TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/17 G314 2218850-1

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Veröffentlicht am 17.05.2019
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Entscheidungsdatum

17.05.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1

Spruch

G314 2218850-1/2Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2019, Zl. XXXX, betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung beschlossen und zu Recht erkannt:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung

wird Folge gegeben und Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.2018 festgenommen und bis XXXX.2019 in der Justizanstalt XXXX angehalten. Mit Schreiben vom 20.12.2018 wurde er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern.

Mit Eingabe vom 10.01.2019 informierte der BF das BFA darüber, dass er den Rechtsanwalt XXXX mit seiner Vertretung bevollmächtigt habe. Am 30.01.2019 erstattete er eine Stellungnahme an das BFA und übermittelte am 04.03.2019 ergänzende Unterlagen. Der BF behauptet, sich seit 13 Jahren im Bundesgebiet aufzuhalten, fünf in Österreich lebende Kinder zu haben und in einer Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin, die ihn während der Haft besucht habe, zu leben.

Unmittelbar nach seiner Verurteilung zu einer 14-monatigen, teilbedingten Freiheitsstrafe mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wurde der BF aus der Justizanstalt XXXX entlassen und aufgrund eines Festnahmeauftrags des BFA in Verwaltungsverwahrungshaft genommen. Am selben Tag wurde er vor dem BFA - unter anderem zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots - vernommen. Dabei wies er auf die Vertretung durch XXXX hin.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein dreijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde damit begründet, dass die sofortige Ausreise des BF geboten und die sofortige Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbots erforderlich sei, weil er sich durch Suchtgiftverkauf auf Kosten der Gesundheit anderer unrechtmäßig bereichern wollte. Er habe sich nur kurz im Bundesgebiet aufgehalten, wo keine Wohnsitzmeldung und keine beruflichen Bindungen bestünden und er bewusst im Verborgenen gelebt habe.

Dieser Bescheid wurde dem BF am 11.04.2019 übergeben und seinem Rechtsvertreter am 17.04.2019 durch Hinterlegung zugestellt. Am 12.04.2019 wurde der BF nach Deutschland abgeschoben.

Gegen sämtliche Spruchpunkte des Bescheids richtet sich die am 13.05.2019 per E-Mail beim BFA eingebrachte Beschwerde mit den Anträgen, den angefochtenen Bescheid zu beheben, von einem Aufenthaltsverbot abzusehen, dem BF einen Durchsetzungsaufschub zu erteilen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. In der Beschwerde werden keine konkreten Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, angegeben und kein konkretes Vorbringen zur Frage der Zu- oder Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erstattet.

Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, wo diese am 15.05.2019 einlangten, und vertrat in der Stellungnahme zur Beschwerde, dass diese - ausgehend von der Zustellung an den BF am 11.04.2019 - als verspätet zurückzuweisen sei.

Feststellungen:

Dem BF wurde in Österreich keine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Er wies zwischen November 2007 und März 2010 und von Mai 2011 bis Jänner 2013 Hauptwohnsitzmeldungen in XXXX auf; danach war er erst wieder ab XXXX.2018 in der Justizanstalt XXXX gemeldet.

Der BF war im Bundesgebiet von September 2008 bis Dezember 2015 (mit Unterbrechungen) erwerbstätig und bezog dazwischen immer wieder Arbeitslosen- oder Krankengeld bzw. Notstands- oder Überbrückungshilfe. Von 09.12.2011 bis 09.12.2015 verfügte er über eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe "Handelsagent und Handelsgewerbe". Er ist ledig und für zwei in Österreich lebende Kinder sorgepflichtig.

Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfte Fall SMG zu einer 14-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ein Strafteil von zehn Monaten für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er zwischen Mai 2017 und November 2018 in mehreren Angriffen diversen Abnehmern Cannabisblüten (beinhaltend THCA und Delta-9-THC in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge) überließ, wobei er durch den Suchtgiftverkauf einen Umsatz von EUR XXXX erzielte, der für verfallen erklärt wurde. Bei der Strafzumessung wurden das Geständnis und der bisher ordentliche Lebenswandel als mildernd, der lange Tatzeitraum dagegen als erschwerend berücksichtigt. Es handelt sich um seine erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung.

Der BF wurde aufgrund der Vorhaftanrechnung gleich nach der Urteilsverkündung aus der Haft entlassen. Ihm wurde die Weisung erteilt, sich während der Probezeit einer Behandlung zu unterziehen, weil er suchtgiftabhängig ist. Er hat einen Therapieplatz in einer Suchtbehandlungseinrichtung in XXXX in Aussicht.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungsrelevante Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG.

Eine Anmeldebescheinigung ergibt sich weder aus dem Fremdenregister noch wird sie vom BF behauptet. Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen basieren auf dem Zentralen Melderegister (ZMR). Die Erwerbstätigkeit des BF in Österreich und der Bezug von Arbeitslosen- oder Krankengeld bzw. Notstands- oder Überbrückungshilfe wird anhand des Versicherungsdatenauszugs festgestellt; die Gewerbeberechtigung ergibt sich aus dem Gewerbeinformationssystem Austria (GISA).

Familienstand und Sorgepflichten des BF werden anhand des Strafurteils festgestellt, aus dem sich auch die Feststellungen zu den von ihm begangenen Straftaten, der Verurteilung, der verhängten Strafe, den Strafzumessungsgründen und der Weisung ergeben. Die Rechtskraft der Verurteilung wird auch durch das Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen des BF in Österreich aufscheinen. Es gibt keine Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten, zumal sein zuvor ordentlicher Lebenswandel als Milderungsgrund berücksichtigt wurde.

Der in Aussicht stehende Therapieplatz wird anhand des E-Mails vom 11.04.2019 festgestellt, zumal in der XXXX in XXXX die Suchtbehandlungseinrichtung XXXX etabliert ist (siehe www.XXXX, Zugriff am 16.05.2019).

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Die Beschwerde ist - entgegen der Ansicht des BFA - nicht verspätet, weil das BFA über die Bevollmächtigung des Rechtsvertreters des BF informiert wurde und die allgemeine Vertretungsvollmacht eine Zustellungsbevollmächtigung iSd § 9 Abs 1 ZustG einschließt (vgl z. B. VwGH 22.09.2011, 2010/18/0365). Die Zustellung des Bescheids an den BF selbst am 11.04.2019 war daher nach § 9 Abs 3 ZustG unwirksam, zumal die abweichende Regelung in § 11 Abs 8 BFA-VG hier nicht anzuwenden ist (siehe Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 203). Die Beschwerdefrist begann daher erst mit der Zustellung des Bescheids an den dem BFA bekannten Rechtsvertreter des BF am 17.04.2019 zu laufen. Ausgehend davon ist die am 13.05.2019 eingebrachte Beschwerde rechtzeitig.

Die Beschwerde richtet sich - zumindest implizit - auch gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids, mit dem die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Das BVwG hat über eine derartige Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu entscheiden (vgl VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014).

Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann (ua) bei EWR-Bürgern die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Die Aberkennung bedarf - insbesondere angesichts der weitreichenden damit verbundenen Konsequenzen - einer entsprechend sorgfältigen, einzelfallbezogenen Begründung. Sie darf nicht ausschließlich darauf gestützt werden, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erfüllt sind. Die Behörde muss vielmehr nachvollziehbar darlegen, warum darüber hinaus die sofortige Ausreise des BF geboten ist.

Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das BVwG der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.

Der BF hielt sich zwar vor seiner Verhaftung ohne Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf, wurde wegen Handels mit einer großen Suchtgiftmenge über einen langen Zeitraum verurteilt und ist selbst suchtgiftabhängig, sodass von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Da aber Anhaltspunkte für gewichtige private und familiäre Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet vorliegen und allenfalls aufgrund eines über zehnjährigen Inlandsaufenthalts der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG anzuwenden ist, ist im Rahmen der vorzunehmenden Grobprüfung zu befürchten, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung mit der Gefahr einer Verletzung von Art 8 EMRK verbunden ist, zumal der BF im Bundesgebiet schon einen Therapieplatz in Aussicht hat und dem Erstvollzug im Allgemeinen eine erhöhte spezialpräventive Wirksamkeit zukommt.

Spruchpunkts III. des angefochtenen Bescheids ist daher zu beheben und der Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 21 Abs 6a BFA-VG.

Zu Spruchteil C):

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist zuzulassen, weil - soweit überblickbar - eine Judikatur des VwGH zur Frage fehlt, ob die amtswegige Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG nach § 18 Abs 5 erster Satz BFA-VG nur im Rahmen der in der Beschwerde konkret bezeichneten Gründe iSd § 18 Abs 5 zweiter Satz BFA-VG zu erfolgen hat oder ob das BVwG die aufschiebende Wirkung auch dann zuerkennen kann, wenn in der Beschwerde keine solchen Gründe genannt werden, beispielsweise dann, wenn sich (wie hier) aus dem sonstigen Akteninhalt, insbesondere aus einer früheren Stellungnahme des BF, konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Verletzung von Art 8 EMRK durch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ergeben und die Beschwerde aufgrund des Fehlens einer Beschwerdebegründung nach § 9 Abs 1 Z 3 VwGVG einen Mangel aufweist, dessen Behebung mit Verbesserungsauftrag zu veranlassen ist, was innerhalb der Wochenfrist des § 18 Abs 5 BFA-VG voraussichtlich nicht möglich sein wird (vgl zu einem ähnlich gelagerten Fall das Teilerkenntnis des BVwG vom 06.05.2019, G314 2218096-1/2Z).

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2218850.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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