Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.
Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A*****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** PLC, *****, vertreten durch Wolff Theiss Rechtsanwälte GmbH und Co KG in Wien, wegen 11.138,88 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 7. Mai 2019, GZ 6 R 56/19a-44, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 18. März 2019, GZ 13 Cg 47/16s-40, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, werden dahin abgeändert, dass der Beschluss insgesamt lautet:
„1. Die Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit wird verworfen.
2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.592,25 EUR (darin enthalten 432,04 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens aller Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Text
Begründung:
Der Kläger ist Anleger mit Wohnsitz im Sprengel des Landesgerichts Wiener Neustadt. Er erwarb über den Sekundärmarkt in Österreich am 17. 10. 2007 X***** Zertifikate (in der Folge: das Zertifikat) über eine Bank mit Sitz in Salzburg, die für ihn auch als Depotbank agiert. Emittentin des Zertifikats ist die Beklagte, eine Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Frankfurt. Die Beklagte verkaufte das Zertifikat im Zuge der Emission an institutionelle Investoren, die es wiederum am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiterverkaufen.
Dem Zertifikat liegt eine Unternehmensanleihe in Form einer Inhaberschuldverschreibung zugrunde. Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von der X***** GmbH mit Sitz in Hamburg errichtet, verwaltet und unterhalten werden. Die Emission des Zertifikats erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom 22. 9. 2005 und eines Konditionenblatts vom 20. 12. 2005 samt Anhängen. Der Basisprospekt wurde auch bei der Österreichischen Kontrollbank notifiziert. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief vom 20. 12. 2005 bis 24. 2. 2006, die Emission erfolgte am 31. 3. 2006. Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Frankfurt. Dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt.
Der Kläger stützte sein Begehren in der beim Landesgericht Wiener Neustadt (Wohnsitzgericht) eingebrachten Klage ursprünglich auf vertraglichen, vorvertraglichen und deliktischen Schadenersatz. Er begründete die internationale Zuständigkeit mit Art 15 und Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001. Zuletzt macht er nur noch einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus Prospekthaftung geltend und beruft sich auf den Gerichtsstand des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 (ON 36).
Die Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Der Schaden sei erst mit der tatsächlichen Durchführung des Auftrags zum Erwerb des Zertifikats eingetreten. Dieses Geschäft werde am Ort der Clearingstelle in Deutschland durchgeführt.
Der Kläger brachte in der Folge vor, der Schaden sei nicht am Wohnsitz, sondern am Sitz der kontoführenden Bank in Salzburg eingetreten. Er beantragte die Überweisung der Klage an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Salzburg.
Das Landesgericht Wiener Neustadt sprach seine Unzuständigkeit aus und überwies die Rechtssache an das Landesgericht Salzburg. Eine Begründung enthielt der Beschluss nicht, lediglich in Spruchpunkt 2 (der Überweisung) wird § 261 Abs 6 ZPO zitiert.
Die Beklagte hielt ihre Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit auch nach der Überweisung aufrecht.
Nach Einschränkung des Klagebegehrens sowie des Anspruchsgrundes nur auf deliktische Schadenersatzansprüche aus Prospekthaftung beantragte der Kläger, für den Fall, dass das Landesgericht Salzburg seine Unzuständigkeit ausspricht, die Klage an das Landesgericht Wiener Neustadt als international und örtlich zuständiges Wohnsitzgericht zu überweisen.
Das Landesgericht Salzburg sprach seine internationale Unzuständigkeit aus, wies den Antrag auf Überweisung der Klage an das Landesgericht Wiener Neustadt ab und die Klage zurück. Nach gesicherter Judikatur des Obersten Gerichtshofs sei zuständiges Gericht iSd Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 das Wohnsitzgericht und nicht jenes, in dessen Sprengel die kontoführende Bank ihren Sitz habe. Der nach § 261 Abs 6 ZPO gefasste Überweisungsbeschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt enthebe das Adressatgericht nicht einer Prüfung der internationalen Zuständigkeit, die selbst nach dem Vorbringen des Klägers nicht bestehe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Seiner Beurteilung nach bezieht sich die Bindung des Landesgerichts Salzburg als Adressatgericht im Sinn des § 261 Abs 6 ZPO nur auf die nationale örtliche oder sachliche Zuständigkeit, nicht jedoch auf die internationale Zuständigkeit. Eine Begründung der Zuständigkeit nach § 261 ZPO reiche zur Sanierung der internationalen Unzuständigkeit nach Art 26 EuGVVO 2001 nur dann aus, wenn das Adressatgericht örtlich zuständig sei. Das Erstgericht (Adressatgericht) sei nach Art 5 Z 3 EuGVVO 2001 örtlich unzuständig. Eine Rücküberweisung der Rechtssache an das Landesgericht Wiener Neustadt sei nach der nationalen Rechtsprechung ausgeschlossen.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einer Konstellation zu, in der das überweisende Gericht nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 international zuständig gewesen wäre, nicht aber das Adressatgericht.
Der Kläger beantragt in seinem Revisionsrekurs den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verworfen und das Erstgericht für örtlich und international zuständig erklärt wird, in eventu die Klage an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Wiener Neustadt zu überweisen.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
1. Aufgrund des Einbringungsdatums der Klage ist die internationale Zuständigkeit – unstrittig – noch nach der Verordnung (EG) Nr 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2001) zu beurteilen.
2. Nach der Grundregel des Art 2 Nr 1 EuGVVO 2001 sind Personen, die ihren (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit grundsätzlich vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.
3. Nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 kann eine Person, die ihren (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, der einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des „Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.
4. Der Kläger beruft sich als geschädigter Anleger nur mehr auf deliktische Ansprüche (insbesondere aus Prospekthaftung) und auf den Gerichtsstand des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001.
5. Nach der Rechtsprechung des EuGH (5 Ob 240/18g; 4 Ob 185/18m je mN aus C-304/17, Löber) sind zur Beurteilung derartiger Ansprüche aus Prospekthaftung die Gerichte des Wohnsitzes des Anlegers als Gerichte des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 dann für die Entscheidung zuständig, wenn sich der behauptete Schaden, der in einem finanziellen Verlust besteht, unmittelbar auf einem Bankkonto dieses Anlegers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht hat und die anderen spezifischen Gegebenheiten dieser Situation ebenfalls zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beitragen. Diese Voraussetzungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass sich die in besonderer anlage- und schadenstypischerweise mit dem Geschäftsvorgang oder Schadensfall verknüpften schädigenden Vermögensdispositionen im Zuständigkeitsbereich inländischer Gerichte ereigneten und sonstige spezifische Gegebenheiten der Situation vorliegen, die nicht zum (Wohn-)Sitz des Beklagten, sondern in den Zuständigkeitsbereich inländischer Gerichte weisen. Als spezifische Gegebenheiten erwähnt der EuGH den Wohnsitz des Anlegers/der Anlegerin in Österreich, die Durchführung aller Zahlungen für den Investitionsvorgang von österreichischen Bankkonten aus (vom persönlichen Bankkonto und den speziell der Durchführung dieses Vorgangs gewidmeten Verrechnungskonten), den Erwerb der Zertifikate auf dem österreichischen Sekundärmarkt, die Notifizierung der Prospektangaben gegenüber der österreichischen Kontrollbank und das Eingehen der Verpflichtung, die Anlage zu tätigen, auf Grundlage dieser Angaben in Österreich.
6. Nach diesen Kriterien sind österreichische Gerichte nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 international zuständig. Der geschädigte Anleger hat seinen Wohnsitz in Österreich. Das Konto, auf das er den investierten Betrag überwies, wurde in Österreich geführt. Der österreichischen Kontrollbank wurde der Basisprospekt, der Grundlage für die Emission des Zertifikats war, notifiziert (vgl 4 Ob 185/18m; 3 Ob 185/18d ua).
7. Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 regelt nicht nur die internationale, sondern zugleich auch die (internationale) örtliche Zuständigkeit (vgl RIS-Justiz RS00111094). Das ursprünglich angerufene Landesgericht Wiener Neustadt ist nach dem Wohnsitz des geschädigten Anlegers demnach das international örtlich (und nach nationalem Recht sachlich) zuständige Gericht in Österreich. Dieses Gericht hat – ohne jede Begründung – seine Unzuständigkeit ausgesprochen und die Rechtssache entsprechend dem Antrag des Klägers an das Landesgericht Salzburg überwiesen, in dessen Sprengel die das Verrechnungskonto führende Bank ihren Sitz hat.
8. Art 26 EuGVVO lässt eine Überweisung innerhalb des angerufenen Mitgliedstaats von dem konkret angerufenen (hier vermeintlich) örtlich unzuständigen Gericht an ein anderes Gericht desselben Mitgliedstaats zu (8 Ob 17/17h mwN).
9. Nach § 261 Abs 6 ZPO kann der Kläger, wenn der Beklagte die fehlende örtliche Zuständigkeit einwendet, den Antrag stellen, dass das Gericht für den Fall, dass es seine Unzuständigkeit ausspricht, die Klage an das vom Kläger namhaft gemachte Gericht überweist. Diesem Antrag hat das Gericht stattzugeben, wenn es das andere Gericht nicht für offenbar unzuständig erachtet. Die Überweisung ist mit dem Beschluss über die Unzuständigkeit zu verbinden. Gegen diesen Beschluss ist mit Ausnahme der Entscheidung über die Kosten des Zuständigkeitsstreits ein Rechtsmittel nicht zulässig.
10. Im vorliegenden Fall hat das überweisende Gericht die internationale Zuständigkeit Österreichs ausdrücklich weder bejaht noch verneint, sondern gar nicht behandelt. Eine gegenteilige Interpretation lässt der Spruch ungeachtet der Überweisung an ein anderes österreichisches Gericht nicht zu, weil mangels Begründung die Rechtsgrundlage für den Ausspruch der Unzuständigkeit nicht klargestellt wurde. Das Adressatgericht hatte nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs über die Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit zu entscheiden (8 Ob 17/17h; 5 Ob 240/18g je mwN; vgl RS0039934 [T2]). Es konnte aber – wie der Oberste Gerichtshof zu 5 Ob 240/18g mit ausführlicher Begründung klargestellt hat – nur dann seine internationale Unzuständigkeit aussprechen, wenn weder es selbst noch das überweisende Gericht international zuständig gewesen wären. Das trifft hier nicht zu.
11. Das Landesgericht Salzburg ist nach diesen Kriterien international zuständig. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind dahin abzuändern, dass die Einrede der internationalen Zuständigkeit verworfen wird.
12. Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (5 Ob 240/18g mwN). Hinsichtlich des mit Schriftsatz vom 12. 7. 2016 (ON 23) erhobenen Rechnungslegungsbegehrens, das der Kläger letztlich fallen ließ (ON 36), ist er zur Gänze als unterlegen anzusehen. Soweit es das Zahlungsbegehren betrifft, haben beide Parteien bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Kläger sein Begehren nur mehr auf deliktische Ansprüche aus Prospekthaftung stützte und den Gerichtsstand nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 heranzog (ON 36), jeweils in Ansehung eines Gerichtsstands nach der EuGVVO 2001, somit zu etwa 50 % obsiegt. Im ersten Abschnitt bis zur Ausdehnung um das Rechnungslegungsbegehren sind die Kosten nach § 43 Abs 1 ZPO gegenseitig aufzuheben. Ab der Ausdehnung bis zur Einschränkung (ON 36) hat der Kläger auf Basis der um das Rechnungslegungsbegehren erhöhten Bemessungsgrundlage ca zu 40 % obsiegt, weshalb er in diesem Abschnitt der Beklagten 20 % ihrer Kosten zu ersetzen hat. Danach hat er voll obsiegt und nach § 41 ZPO (für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO) Anspruch auf Ersatz seiner gesamten Verfahrenskosten. Der ERV-Zuschlag nach § 23a RATG beträgt nur 2,10 EUR.
Textnummer
E126373European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00108.19X.0924.000Im RIS seit
22.10.2019Zuletzt aktualisiert am
02.01.2020