TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/12 L517 2210244-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2019
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Entscheidungsdatum

12.08.2019

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

L517 2210244-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. STEININGER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom 27.09.2018, OB:

XXXX , in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 idgF, iVm § 1 Abs 2, § 40 Abs 1, § 41 Abs 1 und 2, § 45 Abs 1 bis 3 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl Nr 283/1990 idgF, sowie § 42 und § 47 BBG iVm §§ 1ff Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl II Nr 495/2013 idgF, stattgegeben und darüber hinaus festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 60 vH beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl Nr 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

08.05.2018 - Antrag der beschwerdeführenden Partei (in Folge "bP" genannt) auf Ausstellung eines Ausweises gemäß §29b StVO 1960 (Parkausweis) und eines Behindertenpasses sowie auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass beim Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX (in Folge belangte Behörde bzw "bB" genannt)

16.07.2018 - Erstellung eines chirurgischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens, GdB 40 vH, Dauerzustand, Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

19.07.2018 - Parteiengehör

30.07.2018 - Stellungnahme der bP zum Parteiengehör vom 19.07.2018

30.08.2018 - Erstellung eines chirurgischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens, GdB 40 vH, Dauerzustand, Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

03.09.2018 - Parteiengehör

17.09.2018 - Stellungnahme der bP zum Parteiengehör vom 03.09.2018

24.09.2018 - Erstellung eines chirurgischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens, GdB 40 vH, Dauerzustand, Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

27.09.2018 - Bescheid der bB; Abweisung des Antrags vom 08.05.2018 auf Ausstellung eines Behindertenpasses

11.10.2018 - Beschwerde der bP gegen den Bescheid vom 27.09.2018

27.11.2018 - Beschwerdevorlage am BVwG

21.01.2019 - Aufforderung zur Vorlage von Befunden an die bP

12.02.2019 - Vorlage neuer Befunde durch die bP

17.06.2019 - Erstellung eines Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Innere Medizin, GdB 60 vH, Dauerzustand, Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

17.06.2019 - Parteiengehör / keine Stellungnahme

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.0. Feststellungen (Sachverhalt):

Die bP besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft und ist an der im Akt ersichtlichen Adresse im Bundesland XXXX wohnhaft. Seit 21.04.1997 ist die bP im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH und mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" sowie eines Parkausweises, jeweils befristet bis 04.06.2017.

Am 08.05.2018 stellte die bP bei der bB einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO unter gleichzeitiger Beantragung der Ausstellung eines Behindertenpasses sowie der Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

Ein daraufhin erstelltes Sachverständigengutachten eines Facharztes für Chirurgie und Arztes für Allgemeinmedizin vom 16.07.2018 weist nachfolgenden relevanten Inhalt auf:

..."

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs

Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1 Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule-Spondylarthrosis-Lumboischialgie.

Einstufung der Erkrankung mit dem oberen Wert des Rahmensatzes von 40 %-rezidivierende Schmerzsymptomatik bei Analgetikabedarf und Bewegungseinschränkung-Keine neurologische Symptomatik vorliegend.

Pos.Nr. 02.01.02 GdB% 40

2 Z.n. Hüft-Totalendoprothese links (2015).

Einstufung der Erkrankung mit dem oberen Wert des Rahmensatzes von 20 %-Zust.n. HTEP mit Bewegungseinschränkung fallweise Belastungsschmerz.

Pos.Nr. 02.05.07 GdB% 20

Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Position 1 des Hauptdiagnose-Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule-ergibt auch den Gesamtgrad der Behinderung von 40 %. Position 2 hat keine wesentliche Auswirkung auf Position 1 und steigert daher den Gesamtgrad der Behinderung nicht weiter.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Derzeit liegen keine weiteren Erkrankungen zur Einstufung vor bzw. keine weiteren Befunde im Akt ersichtlich.

Fußfehlstellung, Hammerzehen: Wird nach den Richtlinien der EVO nicht eingestuft.

Bewegungseinschränkung in beiden Schultergelenken: Derzeit beschwerdefrei-daher keine Einstufung vorgenommen.

Prostatavergrößerungen: Laut den Richtlinien der EVO keine Einstufungsrelevanz vorliegend.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Es ist zu einer gesundheitlichen Besserung im Bereich des Achsenskelettes gekommen.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Vorgutachten war nach den Richtlinien der RVO eingestuft-daher kommt es zu einer Abstufung von 50 % auf 40 %. Besserung im Bereich des Achsenskelettes ist eingetreten.

[X] Dauerzustand

...

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

[ja] ist Prothesenträgerin oder Prothesenträger

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Die derzeit bestehenden Erkrankungen-Wirbelsäule, Hüftgelenk links-schränken die Mobilität zwar ein, jedoch nicht in einem erheblichen Ausmaß. Kurze Wegstrecken von 300- 400 m können ohne erhebliche Einschränkungen zu Fuß zurückgelegt werden. Niveauunterschiede von 20- 30 cm können ohne erhebliche Einschränkungen überwunden werden. Das Gehen und Stehen in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist bei ausreichender Kraft und Standsicherheit möglich- Haltegriffe können benützt werden. Erheblich vermehrte Schmerzen sind bei unterschiedlichen Beschleunigungen (Anfahren/Bremsen) in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu erwarten. Ebenso bestehen derzeit keine kardio- pulmonalen Funktionseinschränkungen, die zu einer erheblichen Einschränkung der körperlichen Leistungsbreite führen und die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels verunmöglichen. Ebenso liegen keine psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Agoraphobie/Panikattacken) vor, die es dem Patienten/in unmöglich machen, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Derzeit liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor, die laut den Richtlinien der EVO zu einer Ausstellung eines Parkausweises führt.

...

Begründung:

Prothesenträger: Zust.n. HTEP links (2015), 20 %.

Derzeit bestehen keine weiteren Indikationen zur Eintragung oben angeführter Zusatzeintragungen bzw. Diäten.

..."

Mit Datum vom 19.07.2018 erging das Parteiengehör an die bP und es wurde ihr durch die bB Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

Am 30.07.2018 nahm die bP Stellung, indem sie ua ausführte, sie wolle nur einen neuerlichen Eintrag in den Behinderten Pass, welcher ihrem Gesundheitszustand entspreche. Sie habe keinerlei Besserung, sondern eine deutliche Verschlechterung. Sie sei sehr erstaunt, wie man bei dieser Untersuchung es ohne diverse Hilfsmittel (MRI, CT usw.) feststellen konnte.

Seit ihrer Kindheit leide sie an einer deformierten Wirbelsäule, sei deswegen immer in Behandlung gewesen. Sie habe auch am 01.06.1990 eine vorzeitige Behindertenpension wegen dauernder Behinderung bekommen.

Seit ihrer Kindheit seien beide Füße deformiert (operierte Hammerzehen, dauerhafte Veränderung am Vorfuß) sowie geschwächte Fußmuskeln. Ihr sei es deswegen auch nicht möglich, für längere Zeit geschlossene Schuhe zu tragen. Ihr wurden die Wintermonate hier zur Qual, deshalb entschloss sie sich diese Monate in Thailand zu verbringen. Nicht, weil es da so toll sei. Wegen ihres gesamten Gesundheitszustandes. In den Wintermonaten davor sei sie zeitweise nicht aus dem Bett rausgekommen. Ihre Exgattin, welche im gleichen Haus wohne, sei ihr deswegen oft zur Hilfe gekommen. Dies sei auch jetzt so.

Außerdem habe die bP eine diagnostisch festgestellte Polyneuropathie (Befund bei Hr. Dr. XXXX ) Diese verursache zeitweise Ausfälle in beiden Beinen. Also sei es der bP auch nicht möglich, den weiten Weg allein zur Bushaltestelle zu machen, da bei ihr eine ständige Sturzgefahr bestehe. Deswegen sei für sie auch der KFZ Behindertenschein so wichtig. Nicht wegen Ersparnis der Parkgebühren, sondern um einen gesicherten Parkplatz zu haben. Dieser sei auch eingezogen worden.

Die beiden Schultergelenke würden starke Bewegungseinschränkungen verursachen (Arthrose beidseitig, sowie rechts ein Sehnenriss. Befunde dazu würden in der XXXX liegen. Dort habe sie auch einen chirurgischen Eingriff deswegen gehabt.) Deshalb sei es ihr auch nicht möglich mit Krücken zu gehen und im Autobus sei mit einem Rollator kein Platz vorhanden. Dieser Arzt würde anders entscheiden, wäre er mal in dieser Lage. Müsse die bP zum Arzt, sei der Bus meistens überfüllt mit Schülern. Die würden nicht so gerne stehen, also würde die bP stehen. Sie wolle sich nichts ergaunern mit Unwahrheiten, nur ihr Recht, um richtig eingestuft zu werden. In ihrem Alter sei keine Besserung mehr möglich. Es verschlechtere sich.

Beide Hüften seien geschädigt. Eine davon sei operiert worden und verursache deswegen auch eine gewisse Schonhaltung. Also sei die bP auch nicht mehr so belastbar für längere Strecken, wie von ihrer Wohnung bis zur Haltestelle. Dies sei im Gutachten auch nicht anerkannt worden. Die Beurteilung ergebe, die Schmerzen seien weitgehend durch die OP beseitigt worden. Es komme darauf an, wie lange eine Wegstrecke zum Bus sei, im Fall der bP sei dies nicht mehr möglich.

Sie bitte um Beurteilung nach ihrem Gesundheitszustand, welcher bestimmt nicht mit 40% gerechtfertigt sei. Auch bitte sie um einen KFZ Behindertenausweis. Da es für sie notwendig sei, ohne Parkprobleme zum Arzt oder Einkauf zu fahren! Es gehe ihr alles andere als gut. Zur letzten Untersuchung habe sie eine Begleitperson mitgehabt.

Mit Datum vom 30.08.2018 wurde ein weiteres chirurgisches und allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 vH und der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erstellt - exakt inhaltsgleich zum Gutachten vom 16.07.2018.

Im Anschluss erging am 03.09.2018 erneut ein Parteiengehör an die bP und es wurde ihr die Möglichkeit gegeben eine Stellungnahme abzugeben.

Am 17.09.2018 nahm die bP Stellung zum Parteiengehör vom 03.09.2018 und legte dar, sie beeinspruche die Beurteilung von Herrn Dr. XXXX . Schon in ihrer Lehrzeit habe die bP Probleme mit ihrer Wirbelsäule auf Grund ihrer Rachitis als Kind gehabt (Kriegsgeneration und Mangelernährung). In ihrer gesamten Arbeitszeit habe die bP an Schmerzen gelitten und sei deshalb in die Frührente geschickt und es seien 50% Behinderung attestiert worden. Im weiteren Verlauf haben sich die Beschwerden laufend verschlechtert. Es kommen auch noch die Hüft-, Knie- und Schulterabnützungen dazu, deshalb sei ihr auch der Parkschein bewilligt worden, um für Arztbesuche und Heilanwendungen eine Erleichterung zu haben. Es sei der bP persönlich unverständlich, wie ihre 50% Behinderung mit zunehmendem Alter und Leiden auf 40% herabgesetzt werden konnte. Sie denke, das könne nur ein Arzt machen, der kein Verständnis für ihren Leidensweg habe.

Ein in weiterer Folge in Auftrag gegebenes chirurgisches und allgemeinmedizinisches und Sachverständigengutachten ergab wiederum einen Gesamtgrad der Behinderung 40 vH und die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Das diesbezügliche Gutachten vom 24.09.2018 weist im Ergebnis zusammengefasst folgenden zu den Vorgutachten ergänzenden Inhalt auf:

..."

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Vorgutachten war nach den Richtlinien der RVO eingestuft -daher kommt es zu einer Abstufung von 50% auf 40%. Besserung im Bereich des Achsenskelettes ist eingetreten. Von Seiten der Wirbelsäule, bestehen keine radikulären Ausfälle oder klinische Defizite. Auch die degenerativen Veränderungen in beiden Schultergelenken, sind derzeit klinisch nicht relevant. Nach den Richtlinien der EVO, ist die Einstufung mit 40% daher gerechtfertigt. Neue Befunde, die eine Progredienz der Erkrankungen belegen, sind nicht vorliegend. Die klinische Symptomatik ergibt einen Gesamtgrad der Behinderung von 40%."

Mit Bescheid vom 27.09.2018 stellte die bB fest, dass die bP mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40% nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt. Ihr Antrag vom 08.05.2018 sei daher abzuweisen. In einer anschließenden Anmerkung wies die bB darauf hin, dass die Ausstellung eines Parkausweises abgelehnt werde, da hiefür ein Behindertenpass mit einem GdB von mindestens 50% und die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" vorliegen müsse.

Am 11.10.2018 erhob die bP Beschwerde, indem sie ausführte, dass sie die oberflächliche Begutachtung von Dr. H. beeinspruche. Die Herabsetzung ihrer Behinderung finde sie skandalös, mehr wolle sie dazu nicht sagen. Die bP sei heute vom Krankenhaus nach Hause gekommen und müsse am 23.10.2018 neuerlich ins Krankenhaus. Die bP verlange eine objektive Beurteilung. Anbei lege sie ihre letzten Befunde bei.

Am 27.11.2018 wurde die Beschwerde dem BVwG vorgelegt.

Mit Schreiben vom 21.01.2019 wurde die bP - insbesondere aufgrund des in der Beschwerde angekündigten Krankenhausaufenthaltes ab 23.10.2018 - zur Vorlage von Befunden aufgefordert.

Am 12.02.2019 legte die bP die diesbezüglichen Befunde (im Besonderen zu ihrem Zustand nach einer Mitral- und Trikuspidal Rekonstruktion am 14.11.2018) vor.

Ein daraufhin erstelltes Sachverständigengutachten vom 17.06.2019 einer Ärztin für Innere Medizin weist nachfolgenden relevanten Inhalt auf:

"...

Anamnese:

Es liegt ein Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice XXXX vom 27.09.2018 OB XXXX vor.

Diagnosen:

Klappen-Prolaps-Syndrom

-

Mitral- und Trikuspidalklappenrekonstruktion bei hochgradiger Mitralklappen und Trikuspidalklappeninsuffizienz 14.11.2018

-

Z.n. kardialer Dekompensation

-

persistierendes Vorhofflimmern

-

Geringgradige pulmonale Hypertonie bei COPD 1/b

Ausgeprägte rechts-konvexe LWS-Skoliose

-

Monosegmentale Spinalkanalstenose LWK 4/5

Z.n. TEP li Hüfte 2015, mittelgradige Coxarthrose rechts

Mittelgradige Varus- Gonarthrose und Femurpatellararthrose beidseits

Irreparable Rotatorenmanschetten-Ruptur rechts, Omarthrose rechts

-Z.n. Schulterarthroskopie und RM-Debriement sowie Tenotomie der langen Bizepssehne

rechts 2009

Posttraumatische DIP-Arthrose Dil linke Hand bei Z.n. Fraktur 2015 Polyneuropathie unklarer Genese Benigne Prostatahypertrophie

Derzeitige Beschwerden:

Der Klient berichtet über eine große Unsicherheit beim Gehen, da er in beiden Füßen ein Kribbelgefühl "wie Ameisenlaufen" und ein Kältegefühl verspüre. Er würde dadurch beim Gehen vermehrt stolpern und beim Stiegen steigen an den Stufen hängen bleiben. Zusätzlich bestehe ein Schwindel und Luftnot nach leichter körperlicher Belastung. Luftnot verspüre er auch nach dem Gehen einer 1/2 Stiege,

Er gebrauche daher beim Gehen Walking-Sticks, er könne max. 50-80 m ohne Pause gehen.

Zusätzlich leide er nach einer Gehstrecke von ca. 50 m unter Schmerzen im LWS-Bereich mit Ausstrahlung in das rechte Bein mit Besserung in Ruhe. Auch beide Knie und die rechte Hüfte würden beim Gehen schmerzen. Rückenschmerzen habe er mehrfach in der Woche, Schmerzinfusionen erhalte er z.Z. nicht. Physiotherapie könne er aufgrund des reduzierten Allgemeinzustandes und des Schwindes nicht durchführen.

Weiterhin berichtet der Klient über eine eingeschränkte Mobilität und Schmerzen im Bereich der rechten Schulter, insbesondere im Liegen und auch bei der Benutzung der Walking- Sticks, so dass das Gehen zusätzlich erschwert sei. Beim Ankleiden gebrauche er Hilfe. Aufgrund der Schmerzen nehme er ca. 3x/Woche Schmerztabletten.

Nach einem Bruch im Bereich der linken Hand 2015 könne er nicht richtig zugreifen, auch dadurch sei der Gebrauch der Walking-Sticks erschwert und damit das Gehen erschwert.

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Eliquis 5mg 2x1

Mexalen b. Bedarf, ca 3x/Woche Concor 5 mg 1x1 Prostagutt 1x1 Torasemid 10 mg 1x1/2

...

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Transösophageale Echokardiographie 15.01.2019:

Im Bereich des septalen Anteils des Trikuspidalringes zeigt sich zum Septum hin eine Dehiszenz. Der Trikuspidalanulus selbst misst 3,7 cm enddiastolisch. Es zeigt sich eine paravalvuläre Insuffizienz, die hämodynamisch nicht wirksam ist. Im Bereich der Dehiszenz wölbt sich auch das septale Klappensegel hinein.

Die Mitralklappe ist bland, keine Insuffizienz.

Echokardiographie 19.12.2018:

Vorhöfe deutlich vergrößert, Ventrikeldiameter normal, noch gute globale Kontraktilität bei leichter Hypokinesie im Apexbereich.

MRT-LWS 04.09.2017:

Siehe Vorgutachten vom 13.07.2018

Röntgen Hüfte beids a.p., axial 15.05.2017:

Z.n. H-TEP links mit gutem achsengerechtem Sitz, Coxarthrose rechts, mäßige Gelenkspaltverschmälerung, Osteophyten, mäßige ISG-Arthrose rechts.

Röntgen Knie beids. a.p., seitlich 15.05.2017:

Deutliche, mediale Gelenkspalts-Verschmälerung beids. (50%), mäßige Femorpatellar- Arthrose.

Neurologie, Dr. XXXX , 20.06.2017: (Auszüge)

Untere Extremität: Blindgang deutlich unsicher, Vibrationsempfinden bds. fehlend, Parästhesien/Dysästhesien beids. Mit sockenförmigem Verteilungsmuster bis etwa 10 cm über dem Sprunggelenk reichend, muskuläre Eigenreflexe fehlend, Trophik reduziert, Kraft und Tonus seitengleich, Pyramidenzeichen beids. negativ.

Beurteilung:

Polyneuropathie der unteren Extremitäten

Rö. LWS Funktionsaufnahmen Dr. XXXX 28.08.2017:

Massive Sperrung der Beweglichkeit sowohl nach ventral als auch nach dorsal

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Reduziert

Ernährungszustand:

reduziert

Größe: 184 cm Gewicht: 67 kg Blutdruck: 160/110 mm Hg

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput/Collum: HNAP unauffällig, Pupillen s'gleich, mittelweit, prompte Lichtreaktion beids., Augenmotorik unauffällig, Hören bei Zimmerlautstärke und Sehen unauffällig, Mund- und Rachenraum unauffällig, keine Lymphknoten palpabel, Schilddrüse nicht tastbar vergrößert. Keine Strömungsgeräusche.

Thorax: symmetrisch, reizlose Narbe nach Sternotomie, sonorer Klopfschall, verlängertes Exspirium, vesikuläres Atemgeräusch, keine RG's. Herztöne rein, unregelmäßig, Puls 68/min.

Abdomen: Bauchdecke weich, keine Resistenzen tastbar, physiol. Darmgeräusche. Kein Klopfschmerz über dem Nierenlager beids.

Wirbelsäule: rechts-konvexe Skoliose mit Klopfschmerz über der LWS, Hartspann paravertebral im BWS-Bereich und Schulter-Nacken-Bereich, FBA ca. 30 cm Laseque rechts bei ca 30° positiv, links bei ca. 45 ° positiv.

obere Extremität:

Atrophie der Schultermuskulatur rechts supra-scapulär Elevation beidseits eingeschränkt bis max 90° möglich Nackengriff und Schürzengriff möglich

Dupuytren-Kontraktur links, Faustschluss eingeschränkt

Untere Extremitäten:

Unauffällige Narbe lateral am prox, Oberschenkel nach TEP-Implantation links Mobilität re. Hüfte leicht eingeschränkt, Schmerzen im rechten Knie bei Flexion Mobilität li. Hüfte wegen Schmerzen im linken Knie nicht prüfbar.

Schmerzen bei Mobilisation der Kniescheibe beidseits.

Hammerzeh Großzehe beidseits

Pulse beids. Palpabel, keine Ödeme, keine Varizen.

Neuro:

Keine Paresen, MER schwach, seitengleich, keine pathol. Reflexe.

Strumpfförmige Kribbelparästhesien ab Mitte Unterschenkel beidseits

Gesamtmobilität - Gangbild:

Ohne Gehhilfe kleinschrittiger, unsicherer Gang, Einbeinstand beidseits nicht möglich.

Status Psychicus:

Wach, orientiert, kooperativ

Lfd. Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten. Nr. Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden Begründung und Rahmensatz

1 Degenerative Veränderung bei bestehender Wirbelsäulenverkrümmung mit Lumboischalgie.

Wahl des oberen Rahmensatzes bei rezidivierenden Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, Physiotherapiebedarf und Analgetikabedarf, jedoch ohne neurologische Ausfälle.

Pos. Nr. 02.01.02 GdB% 40

2 Zustand nach Mitral- und Trikuspidalklappen-Rekonstruktion bei hochgradiger Mitralklappen und Trikuspidalklappeninsuffizienz Wahl des Richtwertes bei erfolgreicher Klappen-Operation mit Fortbestehen des unregelmäßigen Herzschlages (Vorhofflimmern) und der damit verbundenen Leistungsminderung unter Berücksichtigung des leicht erhöhten Druckes im Lungenkreis- Laufbei bekannter obstruktiver Lungenerkrankung Grad 1/b

Pos. Nr. 05.07.08 GdB% 30

3 Sensible Ausfälle im Bereich der Beine beidseits (Polneuropathie). Wahl des zwei Stufen über dem unteren Rahmensatz liegende Rahmensatz bei sensiblen, aber fehlenden motorischen Ausfällen im Bereich beider Unterschenkel und Füße mit damit verbundener Gangunsicherheit

Pos. Nr. 04.06.01 GdB% 30

4 Hüftgelenke Funktionseinschränkung geringen Grades beidseits Wahl des mittleren Rahmensatzes bei Z.n. Hüft-Totalendoprothese links (2015) und bestehender mäßiger Coxarthrose rechts

Pos. Nr. 02.05.08 GdB% 30

5 Schultergelenk Funktionseinschränkung mittleren Grades einseitig. Wahl des Richtwertes bei eingeschränkter Abduktion und Elevation bis max. 90° rechts

Pos. Nr. 02.06.03 GdB% 20

6 Kniegelenk Funktionseinschränkung geringen Grades beidseits. Wahl des unteren Rahmensatzes bei radiologisch nachgewiesener mittelgradig ausgeprägter Abnutzung der Kniegelenke beidseits (Varus- Gonarthrose und Femurpatellararthrose) mit Schmerzen unter Belastung

Pos. Nr. 02.05.19 GdB% 20

Gesamtgrad der Behinderung 60 vH

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Die führende Funktionsstörung Nr. 1 wird durch die Funktionsstörung Nr. 2 um eine Stufe gesteigert, da sie zu einer weiteren Einschränkung der Leistungsfähigkeit führt. Die Funktionsstörung Nr. 3 führt in Verbindung mit den Funktionsstörungen 4-6 führen in ihrer Gesamtheit zu einer weiteren Erhöhung um eine Stufe, da sie die Mobilität des Klienten zusätzlich einschränken.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen kein Grad der Behinderung:

Posttraumatische DIP-Arthrose DII linke Hand bei Z.n. Fraktur 2015 Benigne Prostatahypertrophie

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

-Zusätzliche Beurteilung des Herzklappenersatzes bei durchgeführter Operation 10/2018 -Bewertung der Funktionseinschränkung der Hüfte unter zusätzlicher Berücksichtigung der rechten Hüfte

-Bewertung der bestehenden Polyneuropathie -Bewertung der Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke -Bewertung der Funktionseinschränkung der rechten Schulter -Bewertung der Funktionseinschränkung beider Knie

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Durch die Berücksichtigung der Herzklappen-Operation, der Polyneuropathie sowie der degenerativen Veränderungen im Bereich des Bewegungsapparates (s.o.) ergibt sich eine Anhebung des GdB von 40 auf 60%.

[X] Dauerzustand

...

Prüfung der Auswirkungen der festgestellten Gesundheitsschädigungen nach Art und

Schwere für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

1 Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen schränken die Mobilität ein?

In welcher Weise ist dadurch das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (ca. 300 - 400 m), das Ein- und Aussteigen unter Beachtung der üblichen Niveauunterschiede oder die Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe auf erhebliche Art und Weise erschwert bzw. verunmöglicht?

Durch die bestehende Wirbelsäulenverkrümmung mit Einengung des Spinalkanals mit Schmerzen nach leichter körperlicher Belastung in Verbindung mit den bestehenden Abnutzungserscheinungen im Bereich der Schulter, Hüften und Knie beidseits ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke auch mit Hilfsmitteln (Walking-Sticks) deutlich erschwert.

2. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen führen zu einer erheblichen Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit? In welcher Weise ist dadurch das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen unter Beachtung der üblichen Niveauunterschiede oder die Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe auf erhebliche Art und Weise erschwert bzw. verunmöglicht?

Bei Zustand nach Herzklappen-Operation mit fortbestehenden Herzrhythmus- Störungen besteht eine Belastungsluftnot bereits nach leichter körperlicher Belastung, so dass das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen und die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe auf erhebliche Weise erschwert ist.

..."

Mit Schreiben des BVwG vom 17.06.2019 wurde die bP vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt. Eine Stellungnahme ist bis dato nicht erfolgt.

2.0. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und aus dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.

2.2. Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes ist das ho Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)". Vergleiche dazu auch VwGH vom 18.06.2014, Ra 2014/01/0032.

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Das im Verfahren vor der bB eingeholte medizinische Sachverständigengutachten zum Grad der Behinderung bedarf nach der Rsp des VwGH (vom 21.06.2017, Ra 2017/11/0040) einer ausreichenden, auf die vorgelegten Befunde eingehenden und die Rahmensätze der Einschätzungsverordnung vergleichenden Begründung (vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen das hg Erkenntnis vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens einer bestimmten Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77). Der VwGH führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

Ebenso kann die Partei ein Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichen Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, 2005/07/0108).

Im Rahmen des Parteiengehörs, und damit ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, steht es der Partei offen, Mängel des Gutachtens aufzuzeigen (Hengstschläger/Leeb, AVG², § 52 AVG Rz 64).

Es ist nach stRsp des VwGH einer Partei nicht verwehrt, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten - also die Darlegung eines Widerspruchs zu den Denkgesetzen oder zur allgemeinen Lebenserfahrung - einschließlich der Behauptung, die Befundaufnahme sei unzureichend bzw. der Sachverständige gehe von unrichtigen Voraussetzungen aus -, sowie Widersprüchlichkeiten des Gutachtens eines Amtssachverständigen, auch ohne Gegengutachten aufzuzeigen (vgl VwGH vom 27.05.2003, 2002/07/0100).

Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte, insbesondere der zitierten Entscheidungen, waren die Stellungnahmen der bP (30.07.2018 und 17.09.2018), das Vorbringen der Beschwerde (11.10.2018) und die neu vorgelegten Befunde (12.02.2019) geeignet, das Vorgutachten vom 24.09.2018 zu entkräften und ist das aktuelle Sachverständigengutachten vom 17.06.2019 (auch in Zusammenschau mit den vorher erstellten Gutachten vom 16.07.2018, 30.08.2018 und 24.09.2018) schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Nach Würdigung des erkennenden Gerichtes erfüllt es die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen.

Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchungen eingehend erhobenen klinischen Befunden, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Laut diesem Gutachten bestehen bei der bP: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein Zustand nach Mitral- und Trikuspidalklappen - Rekonstruktion, eine Polyneuropathie, Funktionseinschränkungen beider Hüften, eine Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenks sowie Funktionseinschränkungen beider Kniegelenke.

Schlüssig legte die Medizinerin die Einstufung der degenerativen Veränderung bei bestehender Wirbelsäulenverkrümmung mit Lumboischialgie der Positionsnummer 02.01.02 mit einem Grad der Behinderung von 40% mit der Begründung: "Wahl des oberen Rahmensatzes bei rezidivierenden Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, Physiotherapiebedarf und Analgetika Bedarf, jedoch ohne neurologische Ausfälle" zugrunde, zumal die klinische Untersuchung auch ergibt, dass keine "Paresen" (Lähmungen) bestehen.

Nachvollziehbar stufte die Sachverständige den Zustand nach Mitral- und Trikuspidalklappen-Rekonstruktion bei hochgradiger Mitralklappen und Trikuspidalklappen - Insuffizienz unter die Positionsnummer 05.07.08 mit einem Grad der Behinderung von 30% ein. Die Wahl des Richtwertes ergibt sich aus der erfolgreichen Klappen - Operation mit Fortbestehen des unregelmäßigen Herzschlages (Vorhofflimmern) und der damit verbundenen Leistungsminderung unter Berücksichtigung des leicht erhöhten Druckes im Lungenkreislauf bei bekannter obstruktiver Lungenerkrankung Grad 1/b - dies deckt sich auch mit der Angabe der bP zu den derzeitigen Beschwerden, wonach bei der bP ein Schwindel und Luftnot bei leichter körperlicher Belastung bestehe.

Nachvollziehbar erfolgte die Einschätzung der sensiblen Ausfälle im Bereich der Beine beidseits (Polyneuropathie) unter die Positionsnummer 04.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 30% bei sensiblen, aber fehlenden motorischen Ausfällen im Bereich beider Unterschenkel und Füße mit damit verbundener Gangunsicherheit, als die bP im Rahmen der Begutachtung darlegt, sie habe in beiden Füßen ein Kribbelgefühl "wie Ameisenlaufen" und ein Kältegefühl.

Schlüssig schätzte die Ärztin weiters ein: Die Funktionseinschränkungen der Hüftgelenke beidseits (Positionsnummer 02.05.08; Wahl des mittleren Rahmensatzes bei Zustand nach Hüft - Totalendoprothese links - 2015 - und bestehender mäßiger Coxarthrose rechts; GdB 30%), die Funktionseinschränkung des Schultergelenkes mittleren Grades einseitig (Positionsnummer 02.06.03; Wahl des Richtwertes bei eingeschränkter Abduktion und Elevation bis maximal 90° rechts; GdB 20%) und die Funktionseinschränkungen der Kniegelenke beidseits (Positionsnummer 02.05.19; Wahl des unteren Rahmensatzes bei radiologisch nachgewiesener mittelgradig ausgeprägter Abnutzung der Kniegelenke beidseits, Varus- und Gonarthrose und Femurpatellaarthrose, mit Schmerzen unter Belastung; GdB 20%).

Die Sachverständige hat sich auch mit der Fehlstellung der Großzehen beidseits (Hammerzehen) befasst und erfolgte keine Einschätzung nach der Einschätzungsverordnung - das ergibt sich bereits aus dem Sachverständigengutachten vom 16.07.2018, als die "Fußfehlstellung, Hammerzehen" "nach den Richtlinien der EVO nicht eingestuft" werden.

Nachvollziehbar legte die Medizinerin in der Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung dar, dass die führende Funktionsstörung Nummer eins durch die Funktionsstörung Nummer zwei um eine Stufe gesteigert wird, da sie zu einer weiteren Einschränkung der Leistungsfähigkeit führt. Die Funktionsstörung Nummer drei führt in Verbindung mit den Funktionsstörungen vier bis sechs in ihrer Gesamtheit zu einer weiteren Erhöhung um eine Stufe, da sie die Mobilität des Klienten zusätzlich einschränken - und ergibt sich somit ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 vH.

Im Vergleich zum Vorgutachten unterzog die Sachverständige zusätzlich einer Bewertung: Die Beurteilung des Herzklappenersatzes bei durchgeführter Operation 2018, die Funktionseinschränkung der Hüfte unter zusätzlicher Berücksichtigung der rechten Hüfte, die bestehende Polyneuropathie, die Funktionseinschränkung der rechten Schulter und die Funktionseinschränkung beider Kniegelenke.

Im Gutachten wurden alle relevanten von der bP vorgebrachten Leiden (zur Wirbelsäule, zu den Hammerzehen, zur Polyneuropathie, zu den Schultern, zu den Hüften, zu den Knien) sowie die beigebrachten Unterlagen bzw Befunde berücksichtigt. Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises.

Im angeführten Gutachten wurde von der Sachverständigen auf die Art der Leiden und deren Ausmaß, sowie dem vorgelegten Befund der bP ausführlich eingegangen, das Ergebnis der durchgeführten Begutachtung umfassend dargelegt und nachvollziehbar begründet.

Das Sachverständigengutachten vom 17.06.2019 wurde im oben beschriebenen Umfang in Zusammenschau mit dem Vorgutachten vom 24.09.2018 in freier Beweiswürdigung der Entscheidung des Gerichtes zu Grunde gelegt.

Gemäß diesem Gutachten (vom 17.06.2019) ist folglich von einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 vH auszugehen.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

-

Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl Nr 1/1930 idgF

-

Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl Nr 283/1990 idgF

-

Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl II Nr 495/2013 idgF

-

Einschätzungsverordnung, BGBl II Nr 261/2010 idgF

-

Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl I Nr 10/2013 idgF

-

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl I Nr 33/2013 idgF

-

Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl Nr 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; ...

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gemäß § 45 Abs 5 BBG entsendet die im § 10 Abs 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

In Anwendung des Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.

3.3. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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