Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Jukic in der Strafsache gegen Matthias G***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 5. März 2019, GZ 36 Hv 39/18g-32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Matthias G***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II) und eines solchen Verbrechens nach § 207 Abs 1 und 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 (I) schuldig erkannt.
Danach hat er von der zweiten Hälfte des Jahres 2000 bis zum 6. Mai 2002 in K***** außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an dem am 7. Mai 1988 geborenen, somit unmündigen R*****
(I) in einem Angriff vorgenommen, indem er ihn mit der Hand befriedigte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Opfers, nämlich eine an sich schwere Gesundheitsschädigung (vgl US 3) in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung, zur Folge hatte, und
(II) in mehreren weiteren Angriffen jeweils vorgenommen und von diesem an sich vornehmen lassen, indem er ihn mit der Hand befriedigte und sich von ihm mit der Hand befriedigen ließ.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Abweisung (ON 31 S 12) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags des Beschwerdeführers auf Einholung eines „medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Psychologie bzw. Psychiatrie“ zum Beweis dafür, dass er „zum relevanten Tatzeitpunkt unter einer die Schuld ausschließenden Störung der Sexualpräferenz litt“ (ON 31 S 11), bewirkt mangels Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten keinen Verfahrensmangel (Z 4):
Deutlich genug war der Antrag (zunächst) auf den Nachweis einer tatsächlichen Grundlage für den rechtlichen Schluss auf Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) des Angeklagten zur Tatzeit gerichtet.
Die Beiziehung eines Sachverständigen (soweit eine psychische Krankheit oder eine geistige Behinderung in Rede steht: aus dem Fachgebiet nicht der Psychologie, sondern der Psychiatrie – vgl RIS-Justiz RS0099571 [T3], RS0129734) ist zur Klärung dieser Frage nur dann geboten, wenn das Beweisverfahren konkrete Umstände ergeben hat, die bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs Zweifel daran hervorrufen, dass der Angeklagte zur Tatzeit fähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln; ein darauf abzielender Antrag hat diese Indizien anzuführen (RIS-Justiz RS0097641 [insbesondere T15 und T17]).
Dass beim Beschwerdeführer am 19. August 2004 eine Störung der Sexualpräferenz F 65.9, also eine (bloße) Verhaltensstörung, diagnostiziert wurde (Beilage ./1 iVm ON 31 S 11), bietet keinen derartigen Anhaltspunkt. Ebenso wenig, dass es jedes Mal „mit einem Lachen, mit einer Verniedlichung oder Ähnlichem verbunden“ sei, wenn er über „sexuelle Handlungen“ spreche, sowie die Behauptung des Angeklagten, seine „bisherige sexuelle Erfahrung“ habe sich „bis auf die hier gegenständlichen Vorfälle auf gleich Null erschöpft“. Der diese Umstände relevierende Antrag ließ demnach nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und trug solcherart reinen Erkundungscharakter (RIS-Justiz RS0118444).
Soweit der Antrag – gleichsam eventualiter – zum Beweis des Vorliegens einer „Störung“ gestellt wurde, die den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 11 StGB herstelle, betraf er (nicht die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage, sondern) bloß die Ermessensentscheidung bei der Sanktionsfindung und war daher schon von vornherein nicht mit Nichtigkeit bewehrt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 321 f).
Dass er – wie die Beschwerde behauptet – darüber hinaus auf den Nachweis mangelnder subjektiver Vorhersehbarkeit der eingetretenen Verletzungsfolge (I) gezielt hätte, trifft nach der (hierfür maßgeblichen: RIS-Justiz RS0099618) Antragsbegründung (ON 31 S 11) nicht zu.
Entgegen der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) widerspricht die Feststellung des Beginns des Tatzeitraums „in der zweiten Hälfte des Jahres 2000“ (US 3) keineswegs jener, der am 7. Mai 1988 geborene R***** sei zu diesem Zeitpunkt „elf oder zwölf Jahre alt“ gewesen (US 3) – war doch der Genannte demnach in der (gesamten) zweiten Jahreshälfte 2000 (jedenfalls) zwölf Jahre alt. Mit Blick auf das Tatbestandserfordernis der Unmündigkeit des Opfers (§ 207 StGB) ist außerdem (ohnehin) nicht entscheidend (RIS-Justiz RS0106268), ob dieses zur Tatzeit elf oder zwölf Jahre alt war, sondern nur, dass es das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (§ 74 Abs 1 Z 1 StGB).
Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) die
– somit für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebende (vgl RIS-Justiz RS0098557 [T10, T11 und T14]) – Urteilsprämisse der Tatbegehung vor dem 7. Mai 2002 (US 3 f) anficht, sei erwidert:
Das Schöffengericht stützte das bekämpfte Feststellungssubstrat vor allem auf Aussagen des tatbetroffenen Zeugen, denen es – unter Miteinbeziehung einer Vielzahl von Verfahrensergebnissen, darunter der Verantwortung des Angeklagten – Glaubhaftigkeit beimaß (US 4 bis 7).
Erhebliche Bedenken im Sinn der Z 5a können – soweit hier relevant (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden nicht behauptet) – nur aus in der Hauptverhandlung vorgekommenen (§ 258 Abs 1 StPO), nicht aus dem (angeblichen) Fehlen von Beweisen abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0128874).
Indem die Beschwerde jene Feststellung – zudem ohne an der Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilserwägungen Maß zu nehmen (siehe aber RIS-Justiz RS0118780 [T1]) – mit dem Einwand bezweifelt, aus bestimmten Aussagen verschiedener Zeugen könnten „keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme eines konkreten Tatzeitraumes abgeleitet werden“, verlässt sie schon deshalb den Anfechtungsrahmen.
Gleiches gilt, soweit sie die – aus Z 5a nicht bekämpfbare (RIS-Justiz RS0099649) – tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft darauf bezogener Aussagen des Zeugen R***** (US 4 f) infrage zu stellen trachtet.
Dem übrigen Vorbringen zuwider reicht – unter dem Blickwinkel der Kausalität – schon Mitursächlichkeit des vorgeworfenen Verhaltens für die eingetretenen (schweren) Verletzungsfolgen zur Begründung deren strafrechtlicher Zurechnung aus (RIS-Justiz RS0091997 [T2]). Weder für die Schuld- noch für die Subsumtionsfrage bedeutsam, somit nicht entscheidend (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399) ist demnach, ob einer von mehreren (hier konstatierten) gleichartigen Angriffen schon für sich allein oder nur zusammen mit weiteren die – in jedem Fall nur einmal zuzurechnende (RIS-Justiz RS0120828 [insbesondere T3]) – schwere Folge bewirkte (11 Os 32/16i).
Soweit die Tatsachenrüge diese Frage releviert, verfehlt sie daher von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E126381European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0130OS00060.19A.1009.000Im RIS seit
22.10.2019Zuletzt aktualisiert am
22.10.2019