vom Erstgericht noch nicht entschiedene Einrede der sachlichen Unzuständigkeit werde in weiterer Folge zu beachten sein.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur internationalen Zuständigkeit für Schadenersatzklagen von Pkw-Käufern gegen die Herstellerin wegen behaupteter Abgasmanipulationssoftware noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.
Der Kläger wendet sich in seinem Revisionsrekurs dagegen, dass es das Rekursgericht unterlassen habe, auch über die von der Beklagten erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit zu entscheiden und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Die Beklagte macht in ihrem Revisionsrekurs im Wesentlichen geltend, eine Lokalisierung des Erfolgsorts in Österreich nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 widerspreche der Rechtsprechung des EuGH, die den Deliktsgerichtsstand als Ausnahme vom Grundsatz „actor sequitur forum rei“ eng auslege. Der Gerichtsstand müsse für den Beklagten vorhersehbar sein, er habe den Zweck das Verfahren an einem Ort durchzuführen, der sich durch Sach- und Beweisnähe auszeichne. Hier sei von der größeren Sach- und Beweisnähe der deutschen Gerichte auszugehen. Der Ort der Übergabe des Fahrzeugs in Österreich stelle keinen zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungspunkt iSd Art 7 Z 2 EuGVVO 2012 dar. Aufgrund des vom Landesgericht Klagenfurt in einem Parallelfall gestellten Vorabentscheidungsersuchen werde die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH darüber beantragt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionsrekurse sind ungeachtet des bei einzelnen Zedenten unter 5.000 EUR liegenden Streitgegenstands gemäß § 502 Abs 5 Z 3 ZPO nicht absolut unzulässig (RS0122125 [T7]). Das Revisionsrekursverfahren ist allerdings in Anbetracht der ausständigen Vorabentscheidung des EuGH in der Rechtssache des Landesgerichts Klagenfurt zu 21 Cg 74/18v zu unterbrechen:
1. Dem Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt zu 21 Cg 74/18v liegt ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde; die Parteien sind dieselben und die gegenseitigen Vorbringen decken sich; die dortige Klage ist (abgesehen vom Klagsbetrag und den geschädigten Verbrauchern) grundsätzlich ident mit der hier vorliegenden Klage.
Unter Darlegung des wechselseitigen Vorbringens und der gegenseitigen Anträge hat das Landesgericht Klagenfurt den EuGH um Klärung der Frage ersucht, ob als Ort, an dem das schädigende Ereignis unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eingetreten ist, auch dann jener Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.
Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).
2. Eine acte clair-Situation liegt – entgegen der Rechtsansicht des Klägers – nicht vor. Die Frage der internationalen (örtlichen) Zuständigkeit für die (auch) hier gegenständlichen deliktischen Schadenersatzansprüche betrifft nicht nur eine große Anzahl einzelner Pkw-Käufer, sondern sie wurde in mehreren erstinstanzlichen Gerichtsentscheidungen unterschiedlich gelöst und auch in Lehrmeinungen sowie im Schrifttum bereits umfangreich und durchaus kontroversiell erörtert. Das Rekursgericht hat daher das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zutreffend bejaht.
3. Für die hilfsweise vom Kläger (in eventu zu der von ihm selbst behaupteten acte clair-Situation) angeregte Ergänzung des Vorabentscheidungsersuchens des Landesgerichts Klagenfurt durch zusätzliche Fragen besteht nach dem derzeitigen Stand der Verfahren kein Anlass (vgl 4 Ob 119/19g).
Textnummer
E126350European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00156.19S.0911.000Im RIS seit
21.10.2019Zuletzt aktualisiert am
21.02.2020