Entscheidungsdatum
22.07.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W187 2161043-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird dem XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis 22.7.2020 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
2. Im Rahmen seiner Erstbefragung am selben Tag wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Als Beweggründe für seine Ausreise gab er hier eine Bedrohung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit für ausländische Behörden als Netzwerktechniker sowie die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan an.
3. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hierbei wiederholte er im Beisein eines Dolmetschers seinen Fluchtgrund aus der Erstbefragung und führte diesen weiter aus. Zudem legte er Beweismittel und Integrationsunterlagen vor.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen [gemeint: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
5. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den amtswegig beigegebenen Rechtsberater, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.
6. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das BFA zur Entscheidung vorgelegt. Unter einem erklärte die belangte Behörde schriftlich, auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu verzichten.
7. Mit Eingabe vom XXXX übermittelte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen und Befunde.
8. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:
"[...]
Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?
Beschwerdeführer: Ja, ich stehe wegen meiner Niere in Behandlung. Monat für Monat stehe ich wegen meiner Niere in Behandlung. Ich nehme drei verschiedene Medikamente ein. Zwei Medikamente damit die normale Nierenfunktion erhalten bleibt und ein Medikament gegen die Schmerzen. Ich habe auch ärztliche Befunde wegen meiner Niere. Darüber hinaus habe ich auch noch ein Blutbefund. Noch ein Medikament habe ich von meinem Arzt in Neunkirchen verschrieben bekommen, weil es mir psychisch nicht gut geht. Wie der Arzt heißt, weiß ich nicht.
[...]
Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?
Beschwerdeführer: Ja, ich habe keine Lügen erzählt, die ich wieder vergessen habe.
Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?
Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX in der Stadt Kabul geboren. Die Schule habe ich ebenfalls in Kabul abgeschlossen. Neben der Schule habe ich für ein Unternehmen namens " XXXX " gearbeitet. Am Anfang habe ich einiges lernen müssen. Ich konnte das System von dem Network rasch erlernen. Dieses Unternehmen hat mir dann ermöglich, dass ich für verschiedene Stützpunkte der Amerikaner dann arbeiten konnte. Ich habe in den Stützpunkten Camp- XXXX , das eigentlich das XXXX genannt wurde, Camp- XXXX , Camp XXXX , dass für die Sicherheit der amerikanischen Botschaft zuständig war und am Stützpunkt Camp XXXX in XXXX gearbeitet. Zum Camp- XXXX möchte ich angeben, das auch XXXX heißt, dass es sich um einen Militärstützpunkt der Amerikaner handelt. Am Stützpunkt befinden sich die Firmen von XXXX , XXXX und XXXX . Wie gesagt habe ich auch an diesem Stützpunkt gearbeitet, für die Netzwerkverbindungen und die Sattelitenarbeiten, haben wir dort über die Firma " XXXX " erledigt. Die Firma bei der ich auch gearbeitet habe, hat auch bei den anderen Stützpunkten die Netzwerkarbeiten übernommen. Das, was ich ihnen gesagt habe, ist nicht erlogen, denn ich besitze zwei Identitätsausweise die mir einen Zugang zu den Stützpunkten ermöglich haben. Ich habe diese Ausweise mit dabei und kann es auch Ihnen vorlegen, um Ihnen zu beweisen, dass ich Ihnen die Wahrheit erzähle. Vielleicht stellen Sie sich die Fragen, wieso ich von den weiteren Stützpunkten keine Identitätsausweise besitze. Das lag daran, dass die Stützpunkte XXXX und XXXX einen Tag bevor wir dort gearbeitet haben, per E-Mail unsere Tazkira angefordert haben. Am Arbeitstag mussten wir dann die Registrierungsnummer der Tazkira vorsagen, um hinein gelassen zu werden. Ich habe auch für den Stützpunkt XXXX , der sich in XXXX befindet, auch gearbeitet und darüber hinaus gibt es eine Zweigstelle des Stützpunkts XXXX in der Provinz XXXX , auch dort habe ich gearbeitet. Der Stützpunkt XXXX ist auch ein Militärstützpunkt. Dort werden alle Versorgungen für die stationierten Personen geregelt, ich meine damit die Lebensmittel. In den anderen Stützpunkten XXXX und XXXX , konnte ich ungehindert mit meinem Ausweis hineingelangen. Ich hatte auch die Erlaubnis, eine fremde Person zu registrieren und mit meiner Karte hinein in den Stützpunkt zu bringen. Ich wurde dann von einer unbekannten Nummer angerufen, die Person sprach auf Pashtu mit mir. Ich habe so viel verstanden, was man von mir verlangt hat, dass ich sie unterstützen soll. Sie würden wissen, dass ich in diesen Stützpunkten arbeiten würde. Wir brauchen deine Hilfe. Ich wurde aufgefordert, mich der Gruppierung der Islamischen Emirate anzuschließen. Darüber hinaus wurde mir gesagt, dass man mir alles was ich verlange, als Gegenleistung für die Weitergabe der Informationen ermöglichen wird. Ich habe dann aufgelegt. Es kamen dann zwei weitere Anrufe von einer unbekannten Nummer, die ich nicht abgehoben habe. Wenn sie angerufen haben, haben sie etwa 20 bis 40 Sekunden gesprochen und dann aufgelegt. Dann haben sie mich mit einer anderen unbekannten Nummer angerufen. Eine Zeit lang habe ich zwei bis drei Mal in der Woche Anrufe von unbekannten Nummern erhalten. Ich hatte zwei oder drei Nummern von den bereits genannten Stützpunkten. Ich musste jeden Anruf entgegennehmen. Es kam vor, dass die ausländischen Kollegen mich auch angerufen haben. Wenn ein Problem im Bereich von Netzverbindungen entstanden ist, wurde ich kontaktiert. Bis ich das Problem gelöste habe, musste ich für sie erreichbar sein. Es kam auch vor, dass ich persönlich hingehen musste, um vor Ort, das Problem zu lösen. Als die Anrufe kamen, wurde ich jedes Mal aufgefordert mitzuwirken, Hilfe zu leisten und Informationen über die Stützpunkte Preis zu geben. Am XXXX habe ich einen ganz normalen Tag im Beisein meiner Familie verbracht. Plötzlich wurde eine Fensterscheibe eingeschlagen, ich wollte nach draußen laufen, um nach zu sehen, wer absichtlich die Scheibe eingeschlagen hat. Mein Vater hat mich zurückgehalten und mich beruhigt. Er sagte zu mir, warte ein paar Minuten. Mein Vater hat dann den Schalter angedreht, um Licht im Garten zu haben. Im Garten hat er ein kleines Plastiksackerl. Ich weiß nicht was drinnen war. Meine Mutter und meine Geschwister sind auch nach draußen gekommen, er hat uns alle aufgefordert hinein zu gehen. Er ist dann nachgekommen und hat mich dann in sein Zimmer mitgenommen, um mit mir alleine zu sprechen. Er fragte mich, was los sei. Ich habe die Anrufe von meiner Familie und von meinem Vater verheimlicht. Ich wollte meine Familie schonen, mein Vater hat eine Erkrankung, weil er psychisch überlastet ist. Sein Mundwinkel hat sich zusammengezogen und wurde dann abwesend. Er hat mich gefragt, was los sei und mir vorgehalten, dass ein Schreiben mich betreffend gekommen sei. Er hat mir auch wütend erklärt, dass ich anscheinend bedroht werde und er möchte nun wissen, was Sache ist. Ich habe dann meinem Vater erzählt, dass ich Anrufe erhalten habe. Ich wurde aufgefordert diese Leute zu unterstützen. Ich habe ihn dann gefragt, was in dem Zettel drinnen steht. Mein Vater hat mir gesagt, dass es sich dabei um einen Drohbrief handelt. Sie drohen damit, mich zu töten. Er hat mich auch gefragt, abgesehen von den Anrufen, ob ich persönlich etwas gemacht habe, was zu einer Provokation geführt hätte. Ich habe das verneint und gesagt, dass ich angerufen wurde. Er meinte zu mir, jetzt ist es für alles zu spät. Sie drohen damit dich zu töten. Ich habe ihn gefragt, von wem dieser Brief verfasst wurde. Er antwortete mit "Islamische Emirate". Er meinte, du musst zu deinem Onkel mütterlicherseits. Eine Zeit lang darfst du nicht mehr nach Hause kommen. Ich habe die Nacht noch zu Hause verbracht und am nächsten Tag, wurde ich zu meinem Onkel mütterlicherseits gebracht. Mein Onkel mütterlicherseits lebte ebenfalls in der Stadt Kabul im Stadtteil XXXX . Etwa 20 Minuten entfernt von seinem Haus, hat der Leiter des Unternehmens gearbeitet. Ich habe dann zu meinem Vorgesetzten gesagt, wenn er zum Stützpunkt fährt, soll er mich in die Arbeit mitnehmen. Ich bin dann zum Stützpunkt mit meinem Vorgesetzten gefahren. Er führte mich auch zurück zum Haus meines Onkels. Immer wenn er mit der Arbeit fertig war, habe ich mit ihm zusammen den Arbeitsplatz verlassen. Ich bin dann draußen, nicht mehr frei herumgegangen. Ich habe mich im Haus meines Onkels aufgehalten und war arbeiten. Am XXXX bin ich wie gewohnt mit meinem Vorgesetzten nach der Arbeit zurückgefahren und bin dann zu Hause angekommen und ausgestiegen. Im Fernsehen wurde eine Eilmeldung ausgestrahlt. Um zwar wurde ein Selbstmordanschlag in der Nähe des Flughafens wo sich die Stützpunkte befinden verübt. Ich habe dann meinen Vorgesetzten angerufen, um zu erfahren wo genau sich dieser Anschlag ereignet hat. Mein Vorgesetzter meinte, dass er sich mal erkundigen muss, ob die Stützpunkte direkt betroffen sind. Ich habe angerufen, um mich zu erkundigen, denn für gewöhnlich war es so, dass nach einem Selbstmordanschlagen Straßen versperrt worden sind und ich nicht arbeiten gehen konnte. Er hat mich danach nach einigen Minuten angerufen und gesagt, dass die Stützpunkte XXXX und XXXX angegriffen worden seien. Wenn die Straßen wieder entsperrt worden sind, können wir wieder arbeiten gehen. Er meinte, dass er mich noch anrufen würde. Zwei Tage später hat er mich angerufen und mir gesagt, dass ich mich bereitmachen soll, weil wir zusammen zum Stützpunkt fahren werden. Um vor Ort den Schaden zu sehen, wie viel Schaden an den Netzwerken angerichtet worden sei. Vom Stützpunkt aus wurde mein Vorgesetzter angerufen und aufgefordert, sich ein Bild von der Lage zu machen. Wir sind dann zum Stützpunkt gefahren und haben gesehen, dass der gesamte Stützpunkt zerstört war. Der angerichtete Schaden war sehr groß, da die Netzwerke zerstört worden sind. Ich kann Ihnen auch noch Fotos, die wir vor Ort gemacht haben zeigen und Ihnen somit auch diese Aussage beweisen. Soll ich es Ihnen vorlegen? Ich wollte Ihnen nur sagen, dass das was ich Ihnen sage, auch mit den Fotos beweisen kann. Nach diesem Vorfall habe ich etwa eine Woche später wieder von einer unbekannten Nummer einen Anruf erhalten. Wir haben mit unserer Arbeit normal weitergemacht, so wie es auch vom Stützpunkt verlangt wurde. Wir wurden aufgefordert, das System wiederherzustellen und zu reparieren. 400 Personen aus XXXX wurden bei dem Anschlag am Stützpunkt XXXX getötet. Wie viele Personen am Stützpunkt XXXX getötet worden sind, weiß ich nicht. Die Informationen wurden lange nicht gehalten. Vielleicht gab es auch Aussendungen über die Homepage. Ich habe natürlich am Stützpunkt gefragt, wie das alles passiert ist. Mir wurde erzählt, dass der Attentäter erkannt, ausfindig gemacht wurde. Der Attentäter hat sein Ziel verfehlt, er wollte nämlich zum Haupteingang vordringen. Die Sicherheitspersonen am Stützpunkt haben mir das erzählt. Es waren deren Worte. Nach einer Woche kam wieder ein Anruf, ich meine eine Woche nach dem Anschlag. Mit mir wurde erneut auf Pashtu gesprochen. Du hast bislang deine Meinung nicht geändert. Die islamischen Emirate haben dich auserwählt. So wie wir das in Erfahrung bringen konnten, machst du nach wie vor deine Arbeit. Wir schlagen dir erneut vor, mit uns mitzuwirken. Wir wissen, wo du wohnst. Wir haben dir auch ein Schreiben dagelassen. Wir haben dein Haus ausfindig gemacht, dir ein Schreiben zukommen lassen. Darüber hinaus können wir noch einiges machen. Ich habe mit meiner Arbeit normal weitergemacht. Ich habe mich wie gesagt, nicht draußen bewegt. Ich war arbeiten und habe mich zu Hause aufgehalten. Am Stützpunkt war ich sicher. Zwei Wochen nach diesem Anruf, kam noch ein weiterer Anruf. Das war auch der letzte Anruf. Sie haben mir wieder gedroht und mich gefragt, änderst du deine Meinung oder nicht. Sie haben mir vorgeworfen, dass ich ein Moslem bin und mit ihnen arbeiten soll. Sie sagten, wir sind auch Moslems. Sie sagten, ich würde meinen Glauben gegen Geld verkaufen. Wir wollen nur, dass du uns Hilfe leistest. Für jede Information die du uns gibst, wirst du belohnt. Alles was du willst, wird die ermöglicht. Sie wollten, dass ich Informationen über die Fahrzeuge gebe. Mehr Informationen wollten sie auch nicht. Sie wollten wissen, welche Fahrzeuge sich am Stützpunkt befinden. Jene Fahrzeuge die das Gelände am Stützpunkte verlassen haben, waren panzergeschützte und einfarbige Fahrzeuge. Sie wollten, dass ich ihnen berichte, wer sich in welchem Fahrzeug befindet. Sie wollten, dass ich, so ist die amerikanische Ausdrucksweise AFN Receiver aus dem Stützpunkt für sie ausbaue und ihnen bringe. Sie wollten einen Receiver der aktiviert, also funktionsfähig ist haben. Das ist kein Receiver, was für gewöhnlich eingesetzt wird. Das ist ein Receiver, den nur das amerikanische Militär verwendet. Diesen Receiver hatten wir in unserem System integriert und am Stützpunkt verwendet. An jeden Stützpunkt hatten wir zwei bis drei Receiver angebracht. Die Registrierung und die Aktivierung hat allerdings ein Soldat aus der US-Army gemacht. Der Soldat hat ein Receiver auf seinen Namen und seiner Wohnadresse in Amerika, sozusagen auf sich aktivieren lassen. Nach der Aktivierung konnten 24 Stunden lang Ausbildungskanäle für das Militär empfangen werden. Nicht jeder Amerikaner konnte sich dafür registrieren, nur Militärpersonen. Sie haben mir gesagt, wenn ich ihnen diesen Receiver besorge, werden sie mir jede Summe die ich ihnen nennen, bezahlen. Wir haben dich auserwählt und wir wissen wie sehr du an diesen Stützpunkt aktiv bist. Ich weiß nicht, ob sie Personen eingeschleust haben, die ihnen davon erzählt haben, was ich alles gemacht habe. Wie gesagt haben wir uns um das ganze System gekümmert und hatten ein Recht, gewisse Teile außerhalb des Stützpunktes mitzunehmen. Beispielsweise konnte ich einen Receiver mit dem Vorwand einer Reparatur mitnehmen. Das was mir vorgeschlagen wurde, wir diesen Receiver ihnen zu besorgen, habe ich abgelehnt. Sie haben mir am Telefon gesagt, dass sie diesen Receiver brauchen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich das nicht machen kann. Sie haben mir gesagt, dass was wir mit deinem Stützpunkt angerichtet haben, können wir mit dir auch machen. Wir wissen auch, dass du nicht mehr nach Hause kommst. Wir werden dich löschen. Ich habe dann zu meinem Vater gesagt, dass ich Angst davor habe zu sterben. Mein Vater hat mir dann vorgeschlagen, mit meinem Vorgesetzten zu sprechen, um heraus zu finden, was er für mich tun kann. Mein Vorgesetzter hat zu mir gesagt, dass er mir den Gefallen getan hat, in dem er mich in die Arbeit aufgenommen hat und mich wieder zurückgeführt hat. Ich kann dir aber keine Sicherheitsperson zur Seite stellen. Ich kann dich nicht beschützen. Das, was mein Vorgesetzter mir gesagt hat, habe ich meinem Vater weitererzählt. Mein Vater hat dann gesagt, dass er für mich eine Entscheidung treffen wird. Er hat dann entschieden, dass ich Afghanistan verlassen soll. Mein Vater hat mir dann gesagt, über kurz oder lang werden sie dich finden. Er hat diese Entscheidung für mich getroffen und für mich mit einem Schlepper gesprochen. Danach habe ich Afghanistan verlassen. Nach den letzten Anrufen vergingen zwei Nächte, bis ich Afghanistan verlassen habe. Beim letzten Telefonat wurde ich mit dem Tod bedroht, deswegen habe ich Afghanistan verlassen. Am XXXX habe ich Afghanistan verlassen.
Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?
Beschwerdeführer: Dari ist meine Muttersprache und Pashtu habe ich in der Schule gelernt. Ich kann ein wenig in Pashtu lesen und sprechen. Urdu kann ich sprechen. Ich kann auch ein wenig Englisch sprechen. Ich kann auch ein bisschen Deutsch.
Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.
Beschwerdeführer: Ich bin ledig. Ich bin Tadschike und sunnitischer Moslem.
Richter: Haben Sie Kinder?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
Beschwerdeführer: In der Umgebung des Flughafens, hinter den Stützpunkten in einer Gegend namens XXXX haben wir dort gemeinsam mit der Familie gelebt. Meine Familie ist dann in die Stadt Kabul im Stadtteil XXXX übersiedelt.
Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?
Beschwerdeführer: Eine Woche vor dem Beginn des Fastenmonats, hatte ich einen Kontakt zu ihnen.
Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?
Beschwerdeführer: Nur meine Familie.
Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?
Beschwerdeführer: Das weiß ich nicht. Sie haben mir bei dem letzten Telefonat, also vor dem Fastenmonat gesagt, dass sich die Lage auch für sie eingeengt hat. Die Wahrheit haben sie mir nicht erzählt.
Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?
Beschwerdeführer: Ich komme hier gut voran und führe hier ein gutes Leben. Ich meine damit, dass ich eine Nierenerkrankung habe und hier behandelt werden kann. Wenn ich keine Behandlung hier bekommen würde, dann würde ich vermutlich sterben. Ich bin glücklich darüber, dass ich hier behandelt werde. Ich besuche in Österreich eine Schule und habe Freunde. Ich nehme an Laufwettbewerben und Veranstaltungen in unserer Ortschaft teil. Ich habe auch einen Integrationskurs abgeschlossen. Über die Gesetze des Landes habe ich einiges erfahren. Ich habe für die Gemeinde gearbeitet und habe auch eine Bestätigung erhalten. Ich mache mich auch ehrenamtlich tätig durch freiwillige Arbeiten. XXXX Race, an dieser Veranstaltung habe ich teilgenommen und sogar eine Medaille gewonnen. Beim XXXX Marathon habe ich auch teilgenommen. Jeden Mittwoch laufe ich mit XXXX im Akademiepark. An den normalen und gewöhnlichen Tagen besuche ich die Schule. Ich besuche von 8:00 bis 16:00 oder 17:00 Uhr die HTL XXXX . Mit dem Leben hier bin ich sehr zufrieden.
Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?
Beschwerdeführer: Nein.
Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.
Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
Beschwerdeführer: Ja.".
Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung weitere Integrationsunterlagen und einen Ambulanzbrief vor.
9. Mit Eingaben vom XXXX , XXXX , XXXX und XXXX erfolgten eine Stellungnahme des Beschwerdeführers sowie die Vorlage ergänzender Urkundenvorlagen.
10. Am XXXX stellte das erkennende Gericht eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich einer Behandelbarkeit der Nierenerkrankung sowie der posttraumatischen Belastungsstörung des Beschwerdeführers in Afghanistan.
11. Am XXXX langte die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation beim erkennenden Gericht ein.
12. Diese wurde dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde zum Parteiengehör zugestellt. Der Beschwerdeführer brachte dazu am XXXX eine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, in die im Verfahren vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, Einsicht in die ins Verfahren eingebrachten Berichte und den hiergerichtlichen Gerichtsakt:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist volljährig und afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er kann diese Sprache lesen und schreiben.
Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.
Er wurde in der afghanischen Provinz Kabul geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im Frühjahr 2016 gemeinsam mit seinen Eltern, seinem jüngeren Bruder und seinen zwei jüngeren Schwestern. Der Beschwerdeführer verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung und hat Berufserfahrung als Netzwerktechniker.
Die Familie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Heimatprovinz Kabul. Der Beschwerdeführer hat gelegentlich Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan.
1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan
Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen mit einer Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Netzwerktechniker für ausländische Unternehmen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.
1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Der Beschwerdeführer hält sich seit Mai 2016 in Österreich auf. Er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er wohnt seit Juni 2016 in einem privaten Asylquartier in XXXX . Das vorgelegte Schreiben seines Unterkunftgebers bestätigt, dass der Beschwerdeführer als angenehmer Bewohner auffällt und das Quartier proaktiv unterstützt. Der Beschwerdeführer nahm seit seiner Einreise an einem Werte- und Orientierungskurs sowie an zahlreichen Workshops des XXXX und der XXXX teil, besuchte mehrere Deutschkurse und erwarb im Juni 2018 ein Sprachzertifikat auf dem Niveau A2. Er lernt seither mit einem ehrenamtlichen Deutschlehrer für die B1-Sprachprüfung. Der Beschwerdeführer ist seit November 2017 ordentlicher Schüler an der HTL XXXX , wo er im Juni 2018 den Lehrgang "Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch" abgeschlossen hat. Seitens seiner Schuldirektorin und seiner Klassenlehrerin wird bestätigt, dass der Beschwerdeführer bereits über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt und sozial sehr gut integriert ist. Seit Jänner 2019 nimmt der Beschwerdeführer an einem sechsmonatigen Basisbildungskurs für die Unterrichtsfächer Deutsch, Mathematik, IKT und Soziales Lernen teil.
Der Beschwerdeführer leistete ehrenamtliche Tätigkeiten bei der Durchführung von Sportveranstaltungen und im Rahmen der Gartenarbeit in einem Vereinsgarten und arbeitete bei einem caritativen Flohmarkt mit. Der Beschwerdeführer engagierte sich wiederholt bei der Übersiedlung einer Lehranstalt in seiner Wohnsitzgemeinde und leistete hierbei im Auftrag der Stadt XXXX gemeinnützige Hilfstätigkeiten Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Empfehlungsschreiben vor. Darin wird der Beschwerdeführer stets als äußerst gewissenhaft, hilfsbereit, engagiert, aufgeschlossen, ehrgeizig und intelligent beschrieben, dem in Österreich seitens seiner Mitmenschen eine positive Zukunftsprognose gestellt wird.
In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer litt bereits in Afghanistan an wiederkehrenden Hautveränderungen, erhielt in Afghanistan jedoch keine Diagnose. In Österreich wurden beim Beschwerdeführer eine dermatologische Untersuchung sowie eine Biopsie der Niere durchgeführt. Im August 2017 wurde beim Beschwerdeführer eine Multisystemerkrankung der Blutgefäße (IgA-Vaskulitis) diagnostiziert, die im Fall des Beschwerdeführers mit einer Erkrankung der Haut sowie einer akuten Erkrankung der Niere (IgA-Nephropathie) einhergeht. Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund seiner Nierenerkrankung in regelmäßiger medizinischer Behandlung und benötigt mehrmals täglich Medikamente, die er von einem Facharzt für Nierenkrankheiten verordnet bekommt. Aus dem ärztlichen Attest der Nephrologie XXXX vom XXXX geht hervor, dass der Beschwerdeführer regelmäßige Therapie und Kontrolluntersuchungen braucht, andernfalls ein hohes Risiko der schnellen Verschlechterung besteht. Aus dem Ambulanzbrief der Nephrologie XXXX vom XXXX geht weiter hervor, dass beim Beschwerdeführer mittlerweile eine immunsuppressive Therapie durchgeführt wurde, sich im Harn dennoch weiterhin eine große Proteinurie (übermäßige Ausscheidung von Proteinen über den Urin) zeigt. Dieser Umstand bedeutet gemäß dem vorgelegten Ambulanzbrief eine schlechte Prognose für den Beschwerdeführer, da IgA-Vaskulitiden bei Erstdiagnosen im Erwachsenenalter (wie dies beim Beschwerdeführer der Fall ist) häufig zu terminaler Niereninsuffizienz (dauerhaftes Nierenversagen) führen. Gemäß dem vorgelegten Ambulanzbrief ist eine weiterführende immunsuppressive Behandlung des Beschwerdeführers geplant und sind regelmäßige Kontrollen in der nephrologischen Ambulanz von größter Wichtigkeit. Bei einer weiteren Verschlechterung der Grunderkrankung attestiert der Ambulanzbrief dem Beschwerdeführer Dialysepflichtigkeit, die im Falle der mangelhaften Durchführbarkeit der Dialysetherapie gemäß den fachärztlichen Ausführungen in den vorgelegten Befunden zum Tod durch Nierenversagen führt. Die Dauermedikation des Beschwerdeführers aufgrund seiner Nierenerkrankung ist laut Ambulanzbrief vom XXXX Acemin 5 mg, Cellcept 500 mg, Aprednisolon 25 mg und bei Bedarf Mexalen 500 mg. Ein nächster Kontrolltermin wurde für 14 Tage vereinbart.
Im April 2018 wurde beim Beschwerdeführer zudem eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert, die im Fall des Beschwerdeführers mit autoaggressiven Handlungen (Ritzen in Stresssituationen) einhergeht. Auch diese Erkrankung wird medikamentös behandelt, wobei der Beschwerdeführer die benötigten Medikamente von einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie verschrieben bekommt. Die Medikation des Beschwerdeführers aufgrund seiner PTBS-Erkrankung ist Sertralin 50 mg und bei Bedarf Atarax 25 mg. Eine Psychotherapie wurde dem Beschwerdeführer seitens der diagnosestellenden Neurologin dringend empfohlen.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers
Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:
1.4.1 Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004). Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).
Parlament und Parlamentswahlen
Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017). Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017). Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu- Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).
Parteien
Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).
Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).
Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).
Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)
Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).
1.4.2 Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie zB Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).
In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie zB in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).
INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).
Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10 % der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).
Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).
Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).
Kontrolle von Distrikten und Regionen
Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).
Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2 % der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2 % gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).
Rebellengruppen
Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32 % gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).
Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).
Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).
Taliban und ihre Offensive
Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).
Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).
Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).
Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl auch:
The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).
Haqqani-Netzwerk
Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).
Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).
Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul -,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).
Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).
Al-Qaida
Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100 bis 300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300 bis 500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht, wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).
Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)
Siehe oben unter "Friedens- und Versöhnungsprozess".
IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat
Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl auch: MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016). Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie zB die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hArt in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).
Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).
Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).
Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).
Zivile Opfer
Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1.2016 und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2 % bei Getöteten und eine Erhöhung um 6 % bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation war weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED) und gezielten und willkürlichen Tötungen (UNAMA 6.2.2017).
UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).
Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivile Opfer (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17 % gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34 % gegenüber dem Vorjahreswert aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffen auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte) sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).
Laut UNAMA waren 61 % aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24 % regierungsfreundlichen Kräften (20 % den afghanischen Sicherheitskräften, 2 % bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2 % internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfe zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10 % zivile Opfer, während 5 % der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017). Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte: Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an - nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Internationalen Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden fünf Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015). Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sich