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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art8 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsberechtigungen für eine jugoslawische Familie mit langjährigem Aufenthalt im Inland und im Inland geborenen, österreichische höhere Schulen besuchenden Kindern; verfassungswidrige Annahme der Notwendigkeit der Antragstellung vom Ausland aus aufgrund der bereits abgelaufenen Sichtvermerke; analoge Vorgangsweise zur Fallgruppe der Verlängerungsanträge verfassungsrechtlich gebotenSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern, zuhanden ihres Rechtsvertreters, die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin zu B2601/94 ist türkische Staatsangehörige. Sie lebt seit 1988 in Österreich und ist hier berufstätig; dem Haushalt gehören ihr Ehemann und zwei Kinder (die Beschwerdeführer zu B2602/94 und B2603/94) an.
Der letzte Sichtvermerk der Beschwerdeführer lief im Mai 1993 ab. Ihre am 12. August 1993 eingebrachten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurden mit drei Bescheiden des Landeshauptmannes von Wien abgewiesen, und zwar mit der Begründung, daß die Anträge vom Ausland aus hätten gestellt werden müssen.
2. Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden des Bundesministers für Inneres unter Bezugnahme auf §13 iVm §6 Abs2 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992, abgewiesen. Begründend wird ausgeführt, daß die Beschwerdeführer, welche die Frist zur Stellung eines Verlängerungsantrages versäumt hätten, einen Erstantrag vom Ausland aus hätten stellen müssen; es sei daher die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen und auf das Vorbringen der Beschwerdeführer - auch im Zusammenhang mit ihren persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen.
3. Gegen diese Berufungsbescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten drei Beschwerden, mit denen insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Die angefochtenen - eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagenden - Bescheide greifen in das den Beschwerdeführern, welche sich seit ungefähr 8 Jahren in Ysterreich aufhalten, durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.
Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (VfSlg. 11638/1988).
2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.6.1995, B 1611-1614/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist es im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des durch §6 Abs2 AufG geschaffenen Regelungssystems geboten, Fälle, in denen seit langer Zeit in Österreich aufhältige Fremde die Frist, innerhalb deren Antrag iS des §13 AufG zu stellen gewesen wäre, nur relativ geringfügig versäumt haben, den zweiten Satz des §6 Abs2 AufG zu unterstellen, wonach Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch vom Inland aus gestellt werden können.
3. Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie in diesen Beschwerdefällen, die Fremde betreffen, die bereits seit 1988 in Österreich leben, die Bestimmung des §6 Abs2 erster Satz AufG angewendet und die Versagung der Aufenthaltsbewilligungen, ohne auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer einzugehen, mit der Begründung der verspäteten Antragstellung abgewiesen hat, §6 Abs2 einen verfassungswidrigen, weil gegen Art8 EMRK verstoßenden Inhalt unterstellt. Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben.
IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von je 3.000 S enthalten.
V. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B2601.1994Dokumentnummer
JFT_10038875_94B02601_00