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19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des (am 30. September 1961 geborenen) VDN in Baden, vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck und Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Doblhoffgasse 7/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. April 1997, Zl. Fr 826/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 15. April 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei in Vietnam gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht.
Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers im wesentlichen aus, daß es dem Antragsteller obliege, von sich aus alle entscheidungsrelevanten Umstände in substantieller Weise darzutun. Gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG müßten stichhaltige Gründe für die Annahme einer Verfolgungsgefahr bestehen. Diese Formulierung lasse erkennen, daß der Antragsteller in seinem Vorbringen in substantieller Weise durch konkrete und schlüssige Beweisanbote (Bescheinigung) glaubhaft zu machen habe (Objektivierungspflicht), daß ihm im Fall einer Abschiebung in den genannten Staat eine konkret gegen seine Person gerichtete (individuelle) und aktuell bevorstehende (aktuelle) Verfolgungsgefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG drohe. Dazu reichten bloß allgemein und vage gehaltene Behauptungen oder Vermutungen nicht aus. Das Vorbringen des Antragstellers stelle die zentrale Erkenntnisquelle und Entscheidungsgrundlage für die Behörde dar. Der Beschwerdeführer habe bei seiner asylbehördlichen Einvernahme angegeben, daß er nicht hätte studieren dürfen, weil sein Vater und sein Bruder Soldaten der südvietnamesischen Armee gewesen wären. Ab 1985 hätte er einen vierjährigen Heeresersatzdienst leisten müssen. In der früheren CSFR hätte ihm sein Arbeitsführer in der Fabrik nach einem gescheiterten Fluchtversuch nach Österreich angedroht, ihn in Vietnam vor ein Gericht zu stellen. Ihm (dem Beschwerdeführer) wäre der Reisepaß abgenommen worden, weil er an Demonstrationen gegen die Regierung in Vietnam teilgenommen hätte. Die Botschaft hätte ihm mit Strafe in Vietnam nach seiner Rückkehr gedroht. In seinem Antrag gemäß § 54 FrG habe der Beschwerdeführer behauptet, in seiner Heimat aus politischen Gründen verfolgt zu werden. Es müßte amtsbekannt sein, daß er als Flüchtling mit strengen Sanktionen zu rechnen hätte. In seiner Berufung (gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid) habe der Beschwerdeführer wieder nur allgemein vorgebracht, daß ihm in Vietnam die Gefahr einer Verfolgung, insbesondere Folter oder Todesstrafe, drohen würde. Ehemalige Flüchtlinge, die nach Vietnam abgeschoben würden, hätten mit Gefängnisaufenthalt und Folter, sogar mit Todesstrafe, zu rechnen. Dies hätte die Behörde von Amts wegen prüfen müssen, wozu schon ausgereicht hätte, wenn die (erstinstanzliche) Behörde einen Blick in die jährlich erscheinende Berichterstattung von amnesty international über die Foltermethoden in Vietnam geworfen hätte.
Den Angaben vor der Asylbehörde aus dem Jahr 1991 - so die belangte Behörde weiter - könnten überhaupt keine Umstände entnommen werden, die nach § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG berücksichtigungswürdig wären. Der Beschwerdeführer habe darin keinerlei Verfolgung oder sonstige Übergriffe gegen seine Person, die eine Intensität im Sinn von § 37 Abs. 1 oder 2 FrG erreichen würden, behauptet. Die Angaben im Antrag nach § 54 FrG und in der Berufung seien derart allgemein gehalten, daß der Beschwerdeführer "seiner Objektivierungspflicht", die sich aus § 37 Abs. 1 oder 2 FrG ergebe, nicht einmal annähernd nachgekommen sei. Sein Vorwurf, die Behörde hätte von Amts wegen prüfen müssen, ob Verfolgungsgründe vorliegen, entspreche nicht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Was den Verweis auf Berichte von amnesty international über die derzeitige Lage in Vietnam anlange, so sei zu erwidern, daß derartige Berichte zwar ein Indiz für eine mögliche Verfolgungsgefahr darstellen könnten, doch habe der Fremde darüber hinaus im Verfahren nach § 54 FrG konkret eine ihm individuell und aktuell drohende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. Entsprechenden Berichten komme lediglich Indiziencharakter zur Untermauerung eines Vorbringens zu. Da der Beschwerdeführer keinerlei konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungsmotivationen oder Handlungen habe darlegen können, werde auch ein allgemein gehaltener Bericht von amnesty international nicht dazu ausreichen, eine individuell und aktuell gegen ihn gerichtete Verfolgungsgefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG darzutun.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluß vom 30. September 1997 die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Vor diesem wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, begehrt.
Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch jene nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0399, m.w.N.)
Die belangte Behörde ist im vorliegenden Fall zutreffend von den Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren ausgegangen. Demnach war er von August 1989 bis November 1991 unter Leitung eines vietnamesischen "Arbeitsführers" in der CSFR in einem Sägewerk als Arbeiter tätig. Ein (erster) Versuch, nach Österreich einzureisen, scheiterte, sein "Arbeitsführer" drohte dem Beschwerdeführer daraufhin an, ihn in Vietnam vor Gericht zu stellen. Außerdem nahm er ihm im August 1991 den Reisepaß ab, weil der Beschwerdeführer an einer Demonstration gegen die vietnamesische Regierung in Prag teilgenommen hatte. Der Beschwerdeführer wurde außerdem beschuldigt, Kontakte mit der Opposition gehabt zu haben, sodaß ihm die vietnamesische Botschaft nach seiner Rückkehr nach Vietnam Strafe in Aussicht stellte.
Die belangte Behörde hat dieses Vorbringen nicht als unglaubwürdig qualifiziert; sie führte hiezu allerdings aus, daß damit keinerlei Verfolgung oder sonstige Übergriffe gegen die Person des Beschwerdeführers in ausreichender Intensität behauptet worden seien. Daran ist richtig, daß dem Beschwerdeführer gemäß seinen Angaben bislang keine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung widerfahren ist. Die belangte Behörde übersieht aber, daß das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers auf seinen Aufenthalt in der ehemaligen CSFR Bezug nimmt. Maßgeblich ist insoweit, daß ihm von staatlichen Autoritäten - zumindest die Botschaft ist als solche zu qualifizieren - wegen seines Verhaltens Strafe in Vietnam angedroht wurde, sodaß er auf Grund seiner in dieser Hinsicht ausreichend konkretisierten Angaben als potentieller Adressat staatlicher Sanktionen angesehen werden muß. Diese Sanktionen hat der Beschwerdeführer im Verfahren nach § 54 FrG dahingehend präzisiert, daß ihm "als Flüchtling" (erkennbar gemeint: weil er nicht freiwillig nach Vietnam zurückkehrte) für den Fall seiner Abschiebung nach Vietnam Gefängnisaufenthalt und Folter, ja sogar Todesstrafe, drohten. Damit hat er eine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dargetan. Vom Beschwerdeführer, der unbestritten bislang noch keine Verfolgung erdulden mußte und der daher insoweit keinen konkreten Geschehensablauf darzustellen vermochte, kann nicht verlangt werden, er müsse die ihm drohende, Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung oder Bestrafung belegen. Hingegen ist vor dem Hintergrund der die Behörde treffenden amtswegigen Ermittlungspflicht von dieser zu fordern, daß sie das Vorbringen des Beschwerdeführers durch Nachforschungen über die Behandlung von Personen in Vietnam, die sich in seiner Situation befinden, einer Überprüfung unterzieht. Als mögliche Informationsquellen kämen z.B. Anfragen an österreichische Vertretungsbehörden in der Region in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0905).
Indem die belangte Behörde demgegenüber von einem Ermittlungsverfahren absah und die Behauptungen des Beschwerdeführers als ihrer Ansicht nach nicht ausreichend konkret keiner Überprüfung unterzog, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem sekundären Verfahrensmangel belastet. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer steht neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand nicht zu.
Wien, am 20. Oktober 1998
Schlagworte
Parteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997210867.X00Im RIS seit
20.11.2000