Entscheidungsdatum
11.06.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W105 2153379-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Harald BENDA über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2017, Zl. 1073067105/150647473/BMI-BFA_SBG_AST_01_TEAM_04, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2019 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und den §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2, 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer stellte am 09.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Am 11.06.2015 fand die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt, bei der er angab, aus der Provinz Logar (Afghanistan) zu stammen, Moslem zu sein und der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören. In Bezug auf seine Fluchtgründe gab er an, dass er das Land verlassen habe müssen, da die Taliban zu jeder Familie kommen würden und die jungen Männer oder Väter für diese arbeiten oder für sie kämpfen müssten.
Am 20.10.2016 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Asylverfahren statt. Bei der Einvernahme führte der Beschwerdeführer aus, dass er von 2004 bis 2015 die Schule besucht habe und im Heimatort noch seine Eltern, sein minderjähriger Bruder sowie seine minderjährige Schwester leben würden. In Bezug auf seine Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer zusammenfassend an, dass er keine Religion habe. Sein Vater sei mit seiner Einstellung zur Religion einverstanden gewesen und habe seinen Entschluss akzeptiert. Seine Mutter und seine Geschwister hätten davon nichts gewusst und sei er von seiner Mutter und seinen Geschwistern kritisiert worden, warum er nicht bete. Es sei bei ihnen üblich, dass sämtliche Handlungen eingestellt würden, wenn der Muezzin zum Gebet rufe. Er habe aber nicht beten wollen und so wäre das Leben zu Hause viel schwieriger geworden. Weiters hätten die Taliban versucht, ihn zu rekrutieren, damit er mit ihnen zusammenarbeite. Er sei von den Taliban belästigt worden und habe nicht mehr zur Schule gehen können. Er habe dies mit seinem Vater besprochen und habe sein Vater gesehen, dass es für ihn besser wäre, das Land zu verlassen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.03.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Des Weiteren wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Es wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Mit Verfahrensanordnung vom 20.03.2017 wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom selben Tag ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 03.04.2017 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wurde zunächst darauf verwiesen, dass gegen die in casu einschlägige zweiwöchige Beschwerdefrist gravierende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden und wurden diese umfangreich dargelegt. Weiters wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer vom muslimischen Glauben abgefallen sei und Atheist wäre. Als diese Tatsache bekannt geworden sei, sei er von der Schule verwiesen worden. Dieser Schulverweis habe es ihm unmöglich gemacht, woanders die Schule zu besuchen oder sich eine Arbeit zu suchen, da er damit immer seinen Abfall vom Islam darlegen hätte müssen. Er fürchte aufgrund seines Abfalls vom Islam asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat und bestehe für ihn keine innerstaatliche Fluchtalternative. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig. Sie würden zwar allgemeine Aussagen über Afghanistan beinhalten, aber sich ungenügend mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen. Für ihn wäre eine Wiedereingliederung in die afghanische Gesellschaft sehr schwierig, da sein Abfall vom Islam leicht bei den afghanischen Behörden aufscheinen könnte. Seine Mutter und seine Geschwister würden keinen Kontakt mit ihm wollen, weil sein Abfall vom Islam bekannt sei. Er habe sein Vorbringen detailliert und lebensnah gestaltet und über seine drohende Verfolgung und seinen Abfall vom Islam freigesprochen. Richtigerweise wäre ihm aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Personen, die vom Islam abgefallen sind, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen. Auch wäre er im Falle einer Rückkehrentscheidung in seinen Rechten gemäß Art. 8 EMRK verletzt, da eine mangelhafte diesbezügliche Interessenabwägung erfolgt wäre.
Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.04.2017 vom BFA vorgelegt.
Das Bundesverwaltungsgericht brachte dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.06.2018 sowie die UNHCR Guidlines-Afghanistan vom 30.08.2018 gemeinsam mit der Ladung zur Verhandlung für den 20.09.2019 zur Kenntnis.
Mit Schriftsatz vom 13.12.2018 brachte der Beschwerdeführer durch seinen nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreter zusammenfassend vor, dass er aus Logar stamme und diese Provinz zu den volatilsten Provinzen Afghanistans zähle. Er wäre Atheist, sei vom Islam abgefallen und liege bei ihm der Tatbestand der Apostasie vor. Er wäre nicht nur in seiner Herkunftsprovinz, sondern überall in Afghanistan von asylrelevanter Verfolgung aus religiösen Gründen bedroht.
Am 20.02.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer sowie dessen rechtsfreundlicher Vertreter ordnungsgemäß geladen wurden, der Beschwerdeführer jedoch unentschuldigt nicht erschien, sodass in seiner Abwesenheit schließlich verhandelt wurde.
Das Beschwerderechtsgespräch gestaltete sich wie folgt:
"[...] R richtet die Frage an den RV, ob er sich zum Verfahren äußern möchte:
RV: Ich ergänze das Vorbringen zur individuellen Bedrohung sowie zum Nichtvorliegen der innerstaatlichen Fluchtalternative.
R: Haben Sie neue Dokumente, die Sie vorlegen möchten?
RV: Ich lege vor Auszüge aus dem EASO-Bericht aus Jänner 2015 (Beilage ./1).Ich bringe vor, dass sich aus diesem Bericht ergibt, dass die Taliban damals in der Herkunftsprovinz des BF eine starke Präsenz aufgewiesen haben, Speziell auch sein Herkunftsbezirk XXXX damals besonders volatil gewesen ist. Daraus wird erhellt, dass sich das andeutungsweise Vorbringen des BF anlässlich seiner Befragung durch das BFA über eine versuchte Rekrutierung seitens der Taliban bzw. Belästigung durch die Taliban sowie das entsprechende Vorbringen anlässlich der Erstbefragung mit der Berichtslage deckt und damit auch objektiv wahrscheinlich ist. Der BF wurde anlässlich der Einvernahme vom 20.10.2016 zu der von ihm in freier Erzählung andeutungsweise berichteten versuchten Rekrutierung durch die Taliban nicht näher befragt, sondern hat sich der Organwalter ausschließlich auf das vom BF geltend gemachte Problem betreffend eine Auseinandersetzung im Religionsunterricht und des Schulverweises beschränkt. Tatsächlich sind die Taliban zeitnah zur Flucht des BF zweimal bei ihm gewesen. Der BF konnte sich jeweils verstecken und sein Vater hat die Tür geöffnet. Auch in der Nachbarschaft hat zumindest eine derartige Rekrutierung stattgefunden. Ungeachtet der Fragen, ob derartige Rekrutierungsversuche in Bezug auf den BF tatsächlich stattgefunden haben, musste der BF derartige Verfolgungshandlungen der Taliban damals aufgrund der Lage in seinem Herkunftsdistrikt und der starken Talibanpräsenz bei fehlender Regierungskontrolle während der Nachtstunden wohlbegründet fürchten.
Die Dolmetscherin wird um 09:16 Uhr entlassen.
Der RV verlässt kurzfristig den Saal, um zu erkunden, ob sein Mandant vielleicht mittlerweile eingetroffen wäre, kehrt um 09:20 Uhr zurück, ohne seinen Mandanten.
R: Haben Sie noch weitere Dokumente, die Sie zur Integration des BF vorlegen möchten.
RV: Ich lege des Weiteren vor einen Bericht von EASA Afghanistan vom Mai 2018, wonach sich die Situation in der Herkunftsprovinz meines Mandanten nach wie vor nicht gebessert hat (Beilage ./2). Zur Integration bringe ich vor, dass er sich auf Deutsch ausdrücken kann und Arbeit finden würde, dass mehrere Beschäftigungszusagen vorliegen. Ich lege vor die Beschäftigungszusicherungen (Beilagen ./3 bis ./5).
R: Gibt es Zeugnisse zum Spracherwerb?
RV: Nein, liegen mir nicht vor.
R: Darf ich fragen, ob Sie zuletzt Kontakt mit Ihrem Mandanten hatten?
RV: Ja, ich hatte wiederholte Male Kontakt. Zuletzt gestern und wurde vereinbart, dass wir uns heute um 09:00 Uhr hier treffen.
R: An dieser Stelle wäre Ihrem Mandanten Gelegenheit geboten, einerseits zum Sachverhalt Stellung zu beziehen sowie andererseits wäre beabsichtigt gewesen, in ein Rechtsgespräch einzutreten.
RV: Ich bringe weiter vor, dass die Sicherheitslage in Logar so volatil ist, dass der BF dorthin unbeschadet von individuellen Fluchtgründen ohne Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit nicht zurückkehren kann, schon eine Zureise in seine Heimatprovinz aufgrund der prekären Sicherheitslage ohne Gefährdung der Unversehrtheit nicht möglich ist und im Falle einer dauernden Aufenthaltnahme dort dem BF mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe in seine Unversehrtheit drohen würden. Zudem ist eine Rekrutierungsgefahr durch die Taliban weiterhin aufrecht, wobei auf Art. 4 Abs. 4der Statusrichtlinie Bedacht zu nehmen ist. Aus einer Reihe von Dokumenten bzw. Berichten geht hervor, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative für den BF in keiner der dafür in Betracht kommenden Gebiete und Städte Afghanistans besteht. Insbesonders belegt dies der umfassende 270 Seiten umfassende Bericht von ACCORD zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010 bis 2018 vom 07.12.2018, dessen Einbeziehung in das Verfahren beantragt wird.
R: Sie kennen sicherlich die jüngste Judikatur der beiden Höchstgerichte zur sogenannten innerstaatlichen Fluchtalternative. Gibt es bestimmte spezifische Aspekte, aus welchem herausgelesen werden könnte, dass der gegenständliche Fall von dem bereits judizierten Fällen abweichen würde?
RV: Diese Judikatur gibt es nicht. Die aktuellsten Judikate des VfGH und VwGH hatten Erkenntnisse des BVwG zum Gegenstand, die aufgehoben wurden, weil ausgehend von den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 einerseits eine Fluchtalternative Kabul angenommen wurde, obwohl diese von UNHCR verneint wird und in Bezug auf die Städte Herat und Mazar-e Sharif den Hinweisen von UNHCR, dass die dortige Versorgungslage für Binnenvertriebene und Rückkehrer aufgrund der großen Anzahl von Rückkehrern und Binnenvertriebenen sehr angespannt ist, nicht nachgegangen würde und man jedenfalls unter Zugrundelegung der UNHCR-Richtlinien nicht ohne nähere Ermittlung davon ausgehen kann, dass afghanische Asylwerber, die aus Sicherheitsgründen nicht in ihre Heimatregion zurückkehren können, in diesen Gebieten nach den Kriterien von UNHCR, vor allem aber auch des VwGH eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Neuansiedelungsalternative vorfinden können. Genau mit diesem Themenbereich befasst sich der zuvor zitierte ACCORD-Bericht. Zudem ergibt sich aus den im Rede stehenden ACCORD-Bericht und auch aus den Expertisen von Friederike STAHLMANN, insbesonders deren Gutachten vom 28.04.2018 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden, dass alleinstehende Rückkehrer aus Europa besonderen Gefährdungen ausgesetzt sind, weil sie als sozial Verdächtige gelten, weil die Befürchtung besteht, man könnte Probleme bekommen, wenn man sich mit ihnen abgibt und ihnen generell eine Verwestlichung unterstellt wird.
Ich beziehe mich auf den ACCORD-Bericht sowie auf einen Aufsatz von STAHLMANN aus März 2017: "Überleben in Afghanistan" (Beilage ./6). Dann lege ich Ihnen Auszüge aus dem Stahlmann-Gutachten vor (Beilage ./7). Dann beziehe ich mich auf ein Vorbringen der Caritas und wurde ich autorisiert, dieses zu verwenden. Es handelt sich um eine Stellungnahme zu ACCORD, Veränderungen in Kabul, Herat und Mazar und erhebe ich den Inhalt dieses Schreibens zum Inhalt meines Vorbringens (Beilage ./8) sowie weiters auf ein Schriftstück der Caritas (Textbaustein, Beilage ./9), in welchem besonders Bezug genommen wird auf die UNHCR-Richtlinien hinsichtlich der weiteren Städte außerhalb Kabuls.
R: Haben Sie eine grobe Ahnung davon, wie viele Person etwa im Großraum Kabul derzeit aufhältig sind?
RV: Nein, ich weiß es nicht.
R: Die Angaben variieren von 3 bis sogar 8 Millionen Menschen und ist keinem internationalen Dokument entnehmbar, dass es allenfalls zum Ausbruch von Seuchen gekommen wäre oder dass allenfalls die Trinkwasserversorgung zusammengebrochen wäre und ist auch keinem Bericht der UN entnehmbar, dass Menschen im Rahmen des Hungers sterben würden oder auch nur, dass es eine eklatante großflächige Nahrungsmittelunterversorgung gebe. Möchten Sie dazu etwas sagen?
RV: Diese Umstände mögen bei einer Beurteilung nach Art. 3 EMRK relevant sein, aber nicht dafür, ob vom BF vernünftigerweise erwartet werden kann, sich an einem Ort Afghanistans anzusiedeln, wo er hinsichtlich der elementarsten Lebensbedürfnisse als Rückkehrer wesentlich härteren Lebensbedingungen ausgesetzt wäre, als Menschen, die dort - wenn auch in Armut - bereits angesiedelt sind. Genau diese Umstände werden in dem zum Gegenstand der Stellungnahme erklärten Text der Caritas abgehandelt und zwar durch Exzerpierung der wesentlichen Inhalte des ACCORD-Berichts. Ob diese äußerst schwierigen Lebensumstände für alleinstehende Rückkehrer aus rechtlicher Sicht der Annahme einer zumutbaren Fluchtalternative entgegenstehen, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung, die erst vorgenommen werden kann, wenn der entsprechende sozioökonomische Sachverhalt ermittelt worden ist. Aus dem zugegebenermaßen sehr umfangreichen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ergeben sich zwar Hinweise auf die sehr angespannte Versorgungslage für Rückkehrer in den Städten, wobei jedoch diese Quelle auch nicht annähernd so detailliert die sozioökonomischen Voraussetzungen einer Ansiedlung behandelt wie der Bericht von ACCORD. [...]
Seitens des rechtsfreundlichen Vertreters wurden folgende Unterlagen/Dokumente in das Verfahren eingeführt:
* EASO-Country of Origin Information Report - Afghanistan Security Situation vom Jänner 2015 (Beilage 1)
* EASO-Country of Origin Information Report - Afghanistan Security Situation vom Mai 2018 (Beilage 2)
* Einstellungszusage Pizzeria Bamiyan vom 19.02.2019 (Beilage 3)
* Einstellungszusage Shiraz Restaurant (Beilage 4)
* Einstellungszusage Istanbul Metzgerei vom 19.07.2018 (Beilage 5)
* ACCORD-Bericht sowie Aufsatz von Friederike STAHLMANN "Überleben in Afghanistan" (Beilage 6)
* Auszug aus dem Gutachten Friederike STAHLMANN (Beilage 7)
* Stellungnahme der CARITAS vom 29.01.2019 zu einem ACCORD Bericht bzgl. der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Vesorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul (Beilage 8)
* Schriftstück der CARITAS, Textbaustein UNHCR-RL Indizwirkung allgemein vom 26.09.2018 (Beilage 9)
Mit E-Mail vom 21.02.2019 teilte sodann der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers dem BVwG die Gründe mit, die für die Versäumung der mündlichen Beschwerdeverhandlung seitens des Beschwerdeführers geführt hätten.
Am 20.03.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht sodann erneut eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, dessen Rechtsvertretung und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde blieb entschuldigt der Verhandlung fern.
[...] Zum aktuellen Zustand des BF:
R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit dem BF abgeklärt, sodass ihm diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?
BF: Mir geht es gut und ich nehme keine Medikamente und bin bereit und in der Lage die gestellten Fragen zu beantworten.
II. Zum Verfahren vor dem BFA bzw. den Organen des öffentlichen
Sicherheitsdienstes:
R: Sie wurden bereits beim BFA bzw. vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizei) niederschriftlich einvernommen. Haben Sie dort immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?
BF: Ich habe die Wahrheit angegeben, es wurde auch alles richtig protokolliert. Das einzige was ich nicht erwähnt habe ist, da drinnen steht, dass ich gesagt hätte, das Leben in Afghanistan wäre für mich langweilig, das ist das einzige, was ich nicht gesagt haben.
R: Bei den niederschriftlichen Einvernahmen war ein Dolmetsch für die Sprachen Dari oder Farsi anwesend. Wurden Ihnen die Niederschriften, die die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das BFA im Zuge Ihrer Einvernahme mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?
BF: Ja, aber mir wurden nicht alle Seiten wieder rückübersetzt.
R: Können Sie das bitte näher erklären, ich meine damit das angesprochene Protokoll vom 20.10.2016 ist einerseits entnehmbar, die Anmerkung "die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt und andererseits haben Sie das niedergeschriebene Protokoll jeweils Seite für Seite mit Ihrer Unterschrift bekräftigt - ist das Ihre Unterschrift (R zeigt auf die Unterschriften am Ende jeder einzelnen Protokollseite)?
BF: Ja, das ist meine Unterschrift. Es wurde mir schon rückübersetzt, aber nicht alle Seiten. Ich bin gefragt worden, ob ich auch möchte, dass mir die anderen Seiten rückübersetzt werden. Es wurde mir gesagt, dass was du gesagt hast, wurde hier niedergelegt. Ich habe gesagt, wenn das so ist, dann passt es.
R: Kennen Sie nunmehr - das Protokoll ist aus dem Jahr 2016 - den genauen Inhalt des Protokolltextes bzw. das was aus Ihrer Aussage damals niedergeschrieben wurde?
BF: Ja.
R: Was an diesem Protokoll ist Ihrer Meinung nach nicht mit Ihrer damaligen Aussage in Einklang zu bringen?
BF: Ich kann mich erinnern, dass ich gesagt habe und die damals gestellten Fragen habe ich auch noch im Kopf.
R: Ist etwas falsch an dem von Ihnen unterzeichneten Protokoll?
BF: Soweit ich mich erinnern kann passt alles und es ist alles richtig, außer ich möchte wieder erwähnen, die Sache mit der Langeweile habe ich so nicht gesagt.
R: Der Form halber möchte ich das jetzt nochmal deutlich aussprechen: Das vorliegende Protokoll vor dem BFA liefert einen vollen Beweis für Ihre damalige Aussage bis auf diese Passage mit dem Begriff der Langeweile?
BF: Ich möchte hinzufügen, dass ich mein Protokoll nicht selber durchgelesen habe, weil ich der deutschen Sprache nicht mächtig war.
R: Sie kennen aber den Inhalt des Protokolls, wie Sie gerade bestätigt haben und wurde es Ihnen offenbar nachträglich in der Zwischenzeit von einer dritten Person rückübersetzt?
BF: Ja.
RV unterbricht ständig den R: Ich möchte etwas sagen, es läuft völlig in eine falsche Richtung. Ich habe vorgestern mit dem Mandanten ein Vorgespräch geführt und hat er mir da etwas ganz Anderes gesagt.
Anmerkung: R unterbricht den RV und weist ihn darauf hin, dass zuerst die Einvernahme durchgeführt wird und er danach gerne ein ergänzendes Vorbringen erstatten kann.
R: Bitte das dem BF zu übersetzen und kann dieser etwas dazu sagen?
BF: Ja, das stimmt, ich war vor 2 Tagen bei meinem Anwalt. Als ich damals nach Österreich, nach XXXX gekommen bin, bin ich für 3 Tage bei der Polizei festgehalten worden. Dort bin ich einvernommen worden. Ich habe bei meiner Einvernahme nicht alles vollständig angegeben, aus Angst habe ich eine falsche Einvernahme abgegeben und nicht meinen richtigen Asylantrag. Ich möchte sagen, dass ich 50% der Wahrheit schon gesagt habe, aber 50% verschwiegen habe aus Angst.
R: Wir spreche jetzt von der polizeilichen Ersteinvernahme: Was haben Sie damals aus Angst verschwiegen?
BF: Ja, es war die erste Einvernahme bei der Polizei. Das ich Atheist bin und aus Angst ich das nicht angeben konnte.
R: Soweit mir erinnerlich ist, haben Sie das bei späterer Gelegenheit auch so bemerkt und ausgesprochen und habe ich es so zur Kenntnis genommen.
III. Zur persönlichen Situation des BF:
a) in Österreich:
R: Leben Sie in Österreich alleine oder leben Sie mit jemandem zusammen? Wie ist Ihre aktuelle Wohnsituation? Leben Sie in einer Flüchtlingspension?
BF: Ich lebe Privat.
R: Sprechen Sie auch schon ein wenig Deutsch? Welches Sprachniveau haben Sie? Besuchen Sie Sprachkurse oder sonstige Kurse, Schule, Vereine oder Universität?
BF: Ja, ich spreche Deutsch. Kurse habe ich nicht besucht, weil ich Probleme habe und viel denken muss mit dem Kopf. Selbst wenn ich in einen Deutschkurs gehen sollte, da weiß ich sicher, ich werde nichts lernen, weil es mir nicht gut geht.
R: Können Sie das konkretisieren, warum könnten Sie nicht in einen Deutschkurs gehen?
BF: Weil ich seit 4 Jahren von meiner Familie entfernt bin und ich sie sehr vermisse. Ich bin aber nicht krank, ich bin gesund.
R: Habe Sie in Österreich familiäre Bindungen?
BF: Nein.
R: Sie kommen aus der Provinz Loghar in Afghanistan, sind angehöriger der tadschikischen Volksgruppe, stimmt das so?
BF: Ja, das stimmt.
R: Über welche Schulbildung verfügen Sie?
BF: 10 Jahre Grundschule, ich habe die Schule besucht von 2004 bis Ende 2015.
R: Bei der Ersteinvernahme haben Sie bei den Schulbesuchszeiten angegeben, die Grundschule von 2002-2006 besucht zu haben, was sagen Sie dazu?
BF: Das ist falsch, ich habe beim BFA gesagt, von 2004 - 2015.
R: Was können Sie mir über ihre Familienangehörigen in Afghanistan erzählen?
BF: Ich habe eine Schwester und einen Bruder, meine Eltern und meine Geschwister sind alle in Loghar und leben dort. Ich habe auch Onkel und Tanten, die aber in Afghanistan verstreut sind, ich aber nicht genau die Adressen kenne und auch keinen Kontakt zu diesen habe.
R: Wie sieht Ihr Kontakt zu Ihren engen Familienangehörigen aus?
BF: Aktuell hören wir uns über das Internet und wir sprechen manchmal miteinander.
R: Sie haben bei der Ersteinvernahme vor der Polizei als Fluchtgrund angegeben, es könnte sein, dass mich die Taliban töten, da ich vor ihnen geflüchtet bin. Was sagen Sie zu dieser Aussage?
BF: Ja, das habe ich so gesagt und das stimmt auch.
R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach, haben Sie die Möglichkeit?
BF: Nein, derzeit nicht.
R: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit der Polizei oder Staatsanwaltschaft gehabt?
BF: Nein.
R: Das Gericht kann sich auf Grund Ihrer Angaben nunmehr ein Bild über ihre privaten sowie familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. ihrer Integration äußern?
BF: Nein, vielen Dank.
b) im Herkunftsstaat:
R: Was können Sie mir über Ihr aufwachsen in Afghanistan berichten?
BF: Ich bin zur Schule gegangen, wieder nach Hause gegangen. Ich hatte ein gutes und ruhiges Leben, als dann die Probleme mit den Taliban begonnen haben, weil die Taliban gesagt haben, jeder Jugendliche der zu Hause ist, muss mit ihnen zusammenarbeiten.
R: Gibt es noch andere Gründe oder Probleme?
BF: Ja, das ich Atheist bin und das hat schon in der Schule begonnen. Ich habe den Koran verstanden, als es in der Schule unterrichtet worden ist, aber den Hadith habe ich nicht verstanden.
R: In welcher Art waren Ihre Probleme in der Schule?
BF: An dem Tag als wir die XXXX als Lehrerin hatten ... normalerweise waren es immer Lehrer, an dem Tag war es aber eine Lehrerin.
R: Meiner Erfahrung aus vielen Verhandlung mit Asylwerbern aus Afghanistan, weiß ich, dass Burschen und Mädchen erstens getrennt untereinander unterrichtet werden und ein Lehrer gleichen Geschlechts eingesetzt wird. Was sagen Sie dazu?
BF: Ja, das ist so, ich möchte das erklären, aber es gibt auch Lehrerinnen, die auch Burschen unterrichten.
R: Was war also genau das Problem?
BF: Ich hatte zuvor diese Lehrerin noch nie in der Schule gesehen, das war an dem Tag als sie den Hadith unterrichtet hat. Ich habe diese Lehrerin gefragt, was der Unterschied zwischen dem Koran und dem Hadith ist. Die Lehrerin sagte mir, du bist ein Schüler in dieser Schule und du weißt nicht, worum es in dem Hadith geht. Ich habe ihr geantwortet nein, sonst hätte ich nicht nachgefragt. Sie hat mir dann gesagt, dass ich ein ungläubiger wäre, warum fragst du mich sowas. Ich sagte ihr, sie möge sich beruhigen, ich wollte nicht, dass sie sich so aufregt, wir wollen nur normal reden. Die XXXX hat dann zu mir gesagt, ich werde dich aus der Schule rausschmeißen und dich bei deinen Klassenkameraden schlecht machen. Alle haben das gehört und mich angesehen. Ich habe mich bei ihr entschuldigt und sagte ihr, dass ich nicht möchte, dass ich aus der Schule fliege. Sie sagte nein, weil du wirst die Schule verlassen, du spielst mit dem Koran und dem Hadith. Ich habe mich wieder bei ihr entschuldigt und sagte ihr, dass ich nicht mit diesen spielen würde.
R: Hatte das größere Auswirkungen für Sie gehabt?
BF: Ich wurde aus der Schule rausgeschmissen, ich musste die Schule verlassen. Ich ging dann nach Hause und konnte die Schule nicht mehr besuchen.
R: Haben sich aus diesem Vorfall für Sie weitere Konsequenzen ergeben?
BF: Ja, ich habe auch von meinen Klassenkameraden Angst gehabt.
R: Hat es konkrete Vorfälle nach dem rauschmiss gegeben?
BF: Nein, mit der Schule hat es keine Vorfälle gegeben, aber mit meinem Klassenkameraden privat.
R: Können Sie das kurz ansprechen?
BF: Es gab keine konkreten Vorfälle mit meinen Klassenkameraden, ich selbst hatte jedoch Angst, weil sie mich als Ungläubigen angesehen haben und dass ich ein gefährlicher Mann sei.
R: Hatte Ihre schulische Nachfrage in Bezug auf die beiden religiösen Quellen einen weiteren Hintergrund oder war es einfach ein Unwissen Ihrerseits?
BF: Ich weiß den Unterschied noch immer nicht.
R: Einen weiteren Hintergrund hatte die Fragestellung nicht?
BF: Ich hatte keine Ruhe und Sicherheit in Afghanistan gefunden, nach diesem Vorfall meine ich. Es ist so, dass keiner diese Frage so stellen kann, weil sonst ist es vorbei.
R: Haben Sie sich selbst mit Ihrer Religion in Ihrem bisherigen Leben eingehend auseinandergesetzt?
BF: Nein.
R: Können Sie nun angeben, was den Anlass gegeben hat, dass Sie Afghanistan verlassen haben?
BF: Wegen dem Vorfall in der Schule und zweitens wegen der Taliban, weil sie immer von uns gewollt haben, dass wir in den Djihad ziehen.
R: Können Sie das konkretisieren?
BF: Ich möchte es auch ein bisschen anders erwähnen, auch wegen meiner Religion. Wenn es mein Vater, Mutter oder Nachbarn erfahren hätten, hätten sie mich getötet.
R: Das heißt, diese Personen wussten nichts davon?
BF: Nein, niemand wusste es. Niemand wusste, weil ich selbst nicht wusste, bin ich Moslem oder Atheist.
R: Gerade eben haben Sie angegeben, dass Sie sich mit Ihrer Religion nicht auseinandergesetzt haben, wie kommen Sie überhaupt auf diese Gedanken?
BF: Ich hab keine Religion um zu sagen, welcher ich angehöre.
R: Ihr Vater, Ihre Mutter und Ihre Geschwister wussten also nichts von Ihrer diesbezüglichen Geisteshaltung?
BF: Nein. Meine Mutter sagte mir immer wieder, ich solle in die Moschee gehen, was ich nicht gemacht habe. Mein Vater hat mir nie gesagt, was ich zu tun habe.
R: Ihr Vater wusste also nicht, dass Sie selbst nicht wussten, dass Sie Moslem oder Atheist seien?
BF: Nein, er hat überhaupt nichts gewusst.
R: Wie kommt es dann zu Ihrer Aussage vor dem BFA: Mein Vater ist mit meiner Einstellung zur Religion einverstanden. Er akzeptierte und Tolerierte meinen Entschluss, meine Mutter und meine Geschwister wussten nichts davon. Sie haben also nicht bloß gesagt, dass Ihr Vater es wusste und einverstanden war, sondern in einem sprachlichen Kontext umgekehrt, dass auch die Mutter und die Geschwister davon nichts wussten. Was sagen Sie dazu?
BF: Ja.
R: Was stimmt jetzt, was soll ich Ihnen jetzt glauben?
BF: Nein, mein Vater hat es nicht gewusst und ich habe auch bei den letzten Einvernahmen gesagt, dass sich meine Mutter eingemischt hat, dass ich beten soll und in die Moschee gehen solle.
RV: IN den Gesprächen zur Informationsaufnahme habe ich den Eindruck gewonnen, der durch die heutige Befragung bestätigt wird, dass sich der BF sehr schwer tut beim Beantworten von Fragen die sich auf einer gewissen geistigen Höhe befinden und man ihn sehr einfach befragen muss um auf den Punkt zu kommen. Man muss ihn nach seinen religiösen Praktiken befragen, ob er sich dadurch von seinen Familienmitgliedern abgehoben hat und ob das der Vater oder die Mutter mitbekommen haben. Höhere philosophische Reflektionen haben sicherlich nicht stattgefunden, sondern hat der BF einfach, wie viele westliche Atheisten nach einem sinnlich wahrnehmbaren Gottesbeweis gesucht, denn er trotz des extrem religiös geprägten Umfeldes in Afghanistan nicht gefunden hat.
R: Sie haben also nicht die Moschee besucht und auch nicht gebetet?
BF: Nein, das habe ich nicht gemacht.
R: Sie wurden von Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern deshalb kritisiert?
BF: Ja.
R: Hat es aus diesem Grund weitere Konsequenzen gegeben?
BF: Nein.
R: Hat es sonstige Konsequenzen gegeben von anderer Seite?
BF: Ich bin mit dem Tod nicht bedroht worden, wenn Sie das meinen, aber 2 Leute kamen zu mir nach Hause wegen dem Djihad, es waren die Taliban. Sie waren bewaffnet mit einer Kalaschnikow. Ich war zu Hause und habe mich versteckt, als sie vor der Tür gestanden sind.
R: Sie haben vorhin wörtlich gesagt, dass die Taliban immer von "uns" - ich gehe davon aus, Sie meinen damit die Männer in Ihrem Alter aus Ihrer Herkunftsort oder der Umgebung von den Taliban aufgefordert worden wären, sich ihnen anzuschließen. Ich gehe davon aus, da waren auch die anderen jungen Männer betroffen, so interpretiere ich Ihre vorherige Aussage.
BF: Ja, sie waren nicht nur wegen mit da, sondern alle die in dem Wohndorf gelebt haben, waren davon betroffen.
R: Jetzt haben Sie von diesem einen Vorfall geredet, wo diese zwei Männer zu Ihnen nach Hause kamen, schildern Sie das bitte genauer.
BF: Das erste Mal sind sie gekommen, ich kann mich an die Jahreszahl nicht erinnern. Ich glaube das war Ende 2014 oder Anfang 2015. Das erste Mal kamen Sie Ende 2014 und das zweite Mal kamen Sie Anfang 2015, zwischen diesen besuchen waren ca. 2 Wochen dazwischen.
R: Schildern Sie bitte den ersten Vorfall möglichst detailliert.
BF: Das erste Mal als sie vor der Türe standen, hat mein Vater mit ihnen gesprochen und sie begrüßt. Sie sprachen mit meinem Vater und sagten ihm, dass sie gerne mit mir sprechen würden. Mein Vater hat diese Männer angelogen und sagte, dass ich nicht zu Hause sei. Sie sagten ok, wenn dein Sohn einmal zu Hause ist, kommen wir wieder und sprechen dann mit ihm. Dann gingen sie wieder.
R: Was war beim zweiten Vorfall?
BF: Das zweite Mal kamen sie wieder und mein Vater ging wieder hinaus. Beim zweiten Besuch waren sie ein bisschen lauter und sagten, bring deinen Sohn her, wir wollen mit ihm reden. Aus Angst konnte ich das Haus nicht verlassen, ich habe mich dann immer versteckt.
R: Können Sie aus heutiger Sicht ganz klar angeben: Haben Sie Afghanistan wegen Ihrer angeblichen religiösen Einstellung oder aus Angst vor den Taliban verlassen?
BF: Ich habe mit beiden Probleme, aber eher in der Richtung Religion.
R: Hat es sonst in den letzten beiden Jahren vor der Ausreise irgendeinen drastischen Zwischenfall gegeben von dem Sie betroffen waren?
BF: Ich habe immer Angst gehabt und gefühlsmäßig mich unsicher gefühlt, aber es ist nichts passiert.
R: Wie lange etwas haben Sie sich nach dem zweiten Besuch dieser Männer, dann noch an Ihrem Herkunftsort aufgehalten?
BF: Nach dem zweiten Besuch, bin ich ca. 1 Woche später von zu Hause weggegangen. Aus Angst, weil ich Atheist bin und auch wegen den Taliban.
R: Ihr Vertreter meint, Sie wären nicht in der Lage ins philosophisch gehende Fragen zur Religion zu beantworten, nun haben Sie selbst den Begriff "Atheist" erwähnt, was ist das?
BF: Das Wort Atheist habe ich hier in Österreich gelernt, zuvor war mir dieser Begriff unbekannt. Was ich aber jedoch gesagt habe, dass ich an nichts glaube.
R: Können Sie das jetzt näher erklären - Sie sind in einer Tadschikisch/Afghanischen Familie aufgewachsen. Was möchten Sie dazu sagen?
BF: Das ist eine gute Frage. Anhand welcher Umstände soll ich wissen, was existiert.
R: Aber ich habe ja erwähnt Ihre soziokulturelle Basis und auch die Prägung in der Familie mit der Religion und die Berührung mit Religion, die in der Schule stattgefunden hat. Wie meinen Sie das, welche Auswirkungen hat dies auf Sie?
BF: Das stimmt, ich bin in so einem Umfeld aufgewachsen, habe das jeden Tag mitangesehen das meine Familie betet und den Koran liest, aber ich nie meine Mutter oder meinen Vater fragen konnte, für wen sie das machen und wen Sie da anbeten. Das konnte ich nicht nachfragen.
R: Hat es in der Schule nie Religionsunterricht gegeben?
BF: Ja, den hat es gegeben.
R: Ich nehme an, da haben Sie etwas über den sunnitischen Islam und die historische Person Mohammed und über weitere religiöse Inhalte und Regeln etwas gelernt, wo ist dann da das Problem gewesen?
BF: Ja es wurde über den Islam, den Koran und Mohammed unterrichtet, ich habe es aber nie verstanden und verstehe es bis heute nicht.
R: Was daran verstehen Sie nicht?
BF: Den Unterschied zwischen Koran und Hadith. Das ist an nichts glaube und nichts wirklich akzeptieren kann.
R: Ist Ihnen eigentlich klar, dass zu ihrem schulischen Vorfall - damals war es Ihrer Angabe nach ein Lehrer, heute eine Lehrerin - vor dem BFA ausgesagt hätten "Grund des Streites war Ihre Frage, dass Sie wissen wollten, was der arabische Text in einem Religionsbuch bedeute und hätten Sie eine Übersetzung aus dem arabischen gewollt und sei er beleidigt gewesen und habe Sie als Ungläubiger bezeichnet. Was sagen Sie dazu?
BF: Das stimmt nicht, das habe ich damals so nicht gesagt.
RV: Die Unschärfe der damaligen Befragung zeigt sich darin, dass hier der Begriff Religionsbuch. Es hat damals ein Buch gegeben, nämlich eine Art "Katechismus", ich meine ein Lehrbuch - hat es das damals mit der Lehrerin gegeben?
BF: Ja, das hat es gegeben. Ich bin um 2 Uhr in der Früh aufgestanden, ich komme aus XXXX , ich bin ein bisschen müde, ich kann mich aber konzentrieren und folgen.
R: Unabhängig von den Ereignissen in der Schule, haben Sie wegen Ihrer Gedanken zur islamischen Religion und Ihrer Einstellung und daraus sich ergebend aus ihrem Verhalten vor Ihrer Ausreise massivere ernsthafte Probleme gehabt?
BF: Ja.
R: Welche?
BF: Dieser eine Vorfall in der Schule und der zweite Vorfall mit den Taliban, wo sie mich nicht in Ruhe gelassen haben.
R: Zurück zur Schule: Da war jetzt diese Unterrichtsstunde mit XXXX die dann letztlich gemeint hat, Sie müssen die Schule verlassen. Können Sie im Detail schildern, wie das abgelaufen ist?
BF: Das Koranbuch und das Hadith ..., Aus meiner Sicht gesehen ist da ein großer Unterschied zwischen den beiden.
R: Was hat sich genau zwischen Ihnen und der Lehrerin genau abgespielt?
BF: Es war ja nicht so, dass meine Aktion spontan gewesen wäre, ich habe mich zuvor eine Woche damit beschäftigt und habe darüber nachgedacht wie ich vorgehen soll, um diese Fragen zu stellen, mir den Unterschied erklären zu lassen.
R: Zu dieser Unterrichtsstunde, was genau hat sich zugetragen?
BF: Die XXXX hat Hadith verteilt, an alle Schüler. Als ich meinen Hadith bekommen habe, fragte ich sie, was ist der Unterschied zwischen dem Koran und Hadith. Sie hat mich gleich böse angeschaut. Sie sagte, du bist jetzt in dieser Klasse und kennst den Unterschied zwischen Hadith und dem Koran nicht. Ich habe selber bemerkt, dass sie wegen meiner Frage böse geworden ist und beleidigt war. Sie hat gesagt, kennst du wirklich nicht den Unterschied, ich sagte nein. Sie sagte dann, es ist besser das wir zwei nicht mehr miteinander weitersprechen und es wäre für mich besser die Schule zu verlassen. Du musst die Schule verlassen, weil mit diesen Fragen machst du ein schlechtes Bild über deine Klassenkameraden. Ich wollte noch sitzen bleiben, dann kam der Direktor, ich stand auf, wir gingen in das Direktorzimmer, dann hat die Lehrerin dem Direktor erzählt, was passiert war, daraufhin hat der Direktor etwas geschrieben und sagte mir, dass ich diese Schule nicht mehr betreten dürfe.
R: Hat es nach diesem Vorfall weitere Konsequenzen gegeben?
BF: Nein, ich habe die Schule verlassen und es ist dann nichts mehr passiert.
R: Zurück zur zweiten Heimsuchung durch die Talibanmänner: Können Sie diesen Vorfall möglichst detailliert beschreiben?
BF: Das erste Mal kamen sie gegen Abend gekommen, das zweite Mal ... haben sie zu meinem Vater gesagt, sie wollen mit seinem Sohn reden. Ich war in meinem Zimmer und habe mich versteckt. Ich konnte nicht hinauskommen und mein Vater sagte diesen Männern, dass ich nicht zu Hause sei.
R: Können Sie die Gespräche genau wiedergeben, haben Sie etwas persönlich gehört?
BF: Ja, aber nicht alles. Ich meine damit nicht vollständig, weil die Häuser in Afghanistan anders sind als hier.
R: Wie meinen Sie das jetzt?
BF: Damit Sie sich vorstellen können ... Ich habe etwas gehört, aber
nicht alles.
BF zeichnet das Elternhaus auf Beilage ./A - die Beschriftung erfolgt durch die D auf Anleitung des BF.
BF: Ich war im Schlafzimmer, rechts davon ist die Türe. Es ist auch ein Fenster auf die Seite des Hauses, wo die Türe befindlich ist.
R: Was hat Ihnen Ihr Vater nachdem die Taliban abgezogen sind genau berichtet?
BF: Ich habe gewusst wer diese Männer waren, habe aber trotzdem meinen Vater gefragt, wer diese Männern seien, er sagte es waren die Taliban und dass sie meinem Vater gesagt hätten, sie möchten mich sprechen und mein Vater hat mir auch gesagt, dass er zu diesen Männern gesagt hat, was sie mit mir besprechen wollen und sie haben zu meinem Vater gesagt, wir möchten ihn mit uns mitnehmen, damit er am Djihad teilnehmen kann.
R: Ist das betreffend die Kommunikation zwischen Ihrem Vater und diesen Männern alles?
BF: Ja.
R: Es hat also keine Drohungen gegeben?
BF: Oja beim zweiten Mal schon, aber beim ersten Mal nicht.
R etwas lauter: Ich habe Sie doch jetzt ausdrücklich mehrfach nach dem zweiten Besuch gefragt und ausdrücklich gerade eben, ob das, was die Kommunikation betrifft zwischen diesen Männern und ihrem Vater alles sei und haben Sie gesagt ja. Jetzt plötzlich ändern Sie ihre Aussage, warum?
BF: Ich habe nicht gewusst, dass Sie mir zum zweiten Vorfall diese Frage stellen. Ich dachte es ging nur um das Gespräch zwischen den Taliban und meinem Vater und nicht um den zweiten Besuch.
R: Wir sprechen doch die ganze Zeit über den zweiten Besuch, Sie wollen mich verwirren.
BF: Das Gespräch habe ich geschildert beim zweiten Besuch gesprochen haben. Bei diesem Besuch sagten sie auch gleich zu meinem Vater, wenn dein Sohn sich nicht meldet, dann wirst du mit uns Probleme bekommen, gemeint war mein Vater.
R: Gerade so wird es wohl nicht gewesen sein, weil Sie gerade vorher gemeint haben, dass es eben nur diese Kommunikation beim zweiten Besuch gegeben hat, die Sie eingangs darstellten (Oben Seite 13) und haben Sie ausdrücklich gesagt, dass es keine weitere Kommunikation gegeben hätte.
R: Zu etwas anderem: Spielt in Ihrer Sache der Begriff "Ungläubiger" eine Rolle?
BF: Nein, ich weiß es nicht, aber das heißt für mich, dass man Gott nicht akzeptiert.
R: Haben die Taliban allenfalls diesen Begriff verwendet?
BF: Ungläubig? Meinen Sie gegenüber mit, oder gegenüber jemand anderen?
R: Ich meine damit, ob die Taliban allenfalls in Ihrer Gegenwart oder so als würden Sie es mitbekommen, erwähnt hätten?
BF: Diesen Begriff?
RV: Beantworten Sie die Frage.
BF: Ja, man hört immer aus deren Mund diesen Begriff.
R: Hat es Sie persönlich betreffend einen Vorfall gegeben, wo Sie persönlich als Ungläubiger bezeichnet worden sind?
BF: Ja, ich habe es von meinen Klassenkameraden gehört, sie haben das zu mir gesagt.
R: Vor dem BFA haben Sie angegeben, dass Ihr Lehrer auf Ihre Frage hin beleidigt gewesen sei und habe er Sie als Ungläubiger bezeichnet. Was stimmt nun?
BF: Meinen Sie jetzt den XXXX oder den Lehrer?
R: Das müssen Sie wissen nicht ich.
RV: Sie sollen das aufklären!
BF: Ich habe Ihnen schon vorhin erklärt, dass diese XXXX nur dieses eine Mal unterrichtet hat und ich sonst immer einen männlichen Lehrer hatte, so wie ich es vor dem BFA gesagt habe. Mein Problem war nur mit XXXX .
RV: Sie haben die Frage nicht beantwortet.
BF: Es gab in der Schule nur diesen einen Vorfall und das Problem mit XXXX . XXXX hat zu mir gesagt, du bist Ungläubig. Von meinen Schulkollegen bin ich draußen auch als ungläubiger bezeichnet worden.
RV: Er tut sich offensichtlich sehr schwer alles ausführlich zu äußern. Ich kann nur aus meiner Wahrnehmung sagen, dass er mit gegenüber das gesagt hat, dass er von XXXX als Ungläubiger bezeichnet wurde.
R: Für den theoretischen Fall einer Rückkehr nach Afghanistan, was würden Sie konkret befürchten?
BF: 100%tig werde ich getötet.
R: Können Sie diese Vermutung genauer ausführen?
BF: Von meinem Wohnort werde ich getötet, von den Taliban, von ganz Loghar.
R: Können Sie Ihre Befürchtungen etwas detaillierter schildern oder mir mehr Anhaltspunkte für eine Gefährdung bieten?
BF: Weil ich keine Religion habe und weil ich so lange weggeblieben bin von zu Hause und die Taliban immer nach mir gefragt haben.
R: Wollen Sie damit sagen, Sie können nicht nach Hause zurückkehren?
BF: Nein, keine Chance.
R: Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen vorhalten würde, dass Sie sich in eine der großen Städte begeben könnten?
BF: Als erstes habe ich keine Familie in den Großstädten, meine Kernfamilie befindet sich in Loghar.
R: Rein Familiär betrachtet ist Ihre Situation hier in XXXX genauso wie wenn Sie in Kabul wären, dort und hier haben Sie keine Familie?
BF: Die Lebenssituation ist unterschiedlich. Ehrlich gesagt, möchte ich auch hier nicht ohne meine Eltern und Geschwister leben, aber ich bin gezwungen und habe keine andere Möglichkeit.
R an RV: Haben Sie konkret zu den Vorfällen in dem Herkunfsstaat Fragen?
RV: Sind Sie in der Lage weitere Fragen zu beantworten?
BF: Ja.
RV: Sie haben vorher kurz geweint, aus welcher Emotion ist das, warum haben Sie geweint?
BF: Weil ich meine Familie vermisse.
Die Verhandlung wird für 10 Minuten unterbrochen.
RV: Hat es im Zusammenhang mit dem Schulverweis ein Schriftstück gegeben?
BF: Ja, ich hatte einen Zettel dafür, dass ich rausgeschmissen wurde.
RV: Drücken Sie sich deutlicher aus. Was ist darauf gestanden?
BF: Ich habe diesen Zettel leider verloren. Es stand auf dem Zettel, dass ich in ganz Afghanistan keine Schule besuchen darf, nicht nur in Loghar, sondern in ganz Afghanistan.
RV: Wann haben Sie dieses Schriftstück bekommen?
BF: 2015, genau weiß ich es nicht.
RV: Am selben Tag Ihres Schulverweises oder später?
BF: Am selben Tag.
RV: Verstehe ich Sie richtig, Sie waren beim Direktor im Zimmer, der Direktor war da, die Lehrerin war da und Ihnen wurde dieses Schriftstück ausgefolgt oder mussten Sie darauf warten?
BF: Ich war auch im Zimmer, als er dieses Schreiben geschrieben hat.
RV: Haben Sie das Schriftstück Ihrem Vater gezeigt?
BF: Ja, meiner ganzen Familie.
RV: Kann der Vater lesen?
BF: Nein.
RV: Kann die Mutter lesen?
BF: Ja.
RV: Haben Sie persönlich dieses Schriftstück gelesen?
BF: Ja.
RV: Können Sie heute noch aus der Erinnerung heraus sagen, was dort drinnen gestanden ist, ohne dass Sie etwas erfinden, stand dort ein Grund drinnen, warum Sie der Schule verwiesen wurden?
BF: Wegen dem Buch. Es stand auf diesem Zettel, dass der Schüler aus der 10ten Klasse den Unterschied zwischen Koran und dem Hadith nicht kennt.
RV: Mehr nicht?
BF: Und noch, dass ich den Islam schlecht ausgesprochen hätte, ihn beleidigt hätte.
RV: Ist da der Begriff Khafir vorgekommen?
BF: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.
RV: Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?
BF: Sie haben mir gesagt, warum hast du diese Frage gestellt in der Schule, weil du musst wissen, dass sie das als Khafir bezeichnen werden.
RV: Wann wurden Sie von Mitschülern als Khafir bezeichnet?
BF: Eine Woche nachdem ich die Schule verlassen habe, war ich dann für ca. 1 Woche nur zu Hause, ich war dann Müde und erschöpft und wollte ein bisschen rausgehen. Ein Klassenkamerad war in meiner Nähe, weil er in meiner Nähe gewohnt hat, er hat mir gesagt, ich bin mir bei dir nicht sicher, weil du eine gefährliche Frage gestellt hast in der Schule. Ich habe zu meinem Schulkameraden gesagt, wenn ich etwas Falsches gemacht habe, dann tut es mir leid, ich kann es dir erklären. Ich habe ihm gesagt, dass ich wirklich den Unterschied für mich wissen wolle. Das war das ganze Gespräch.
RV: Dann hat er Sie ja nicht als Khafir bezeichnet oder?